Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
In dem gegen ihn unter anderem wegen des Verdachts der Begehung strafbarer Handlungen zum Nachteil seiner Lebensgefährtin Alexandra O***** geführten Strafverfahren wurde Josef W***** am 9. Oktober 2010 polizeilich vernommen. Über Vorhalt der Angaben seiner Lebensgefährtin bezeichnete er diese allesamt als richtig und stellte in der Folge die von ihm gesetzten Tathandlungen dar (S 21 ff in ON 2).
In der Hauptverhandlung verantwortete sich Josef W***** leugnend und gab am 6. Dezember 2010 nach Vorhalt seiner polizeilichen Angaben an, dass er dies dem Polizisten nicht so gesagt habe (S 15 in ON 29). Am 11. Jänner 2011 wurde er anlässlich der zeugenschaftlichen Vernehmung des das ursprüngliche Protokoll aufnehmenden Polizeibeamten Josef F***** neuerlich hiezu befragt und ergänzte, dass er keinen einzigen der Ausdrücke, die der Inspektor verwendet hat, selbst verwendet habe und die Verletzungen nicht so geschildert habe. Wahrscheinlich habe der Inspektor die Aussage der Alexandra O***** hineingeschrieben (S 5 f in ON 34).
Neben Schuldsprüchen wegen anderer strafbarer Handlungen wurde Josef W***** mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 11. Jänner 2011, GZ 9 Hv 155/10f-36, von dem in der Hauptverhandlung ausgedehnten Vorwurf der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB im Wesentlichen mit der Begründung freigesprochen, dass nicht festgestellt werden könne, Josef F***** sei durch die Äußerungen W*****s der Gefahr der Verfolgung wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt ausgesetzt worden (US 4). Überdies hätten die unrichtigen Angaben in den ihm zustehenden Verteidigungsrechten Rechtfertigung gefunden (US 8).
Mit Urteil vom 7. Juni 2011, AZ 10 Bs 167/11a, gab das Oberlandesgericht Graz unter anderem der Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Nichtigkeit Folge, hob das angefochtene Urteil in seinem Freispruch auf und entschied nach Beweiswiederholung in der Sache selbst, dass Josef W***** das Verbrechen der Verleumdung nach §§ 15, 297 Abs 1 zweiter Fall StGB begangen habe.
Danach hat er in Graz am 11. Jänner 2011 im Zuge seiner gerichtlichen Vernehmung als Angeklagter durch die Behauptung, der Polizeibeamte Josef F***** habe in seiner polizeilichen Vernehmung am 9. Oktober 2010 fälschlich protokolliert, er habe ausgesagt, dass die Angaben seiner Lebensgefährtin richtig sind, er ihr mit dem Griffstück eines Messers einige Stöße versetzt habe, sie an den Haaren gezogen habe, er ihr einen Schupfer versetzte und ihr während eines Wutanfalls in die linke Brust gebissen habe, diesen einer von Amts wegen zu verfolgenden, mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohten Handlung, nämlich das Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB falsch zu verdächtigen versucht, wobei er wusste, dass die Verdächtigung falsch war.
In Ansehung dieses Schuldspruchs traf das Berufungsgericht folgende Feststellungen:
„Konfrontiert mit dem von GI Josef F***** bei der Vernehmung des Angeklagten verfassten Protokoll (ON 2 S 21 ff) gab der Angeklagte im Rahmen der Hauptverhandlung am 6. Dezember 2010 an, dass er 'das dem Polizisten nicht so gesagt' hatte. Aus Anlass des Vorhalts der Angaben des GI Josef F***** in der Hauptverhandlung am 11. Jänner 2011, wonach GI Josef F***** im Rahmen der Vernehmung des Angeklagten diesem die Angaben seiner Lebensgefährtin zur Kenntnis gebracht und Josef W*****, nachdem er die Richtigkeit dieser Angaben bestätigt hatte, noch Ergänzungen hiezu getätigt hatte, gab der Angeklagte an, dass er 'keinen einzigen der Ausdrücke, die der Inspektor verwendet hatte, selbst verwendet und die Verletzung nicht so geschildert hatte und der Inspektor wahrscheinlich die Aussagen der Frau O***** hineingeschrieben hatte'. Diesen Äußerungen des Angeklagten ist der Bedeutungsinhalt der Bezichtigung des GI Josef F***** einer falschen Protokollierung beizumessen. Der Angeklagte nahm am 11. Jänner 2011 in der Gewissheit der Unrichtigkeit des dargestellten Verdachts, den er in Anwesenheit der Einzelrichterin des Landesgerichts für Strafsachen Graz und der öffentlichen Anklägerin äußerte, billigend in Kauf, dass GI Josef F***** aufgrund des von ihm geäußerten Verdachts der - letztendlich nicht eingetretenen - Gefahr ausgesetzt wird, dass gegen ihn kriminalpolizeiliche oder strafverfolgungsbehördliche Ermittlungen wegen des Verdachts der mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohten strafbaren Handlung des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB eingeleitet werden“ (S 6 des Berufungsurteils).
Gegen diesen Schuldspruch richtet sich der Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens nach § 363a StPO per analogiam (RIS-Justiz RS0122228), in dem er einer Verletzung im Grundrecht nach Art 6 MRK behauptet. Er sei in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, sich nicht selbst zu beschuldigen („nemo-tenetur“-Grundsatz) oder den belastenden Wert von Beweismitteln zuzugestehen, verletzt worden. Er habe Josef F***** durch seine Äußerung nämlich nicht einer von Amts wegen zu verfolgenden mit Strafe bedrohten Handlung falsch verdächtigt, sondern bloß in Wahrnehmung der ihm durch das Gesetz (insbesondere Art 6 MRK) eingeräumten Möglichkeit, vor Gericht straflos die Unwahrheit zu sagen, somit in Ausübung seines Verteidigungsrechts, das ihn belastende Protokoll als objektiv unrichtig bezeichnen und auch angeben dürfen, dass er derartige Aussagen nicht getätigt habe, und zwar ohne dabei auch nur anzudeuten, dass Josef F***** allenfalls vorsätzlich iSd § 302 Abs 1 StGB gehandelt haben könnte. Demgemäß sei der genannte Zeuge keiner konkreten Gefahr behördlicher Verfolgung ausgesetzt gewesen. Der Erneuerungswerber habe somit fallaktuell keinesfalls sein Recht auf Verteidigung überschritten, sondern lediglich den Beweiswert des Polizeiprotokolls negiert. Ein wahrheitswidriger Vorwurf, der inhaltlich einem bloßen Verneinen gleichkomme, sei bloße Ausübung eines Verteidigungsrechts. Schließlich werde darauf verwiesen, dass er nicht behauptet habe, Josef F***** habe fälschlich protokolliert, sondern bloß, dass er das dem Polizisten nicht so gesagt habe und der Inspektor wahrscheinlich die Aussage der Alexandra O***** hineingeschrieben habe.
Rechtliche Beurteilung
Das zuletzt angeführte Vorbringen orientiert sich nicht an dem vom Oberlandesgericht Graz mit eingehender Begründung festgestellten, oben angeführten Bedeutungsinhalt der in Rede stehenden Verantwortung des Antragstellers in der Hauptverhandlung am 11. Jänner 2011, dem das Berufungsgericht offenkundig den Vorwurf einer bewusst falschen Wiedergabe der vom Angeklagten getätigten Äußerungen in dem am 6. Dezember 2010 aufgenommen Protokoll beimaß (vgl US 6 f des Berufungsurteils vom 7. Juni 2011). Die Ausführungen zeigen aber weder einen Begründungsmangel auf, noch vermögen sie erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Urteilsannahmen zu wecken. Solcherart verfehlen sie aber den Bezugspunkt des gegenständlichen Rechtsbehelfs (vgl RIS-Justiz RS0125393).
Aber auch im Übrigen erweist sich der Antrag als nicht berechtigt:
Auf die Ausübung seines Verteidigungsrechts (zum Grundsatz „nemo tenetur“ vgl Grabenwarter, EMRK4 § 24 Rz 119) kann sich ein Angeklagter nur berufen, solange er die durch die Rechtsordnung gewährleisteten prozessualen Verteidigungsmöglichkeiten wahrnimmt und ausschöpft. Dagegen findet das Verteidigungsrecht des Angeklagten jedenfalls dort seine Grenze, wo sich dieser nicht mehr bloß auf die Abwehr der ihn belastenden Tatsachen beschränkt, sondern seine Stellung als Tatverdächtiger zur Verletzung der Rechte anderer benützt (RIS-Justiz RS0096638; Pilnacek in WK² § 297 Rz 43), also etwa über die bloße Abwehr hinaus bewusst wahrheitswidrige erdichtete Tatsachen - auch nur in Form solcher Belastungsumstände - gegen andere vorbringt, die, wenn sie wahr wären, eine (wie hier) als Verbrechen zu qualifizierende Handlungsweise des der falschen Protokollierung eines Geständnisses bezichtigten Protokollverfassers begründen würden (vgl RIS-Justiz RS0097595 [insbesondere T3 und T4]).
Nach den vorliegenden Konstatierungen erschöpfte sich die Äußerung des Angeklagten keineswegs in einem wahrheitswidrigen Vorwurf, der inhaltlich einem bloßen Leugnen gleichkommt, beschränkte sich der Angeklagte doch nicht darauf, die ihn belastenden Angaben zu bestreiten, was - auch wenn darin zwangsläufig der wider besseres Wissens erhobene Vorwurf der Unwahrheit gegenüber einem Belastungszeugen erblickt werden müsste - noch keine Verleumdung begründet (vgl RIS-Justiz RS0089761).
Vielmehr äußerte er über die bloße Abwehr hinaus den wahrheitswidrigen Verdacht einer von Josef F***** begangenen, von Amts wegen zu verfolgenden gerichtlich strafbaren Handlung, indem er ihm - wie vom Berufungsgericht angenommen - die Protokollierung einer in keinem Punkt seiner Verantwortung entsprechenden Aussage unterstellte (RIS-Justiz RS0097595, RS0096770). Bei Prüfung der Frage, inwieweit noch eine straflose Verantwortung oder bereits eine rechtswidrige strafbare Beschuldigung vorliegt, kommt es im Übrigen nicht auf die Form der Äußerung oder die Wahl der Worte, sondern allein auf den inneren Gehalt des Vorbringens an (RIS-Justiz RS0096713).
Aus der von ihm zur Fundierung seines Rechtsstandpunkts angeführten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 12 Os 1/74 ist für den Erneuerungswerber schon deshalb nichts zu gewinnen, weil sich die dort beurteilte Verantwortung eines Angeklagten, die gegen ihn erstatteten Anzeigen seien unwahr, die Beamten lögen und hätten ihn wissentlich falsch beschuldigt, mangels weiteren Tatsachenvorbringens ihrem Sinn nach nur als Negierung des Beweiswerts der Anzeigen darstellte, im vorliegenden Fall aber der Vorwurf der Falschprotokollierung erhoben wurde.
Dass Josef F***** keiner konkreten Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt war, schließt - wovon das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen ist - strafbaren relativ untauglichen Versuch nicht aus (vgl RIS-Justiz RS0096594; Pilnacek in WK2 § 297 Rz 41).
Der Antrag war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).
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