Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.961,64 EUR (darin enthalten 326,94 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Beklagte betreibt das Bankgeschäft und bietet ihre Leistungen im gesamten Bundesgebiet an. Dabei tritt sie laufend mit Verbrauchern in rechtsgeschäftlichen Kontakt. Die Klägerin forderte die Beklagte auf, die Verwendung der nachfolgenden, in dem von ihr einseitig vorformulierten „Konto-/Depotvertrag für Privatkunden“ idF 03-09 in Punkt 5. enthaltenen Klausel sowie sinngleiche Klauseln im rechtsgeschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern zu unterlassen und eine Unterlassungserklärung abzugeben:
„Haftungsbeschränkungen: Die Haftung der Bank ist zudem bei leichter Fahrlässigkeit in folgenden Fällen ausgeschlossen: Verzögerungen, Nicht- oder Fehldurchführung von Aufträgen, insbesondere infolge Zweifels an der Identität des Auftraggebers sowie nicht eindeutig formulierten, unvollständigen oder fehlerhaft erteilten Aufträgen; Störungen der und unberechtigte Eingriffe in die zur Auftragsentgegennahme und Weiterleitung verwendeten Kommunikationsmittel/-wege (bei Störungen ist der Kunde verpflichtet, sämtliche andere mögliche Kommunikationsmittel/-wege auszuschöpfen); Systemstörungen und unberechtigte Eingriffe bei der Bank oder bei den zur Durchführung des Auftrages von der Bank benutzten Unternehmen; erfolgte Sperren und Zugriffsbeschränkungen; verspätet, fehlerhaft oder nicht zur Verfügung gestellte Informationen, Kurse, Stück/Kennzahlen; Stammdaten oder Research-Daten; verspätete, fehlerhaft oder nicht erteilte Informationen über Auftragsdurchführungen und -stornierungen; fehlerhaft, verspätet oder nicht durchgeführte Zwangsverwertungen. Auch für andere Schäden, welcher Art und Ursache auch immer, insbesondere für entgangenen Gewinn, ist die Haftung der Bank für leichte Fahrlässigkeit ausgeschlossen.“
Die von der Beklagten am 23. 9. 2009 abgegebene Unterlassungserklärung stimmte im Umfang der durch Fettdruck hervorgehobenen Satzteile nicht mit der oben wiedergegebenen Klausel überein. Mit Schreiben vom 24. 9. 2009 gab die Beklagte eine weitere Unterlassungserklärung des Inhalts ab:
„Das genannte Unternehmen verpflichtet sich gegenüber dem genannten Verband im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern sich auf keine Haftungsbeschränkungen für Personenschäden zu berufen.“
Die Klägerin erhob ein Unterlassungs- und Urteilsveröffentlichungsbegehren. Die Klausel verstoße gegen § 6 Abs 1 Z 9 KSchG und sei überdies für Verbraucher gröblich benachteiligend iSd § 879 Abs 3 ABGB und intransparent iSd § 6 Abs 3 KSchG. Die Klausel werde im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern laufend verwendet. Bei Beginn der Geschäftsverbindung könnten diese nicht absehen, auf welche der zukünftig abzuschließenden Bankgeschäfte die Klausel angewendet werde; ihre Tragweite sei für Verbraucher nicht abschätzbar. Die beklagte Partei habe sich nur hinsichtlich eines Teils der in der Klausel enthaltenen „Schadensarten“ zur Unterlassung verpflichtet. Es bestehe daher Wiederholungsgefahr.
Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, dass sie für fast alle - mit Ausnahme der durch Fettdruck hervorgehobenen Teile der Klausel - Haftungsausschlüsse eine Unterlassungserklärung abgegeben habe; weiters habe sie die Klausel umgehend geändert. Es bestehe daher keine Wiederholungsgefahr. Hinsichtlich des verbleibenden Teils der Klausel sei ein Haftungsausschluss für leicht fahrlässig verursachte Schäden zulässig.
Das Erstgericht gab dem Unterlassungs- und Veröffentlichungsbegehren der Klägerin statt und erkannte die Beklagte unter anderem für schuldig, die Verwendung dieser oder sinngleicher Klauseln binnen einem Monat zu unterlassen bzw es zu unterlassen, sich binnen dieser Frist auf eine solche oder eine sinngleiche Klausel zu berufen. Nach ständiger Rechtsprechung habe im Verbands- bzw Unterlassungsprozess nach § 28 KSchG die Auslegung von Klauseln im „kundenfeindlichsten“ Sinn zu erfolgen. Es könne keine Rücksicht auf eine etwaige teilweise Zulässigkeit der beanstandeten Bedingungen genommen werden; für eine geltungserhaltende Reduktion sei kein Raum. Eine Aufgliederung einer (einzelnen) eigenständigen Klausel in teils Verbotenes, teils Erlaubtes komme nicht in Betracht. Die Klausel verstoße daher in ihrer Gesamtheit gegen § 6 Abs 1 Z 9 KSchG, aus der sich eine generelle Freizeichnung für leicht fahrlässig verursachte Schäden nicht ableiten lasse.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge, änderte das Ersturteil über Berufung der Klägerin jedoch dahin ab, dass die Leistungsfrist von einem Monat zu entfallen habe, und bestätigte das Urteil im Übrigen. Die Auslegung von Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen bestimmter Geschäftsbranchen, welche regelmäßig für eine größere Anzahl von Kunden bestimmt und von Bedeutung seien, stelle eine erhebliche Rechtsfrage dar, sofern sie vom Obersten Gerichtshof noch nicht zu beurteilen gewesen seien. Der Rechtszug an den Obersten Gerichtshof sei daher zuzulassen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil eine Klausel wie die hier beanstandete noch nicht Gegenstand einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs war; sie ist aber nicht berechtigt.
1. Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit wurde geprüft. Er liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
2. Wer im geschäftlichen Verkehr in AGB, die er seinen Verträgen zugrunde legt, oder in hiebei verwendeten Formblättern für Verträge Bedingungen vorsieht, die gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen, kann nach § 28 Abs 1 KSchG auf Unterlassung geklagt werden. Dieses Verbot schließt auch das Verbot ein, sich auf eine solche Bedingung zu berufen, soweit sie unzulässigerweise vereinbart wurde. Der Unterlassungsanspruch nach § 28 Abs 1 KSchG richtet sich gegen alle gesetz- und sittenwidrigen Vertragsbestimmungen in AGB oder Vertragsformblättern (Kathrein in KBB3 § 28 KSchG Rz 3).
3. Nach § 879 Abs 3 ABGB ist eine in AGB oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt, jedenfalls nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls einen Teil gröblich benachteiligt. Das dadurch geschaffene bewegliche System berücksichtigt einerseits die objektive Äquivalenzstörung und andererseits die „verdünnte Willensfreiheit“. Weicht eine Klausel von dispositiven Rechtsvorschriften ab, liegt eine gröbliche Benachteiligung eines Vertragspartners iSd § 879 Abs 3 ABGB schon dann vor, wenn es für die Abweichung keine sachliche Rechtfertigung gibt. Dies ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn die dem Vertragspartner zugedachte Rechtsposition in einem auffallenden Missverhältnis zur vergleichbaren Rechtsposition des anderen steht (RIS-Justiz RS0016914). Die Beurteilung, ob eine Klausel den Vertragspartner gröblich benachteiligt, orientiert sich am dispositiven Recht, das als Leitbild eines ausgewogenen und gerechten Interessenausgleichs für den Durchschnittsfall dient (RIS-Justiz RS0014676 [T1, T13]).
4. Vertragsbedingungen, die Schadenersatz für den Fall vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verursachung ausschließen, sind nach § 6 Abs 1 Z 9 KSchG unverbindlich. Zur Zulässigkeit von Haftungsfreizeichnungen eines Kreditinstituts für leicht fahrlässig verursachte Schäden hat der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 4 Ob 179/02f (= SZ 2002/153) Stellung genommen und die darin entwickelten Grundsätze in nachfolgenden Entscheidungen bekräftigt. Danach wird zwar eine Beschränkung der Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit auch in AGB grundsätzlich als zulässig angesehen, jedoch die Auffassung abgelehnt, § 6 Abs 1 Z 9 KSchG lasse die Freizeichnung für leichte Fahrlässigkeit - auch über Personenschäden hinausgehend - ganz generell zu (4 Ob 179/02f; 4 Ob 221/06p; 10 Ob 70/07b = RIS-Justiz RS0016567 [T4]; RS005109 [T4, T5]).
5. Die Beklagte bestreitet diese Grundsätze nicht, sondern wendet sich mit ihrer Argumentation gegen die Beurteilung dieser Klausel als Einheit und meint, diese enthalte in ihrem ersten Satz eigenständige Haftungstatbestände, für die die Zulässigkeit eines Haftungsausschlusses für leichte Fahrlässigkeit gesondert geprüft werden müsse. Hinsichtlich der von der vorprozessualen Unterlassungserklärung nicht erfassten (eingangs durch Fettdruck hervorgehobenen) Tatbestände sei die Freizeichnung für leichte Fahrlässigkeit zulässig. Soweit die Tatbestände der Klausel von der Unterlassungserklärung erfasst worden seien, fehle es an der Wiederholungsgefahr.
6. Die Klägerin hat diese Klausel nicht nur im Hinblick auf § 6 Abs 1 Z 9 KSchG, sondern auch wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot beanstandet.
Nach § 6 Abs 3 KSchG ist eine in AGB oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie unklar oder unverständlich abgefasst ist. Durch diese Bestimmung wurde die Vertragsklausel-RL 93/13/EWG umgesetzt und damit ausdrücklich das sogenannte Transparenzgebot für Verbrauchergeschäfte normiert. Sie soll eine durchschaubare, möglichst klare und verständliche Formulierung der AGB sicherstellen, um zu verhindern, dass der für die jeweilige Vertragsart typische Verbraucher von der Durchsetzung seiner Rechte abgehalten wird oder ihm unberechtigt Pflichten abverlangt werden, ohne dass er sich zur Wehr setzt, oder dass er über Rechtsfolgen getäuscht oder ihm ein unzutreffendes oder unklares Bild seiner vertraglichen Position vermittelt wird (RIS-Justiz RS0115217 [T8], RIS-Justiz RS0115219 [T9]; 7 Ob 233/06z = SZ 2007/68). Mit dem Verbandsprozess soll nicht nur das Verbot von gesetzwidrigen Klauseln erreicht, sondern es sollen auch jene Klauseln beseitigt werden, die dem Verbraucher ein unzutreffendes oder auch nur unklares Bild seiner vertraglichen Position vermitteln (RIS-Justiz RS0115219 [T14]). Maßstab für die (In-)Transparenz ist das Verständnis des für die jeweilige Vertragsart typischen „Durchschnittskunden“. Einzelwirkungen des Transparenzgebots sind das Gebot der Erkennbarkeit und Verständlichkeit, das Gebot, den anderen Vertragsteil auf bestimmte Rechtsfolgen hinzuweisen, das Bestimmtheitsgebot, das Gebot der Differenzierung, das Richtigkeitsgebot und das Gebot der Vollständigkeit (RIS-Justiz RS0115217 [T12] = RIS-Justiz RS0115219 [T12]). Die Auslegung der Klauseln hat dabei stets im „kundenfeindlichsten“ Sinn zu erfolgen (RIS-Justiz RS0016590).
7. Die inkriminierte Klausel enthält in ihrem ersten Satz die Aufzählung einer Vielzahl von Tatbeständen, für die die Haftung der Beklagten bei leichter Fahrlässigkeit ausgeschlossen sein soll, und erweitert diesen Haftungsausschluss in ihrem zweiten Satz auch auf andere Schäden, „welcher Art und Ursache auch immer“. Beide Sätze haben Fälle einer Haftungsfreizeichnung und damit denselben materiellen Regelungsbereich zum Gegenstand, wobei erst die Zusammenschau beider Sätze der Klausel deutlich macht, dass die Klausel letztlich auf die vollständige Haftungsfreizeichnung für leicht fahrlässig herbeigeführte Schäden abzielt und damit einen verpönten Zweck anstrebt.
Demgegenüber erweckt die Formulierung „... in folgenden Fällen ....“ in der Einleitung des ersten Satzes den Eindruck einer abschließenden Aufzählung von einzelnen Tatbeständen, für die die Haftung für leichte Fahrlässigkeit ausgeschlossen sein soll. Anders als nach dieser Eingangsformulierung zu erwarten wäre, schließt an die schon durch ihren Umfang verwirrend anmutende Aufzählung einzelner Pflichtverletzungen im zweiten Satz die generalklauselartige Erweiterung des Haftungsausschlusses zur umfassenden (und damit jedenfalls unzulässigen) Freizeichnung an. Für den in Wahrheit angestrebten generellen Haftungsausschluss bei leichter Fahrlässigkeit ist die Aufzählung von Einzeltatbeständen nicht erforderlich. Die Aneinanderreihung der - auch nach Einschätzung der Beklagten zum Großteil unzulässigen - Einzeltatbestände dient damit der Verschleierung des verpönten Zwecks dieser Bestimmung. Die beiden Sätze der Klausel stehen damit insoweit in einem inneren Zusammenhang, als sie gemeinsam den völligen Haftungsausschluss normieren, über den der erste Satz der Klausel hinwegtäuschen will. Damit wird auch durch den ersten Satz der Klausel ein unzutreffendes und unklares Bild vermittelt, sodass er mit dem Transparenzgebot des § 6 Abs 3 KSchG nicht in Einklang gebracht werden kann.
8. Im Unterlassungsprozess nach § 28 KSchG kann keine Rücksicht auf eine etwaige teilweise Zulässigkeit der beanstandeten Bedingungen genommen werden. Eine geltungserhaltende Reduktion von an sich unzulässigen Bedingungen kommt im Verbandsprozess daher nicht in Betracht (3 Ob 12/09z; 7 Ob 13/10b; RIS-Justiz RS0016590 [T1, T15]; RS0038205 [T11]; Krejci in Rummel³ II/4 §§ 28 bis 30 KSchG Rz 15 mwN; Kathrein in KBB³ § 28 KSchG Rz 5; Bollenberger in KBB³ § 879 ABGB Rz 26 mwN; Eccher in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 28 KSchG Rz 9). Der Richter hat nicht die Aufgabe, sich durch geltungserhaltende Reduktion zum „Sachwalter des Verwenders der AGB“ zu machen (RIS-Justiz RS0038205). Ob der erste Satz der Klausel materiell eigenständige Regelungsbereiche enthält, die für sich besehen zulässig sein könnten, wie die Revision geltend macht, muss aus diesem Grund nicht mehr geprüft werden.
9. In der Unterlassungserklärung der Beklagten, die an der isolierten Bestandskraft einzelner Bestandteile der Klausel nach wie vor festhält, lag damit auch keine vollständige Unterwerfung im Abmahnverfahren (vgl RIS-Justiz RS0111637). Mangels vollständiger Unterlassungserklärung bestand die Wiederholungsgefahr weiter (RIS-Justiz RS0111640 [T3]).
Der Revision ist damit ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)