OGH 4Ob205/10s

OGH4Ob205/10s15.12.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Univ.-Prof. Dr. S***** H*****, vertreten durch Mag. Anna-Maria Rudl, Rechtsanwältin in Innsbruck, gegen die beklagte und widerklagende Partei Mag. A***** G*****, vertreten durch die Altenweisl, Wallnöfer, Watschinger, Zimmermann Rechtsanwälte GmbH in Innsbruck, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 25. Juni 2010, GZ 2 R 107/10i-65, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 22. Jänner 2010, GZ 1 C 27/08a, 33 C 11/08w-61, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Das Berufungsgericht bestätigte die Abweisung der wechselseitigen von beiden Streitteilen auf schuldhaft gesetzte Eheverfehlungen gemäß § 49 EheG gestützten Klagen der Streitteile sowie die Scheidung der Ehe wegen mehr als dreijähriger Auflösung der häuslichen Gemeinschaft nach § 55 Abs 1 EheG unter gleichzeitiger Abweisung des auf Feststellung des überwiegenden Zerrüttungsverschuldens nach § 61 Abs 3 EheG zu Lasten des Klägers gestellten Antrags der Beklagten.

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagte vermag keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.

Welchem Ehepartner Eheverfehlungen zur Last fallen und welchen das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe trifft, ist eine Frage des konkreten Einzelfalls, die - von Fällen krasser Fehlbeurteilung abgesehen - nicht als erheblich nach § 502 Abs 1 ZPO zu beurteilen ist (RIS-Justiz RS0118125, RS0119414). Eine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung liegt entgegen dem Standpunkt der Beklagten nicht vor, wenn die Vorinstanzen die einmalige Übernachtung einer anderen Frau in der Wohnung des Klägers (ohne dass intime Beziehungen festgestellt wurden) nicht als schwere Eheverfehlung iSd § 49 EheG beurteilen, wenn zu diesem Zeitpunkt die Ehe der Streitteile bereits seit langem so zerrüttet war, dass weder die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Gemeinschaft zu erwarten noch der Grad der Ehezerrüttung wesentlich vertieft werden konnte. Die Verneinung dieser dem Kläger angelasteten Verletzung der Treuepflicht als Eheverfehlung führt aber zwingend zur Verfristung zahlreicher weiterer von der Beklagten dem Kläger angelasteter und zum Gegenstand ihres Verschuldensscheidungsbegehrens gemachter Eheverfehlungen, in deren Zusammenhang sie Feststellungsmängel releviert.

Ebensowenig ist eine Fehlbeurteilung darin zu erblicken, dass auf Mängel- und Feststellungsrügen der Beklagten nicht eingegangen wurde, die Umstände betreffen, aus denen der Kläger ein Scheidungsverschulden der Beklagten ableiten wollte, wenn sein diesbezügliches Klagebegehren rechtskräftig abgewiesen ist. Da auch die Abweisung des Widerklagebegehrens der Beklagten wegen schuldhafter schwerer Eheverfehlungen des Klägers mangels solcher Eheverfehlungen des Klägers nicht zu beanstanden ist, kommt es auch in diesem Zusammenhang nicht auf allfällige Eheverfehlungen der Beklagten an.

Ebenso wie für den Ausspruch, dass die Schuld eines Gatten überwiegt, ist auch bei Aussprüchen nach § 61 Abs 3 EheG ein überwiegendes Verschulden nur dort anzunehmen und auszusprechen, wo der graduelle Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile augenscheinlich hervortritt (RIS-Justiz RS0057251; vgl RS0057858, RS0057821). Bei der Beurteilung des überwiegenden Verschuldens eines Ehegatten sind alle Umstände zu berücksichtigen und in ihrer Gesamtheit gegenüberzustellen (RIS-Justiz RS0057303). Auch bei Berücksichtigung all jener Umstände, die die Beklagte zum Gegenstand ihrer Mängelrüge macht, lässt sich bei gebotener Gesamtabwägung des Verhaltens beider Streitteile das geforderte besondere Hervortreten des Verschuldens des Klägers - wie von der Beklagten offenbar angestrebt - nicht erkennen. Den von der Beklagten behaupteten Verfahrensmängeln fehlt daher von vornherein die zur erfolgreichen Geltendmachung zu fordernde Eignung, eine andere Entscheidung herbeizuführen (RIS-Justiz RS0116273).

Ob sogenannte „überschießende“ Feststellungen in den Rahmen des geltend gemachten Rechtsgrundes oder der Einwendungen fallen und daher nach der ständigen Rechtsprechung zu berücksichtigen sind, ist eine Frage des Einzelfalls (3 Ob 73/01h; RIS-Justiz RS0037972 [T15]). Im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers, die Beklagte sei aggressiv geworden und habe nicht mit untergriffigen Beschimpfungen gespart, sei zunehmend unverträglicher geworden und habe versucht, den Kläger immer stärker aus der gemeinsamen Wohnung zu vertreiben, schließlich habe sie sich grundlos geweigert den Kläger nach Wien zu begleiten und trage Verschulden an der örtlichen Trennung der Parteien, bildet die berufungsgerichtliche Ablehnung, von der Beklagten beanstandete Feststellungen zu ihrem Verhalten als überschießend im Sinn von nicht durch Klagevorbringen gedeckt zu qualifizieren, keine aufzugreifende Fehlbeurteilung.

Stichworte