OGH 6Ob116/11v

OGH6Ob116/11v18.7.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I***** S*****, vertreten durch MMag. Dr. Johannes Neumayer und andere Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei A***** AG, *****, vertreten durch Grohs Hofer Rechtsanwälte Gesellschaft mbH in Wien, wegen 50.500 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 14. März 2011, GZ 30 R 54/10x-25, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung wird gemäß § 508a Abs 2 Satz 2und § 521a Abs 2 ZPO abgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die Klägerin erteilte - vertreten durch ihren zwischenzeitig verstorbenen Ehemann, einen emeritierten Universitätsprofessor für Privat-, Arbeits- und Sozialrecht - im Dezember 2006 der Beklagten telefonisch den Auftrag zum Erwerb von 50.000 Stück des Wertpapiers „Dragon FX Garant“ (vgl dazu den der Entscheidung 4 Ob 20/11m angeschlossenen Werbe- beziehungsweise Informationsprospekt) zum Preis von 50.000 EUR zuzüglich 500 EUR Spesen.

Die Vorinstanzen gaben dem auf Irrtumsanfechtung und Schadenersatz gestützten Begehren auf Rückzahlung dieser Beträge Zug um Zug gegen Übergabe der Wertpapiere statt. Das Berufungsgericht ließ die Revision nicht zu.

1. Die Beklagte macht in ihrer außerordentlichen Revision ein Abweichen des Berufungsgerichts von den oberstgerichtlichen Entscheidungen 4 Ob 176/10a und 4 Ob 20/11m geltend.

Der Oberste Gerichtshof hat - ausgehend von der Entscheidung 4 Ob 20/11m - bereits in zahlreichen Entscheidungen eine Verpflichtung der auch hier beklagten Bank verneint, die Anleger über das (zum Kaufzeitpunkt bloß theoretische) allgemeine Insolvenzrisiko von Emittentin und Garantin des „Dragon FX Garant“ aufzuklären (6 Ob 65/11v; 8 Ob 38/11p; 8 Ob 148/10p; 9 Ob 87/10z; 7 Ob 29/11g; 1 Ob 71/11i; 8 Ob 47/11m). All diesen Entscheidungen lagen Sachverhalte zugrunde, bei denen den Anlegern vor oder bei Auftragserteilung der Werbe- beziehungsweise Informationsprospekt vorgelegen war und die Anleger die Kaufentscheidung (allein) aufgrund dieser Broschüre getroffen hatten (vgl 4 Ob 20/11m). Dieser Broschüre ist ausdrücklich die Person der Emittentin (4 Ob 176/10a ecolex 2011, 343 [Horak]) zu entnehmen, ebenso ein Hinweis darauf, dass Garantin nicht die Beklagte ist (vgl 4 Ob 176/10a; 4 Ob 20/11m). Dem gegenüber war der Ehemann der Klägerin im vorliegenden Fall auf telefonische Informationen einer Mitarbeiterin der Beklagten angewiesen, die nach den Feststellungen der Vorinstanzen nicht darauf hinwies, dass es sich beim „Dragon FX Garant“ um kein Produkt der Beklagten handelte beziehungsweise wer Emittentin und/oder wer Garantin war. Vielmehr teilte sie mit, dass in Bezug auf das „Produkt“ insofern nichts passieren könne, als das Kapital jedenfalls gesichert sei.

Damit weicht der hier zu beurteilende Sachverhalt aber von den bisher vom Obersten Gerichtshof getroffenen Entscheidungen zur Frage, ob der klagende Anleger unrichtig informiert wurde, weil er von der auch hier beklagten Bank weder mündlich noch schriftlich im Prospekt auf die Gefahr der Insolvenz der Emittentin oder Garantin hingewiesen worden war (vgl 1 Ob 71/11i), ab. Diese Frage ist hier gar nicht zu prüfen. Damit braucht aber auch auf die nunmehr von Graf (Sind Drachen wirklich so harmlose Tiere? ecolex 2011, 506) an der Entscheidung 4 Ob 20/11m und der ihr folgenden ständigen Rechtsprechung erhobene Kritik nicht näher eingegangen zu werden.

2.1. Nach § 871 Abs 2 ABGB gilt ein Irrtum eines Teiles über einen Umstand, über den ihn der andere nach geltenden Rechtsvorschriften aufzuklären gehabt hätte, immer als Irrtum über den Inhalt des Vertrags (Geschäftsirrtum) und nicht als ein solcher nach § 901 ABGB über den Beweggrund oder den Endzweck (Motivirrtum). § 13 Z 4 WAG in der hier noch anzuwendenden Fassung gemäß BGBl 753/1996 ordnete für bestimmte Rechtsträger, zu denen auch die Beklagte gehörte, an, dass diese bei Dienstleistungen wie der hier zu beurteilenden ihren Kunden alle zweckdienlichen Informationen mitzuteilen hatten, soweit dies zur Wahrung der Interessen der Kunden und im Hinblick auf Art und Umfang der beabsichtigten Geschäfte erforderlich war.

Die vom Berufungsgericht vertretene Rechtsauffassung, dass zu diesen Informationspflichten zumindest auch die Person der Emittentin und jene der Garantin gehört hätten, ist durchaus vertretbar (vgl insbesondere 6 Ob 110/07f ZFR 2008/32 [Knobl/Janovsky]). Die Informationserteilung hat dem Gebot vollständiger, richtiger und rechtzeitiger Beratung zu genügen, durch die der Kunde in den Stand versetzt wird, die Auswirkungen seiner Anlageentscheidung zu erkennen (RIS-Justiz RS0123046). Die Überlegungen der Beklagten in ihrer außerordentlichen Revision, die Klägerin beziehungsweise ihr Ehemann seien lediglich einem Motivirrtum unterlegen, sind daher verfehlt.

2.2. Soweit die Beklagte meint, die Klägerin beziehungsweise der sie vertretende Ehemann seien gar keinem Irrtum in Bezug auf die Emittentin des Wertpapiers unterlegen, übergeht sie die Feststellung der Vorinstanzen, wonach der Ehemann der Auffassung war, mit dem Wertpapier eine von der Beklagten begebene Anleihe erworben zu haben. Mit ihren Ausführungen, ein „Anleiheprodukt mit der Bezeichnung 'Dragon FX Garant' [habe] keine Assoziationen zur Beklagten [wecken können]“, stellt die Beklagte die Richtigkeit der diesbezüglich eindeutigen Feststellung der Vorinstanzen in Frage; der Oberste Gerichtshof ist daran jedoch gebunden.

2.3. Voraussetzung einer Irrtumsanfechtung nach § 871 Abs 1 ABGB ist unter anderem die Veranlassung des Irrtums durch den Geschäftspartner. Nach Auffassung der Beklagten käme bei der vorliegenden Konstellation „nur eine Irrtumsveranlassung durch Nichtaufdecken einer erkannten Fehlvorstellung der [Klägerin] in Betracht“; ein derartiger Irrtum des Ehemanns der Klägerin sei für die Mitarbeiterin der Beklagten aber nicht vorhersehbar gewesen.

Veranlassung bedeutet adäquate Verursachung des Irrtums durch den Vertragspartner (stRsp, siehe 3 Ob 216/06w; 4 Ob 83/06v), wobei auch Irrtumsveranlassung durch Unterlassen in Betracht kommt, wenn der Vertragspartner zum Handeln verpflichtet ist (3 Ob 237/97t; 1 Ob 183/00v; Kolmasch in Schwimann, Ta-Komm [2010] § 871 Rz 22); dies gilt insbesondere bei Unterlassen der gebotenen, verkehrsüblichen Aufklärung (Bollenberger in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB³ [2010] § 871 Rz 14 mwN; Pletzer in Kletecka/Schauer, ABGB-ON 1.00 [2010] § 871 Rz 46). Dass die Beklagte hier sogar aufgrund gesetzlicher Bestimmungen zur Aufklärung verpflichtet gewesen wäre, wurde bereits dargelegt (2.1.). Der Hinweis der Beklagten in der außerordentlichen Revision auf Wilhelm (Irreführende Werbung und ihre rechtsgeschäftlichen und Haftungsfolgen, ecolex 2009, 929) geht fehl, weil es dort nicht um Veranlassung durch Unterlassen geht.

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