OGH 2Ob53/11z

OGH2Ob53/11z30.8.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Tatjana P*****, vertreten durch Dr. Mario Mittler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Peter K*****, vertreten durch Mag. Leopold Zechner, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, wegen 17.977,71 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 16. Dezember 2010, GZ 3 R 180/10f-34, womit das Urteil des Landesgerichts Leoben vom 27. September 2010, GZ 19 Cg 119/08d-28, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.117,08 EUR (darin enthalten 186,18 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil die konkret vorgenommene Fallbeurteilung ein Abgehen von der Entscheidung OGH 9 ObA 79/05s bedeuten könnte, aus welcher Entscheidung die Klägerin ableite, die Tätigkeit des Beklagten als „Aufseher im Betrieb“ wäre zum Zeitpunkt des Unglücks bereits beendet gewesen.

Die Beurteilung, ob eine bestimmte Person bei einem konkreten Arbeitseinsatz als Aufseher im Betrieb iSd § 333 Abs 4 ASVG anzusehen ist, ist stets einzelfallbezogen vorzunehmen, sodass sich in diesem Zusammenhang - von einer auffallenden Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz abgesehen - keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO stellen (2 Ob 248/04s; 8 ObA 5/03y; 9 ObA 79/05s; 9 ObA 60/07z ua).

Im vorliegenden Fall wurde ua Folgendes festgestellt:

Der (seinerseits vom Produktionsleiter beauftragte) Beklagte erklärte dem später getöteten, im selben Unternehmen beschäftigten Arbeiter (in der Folge: „Arbeiter“), er habe „vom Chef“ den Auftrag erhalten, den „Sägespänebunker“ für die Entleerung „herzurichten“ oder „freizumachen“. Der Beklagte sagte dem Arbeiter, dieser solle Draht und Zange holen, damit er die Plane (am Querbalken) befestigen könne, und dann in den Korb steigen, damit ihn der Beklagte zum Aufrollen der Plane langsam in die Höhe heben könne; genauere Anweisungen erteilte der Beklagte dem Arbeiter nicht.

Tatsächlich stieg der Arbeiter in den am Stapler des Beklagten befestigten Korb und dieser hob ihn langsam entlang der Plane des Sägespänebunkers in die Höhe, wobei der Arbeiter die Plane aufrollte. Der Beklagte entschied, dass mit dem Aufrollen der Plane „in der Mitte“ begonnen werden sollte, weil ihm dies am zweckmäßigsten erschien. Dementsprechend positionierte er den Hubstapler zunächst etwa im Bereich der Planenmitte und hatte vor, nachdem der Arbeiter die Plane am Querbalken mittig befestigt haben würde, mit dem Stapler auch etwas nach links und rechts zu fahren, damit die Plane auch dort vollständig aufgerollt werden konnte.

Als der Arbeiter gerade dabei war, die Plane im mittleren Bereich am Querbalken zu befestigen, kam ein Kunde zum Beklagten, der eine Ware suchte, wobei dieser den Kunden zunächst an den Schichtführer verwies.

Der Schichtführer kam dann mit dem Kunden zum Beklagten zurück und sagte diesem, er habe die gesuchte Ware nicht finden können, der Beklagte solle mit dem Kunden mitgehen und diese suchen.

Der Beklagte wusste, dass der Stapler (mit dem hochgehobenen Arbeiter) nicht alleine gelassen werden durfte, ging davon aus, dass der Schichtführer beim Stapler bleiben würde, und sagte diesem sinngemäß, er solle darauf achten, dass der Arbeiter alles richtig mache; der Beklagte wollte dem Schichtführer auch zeigen, welche Schrauben bzw welches Verbindungsstück noch zu lockern waren, zumal er dies dem Arbeiter noch nicht gezeigt hatte. Der Schichtführer entgegnete in etwa, der Arbeiter wisse ohnedies, wie „das funktioniere“, woraufhin sich sowohl der Beklagte (mit dem Kunden) als auch der Schichtführer vom Stapler entfernten und den Arbeiter im hochgehobenen Warenkorb zurückließen. Der Beklagte sah den Schichtführer jedoch nicht (mehr) vom Stapler weggehen. Ob der Schichtführer dem Beklagten zuvor gesagt hatte, er werde „hier weitermachen“ oder beim Stapler bleiben, ist nicht feststellbar.

Nachdem der Beklagte und der Schichtführer den Stapler verlassen hatten, beugte sich der Arbeiter - warum ist nicht nachvollziehbar - aus dem Gitterkorb hinaus, weshalb dieser von den Gabeln des Staplers kippte, weil er dort nicht so fixiert war, dass ein Abgleiten, Abziehen oder Kippen verhindert wurde, und die Gabeln nicht einmal bis zum Anschlag an die quaderförmigen Füße des Gitterkorbs auseinandergezogen waren. Dementsprechend stürzte der Arbeiter samt Gitterkorb aus mehreren Metern Höhe zu Boden, wodurch er sich tödliche Verletzungen zuzog.

Die Vorinstanzen haben den Beklagten als Aufseher im Betrieb qualifiziert und gemäß § 333 Abs 1 und 4 ASVG mangels Vorsatzes das von der Lebensgefährtin des Getöteten erhobene Klagebegehren (Trauerschmerzengeld und Ersatz der von der AUVA nicht gedeckten Kosten für die Grabstätte des Getöteten) abgewiesen.

Diese Beurteilung hält sich im Rahmen der Rechtsprechung, die bereits wiederholt Staplerfahrer in vergleichbaren Konstellationen wie hier als Aufseher im Betrieb qualifiziert hat (9 ObA 242/92; 8 ObA 5/03y).

Die vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung 9 ObA 79/05s ist mit dem vorliegenden Fall nicht hinreichend vergleichbar. Dort wurde (im Rahmen der Zurückweisung einer außerordentlichen Revision) die Verneinung der Aufsehereigenschaft eines (nicht geklagten) Partieführers gebilligt, weil er sich - im Gegensatz zum Beklagten im vorliegenden Fall - an den (Schlägerungs-)Arbeiten weder beteiligt noch sie überwacht hatte, sondern sich vielmehr - mit anderen Tätigkeiten beschäftigt - in einer Entfernung vom Arbeitsort aufgehalten hatte, die ihm weder ein Eingreifen noch konkrete Anweisungen bei der Arbeit ermöglichte. Dagegen wurde der am selben Arbeitsort wie der verletzte Kläger befindliche Beklagte als ranghöherer bzw dienstälterer Mitarbeiter als Aufseher im Betrieb qualifiziert.

Dass die Vorinstanzen die Aufsehereigenschaft des Beklagten durch dessen (offenbar nur kurzfristig beabsichtigtes) Entfernen vom Stapler nicht aufgehoben erachteten, hält sich insbesondere unter dem Aspekt, dass der Schichtführer keine Aufsehertätigkeit (anstelle des Beklagten) über den Arbeiter übernahm, in dem dem Berufungsgericht zukommenden Beurteilungsspielraum.

Auch die Revision zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

Die nach Meinung der Revisionswerberin in der oberstgerichtlichen Rechtsprechung nicht beantwortete Frage, ob ein Arbeitskollege die Aufsehereigenschaft ab Verlassen des Arbeitsorts verliert, kann nicht generalisierend beantwortet werden, weil es auch hier auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls, etwa die Distanz zum Arbeitsort, die Dauer des Entfernens, die damit verbundene Absicht etc, ankommt.

Dass, wie die Revisionswerberin anhand einzelner Entscheidungen (2 Ob 214/01m; 9 ObA 79/05s) zu argumentieren versucht, die Aufsehereigenschaft beim Verlassen des Arbeitsorts (jedenfalls) verloren gehe, findet in dieser Form keine Grundlage in der oberstgerichtlichen Rechtsprechung. Danach ist zwar für die Qualifikation des Aufsehers eine mit einem gewissen Pflichtenkreis und Selbständigkeit verbundene Stellung zur Zeit des Unfalls erforderlich (RIS-Justiz RS0085519). Dass diese Stellung aber eine unmittelbare Anwesenheit am Unfallsort zum Unfallszeitpunkt erfordert, ergibt sich aus dieser Rechtsprechung nicht.

Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 50, 41 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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