OGH 10ObS109/11v

OGH10ObS109/11v8.11.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Andrea Eisler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch VertretungsNetz Sachwalterschaft Oberösterreich, 4020 Linz, Hasnerstraße 4, dieses vertreten durch Mag. Josef Koller, Rechtsanwalt in Perg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram u.a., Rechtsanwälte in Wien, wegen Ausgleichszulage, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. August 2011, GZ 11 Rs 91/11y-10, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Klägerin bezieht von der beklagten Partei zur Pension eine Ausgleichszulage.

Mit Bescheid vom 16. 12. 2009 stellte die beklagte Partei die Ausgleichszulage ab 1. 2. 2009 mit monatlich 449,44 EUR neu fest, wobei sie Zinseneinkünfte auf den Anspruch der Klägerin auf Ausgleichszulage anrechnete. Weiters wurde ausgesprochen, dass der für die Zeit vom 1. 2. 2009 bis 30. 11. 2009 entstandene Überbezug an Ausgleichszulage von 1.300,20 EUR zurückgefordert werde.

In dem über die Klage gegen diesen Bescheid eingeleiteten Verfahren wurde die beklagte Partei mit Urteil des Erstgerichts vom 14. 4. 2010, GZ 10 Cgs 34/10p-6, schuldig erkannt, der Klägerin ab 1. 2. 2009 zur Pension eine Ausgleichszulage in Höhe von monatlich 557,79 EUR zu gewähren. Weiters wurde festgestellt, dass ein Überbezug einer Ausgleichszulage durch die Klägerin für den Zeitraum vom 1. 2. 2009 bis 30. 11. 2009 nicht vorliegt. Das Erstgericht begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass es sich bei den Zinseinkünften nicht um ein Einkommen der Klägerin handle. Das Berufungsgericht bestätigte mit Urteil vom 14. 10. 2010 das Ersturteil und verwies insbesondere auch darauf, dass es sich bei dem von der beklagten Partei erstmals in der Berufung erstatteten Vorbringen, wonach sich die Klägerin auf ihren Anspruch auf Ausgleichszulage auch eine jährliche Zuwendung in Höhe von 1.816,82 EUR als Einkommen anrechnen lassen müsse, um eine im Berufungsverfahren unzulässige Neuerung handle.

Mit Bescheid vom 7. 12. 2010 stellte die beklagte Partei die Ausgleichszulage unter Berufung auf eine von der Klägerin bezogene jährliche Zuwendung von 1.816,82 EUR ab 1. 2. 2009 in bestimmter ziffernmäßiger Höhe von Amts wegen neu fest. Weiters wurde ausgesprochen, dass der in der Zeit vom 1. 9. 2009 bis 31. 12. 2009 entstandene Überbezug an Ausgleichszulage von 660,16 EUR rückgefordert und über die ab 1. 1. 2010 gebührende Ausgleichszulage gesondert entschieden werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Klage mit dem Begehren auf Gewährung der Ausgleichszulage im gesetzlichen Ausmaß ohne Berücksichtigung des der Klägerin jährlich wertgesichert zukommenden Betrags von 1.816,82 EUR.

Das Erstgericht wies dieses Klagebegehren ab, stellte die Höhe der der Klägerin ab 1. 2. 2009 gebührenden Ausgleichszulage entsprechend dem Bescheid der beklagten Partei fest und verpflichtete die Klägerin zur Rückzahlung des in der Zeit vom 1. 9. 2009 bis 31. 12. 2009 entstandenen Überbezugs an Ausgleichszulage in Höhe von 660,16 EUR.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, dass es die beklagte Partei schuldig erkannte, der Klägerin ab 1. 2. 2009 zur Pension die Ausgleichszulage in Höhe von monatlich 557,79 EUR zu gewähren. Weiters stellte es fest, dass ein Überbezug an Ausgleichszulage durch die Klägerin für den Zeitraum vom 1. 9. 2009 bis 31. 12. 2009 in Höhe von 660,16 EUR nicht besteht. Es begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass es nach ständiger Rechtsprechung im Verfahren über den Anspruch auf Ausgleichszulage Sache des beklagten Versicherungsträgers sei, durch Vorbringen entsprechender Tatsachen einzuwenden, dass der Anspruch des Pensionsberechtigten auf Ausgleichszulage infolge von Einkünften oder Unterhaltsansprüchen vermindert oder zur Gänze aufgehoben werde. Einkünfte oder Unterhaltsansprüche, die der beklagte Versicherungsträger im Prozess nicht einwende, bildeten keinen Gegenstand des Rechtsstreits. Da die beklagte Partei im Vorprozess in erster Instanz nicht eingewendet habe, dass sich die Klägerin auf ihren Anspruch auf Ausgleichszulage auch eine jährliche Zuwendung von wertgesichert 1.816,82 EUR als Einkommen anrechnen lassen müsse, hätten die Gerichte im Vorprozess diese Einkünfte bei der Entscheidung über den Anspruch der Klägerin auf Gewährung der Ausgleichszulage ab Februar 2009 nicht berücksichtigen können.

Die Präklusionswirkung der rechtskräftigen Entscheidung im Vorprozess schließe nicht nur die neuerliche Entscheidung des gleichen Begehrens aufgrund der gleichen Sachlage aus, sie schließe auch die Geltendmachung des gleichen Begehrens aufgrund von Tatsachen und Erwägungen aus, die bereits vor Schluss der mündlichen Verhandlung des Vorprozesses vorhanden und der verfahrensmäßigen Erledigung zugänglich gewesen seien, aber infolge Verletzung einer prozessualen Diligenzpflicht der Parteien, also der ihnen auferlegten Behauptungs- und Beweispflicht, nicht zum Gegenstand des Vorprozesses geworden seien. Demnach seien, wenn bereits einmal über ein konkretes Rechtsschutzbegehren entschieden worden sei, beide Parteien dieses Verfahrens vom Vorbringen neuer anspruchsbegründender bzw anspruchsvernichtender Tatsachen in einem zweiten Verfahren zu dem selben Begehren präkludiert, wenn diese Tatsachen schon den im Vorverfahren geltend gemachten Anspruch hätten stützen oder abwehren können.

Im vorliegenden Fall sei unstrittig, dass der beklagten Partei bereits im Zeitpunkt der Erlassung des den Gegenstand des Vorprozesses bildenden Bescheids vom 16. 12. 2009 und somit auch vor Schluss der Verhandlung im Vorprozess (14. 4. 2010) die Tatsache bekannt gewesen sei, dass der Klägerin jährlich wertgesichert ein Betrag von 1.816,82 EUR zustehe. Der Bescheid der beklagten Partei vom 7. 12. 2010, mit dem die beklagte Partei die der Klägerin ab Februar 2009 zustehende Ausgleichszulage in Anrechnung dieses der Klägerin zustehenden Betrags abweichend vom rechtskräftigen Urteil des Erstgerichts vom 14. 4. 2010 im Vorverfahren mit einem geringeren Betrag neu festgesetzt habe, habe daher die Rechtskraft der gerichtlichen Vorentscheidung missachtet, sodass sich die Klägerin zu Recht mit der vorliegenden Klage dagegen zur Wehr gesetzt habe. Die beklagte Partei sei somit verpflichtet, der Klägerin ab 1. 2. 2009 zur Pension die Ausgleichszulage in der - im Vorprozess rechtskräftig festgesetzten - Höhe von monatlich 557,79 EUR zu gewähren.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision im Hinblick auf die bereits vorliegende Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass der Klägerin lediglich für die Zeit vom 1. 2. 2009 bis 31. 12. 2009 zur Pension die Ausgleichszulage in Höhe von monatlich 557,79 EUR zu gewähren sei. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Revision ist nicht zulässig.

Die Revisionswerberin bekämpft in ihren Rechtsmittelausführungen mit Recht nicht mehr die Richtigkeit der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach die Rechtskraft einer Entscheidung auch die Geltendmachung desselben Begehrens aufgrund von Tatsachen und Erwägungen ausschließt, die bereits vor Schluss der mündlichen Verhandlung des Vorprozesses vorhanden und der verfahrensmäßigen Erledigung zugänglich waren, aber infolge Verletzung der den Parteien obliegenden Behauptungs- und Beweispflicht nicht zum Gegenstand des Vorprozesses wurden (vgl 10 ObS 210/03k, SSV-NF 19/40; 6 Ob 157/04p; 5 Ob 240/00f; 3 Ob 502/95, SZ 68/12 ua). Sie verweist aber darauf, dass ihr Bescheid vom 7. 12. 2010 auch den Ausspruch enthalten habe, dass über die der Klägerin ab 1. 1. 2010 gebührende Ausgleichszulage gesondert entschieden werde. Dieser Ausspruch sei deshalb erforderlich gewesen, weil die Klägerin außer dem strittigen Einkommen von 1.816,82 EUR über einige weitere Sparbücher verfüge, deren Zinsen jedenfalls auf die Ausgleichszulage anzurechnen seien. Die Höhe des tatsächlich anzurechnenden Einkommens aus Zinserträgen könne jedoch immer nur jährlich im Nachhinein festgestellt werden. Insoweit handle es sich bei der Ausgleichszulage ab 1. 1. 2010 um eine Vorschussgewährung iSd § 368 Abs 2 ASVG. Die bescheidmäßige Absprache über die Ausgleichszulage ab 1. 1. 2010 könne somit erst nach Vorliegen aller Einkünfte erfolgen. In diesem - zu erlassenden - Bescheid wäre dann auch über die Anrechnung des in diesem Verfahren strittigen Einkommens von 1.816,82 EUR für die Zukunft neu zu entscheiden. Aufgrund der angeführten Vorschussgewährung liege für die Zeit ab 1. 1. 2010 ein Bescheid des Versicherungsträgers noch nicht vor, weshalb auch die Entscheidung über diese Ansprüche der Kompetenz des Gerichts entzogen sei.

Diesen Ausführungen ist zunächst grundsätzlich insofern beizupflichten, als dann, wenn in einem Bescheid ausgesprochen wurde, dass für eine in Zukunft zu leistende Ausgleichszulage ein Vorschuss gewährt wird, die Entscheidung über den Ausgleichszulagenanspruch aber ausdrücklich vorbehalten wird, eine Klage dagegen nicht zulässig ist (10 ObS 264/97i, SSV-NF 11/150). Im vorliegenden Fall ist den Revisionsausführungen jedoch entgegenzuhalten, dass der Versicherungsträger nur bei einer Änderung der Verhältnisse berechtigt ist, eine Leistung, über die im Leistungsstreitverfahren bereits rechtskräftig entschieden worden ist, durch Bescheid neu festzustellen (10 ObS 61, 200/90, SSV-NF 4/152 ua). Nur Sachverhaltsänderungen, die nach Erlassung des mit der ersten Klage bekämpften Bescheids während des darüber anhängigen gerichtlichen Verfahrens eingetreten sind, berechtigen den Versicherungsträger in diesem Stadium wegen Änderung der Verhältnisse einen neuen Bescheid zu erlassen (10 ObS 330/90, SSV-NF 4/132 mwN). Da im vorliegenden Fall eine die verfügte Herabsetzung der Ausgleichszulage rechtfertigende (nachträglich eingetretene) Änderung der Sachlage nicht verwirklicht ist, ist die Bindungswirkung der (insoweit weiter wirkenden) Vorentscheidung zu beachten (vgl Fink, Die sukzessive Zuständigkeit im Verfahren in Sozialrechtssachen 562 f und 572). Die rechtskräftige gerichtliche Vorentscheidung im Vorverfahren enthält jedoch keine Befristung des Anspruchs der Klägerin auf Ausgleichszulage für den Zeitraum bis 31. 12. 2009, weshalb auch dem entsprechenden Ausspruch im Bescheid vom 7. 12. 2010 die Bindungswirkung der rechtskräftigen Vorentscheidung entgegensteht. Es sei aber in diesem Zusammenhang abschließend noch darauf hingewiesen, dass der Träger der Pensionsversicherung nach § 296 Abs 3 ASVG bei einer Änderung der für die Zuerkennung der Ausgleichszulage maßgebenden Sach- und Rechtslage die Ausgleichszulage auf Antrag des Berechtigten oder von Amts wegen neu festzustellen hat. Dabei rechtfertigt bereits eine Veränderung der Pensionshöhe als Bestandteil des Einkommens des Ausgleichszulagenbeziehers oder eine Änderung der Richtsatzbeträge eine ohne Bindung an die Grundlagen früherer Entscheidungen vorzunehmende Neufeststellung der Ausgleichszulage (10 ObS 314/92, SSV-NF 7/29 mwN; RIS-Justiz RS0041270).

Da die Entscheidung des Berufungsgerichts somit im Einklang mit der zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs steht, war die außerordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

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