Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Text
B e g r ü n d u n g :
Der volljährige Erkrankte war vom 19. 1. 2010 bis 3. 2. 2010 in der Landesnervenklinik Sigmund Freud ohne sein Verlangen untergebracht. Der Erkrankte wurde wegen Verhaltensstörungen bei fortgeschrittenem dementiellen Abbau zufolge langjährigen Alkoholkonsums und wegen einer sogenannten Korsakow-Demenz eingeliefert, wobei Verwirrtheit, Unruhezustände und immer wieder auch Verweigerung von Behandlungsmaßnahmen dokumentiert sind. Seit Beginn des stationären Aufenthalts wurde der Erkrankte mit zusätzlichen Infusionen behandelt, weil die orale Medikation nicht möglich war bzw weil er nicht ausreichend gegessen und getrunken hat. In einzelnen Phasen war doch eine Nahrungszufuhr möglich. Der Erkrankte reagierte (mit Bauchgurt fixiert) auf Ansprache mit ungerichteter Erregung sowie mit Schreien und Rufen. Lediglich einzelne altbekannte Gesten wurden noch abrufbar erkannt, wie das Handgeben zur Begrüßung. Es erfolgte zwar eine Gesichtszuwendung, ein verbaler Kontakt war mit ihm aber nicht möglich. Insgesamt zeigte sich ein fortgeschrittenes und schweres Bild einer Demenzerkrankung mit eklatanten Verwirrtheitszuständen auf Basis einer chronischen Alkoholerkrankung. Aufgrund der fortgeschrittenen Hirnschädigung war eine Kommunikations- und Sprachfähigkeit beim Patienten nicht mehr gegeben. In erster Linie bestand die Gefährdung in der Verweigerung notwendiger Behandlungsmaßnahmen.
Aufgrund dieser bei der Tagsatzung am 21. 1. 2010 erstellten Anamnese und Diagnose erklärte das Erstgericht die vorläufige Unterbringung des Erkrankten für zulässig. Die Tagsatzung wurde zur Klärung der Frage der Genehmigung einer besonderen Heilbehandlung in Art der Legung einer PEG-Sonde beim Erkrankten erstreckt und die Beiziehung des Sachverständigen Dr. Gernot Petru zur Erstellung eines internistischen Gutachtens über die Notwendigkeit der PEG-Sonde beschlossen.
Am 25. 1. 2010 hat das Erstgericht mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss, welcher in Form einer per Fax übersendeten „Mitteilung an die Krankenanstalt, Station Geriatrie 1/A3“, erfolgte, „dem Antrag auf Genehmigung einer besonderen Heilbehandlung in Form der Legung einer PEG-Sonde für den Patienten M***** K*****, geboren am 23. 9. 1942 stattgegeben“. Diese Mitteilung wurde unter Anschluss des internistischen Gutachtens per Fax auch an die Patientenanwaltschaft übermittelt.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Die „Mitteilung“ des Erstgerichts sei als Beschluss zu werten. In Anbetracht des Umstands, dass gleichzeitig das internistische Gutachten übermittelt worden sei, liege kein Begründungsmangel vor. Nach diesem Gutachten stelle sich die Heilbehandlung des Erkrankten durch Legung der PEG-Sonde als nach den Grundsätzen und anerkannten Methoden der medizinischen Wissenschaft unbedenklich dar. Den Ausführungen des Sachverständigen lasse sich auch nicht entnehmen, dass eine andere Möglichkeit der lebensnotwendigen Versorgung des Erkrankten gegeben wäre.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig, weil sich die Entscheidung des Rekursgerichts auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (3 Ob 263/07h) stütze.
Es liege im vorliegenden Fall eine vom Gericht zu überprüfende Heilbehandlung, nicht aber eine besondere Heilbehandlung iSd § 36 UbG vor.
Rechtliche Beurteilung
Der außerordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
1.1. Besondere Heilbehandlungen sind nach § 36 Abs 2, 38 UbG im Vorhinein gerichtlich zu genehmigen, sofern der Patient im Bezug auf die zu genehmigende Behandlung weder einsichts- noch urteilsfähig ist noch einen hiefür zuständigen gesetzlichen Vertreter oder Erziehungsberechtigten hat. Vor der wirksamen Erlassung des Genehmigungsbeschlusses darf eine besondere Heilbehandlung nur im Rahmen des § 37 UbG bei Gefahr im Verzug vorgenommen werden (Kopetzki, Grundriss des Unterbrinungsrechts2 Rz 750).
1.2. Die materiellen Kriterien für die Genehmigung besonderer Heilbehandlungen ergeben sich aus den allgemeinen Behandlungsvoraussetzungen des § 35 Abs 1 UbG. Zu prüfen ist insbesondere, ob die Behandlung den Grundsätzen und anerkannten Methoden der medizinischen Wissenschaft entspricht und ob sie im Hinblick auf ihren Zweck verhältnismäßig ist (Kopetzki aaO Rz 751).
1.3. Für das Verfahren über die Genehmigung besonderer Heilbehandlungen gelten dieselben Regeln wie für das Verfahren über die Zulässigkeit von Behandlungen. Gemäß § 38 Abs 1 UbG hat sich das Gericht vor der Entscheidung über die Genehmigung einer besonderen Heilbehandlung in einer Tagsatzung an Ort und Stelle einen persönlichen Eindruck vom Kranken und dessen Lage zu verschaffen. Zur Tagsatzung hat das Gericht den Vertreter des Kranken und den Abteilungsleiter zu laden; es kann auch einen Sachverständigen (§ 19 Abs 3 UbG) beiziehen.
2.1. Der Begriff der „besonderen Heilbehandlung“ in § 36 UbG ist im Gesetz nicht näher definiert. Nach der Rechtsprechung ist jeweils im Einzelfall abzuwägen, ob eine derartige „besondere Heilbehandlung“ vorliegt (RIS-Justiz RS0076093 [T5]). Dabei sind etwa Behandlungen, die die körperliche Integrität des Betroffenen in besonderer Weise beeinträchtigen wie „Elektroschocks“ jedenfalls als „besondere Heilbehandlung“ anzusehen. Bei Behandlungen, mit denen Persönlichkeitsveränderungen verbunden sind, ist zu unterscheiden: Behandlungen, die auf die Heilung (und damit die Veränderung) der kranken Persönlichkeit selbst abzielen, sind nicht schlechthin als „besondere Heilbehandlungen“ einzustufen. Wenn eine Behandlung aber über das Ziel einer solchen Heilung hinausgeht, wenn sie vorübergehende oder dauernde Veränderungen der Persönlichkeit des untergebrachten Kranken, andere erhebliche Nebenwirkungen oder sonst schwerwiegende Beeinträchtigungen der körperlichen oder psychischen Verfassung nach sich zieht, ist von einer „besonderen Heilbehandlung“ auszugehen (RIS-Justiz RS0076093).
2.2. Die Besonderheit des vorliegenden Falls liegt darin, dass die Notwendigkeit der Behandlung nicht unmittelbar Folge des Geisteszustands des Patienten ist, sondern wegen Schluckstörung gegeben ist, sodass Medikamente und Ernährung nur unregelmäßig verabreicht werden können. Allerdings ist der Begriff der „besonderen Heilbehandlung“ iSd § 36 UbG nicht auf Behandlungen von Geisteskrankheiten und vergleichbaren Störungen beschränkt.
2.3. Bisher hat die Rechtsprechung etwa das Setzen eines Cava-Katheters nicht als besondere Heilbehandlung angesehen (6 Ob 2117/96h). Bei einem Cava-Katheter handelt es sich um ein meist aus Plastikmaterial hergestelltes rohrartiges Gebilde, welches nach Auftragen eines Lokalanästhetikums auf die Haut, jedoch ohne Verabreichung einer Vollnarkose, in eine Vene der Ellenbeuge, am Hals oder unter dem Schlüsselbein des Patienten eingeführt und schmerzfrei in die obere herznahe Hohlvene vorgeschoben wird. Nach Kopetzki (aaO Rz 748) wurde die Genehmigungspflicht einer Lumbalpunktion vom Landesgericht Linz (18 R 84/92) zu Unrecht verneint.
2.4. Auch wurde die gerichtliche Genehmigungspflicht im Fall einer Sondenernährung durch die Nase verneint (6 Ob 546/95). Der Oberste Gerichtshof hat ausgesprochen, dass die Ernährung mittels eingeführter, in den Magen des Patienten reichender Sonden zwar einen körperlich unangenehm empfundenen Eingriff darstelle, jedoch eine dauernde oder auch nur vorübergehende Veränderung der Persönlichkeit des Patienten nicht befürchten lasse (6 Ob 2117/96h; 6 Ob 546/95).
3.1. Allerdings unterscheidet sich die perkutane endoskopische kontrollierte Gastrostomie (PEG) von den angeführten Verfahren insoweit, als es sich dabei um ein Verfahren zur enteralen Ernährung und Flüssigkeitszufuhr unter Umgehung des cervico-thoracalen Verdauungstrakts handelt. Dabei wird eine Sonde durch die Bauchdecke gesetzt, was grundsätzlich in Lokalanästhesie durchgeführt wird.
3.2. Im Hinblick auf diese damit zwangsläufig verbundene Beeinträchtigung der körperlichen Integrität sowie die mit dem Setzen einer PEG-Sonde in der Regel verbundene Notwendigkeit der Fixierung des Patienten ist das Vorliegen einer besonderen Heilbehandlung iSd § 36 UbG zu bejahen. Im Schrifttum (aus medizinischer Sicht vgl Böhmer, Zum Einsatz der PEG-Sonde in der Geriatrie, Zweifelsfragen und Entscheidungsparameter, iFamZ 2007, 195) wird der Einsatz der PEG-Sonde als „schwerwiegende medizinische Behandlung“ eingestuft, weil sie eine gesteigerte Komplikationsneigung (Infektionen) aufweist, häufig zu einer Fixierung des Patienten führt und der Zustand natürlicher Nahrungsaufnahme insbesondere bei hochbetagten Patienten nur schwer wieder herstellbar ist (Barth/Gammer, Handbuch des Sachwalterrechts, 180 f). Dies entspricht auch der Einschätzung des historischen Gesetzgebers des Sachwalterrechtsänderungsgesetzes (1420 BlgNR 22. GP).
Daraus ist jedoch für die Revisionsrekurswerberin nichts zu gewinnen:
4. Der Nichtigkeitsgrund der mangelnden Begründung ist nur dann gegeben, wenn die Entscheidung gar nicht oder so unzureichend begründet ist, dass sie sich nicht überprüfen lässt (RIS-Justiz RS0007484; RS0121710; RS0042206). Eine mangelhafte Begründung begründet keine Nichtigkeit (RIS-Justiz RS0007484; RS0121710; RS0042206). Jedenfalls ist ein allfälliger Begründungsmangel des Erstgerichts geheilt, wenn die fehlende Begründung durch das Rekursgericht nachgetragen wird (7 Ob 72/89m). Bereits das Erstgericht hatte aber - worauf schon das Rekursgericht zutreffend hingewiesen hat - seiner Entscheidung auch eine Ausfertigung des Grundlage dafür bildenden internistischen Sachverständigengutachtens angeschlossen.
5.1. Auch ein Verstoß gegen § 38 UbG liegt nicht vor. Die von § 38 Abs 1 UbG geforderte Tagsatzung hat am 21. 1. 2010 stattgefunden. Damit konnte sich das Gericht einen persönlichen Eindruck vom Patienten verschaffen.
5.2. Nach § 38 Abs 2 UbG ist die Entscheidung des Gerichts in der Niederschrift über die Tagsatzung zu beurkunden; sie ist nur auf Verlangen des Kranken, seines Vertreters oder des Abteilungsleiters innerhalb von 8 Tagen auszufertigen und diesen Personen zuzustellen. Einem in der Tagsatzung angemeldeten Rekurs gegen den Beschluss, mit dem eine besondere Heilbehandlung einschließlich operativer Eingriffe genehmigt wird, kommt aufschiebende Wirkung zu, sofern das Gericht nichts anderes bestimmt.
5.3. Entgegen der im Revisionsrekurs vertretenen Rechtsansicht hat der Umstand, dass das Erstgericht im vorliegenden Fall die Entscheidung entgegen § 38 Abs 2 UbG nicht mündlich verkündete, nicht zur Folge, dass die Vorgangsweise des Erstgerichts als Unterbleiben der von § 38 Abs 1 UbG geforderten Tagsatzung angesehen werden könnte. Vielmehr ist zwischen dem in § 38 Abs 1 UbG geregelten Zweck der Tagsatzung, dass sich das Gericht an Ort und Stelle einen persönlichen Eindruck vom Patienten und seiner Lage verschafft, und der Regelung über die Entscheidung und deren Bekämpfung in § 38 Abs 2 UbG zu differenzieren. Bei dem Erfordernis, die Entscheidung in der Niederschrift über die Tagsatzung zu beurkunden, woraus sich ergibt, dass diese Entscheidung in der Tagsatzung zu fällen und zu verkünden (vgl § 36 Abs 1 AußStrG) ist, handelt es sich um eine sanktionslose Ordnungsvorschrift.
5.4. Dies entspricht auch der völlig einhelligen Auffassung zur vergleichbaren Bestimmung des § 459 Abs 1 ZPO (G. Kodek in Fasching/Konecny² § 459 Rz 32; G. Kodek, Besitzstörung 864; Deixler-Hübner, PraktZPR I6 370; LG Krems MietSlg 45.698; LGZ Wien EFSlg 57.775 uva).
5.5. Der Einwand, durch das Unterlassen der mündlichen Verkündung des Beschlusses sei der Revisionsrekurswerberin die Möglichkeit genommen worden, gemäß § 38 Abs 2 UbG Rechtsmittel anzumelden und damit eine aufschiebende Wirkung des Rekurses herbeizuführen, geht ins Leere. Nach § 43 Abs 1 AußStrG treten nämlich stets Vollstreckbarkeit, Verbindlichkeit der Feststellung oder Rechtsgestaltung erst mit der Rechtskraft eines Beschlusses ein. Das Gericht kann jedoch nach § 44 Abs 1 AußStrG einem Beschluss vorläufige Verbindlichkeit zuerkennen. Damit unterscheidet sich die Regelung des § 38 Abs 2 UbG vom normalen Außerstreitverfahren nur durch die zwingend angeordnete Verkündung. Deren Unterlassung hat nach dem Gesagten aus den dargelegten Überlegungen keine Verkürzung der Rechtsstellung des Patienten zur Folge.
Vielmehr kommt dem Rekurs des Kranken nach § 38 Abs 2 UbG ohnedies ex lege aufschiebende Wirkung zu. Die Genehmigung ist schwebend unwirksam mit der Konsequenz, dass die Behandlung nur im Rahmen des § 37 UbG bei Gefahr im Verzug zulässig ist (Kopetzki, Unterbringungsrecht2 Rz 759). Soll die Genehmigung hingegen sofort wirksam werden, so muss das Gericht die aufschiebende Wirkung des Rekurses gesondert ausschließen (Kopetzki aaO).
5.6. Im Übrigen ist weder dem Rekurs noch dem Revisionsrekurs zu entnehmen, inwieweit das Unterbleiben einer weiteren Tagsatzung nach Vorliegen des zunächst schriftlich erstatteten Sachverständigengutachtens die Verfahrensrechte des Patienten in relevanter Weise beeinträchtigt hätte, wurde doch eine Erörterung oder Ergänzung des Gutachtens nicht beantragt. Eine zwingende mündliche Gutachtenserörterung sieht § 38 Abs 1 UbG aber nicht vor.
5.7. Soweit der Revisionsrekurs Feststellungen zur Frage vermisst, inwieweit die physische und psychische Verfassung des Patienten durch das Einsetzen der PEG-Sonde beeinträchtigt wird, ist dem entgegenzuhalten, dass nach den unbekämpft gebliebenen Ergebnissen des eingeholten Sachverständigengutachtens ohne tägliche Infusionstherapie ein Zustand der Unterernährung sowie eine ernstliche und erhebliche vitale Gefährdung des Patienten binnen Tagen droht. Allfällige denkbare Alternativen zur vom Sachverständigen aus den dargelegten Gründen als notwendig bezeichneten PEG-Sonde werden von der Revisionsrekurswerberin nicht einmal ansatzweise aufgezeigt.
5.8. Damit war aber die Vorgangsweise des Erstgerichts nicht geeignet, die erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Sache zu hindern (vgl § 66 Abs 1 Z 2 AußStrG, § 57 Z 4 AußStrG).
6. Zusammenfassend bringt daher die Revisionsrekurswerberin keine Rechtsfragen der in § 62 Abs 1 AußStrG geforderten Qualität zur Darstellung, sodass der Revisionsrekurs spruchgemäß zurückzuweisen war.
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