OGH 7Ob23/11z

OGH7Ob23/11z9.3.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F***** S*****, vertreten durch Mag. Ariane Jazosch und Mag. Thomas Moser, Rechtsanwälte in Traun, gegen die beklagte Partei O***** Versicherung AG, *****, vertreten durch Dr. Wolfgang Dartmann und andere Rechtsanwälte in Linz, wegen 246.165,18 EUR sA und Rente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 13. Dezember 2010, GZ 6 R 211/10g-38, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger macht in der Zulassungsbeschwerde geltend, zur Frage, wie der Begriff des Unfalls nach Art 6 Abs 3 AUVB auszulegen sei, liege keine Rechtsprechung vor. Außerdem beruft er sich darauf, um ihm grob fahrlässiges Handeln unterstellen zu können, hätte ihm spätestens am 13. 3. 2006 erkennbar sein müssen, dass durch die Vernachlässigung der Sorgfaltspflicht (sich unverzüglich in stationäre Behandlung zu begeben) ein Schaden in Form der Notwendigkeit der Amputation des rechten Oberschenkels eintreten könnte und auch wahrscheinlich sei. Zum zeitlichen Auseinanderfallen zwischen Zufügung einer Bagatellverletzung und dem Zeitpunkt des Eintritts der Gesundheitsschädigung, die durch weitere Faktoren, nämlich den Eintritt von Keimen in die Wunde, begründet werde, fehle einheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.

Damit vermag der Kläger einen tauglichen Grund für die Zulassung seines außerordentlichen Rechtsmittels nicht aufzuzeigen.

Entgegen dem Standpunkt der außerordentlichen Revision fallen nämlich nach ständiger Rechtsprechung unter den Unfallversicherungsschutz auch (nicht primäre) Wundinfektionen und sonstige durch die Unfallverletzung erst in weiterer Folge ausgelöste Krankheiten, wie etwa eine Kniegelenksinfektion aufgrund einer nach einem Unfall durchgeführten Arthroskopie (RIS-Justiz RS0122799 [T1]).

Auch zuletzt hat der Oberste Gerichtshof in einem vergleichbaren Fall daran festgehalten, dass eine Wundinfektion unter bestimmten Voraussetzungen infolge eines Unfallgeschehens entstehen könne. Es handelte sich dabei auch dann um eine durch den Unfall hervorgerufene Folge, wenn die Infektion - wie hier - zunächst zum Eindringen von Keimen (durch eine Bagatellverletzung) und schließlich (infolge mitwirkender Zuckerkrankheit) zu einer Beinamputation führt (RIS-Justiz RS0122799 [T2] = 7 Ob 130/09g, VR 2010/844 [krit Schauer VR 2010 Heft 10, 20]).

Daraus ist für den Kläger nichts zu gewinnen, weil das Berufungsgericht ohnehin dieser Rechtsprechung gefolgt ist, wenn es von dem Unfall ausgegangen ist, den der Kläger Anfang März 2006 erlitten hat; und zwar sowohl hinsichtlich des Eintritts des Versicherungsfalls als auch in Bezug auf die ihm angelastete Obliegenheitsverletzung nach Art 21 Punkt 2.4. AUVB 2003. Legt diese Bestimmung doch Folgendes fest:

Nach dem Unfall ist unverzüglich ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen und die ärztliche Hilfe bis zum Abschluss des Heilverfahrens fortzusetzen , ebenso ist für eine angemessene Krankenpflege und nach Möglichkeit für die Abwendung und Minderung der Unfallfolgen zu sorgen.

Die bekämpfte Beurteilung liegt daher im Rahmen der ständigen Rechtsprechung, wonach nur die Beweislast für das Vorliegen des objektiven Tatbestands einer Obliegenheitsverletzung den Versicherer trifft. Sache des Versicherungsnehmers ist es hingegen, zu behaupten und zu beweisen, dass er die ihm angelastete Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen habe (RIS-Justiz RS0081313).

Eine nur leichte Fahrlässigkeit bleibt demnach ohne Sanktion (RIS-Justiz RS0043728). Gelingt dem Versicherungsnehmer der Beweis der leichten Fahrlässigkeit nicht, so steht ihm nach § 6 Abs 3 VersVG auch bei (schlicht) vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung der Kausalitätsgegenbeweis offen.

Unter Kausalitätsgegenbeweis ist der Nachweis zu verstehen, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers Einfluss gehabt hat (RIS-Justiz RS0116979, RS0081313).

Da der Versicherer den objektiven Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung nach Art 21 Punkt 2.4. AUVB bewiesen hat, ist zu prüfen, ob dem Kläger grobe Fahrlässigkeit bei der Verletzung der Obliegenheitspflicht anzulasten ist.

Grobe Fahrlässigkeit erfordert, dass ein objektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß bei Würdigung aller Umstände des konkreten Falls auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist (RIS-Justiz RS0030272). Grobe Fahrlässigkeit ist im Bereich des Versicherungsvertragsrechts dann gegeben, wenn schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedermann einleuchten müssen, wenn jedenfalls völlige Gleichgültigkeit gegen das vorliegt, was offenbar unter den gegebenen Umständen hätte geschehen müssen (RIS-Justiz RS0080371).

Dass das Berufungsgericht auch die zuletzt angeführte Voraussetzung als erfüllt angesehen hat, ist nicht zu beanstanden, weil dem Kläger zum einen die nicht unverzügliche Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe nach dem Unfall (als die Schmerzen immer stärker wurden) anzulasten ist, zum anderen (darüber hinaus) aber auch noch die Unterlassung der Fortsetzung einer angemessen Krankenpflege, obwohl ihn der von seinen Bekannten verständigte Hausarzt am 13. 3. 2006 schriftlich ins Krankenhaus einwies und ausdrücklich darauf aufmerksam machte, der Kläger müsse - noch am selben Tag - ins Spital, weil die Entzündung so nicht mehr weggehen werde.

Dass der Kläger dennoch bis zum 15. 3. 2006 zu Hause blieb, weil er (einfach) „nicht ins Krankenhaus wollte“ und zuwartete, „bis die Schmerzen unerträglich geworden waren“, wurde - jedenfalls vertretbar - dahin beurteilt, er habe damit schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen, die jedermann einleuchten müssten, sodass eine völlige Gleichgültigkeit gegen das vorliege, was offenbar unter den gegebenen Umständen hätte geschehen müssen, um die letztlich eingetretenen schweren Unfallfolgen zu verhindern.

Überlegungen zum Kausalitätsgegenbeweis sind nicht anzustellen, weil sich der Rechtsmittelwerber darauf (von den im Revisionsverfahren nicht mehr angreifbaren Feststellungen ausgehend) - zu Recht - gar nicht beruft.

Da der Kläger keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen vermag, ist seine außerordentliche Revision zurückzuweisen.

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