Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Verfallserkenntnis aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien verwiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung der Staatsanwaltschaft werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen ‑ auch einen Verfallsausspruch gemäß § 20 Abs 1 StGB enthaltenden ‑ Urteil wurde Nikolai K***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 2, 130 dritter Fall, 15 StGB (I) sowie mehrerer Verbrechen der Fälschung unbarer Zahlungsmittel nach § 241a Abs 1 und Abs 2 (zu ergänzen:) erster Fall StGB (II) schuldig erkannt.
Danach hat er in Wien gewerbsmäßig
(I) von 30. Mai bis 22. Juli 2010 in einer nicht mehr feststellbaren Anzahl von Angriffen Gewahrsamsträgern der ÖBB und der Verkehrsbetriebe der Wiener Linien fremde bewegliche Sachen in einem 50.000 Euro übersteigenden Wert mit dem Vorsatz unrechtmäßiger Bereicherung weggenommen bzw wegzunehmen versucht, indem er mit von ihm selbst mit Daten, die er zuvor aus dem Internet angekauft hatte, hergestellten Kreditkartenfälschungen übertragbare Fahrscheine und Monatskarten aus Fahrscheinautomaten bezog;
(II) von 20. Jänner bis 22. Juli 2010 falsche unbare Zahlungsmittel mit dem Vorsatz hergestellt, dass sie im Rechtsverkehr wie echte verwendet werden, indem er Kreditkartendaten im Internet kaufte und diese auf Plastikrohlinge kopierte.
Dagegen wurde der Angeklagte vom weiteren Vorwurf, er habe auch von 20. Jänner bis 26. Mai 2010 auf die zu I geschilderte Weise Diebstahlshandlungen begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Rechtliche Beurteilung
Die (der Sache nach ausschließlich) gegen den Teilfreispruch gerichtete, auf Z 3 und Z 7 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft verfehlt ihr Ziel.
Die geltend gemachte mangelnde Individualisierung der Taten im Urteil (§§ 259 und 260 Abs 1 Z 1 StPO) ist unter dem Aspekt der von der Rüge reklamierten Nichterledigung der Anklage bloß Gegenstand einer Anfechtung aus Z 7, nicht auch aus Z 3 des § 281 Abs 1 StPO (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 526). Soweit die Beschwerdeführerin unter Berufung auf letzteren Nichtigkeitsgrund auch den Schuldspruch I kritisiert, fehlt es ihr insoweit an der Rechtsmittellegitimation. Einen Anfechtungswillen zu Gunsten des Angeklagten hat die Staatsanwaltschaft nämlich weder bei der Anmeldung noch in der Ausführung erklärt; einer Bekämpfung des Schuldspruchs in diese Richtung stünde zudem der vom Angeklagten in der Gegenausführung zur Nichtigkeitsbeschwerde (ON 54) eindeutig deklarierte, gegenteilige Wille entgegen (13 Os 42/11t, EvBl-LS 2011/120; Ratz, WK-StPO § 282 Rz 37; vgl zur umgekehrten Konstellation: 14 Os 60/03).
Unter dem Gesichtspunkt der Nichterledigung der Anklage (Z 7) ist die Abfassung des Urteilstenors (§§ 259, 260 Abs 1 Z 1 StPO) nach Maßgabe gleichartiger Verbrechensmengen (vgl zum Begriff: Ratz, WK-StPO § 281 Rz 291) per se unproblematisch, wenn (wie hier) die fehlende Abgrenzbarkeit der einzelnen ‑ solcherart nur pauschal individualisierten ‑ Taten (im materiellen Sinn) untereinander an der Erledigung sämtlicher, in der Anklage zur Last gelegten Taten (im Sinn des prozessualen Tatbegriffs) durch Schuld- und Freispruch keinen Zweifel weckt (RIS-Justiz RS0121607). Für derartige Bedenken besteht vorliegend umso weniger Anlass, als das Urteil durch ausdrücklichen Verweis auf die jeweils korrespondierenden Anklagepunkte Bezug nimmt (US 2 und 4; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 579).
Bleibt der Vollständigkeit halber anzumerken, dass aus der pauschalen Individualisierung resultierende Zweifel am Umfang eines Schuldspruchs im Fall einer weiteren Verurteilung für die Annahme von Tatidentität und somit für das Vorliegen des Verfolgungshindernisses des ne‑bis‑in‑idem streiten (RIS-Justiz RS0119552 [T8 und T10], RS0098795; Lendl, WK-StPO § 260 Rz 24).
Die Kritik an der unterlassenen Anführung des exakten Wertes der weggenommenen Sachen, den das Erstgericht ‑ übrigens ausreichend fundiert (US 13) ‑ mit (jedenfalls) 50.000 Euro übersteigend angenommen hat (US 3 und 6), enthält bloß ein Berufungsvorbringen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft war daher ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ in nichtöffentlicher Sitzung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO).
Aus Anlass der Beschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass zum Nachteil des Angeklagten das Strafgesetz unrichtig angewendet wurde (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):
Das angefochtene Urteil enthält nämlich keinerlei Entscheidungsgrundlagen zum angeordneten Verfall nach § 20 Abs 1 StGB idgF. Dazu ist auch anzumerken, dass die Bestimmungen des StGB zu den vermögensrechtlichen Anordnungen (§§ 20 ff StGB) durch das strafrechtliche Kompetenzpaket BGBl I 2010/108 grundlegend geändert worden sind. Die Anwendbarkeit dieser Vorschriften richtet sich nach dem Zeitpunkt, zu dem die Straftat begangen wurde, auf die sich die vermögensrechtliche Maßnahme bezieht. Mit Blick auf den vor dem 1. Jänner 2011, demnach vor dem Inkrafttreten des BGBl I 2010/108 gelegenen Tatzeitraum wäre daher ein Günstigkeitsvergleich (§§ 1, 61 StGB; dazu RIS-Justiz RS0119545 [vgl insb T4]) vorzunehmen gewesen.
Diese Nichtigkeit (vgl RIS‑Justiz RS0114233) war vom Obersten Gerichtshof von Amts wegen aufzugreifen (§§ 285e erster Fall, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), weil nur die Staatsanwaltschaft Berufung zum Nachteil des Angeklagten erhoben hat. Dem Berufungsgericht ist in einem solchen Fall die amtswegige Wahrnehmung einer die vermögensrechtliche Anordnung betreffenden Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 StPO zu Gunsten des Angeklagten verwehrt (vgl RIS-Justiz RS0119220; Ratz, WK-StPO § 294 Rz 10 sowie § 295 Rz 7 und 14).
Vielmehr kommt dem Einzelrichter die betreffende Entscheidung zu (§ 445 Abs 2 StPO).
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