Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die verpflichtete Partei ist schuldig, der betreibenden Partei die mit 4.233,78 EUR (darin enthalten 705,63 EUR an USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Der Schriftsatz der verpflichteten Partei vom 14. September 2010 wird zurückgewiesen.
Text
Begründung
Das Erstgericht erklärte das Schiedsurteil des Internationalen Handelsschiedsgerichts bei der Kammer für Handel und Industrie der Russischen Föderation vom 14. Mai 2009 über 2 Mio USD, 439.613,94 USD an Zinsen und 27.719,86 USD an Kosten des Schiedsverfahrens in Österreich für vollstreckbar (Punkt I.) und bewilligte der Antragstellerin und Betreibenden (im Folgenden: Betreibende) die Forderungs- und Fahrnisexekution (Punkt II.).
Dem dagegen erhobenen Rekurs der Antragsgegnerin und Verpflichteten des anhängigen Exekutionsverfahrens (im Folgenden: Verpflichtete) gab das Rekursgericht nicht Folge. Es verneinte das Vorliegen von Versagungsgründen iSd Art V des New Yorker Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche, BGBl 1961/200 (im Folgenden: NYÜ). Jene Partei, die eine Verfahrensverletzung iSd Art V Abs 1 lit d NYÜ behaupte, müsse zumindest den Anscheinsbeweis führen, dass diese auch Einfluss auf den Inhalt des Schiedsspruchs haben hätte können. Die Verpflichtete zähle zwar diverse Verfahrensmängel auf, ohne jedoch deren allfällige Relevanz für den Schiedsspruch aufzuzeigen. Nach § 38 Z 2 erster Satz der Schiedsgerichtsordnung des Internationalen Handelsschiedsgerichts bei der Handels- und Industriekammer der Russischen Föderation (im Folgenden: Schiedsgerichtsordnung) sei der Schiedsspruch mit Stimmenmehrheit zu erlassen. Der Vorsitzende (Anm: des Internationalen Handelsschiedsgerichts bei der Handels- und Industriekammer der Russischen Föderation) habe unter Angabe von Gründen das Fehlen der Unterschrift eines der Schiedsrichter am Schiedsspruch bestätigt, sodass ein zulässiges Vorgehen iSd § 39 Z 3 der Schiedsgerichtsordnung stattgefunden habe.
Ein Schiedsrichter, der mit dem Schiedsspruch nicht einverstanden sei, könne ein Sondervotum abgeben, das nach § 38 Z 2 zweiter Satz der Schiedsgerichtsordnung dem Schiedsspruch beigefügt werde. Dazu bestehe jedoch keine Verpflichtung. Ein Kontravotum könne auch niemals ein Titel sein, aufgrund dessen die Vollstreckung zu bewilligen sei. Vom Versagungsgrund des Art V Abs 2 lit b NYÜ sei sparsamster Gebrauch zu machen. Dieser komme nur dort zum Tragen, wo die Vollstreckung des ausländischen Titels mit der inländischen Rechtsordnung völlig unvereinbar sei. Die von der Verpflichteten geltend gemachten Verfahrensmängel würden auch in ihrer Summe keine ordre-public-Widrigkeit begründen. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu fehle, ob ein Kontravotum als Teil des Schiedsspruchs zwingend mit diesem vorzulegen sei und ein Verfahren darüber abgeführt werden müsse, warum ein Schiedsrichter den Schiedsspruch nicht unterfertigt habe.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Verpflichteten ist aus den vom Rekursgericht genannten Gründen zulässig. Er ist aber nicht berechtigt.
1. Nach der Subsidiaritätsklausel des § 86 EO genießen zwischenstaatliche Vereinbarungen Vorrang gegenüber den die Anerkennung von im Ausland errichteten Akten und Urkunden regelnden nationalen Bestimmungen, sodass die Versagungsgründe des Art V NYÜ maßgebend sind (3 Ob 211/05h; 3 Ob 122/10b; RIS-Justiz RS0121017). Nur die Anerkennungsversagungsgründe nach Abs 2 dieser Bestimmung sind von Amts wegen wahrzunehmen. Hinsichtlich der Versagungsgründe des Art V Abs 1 NYÜ trifft den Antragsgegner die Behauptungs- und Beweislast (Schlosser in Stein/Jonas dZPO²² Anhang § 1061 Rz 74).
2. Die von der Verpflichteten in ihrem Rekurs als zulässige Neuerung (§ 84 Abs 2 Z 2 Satz 1 EO) erhobenen Vorwürfe lassen sich - soweit sie noch Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens sind - dahin zusammenfassen, dass die fehlende Unterschrift eines Schiedsrichters am Schiedsspruch Anlass für ein (amtswegiges) Bescheinigungsverfahren zur Erforschung der Gründe dafür geboten habe, was zum Vorliegen von Vollstreckungsversagungsgründen geführt hätte. Auch sei die Bestätigung des Vorsitzenden des Internationalen Handelsschiedsgerichts für das Fehlen der Unterschrift des dritten Schiedsrichters nicht unter § 39 Z 3 Schiedsgerichtsordnung zu subsumieren. Der zur Vollstreckbarerklärung vorgelegte Schiedsspruch habe nicht Art IV Abs 1 NYÜ entsprochen, weil die Betreibende das Sondervotum vom 18. Mai 2009 dem Schiedsspruch nicht angeschlossen habe.
3. Nach Art IV Abs 1 NYÜ ist zur Anerkennung und Vollstreckung erforderlich, dass die darum ansuchende Partei zugleich mit ihrem Antrag eine gehörig beglaubigte (legalisierte) Urschrift des Schiedsspruchs (lit a) und die Urschrift der Schiedsvereinbarung (lit b) vorlegt. Die Vollstreckbarkeit darf versagt werden, wenn festgestellt wird, dass die Anerkennung oder Vollstreckung des Schiedspruchs der öffentlichen Ordnung des Landes, in dem darum angesucht wird, widerspricht (Art V Abs 2 lit b NYÜ). Das kann erst bei der Verletzung von Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung angenommen werden (RIS-Justiz RS0058323 [T2]; RS0002402; RS0002409). Nur soweit es zur Realisierung des hinter dem ordre-public-Vorbehalts stehenden Zwecks erforderlich ist, kommt eine amtswegige Ermittlung durch das Anerkennungsgericht vor Entscheidung über den Antrag, wie sie offenbar die Verpflichtete vor Augen hat, in Betracht (Schlosser aaO).
4. Für das österreichische Recht regelt § 606 Abs 1 ZPO die Unterfertigung des Schiedsspruchs. Demnach genügen in Schiedsverfahren mit mehr als einem Schiedsrichter die Unterschriften der Mehrheit aller Mitglieder des Schiedsgerichts, sofern der Vorsitzende oder ein anderer Schiedsrichter am Schiedsspruch vermerkt, welches Hindernis der fehlenden Unterschrift entgegensteht. Ähnliche Regelungen sind in den meisten Schiedsgerichtsordnungen enthalten (Nachweise in Lionnet/Lionnet, Handbuch der internationalen und nationalen Schiedsgerichtsbarkeit³, 391 FN 57) und entsprechen dem Grundsatz des § 31 Abs 1 Satz 2 UNCITRAL-Modellgesetz. Eine vergleichbare Regelung enthält auch § 1054 Abs 1 Satz 2 dZPO. Gemeinsam ist diesen Bestimmungen, dass sie nicht nur bei physischer Verhinderung eines Schiedsrichters zum Tragen kommen, sondern auch als Schutz gegen einen obstruktiven Schiedsrichter gedacht sind (Lionnet/Lionnet aaO, 391; Hausmaninger in Fasching/Konecny 2 IV/2 § 606 ZPO Rz 30). Damit ist auch der Fall einer schlichten Unterschriftsverweigerung erfasst (vgl Münch in Münchener Kommentar ZPO³ § 1054 Rz 16). Eine Kontrolle der Richtigkeit der Begründung für die fehlende Unterschrift ist nicht möglich und aus Gründen der Rechtssicherheit auch entbehrlich (Schlosser aaO § 1054 Rz 7). Das Fehlen der Unterschrift eines von mehreren Schiedsrichtern begründet damit keine ordre-public-Widrigkeit, sofern die Ursache dafür am Schiedsspruch vermerkt ist. Der von der Betreibenden vorgelegte Schiedsspruch bot insoweit keinen Anlass für amtswegige Erhebungen.
5. Der Versagungsgrund nach Art V Abs 2 lit d NYÜ liegt vor, wenn die Partei, gegen die die Anerkennung und Vollstreckbarkeit geltend gemacht wird, den Beweis erbringt, dass die Bildung des Schiedsgerichts oder das schiedsrichterliche Verfahren der Vereinbarung der Parteien oder, wenn eine solche fehlt, dem Recht des Landes, in dem das schiedsgerichtliche Verfahren stattfand, widersprochen hat. Die behauptungsbelastete Partei muss zumindest den Anscheinsbeweis führen, dass die Verfahrensverletzung auch Einfluss auf den Inhalt des Schiedsspruchs haben hätte können (Schlosser aaO Anhang § 1061 Rz 122; Czernich, NYÜ, Rz 45; vgl auch Adolphsen, Münchner Kommentar, dZPO³ Anhang § 1061 Rz 52).
6. Nach § 39 Z 1 Schiedsgerichtsordnung ist der Schiedsspruch grundsätzlich von allen Schiedsrichtern zu unterschreiben. In Übereinstimmung mit dem Mehrheitsprinzip (§ 38 Z 2 Schiedsgerichtsordnung) genügt aber die Unterschrift von zwei Schiedsrichtern, wenn der Umstand, dass ein Schiedsrichter nicht unterschreiben kann, vom Vorsitzenden des Internationalen Handelsschiedsgerichts unter Angabe der Gründe für die fehlende Unterschrift bestätigt wird (§ 39 Z 3 Schiedsgerichtsordnung). Der Regelungszweck dieser Bestimmung kann nicht auf den Fall beschränkt werden, dass der Schiedsrichter physisch oder psychisch nicht mehr in der Lage ist, den Schiedsspruch zu unterfertigen, sondern verfolgt erkennbar auch den Zweck, einer Vefahrensverzögerung durch obstruktiven Schiedsrichter entgegenzuwirken. Die Auffassung des Rekursgerichts, dass die Bestätigung des Vorsitzenden am Schiedsspruch, wonach die Unterschrift des dritten Schiedsrichters fehle, weil er mit dem Inhalt der Entscheidung nicht einverstanden sei, von § 39 Z 3 Schiedsgerichtsordnung gedeckt sei, ist damit zu billigen.
7. Die Einwände im Sondervotum des dritten Schiedsrichters, soweit sie die Verpflichtete bereits zum Gegenstand ihres Rekurses machte und im Revisionsrekurs noch aufrecht hält, lassen sich dahin zusammenfassen, dass eine Versammlung der Schiedsrichter zur gemeinsamen Erörterung und Abstimmung über die Frage der Entscheidungsfindung unterblieb und der Text des Schiedsspruchs unter Ignorieren der Meinung des überstimmten Schiedsrichters zustandekam.
8. Die sachliche Entscheidung der Streitigkeit gehört zur ausschließlichen Kompetenz des Schiedsgerichts (§ 2 Z 5 Schiedsgerichtsordnung). Wie und in welcher Form die zweifellos notwendigen Beratungen stattzufinden haben und ob dabei alle drei Schiedsrichter gleichzeitig an einem Ort anwesend sein müssen, wird in der Schiedsgerichtsordnung nicht vorgegeben. Grundsätzlich kann eine Beratung mündlich, fernmündlich mittels Videokonferenz oder schriftlich durchgeführt werden (Hausmaninger aaO § 604 ZPO Rz 36 mwN). Auch die bilaterale Vorverständigung von zwei Schiedsrichtern ist, wenn dies nicht zum faktischen Ausschluss des dritten Schiedsrichters führt, nicht prinzipiell unzulässig (Schlosser aaO § 1052 Rz 2). Der Oberste Gerichtshof hat bereits zur ICC-Schiedsordnung 1998 die telefonische Erörterung durch den Vorsitzenden des Schiedsgerichts mit jeweils einem der beiden Mitschiedsrichter nicht als Versagungsgrund nach Art V Abs 1 lit d NYÜ beurteilt (3 Ob 211/05h). Wie bei einem staatlichen Gericht muss es für die Willensbildung ausreichen, wenn über die Entscheidungsformel und -gründe sinngemäß beraten und abgestimmt wird. Ein schriftlicher Entwurf muss dazu nicht vorliegen (vgl Schlosser aaO § 1054 Rz 7). Weder aus dem Vorbringen der Verpflichteten noch aus dem Sondervotum, soweit es zum Inhalt des Revisionsrekursverfahrens gemacht wurde, kann entnommen werden, dass der überstimmte Schiedsrichter faktisch ausgeschlossen gewesen wäre, seine Meinung zum Entscheidungsentwurf einzubringen und auf die Willensbildung seines Mitschiedsrichters oder auch des Vorsitzenden durch Kontaktaufnahme Einfluss zu nehmen. Anhaltspunkte dafür ergeben sich auch nicht aus dem von der Verpflichteten vorgelegten Schreiben vom 6. Mai 2009 (./4), nachdem der dritte Schiedsrichter spätestens mit diesem Datum den Entwurf seiner Rechtsmeinung erstattete, nachdem er zuvor durch den Vorsitzenden telefonisch aufgefordert worden war, den Schiedsspruch bis zu einem bestimmten Termin zu unterfertigen. Die Ansicht des Rekursgerichts, dass aus dem Sondervotum insgesamt keine Versagungsgründe abzuleiten vermochte, ist damit nicht zu beanstanden.
9. Ausgehend von diesen Überlegungen liegt in der Unterlassung der Beratung mit persönlicher Anwesenheit aller Schiedsrichter vor Fällung des Schiedsspruchs auch keine ordre-public-Widrigkeit in formeller Hinsicht. Von diesem Versagungsgrund nach Art V Abs 2 lit b NYÜ ist generell nur sehr sparsam Gebrauch zu machen (3 Ob 211/05h). Dass Verfahrensverstöße vorliegen würden, die ihrem Gewicht nach eine Verletzung von Grundsätzen der österreichischen Rechtsordnung darstellten (RIS-Justiz RS0002402; RS0002409), konnte die Verpflichtete nicht unter Beweis stellen.
10. Der Ansicht, die Betreibende hätte mit ihrem Antrag auf Vollstreckbarerklärung das Sondervotum des überstimmten Schiedsrichters vorlegen müssen, kann ebenfalls nicht beigetreten werden.
Der Oberste Gerichtshof hat bereits zur Schiedsordnung der in Paris ansässigen Internationalen Handelskammer (International Chamber of Commerce - ICC) ausgesprochen, dass keine Verpflichtung zur Vorlage eines in einem separaten Dokument bestehenden Minderheitsvotums besteht, weil ein solches nicht „genehmigt“ im Sinne der ICC-Schiedsordnung 1998 und kein Bestandteil des Schiedsspruchs ist (3 Ob 211/05h).
11. Für die hier vorliegende Schiedsgerichtsordnung regelt § 38 Z 2 den Erlass des Schiedsspruchs und stellt dem überstimmten Schiedsrichter die Abfassung eines Minderheitsvotums frei. Die Formulierung „....kann schriftlich sein Sondervotum abgeben, dass dem Schiedsspruch beigefügt wird“ bringt die Offenlegung der Gegenmeinung den Parteien des Schiedsverfahrens gegenüber zum Ausdruck, macht aber durch das Verb „beifügen“ zugleich deutlich, dass es sich beim Sondervotum nicht um einen notwendigen Bestandteil des Schiedsspruchs handelt. Das entspricht dem herrschenden Verständnis (siehe dazu auch die Empfehlung der Arbeitsgruppe der ICC Commission on Arbitration, abgedruckt in Lionnet/Lionnet aaO, 399). Sondervoten sind grundsätzlich losgelöst vom eigentlichen Schiedsspruch zu betrachten (Hausmaninger aaO Rz 30). Damit ist auch für die Schiedsgerichtsordnung des Internationalen Handelsschiedsgerichts bei der Handels- und Industriekammer der Russischen Föderation festzuhalten, dass das Sondervotum keinen Bestandteil des nach Art IV Abs 1 lit a NYÜ mit dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung vorzulegenden Schiedsspruchs bildet.
Dem Revisionsrekurs war daher nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 EO iVm §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.
Der Umstand, dass im Heimatstaat des Schiedsspruchs eine Aufhebungsklage abgewiesen worden ist, ist grundsätzlich unwesentlich, weil die Anerkennung im Inland einen anderen Streitgegenstand hat als der Aufhebungsprozess im Ausland (Schlosser aaO § 1061 Rz 75). Die zu diesem Verfahren von der Betreibenden mit ihrer Revisionsrekursbeantwortung vorgelegten Urkunden sind daher für die Entscheidung ohne Relevanz, weswegen die für die Übersetzung begehrten Kosten schon aus diesem Grund nicht zuzuerkennen sind.
Jeder Partei steht nur eine einzige Rechtsmittelschrift oder Gegenschrift zu. Weitere Ergänzungen sind unzulässig (RIS-Justiz RS0041666). Die Urkundenvorlage der Verpflichteten vom 14. September 2010 war daher zurückzuweisen.
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