OGH 10ObS110/11s

OGH10ObS110/11s8.11.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Andrea Eisler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei L*****, vertreten durch Dr. Ernst Reitmayr, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hille­geist-Straße 1, wegen Invaliditätspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3. August 2011, GZ 12 Rs 103/11w-27, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Benötigt die Klägerin infolge ihrer Zuckererkrankung bei einem Achtstunden-Arbeitstag über die gesetzlichen Pausen hinaus zwei zusätzliche Pausen für die Blutzuckermessung und gegebenenfalls für eine Insulinkorrektur in der Dauer von (insgesamt) jeweils fünf Minuten (bei Heranziehung des niedrigsten der möglichen Zeitwerte - 10 ObS 175/98b, SSV-NF 12/79 ua), entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass ein besonderes Entgegenkommen des Dienstgebers nicht erforderlich ist, weil solche Verrichtungen gerade bei Tätigkeiten, die nicht mit Kundenverkehr verbunden sind (wie bei der für die Klägerin in Frage kommenden Verweisungstätigkeit einer Reinigungskraft in der Büroreinigung), am Arbeitsmarkt ganz allgemein geduldet werden. Sie können ohne Störung des Dienstbetriebs in Sanitärräumen durchgeführt werden (10 ObS 24/90 mwN). Ganz allgemein werden behinderungsbedingte Kurzpausen in einer täglichen Gesamtdauer bis etwa zwanzig Minuten bei Tätigkeiten, die nicht mit Kundenverkehr verbunden sind, in der Wirtschaft toleriert, sodass diese Gruppe nicht auf ein besonderes Entgegenkommen des Arbeitgebers angewiesen und deshalb nicht vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist (RIS-Justiz RS0084414).

2. Im Hinblick auf die bei der Klägerin weiters gegebene Harndranginkontinenz und die daraus resultierende Notwendigkeit, stündlich die Toilette aufzusuchen, ging das Berufungsgericht davon aus, es sei der Klägerin zumutbar, die Blutzuckermessungen in den ihr gesetzlich zur Verfügung stehenden, üblicherweise gewährten gesetzlichen Arbeitspausen (siehe § 11 Abs 1 AZG) vorzunehmen. Diese Frage kann aber dahingestellt bleiben, weil die von der Klägerin zu absolvierenden Toilettengänge - auch unter Berücksichtigung der zusätzlichen Pausen für Blutzuckermessungen - keinen Ausschluss vom Arbeitsmarkt bewirken:

Zwar mag sein, dass die Klägerin infolge der mangelnden zeitlichen Planbarkeit der Toilettenbesuche dafür nicht in jedem Fall die gesetzlichen Arbeitspausen nutzen kann. Es wird aber doch davon auszugehen sein, dass im Durchschnitt zumindest einer der Toilettengänge - auch wenn er nicht zeitlich planbar ist - so fallen wird, dass er (doch) in einer der beiden gesetzlichen Arbeitspausen oder aber kurz vor Arbeitsbeginn oder kurz nach Arbeitsende absolviert werden kann. Weshalb es der Klägerin nicht möglich sein sollte, die beiden (in Abständen von zwei bis drei Stunden vorzunehmenden und idR in einem Sanitärraum durchzuführenden) Blutzuckermessungen so anzusetzen, dass sie damit jeweils einen der erforderlichen Toilettengänge ohne nennenswerten zeitlichen Mehraufwand verbinden kann, ist nicht ersichtlich. Zu den verbleibenden, von der Klägerin zu absolvierenden Toilettengängen ist auszuführen, dass das Aufsuchen der Toilette auch bei gesunden Arbeitnehmern keineswegs nur während der Arbeitspausen üblich ist (vgl 10 ObS 124/99d, SSV-NF 13/113; 10 ObS 119/05f; RIS-Justiz RS0084414). Es stellt sich deshalb die Frage, ob und für wieviele der verbleibenden Toilettenbesuche überhaupt „zusätzliche Arbeitspausen“ erforderlich sind. Im Hinblick auf die im vorliegenden Einzelfall gegebenen Umstände ist jedoch davon auszugehen, dass jener Zeitaufwand, der über die während eines Achtstunden-Arbeitstags üblicherweise erfolgenden Toilettenbesuche hinausgehen sollte, jedenfalls noch in den von der Wirtschaft geduldeten insgesamt zwanzig Minuten für zusätzliche Pausen Deckung findet, die Unterbrechungen nur mit einem relativ geringem Zeiterfordernis verbunden und mit der Tätigkeit einer Reinigungskraft in der Büroraumreinigung leicht vereinbar sind. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die nötigen Pausen für die Toilettenbesuche und auch die Blutzuckermessungen lägen insgesamt noch innerhalb jener Toleranzgrenze, die kein besonderes Entgegenkommen des Arbeitgebers verlangen, hält sich demnach im Rahmen der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.

Dass die Klägerin - wie sie in ihrer Revision behauptet - ua wegen ihres erheblich verminderten Tempos beim Gehen und An- und Ausziehen pro Toilettengang eine Zeitspanne von zehn Minuten benötigt, steht nicht fest.

3. Wenn das Berufungsgericht seiner Entscheidung weiters zu Grunde legte, die Klägerin sei im Hinblick auf die regelmäßig zu erwartenden jährlichen leidensbedingten Krankenstände von vier Wochen nicht vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen, liegt auch darin kein Abweichen von der ständigen Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0084429; RS0084898).

Diese Erwägungen führen zur Zurückweisung der Revision mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO.

Stichworte