Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Die Patientin wurde am 30.1.1996 in die Psychiatrische Universitätsklinik im Wiener AKH aufgenommen. Ihre am 4.2.1996 ohne Verlangen erfolgte Unterbringung (§ 8 UbG) wurde zunächst bis 18.3.1996 (Beschluß vom 20.2.1996 ON 11), danach bis 13.5.1996 (Beschluß vom 1.4.1996 ON 21) für zulässig erklärt. Die Patientin leidet an einer akuten schizoaffektiven Psychose und an zahlreichen körperlichen Erkrankungen (Polymorbidität), so an Zuckerkrankheit, Asthma, Bluthochdruck und Gürtelrose. Sie verweigerte bei ihrer Einlieferung die Nahrungsaufnahme. Um einer akuten Lebensgefahr zu begegnen, die zur Bekämpfung der zahlreichen Krankheiten notwendigen Infusionen vornehmen zu können und die Ernährung der Kranken sicherzustellen, wurde ihr am 7.2.1996 ein sogenannter Kavakatheter eingesetzt. Dabei handelt es sich um ein meist aus Plastikmaterial hergestelltes rohrartiges Gebilde, welches nach Auftragen eines Lokalanästhestikums auf die Haut, jedoch ohne Verabreichung einer Vollnarkose in eine Vene der Ellenbeuge, eine Vene am Hals oder unter dem Schlüsselbein des Patienten eingeführt und schmerzfrei in die obere herznahe Hohlvene (Vena cava) vorgeschoben wird. Ziel und Zweck der Anlegung eines Kavakatheters (auch Cavakatheter, im folgenden: CK) ist die Schaffung eines intravenösen Zuganges, der das Einbringen von parenteraler Ernährung und Medikation ermöglichen soll. So sind die Steuerung des Flüssigkeitshaushaltes, flüssige Ernährung, die Regulierung eines gestörtes Mineralhaushaltes, aber auch häufige notwendige Blutabnahmen auf diesem Weg durchführbar. Besonders bei Patienten, deren Venenverhältnisse oftmalige Infusionen und Injektionen nicht erlauben, bzw bei denen in gehäuftem Maß intravenöse Zuführungen notwendig sind, so wie bei Schwerkranken, stellt die Setzung eines CK eine wichtige und in den meisten Fällen unverzichtbare Alternative zu den herkömmlichen Injektionen und Infusionen dar. Der CK ist ein in der medizinischen Praxis gebräuchliches und häufig verwendetes technisches Hilfsmittel, mit welchem die Durchführung von Heil- und diagnostischen Maßnahmen zumindest erleichtert, in manchen Fällen überhaupt ermöglicht wird. Aufgrund der häufigen Anwendungsfälle ist die Legung eines CK, wenngleich dazu ärztliches Spezialkönnen erforderlich ist, eine medizinische Routinemaßnahme. Die fachgerechte Setzung eines CK ist im Regelfall ungefährlich und schmerzfrei. Lediglich in Ausnahmefällen kann es zu Komplikationen und Nebenwirkungen, wie Entzündungen der Venenwand, Einblutungen sowie Flüssigkeits- und Luftansammlungen im Brustbereich und Luftembolie kommen. Diese Komplikationen sind nach dem gegenwärtigen medizinischen Stand regelmäßig leicht zu beherrschen. Nur in extrem seltenen Fällen kommt es im Gefolge dieser Behandlung zu ernsten Zwischenfällen, die im denkbar ungünstigsten Fall auch den Tod des Patienten, beispielsweise durch Verbluten aufgrund eines nicht ordnungsgemäßen Verschlusses des CK nach sich ziehen können. In der weitaus überwiegenden Mehrzahl der Fälle ist die Legung eines CK jedoch völlig unproblematisch.
Am 12.2.1996 stellte die Patientenanwältin den Antrag auf Überprüfung der Zulässigkeit der Setzung des CK als besonderer Heilbehandlung. Mit Schriftsatz vom 14.2.1996 brachte sie ergänzend vor, dieser Eingriff falle nach Krankenanstalten- und Ärztegesetz unter den Begriff der besonderen Heilbehandlung, weshalb in Abteilungen der Allgemeinmedizin die Zustimmung des Patienten eingeholt werde. Er sei daher als besondere Heilbehandlung im Sinn des § 35 Abs 1, UbG anzusehen, deren Durchführung nach § 36 (2) UbG der gerichtlichen Genehmigung bedürfe.
Nach Einholung von Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie OMR Dr.Otto Schiller wies das Erstgericht den Antrag der Patientenanwältin ab. Es ging von den eingangs wiedergegebenen Feststellungen aus und qualifizierte den CK nicht als besondere Heilbehandlung. Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei nicht verletzt. Durch die zahlreichen Erkrankungen der Patientin und deren Nahrungsverweigerung sei ein jederzeitiger venöser Zugang erforderlich geworden, dies habe nur durch Setzen des CK erreicht werden können.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Patientenanwältin nicht Folge. Das Einsetzen des CK sei der Einführung einer Magensonde vergleichbar, in welchem Fall der Oberste Gerichtshof bereits das Vorliegen einer besonderen Heilbehandlung verneint habe. Diese Maßnahme werde körperlich als unangenehm empfunden, lasse jedoch eine dauernde oder auch nur vorübergehende Veränderung der Persönlichkeit des Patienten nicht befürchten. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der ärztlichen Behandlung sei gewahrt, eine schonendere Behandlungsmethode stehe nicht zur Verfügung. Zur Einwendung der Rekurswerberin, die Patientin sei seit Setzen des CK schutzfixiert, führte das Rekursgericht aus, mangels Antragstellung auf Überprüfung der Beschränkung der Bewegungsfreiheit sei eine solche nicht Entscheidungsgegenstand.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage, ob das Setzen eines Kavakatheters als besondere Heilbehandlung im Sinn des § 36 UbG zu werten sei, noch keine Judikatur des Obersten Gerichtshofes bestehe.
Rechtliche Beurteilung
Der von der Patientenanwältin erhobene Revisionsrekurs ist aus den vom Rekursgericht angeführten Gründen zulässig, jedoch nicht berechtigt.
Zunächst ist festzuhalten, daß ein Rechtsschutzinteresse der Betroffenen an der Feststellung der Unzulässigkeit der vorgenommenen Heilbehandlung unabhängig davon besteht, ob diese Maßnahme noch aufrecht ist, greifen doch die den Ärzten im Rahmen der Psychiatrie übertragenen Zwangsbefugnisse nach dem Unterbringungsgesetz in zahlreiche verfassungsrechtlich gewährleistete Grundrechte des Patienten ein, so in jenes der persönlichen Freiheit nach Art 5 MRK und in das Recht auf Achtung der Menschenwürde nach Art 3 MRK. Nach ständiger - von der Lehre gebilligter - Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist daher ein rechtliches Interesse an der gerichtlichen Feststellung der Unzulässigkeit einer Unterbringung oder einer vorgenommenen Behandlung auch noch nach deren Aufhebung zu bejahen (SZ 65/92; EvBl 1993/33; RdM 1994, 28; RdM 1996, 23; Kopetzki, Unterbringungsrecht II, 909).
Da die Kranke den Grund und die Bedeutung ihrer Behandlung nicht einsehen oder ihren Willen nicht nach dieser Einsicht bestimmen konnte und keinen gesetzlichen Vertreter hat, hatte das Gericht auf Verlangen der Patientenanwältin über die Zulässigkeit der Behandlung unverzüglich zu entscheiden bzw bedürfen besondere Heilbehandlungen einschließlich operativer Eingriffe der Genehmigung des Gerichtes (§ 36 Abs 2 UbG).
"Heilbehandlung" umfaßt nicht nur unmittelbar therapeutische, sondern auch diagnostische und physikalische Maßnahmen (Kopetzki aaO 790). Der unmittelbar zu Therapiezwecken verwendete Katheter stellt daher nicht nur ein technisches Hilfsmittel der Heilbehandlung dar, sondern wird vom Begriff der "Heilbehandlung" im weiteren Sinn umfaßt.
Weder das Unterbringungsgesetz noch auch das Krankenanstaltengesetz, dessen § 8 Abs 3 Vorbild der in § 36 Abs 2 gewählten Formulierung war (BlgNR 1202 17.GP, siehe Kopetzki aaO 828) definieren den Begriff "besondere Heilbehandlung". Nach dem Bericht des Justizausschusses (BlgNR 1202 17.GP) ist bei der Abgrenzung zwischen "einfachen" und "besonderen" Heilbehandlungen vom Zweck des Gesetzes, nämlich dem Schutz der Persönlichkeitsrechte des Kranken, auszugehen. Behandlungen, die die körperliche Integrität des Betroffenen in besonderer Weise beeinträchtigen, wie etwa Elektroschocks, werden in diesem Sinn als "besondere Heilbehandlungen" anzusehen sein. Bei Behandlungen, mit denen Persönlichkeitsveränderungen verbunden sind, ist zu unterscheiden: Behandlungen, die auf die Heilung (und damit auch Veränderung) der kranken Persönlichkeit selbst abzielen, sind nicht schlechthin "besondere Heilbehandlungen". Zieht jedoch eine Behandlung über das Ziel einer solchen Heilung hinaus vorübergehende oder dauernde Veränderungen der Persönlichkeit des Kranken, andere erhebliche Nebenwirkungen oder sonst schwerwiegende Beeinträchtigungen der körperlichen oder psychischen Verfassung nach sich, liegt eine "besondere Heilbehandlung" vor (RdM 1995, 17; RdM 1996, 23; Kopetzki aaO 828 ff).
Das Ergebnis der Beurteilung ist von den Umständen des Einzelfalles abhängig, nämlich davon, in welchem Maß die Behandlung geeignet ist, die physische oder psychische Verfassung des davon betroffenen Kranken zu beeinträchtigen. Ist mit schwerwiegenden Beeinträchtigungen zB wegen erheblicher Nebenwirkungen zu rechnen, so erfordert es der Zweck des Gesetzes (Schutz der Persönlichkeitsrechte des Kranken), die Heilbehandlung von den vom Gesetz dafür vorgesehenen Zustimmungs- und Genehmigungserfordernissen abhängig zu machen (RdM 1995, 17, RdM 1996, 23). Konkrete Begleitumstände, wie zB der Gesundheitszustand des Patienten an sich, sind in die Beurteilung einzubeziehen (Kopetzki aaO 833).
Auch operative Eingriffe, die § 36 Abs 2 UbG als Unterfall besonderer Heilbehandlung formuliert, sind anhand dieser durch die Gesetzesmaterialien vorgegebenen Kriterien zu beurteilen. Sie sind nur dann genehmigungsbedürftig, wenn sie im Sinn dieser Kriterien als besondere Heilbehandlung angesehen werden müssen (vgl Kopetzki aaO 832, der unter operativem Eingriff im Sinn des § 36 Abs 2 UbG nur solche typisch chirurgischen Eingriffe in die köperliche Substanz versteht, die über eine - durch Injektion und Blutabnahme - markierte Erheblichkeitsschwelle hinausgehen).
Der von der Patientenanwältin aufgezeigte Umstand, im Bereich der Allgemeinmedizin finde eine Aufklärung des Patienten über den Eingriff statt, der CK werde nur mit seiner Zustimmung gesetzt, spricht noch nicht für das Vorliegen einer besonderen Heilbehandlung im Sinn des § 36 Abs 2 UbG, da Ärzte - vom Fall der Gefahr im Verzug abgesehen - für jeden Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, somit auch für "einfache" Heilbehandlungen, der Einwilligung des Patienten bedürfen. Das Unterbringungsgesetz ersetzt nun diese Zustimmung des Patienten bzw seines gesetzlichen Vertreters durch gerichtliche Genehmigung nur im Falle "besonderer" Heilbehandlung.
Entgegen der Auffassung der Patientenanwältin liegt eine besondere Heilbehandlung weder aufgrund des Umfanges der Beeinträchtigung der körperlichen Integrität, bzw des mit dem Eingriff verbundenen Risikos, noch auch im Hinblick auf die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der Verfassung der Patientin vor. Die Vorinstanzen gehen zutreffend davon aus, daß das Setzen eines CK zweifellos einen unangenehm empfundenen Eingriff darstellt, was aber für sich allein nicht ausreicht, um von einer "besonderen" Heilbehandlung im Sinn des Unterbringungsgesetzes sprechen zu können. Wenngleich die mit Einführen einer Magensonde, in welchem Fall der Oberste Gerichtshof das Vorliegen einer besonderen Heilbehandlung bereits verneint hat, siehe RdM 1996, 23 verbundene Beeinträchtigung nicht mit jener verglichen werden kann, die der CK mit sich bringt, überschreitet die körperliche Beeinträchtigung durch das Setzen des CK selbst nicht andere im Alltag häufig angewendete Heilmethoden. Der Eingriff ist überdies jederzeit revisibel. Die zur Verhinderung des Herausreißens des Katheters erforderliche Fixierung wäre der Patientin auch bei Anwendung anderer einfacher Heilbehandlungen, wie Einzelinfusionen nicht erspart geblieben, da aufgrund ihrer Wahnvorstellungen die Gefahr besteht, daß sie auch die dafür notwendigen Vorrichtungen entfernen werde.
Eine über die Auswirkungen einer einfachen Heilbehandlung hinausgehende dauernde oder vorübergehende Veränderung der Persönlichkeit ist nicht zu befürchten. Die Patientin ist aufgrund ihrer Wahnvorstellungen durch jede Art von Heilbehandlung, bei der Injektionen oder Blutabnahmen erforderlich sind, psychisch beeinträchtigt, da sie Stiche und andere Schmerzursachen als Bißwunden von Schlangen auffaßt. Wäre der CK nicht gesetzt, sondern versucht worden, ihren Zustand durch Infusionen in die Armvene zu bessern, hätte die Patientin eine weit größere Anzahl an "Stichen" über sich ergehen lassen müssen, wodurch ihre psychische Beeinträchtigung keinesfalls geringer gewesen wäre. Abgesehen davon wäre auch in diesem Fall eine Fixierung der Arme erforderlich geworden.
Das im vorliegenden Fall gegebene Ausmaß der psychischen und physischen Beeinträchtigung rechtfertigt daher nicht die Annahme einer besonderen Heilbehandlung im Sinn des § 36 Abs 2 UbG.
Auch die bei dieser Behandlung aufgezeigten möglichen Komplikationen lassen eine Verneinung eines besonderen mit diesem Eingriff verbundenen Risikos zu. Mögliche Nebenwirkungen und Komplikationen können bei ärztlichen Heilbehandlungen grundsätzlich nie ganz ausgeschlossen werden. Sie erweisen sich hier als seltene Ausnahme gegenüber einer weitaus überwiegenden Zahl unproblematischer Eingriffe.
Auch eine Verletzung des im § 35 Abs 1 festgelegten Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit liegt nicht vor. Genauso wie die Unterbringung unzulässig ist, wenn eine die Persönlichkeit des Patienten schonende Alternative außerhalb der Anstalt möglich ist (§ 3 Z 2 UbG), darf eine in Persönlichkeitsrechte des Patienten massiv eingreifende Heilbehandlung nur angewandt werden, wenn eine weniger eingreifende, schonende Heilbehandlung nicht zur Verfügung steht (vgl RdM 1996, 23).
Das Rekursgericht hat unter Hinweis auf das eingeholte Sachverständigengutachten zutreffend darauf verwiesen, daß der gewünschte Behandlungserfolg ohne Verwendung des CK nicht hätte erzielt werden können. So hat sich im Laufe der zunächst ohne Katheter durchgeführten Behandlung die Notwendigkeit dieser Maßnahme gezeigt, um eine Besserung des schon bedrohlichen Gesamtheitszustandes zu erreichen. Dazu war es erforderlich, einen jederzeitigen Zugang zu einer Vene der Patientin zu gewährleisten, um akut notwendige Infusionen, wie auch die Ernährung bei Veweigerung der Nahrungsaufnahme sicherstellen zu können. Die Verabreichung der hiefür erforderlichen Medikamente durch Infusionen in die Armvene wäre aufgrund deren Anzahl und Verschiedenartigkeit nicht möglich gewesen. Auch hätte diese Vorgangsweise eine Fixierung der Arme in Schienen vorausgesetzt, was unter Berücksichtigung des psychischen Zustandes der Betroffenen keinesfalls eine geringe Einschränkung bedeutet hätte.
Abgesehen davon, daß der Therapieerfolg durch Infusionen in die Armvene nicht hätte erreicht werden können, kann diese Methode auch unter dem Gesichtspunkt der Schwere des Eingriffes nicht als relevant weniger in die Persönlichkeit eingreifende schonendere Heilmethode im Vergleich zur Setzung des Kavakatheters beurteilt werden.
Das Setzen des Kavakatheters ist daher nach den Umständen des vorliegenden Einzelfalles nicht als besondere Heilbehandlung qualifiziert. Als einfache Heilbehandlung der nicht einsichtsfähigen Kranken war sie ohne Rücksicht auf Willenserklärungen derselben oder dritter Personen zulässig.
Dem unberechtigten Revisionsrekurs der Patientenanwältin ist daher ein Erfolg zu versagen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)