OGH 1Ob12/10m

OGH1Ob12/10m9.3.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Herbert B*****, 2. Anton Z*****, 3. Anton Andreas Z*****, und 4. Franz M*****, alle vertreten durch Rohregger Rechtsanwalt GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, und die Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei 1. Land Burgenland, und 2. Hans Niessl, Landeshauptmann, Eisenstadt, Europaplatz 1, beide vertreten durch Hajek & Boss & Wagner Rechtsanwälte OG in Eisenstadt, wegen 1) 61.768,42 EUR sA, 2) 184.039,50 EUR sA, 3) 49.725,68 EUR sA und 4) 76.554 EUR sA, über die Rekurse der klagenden Parteien und der Nebenintervenienten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. August 2009, GZ 14 R 102/09m-22, mit dem das Teilzwischen- und Teilurteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 29. Jänner 2009, GZ 1 Cg 6/08x-12, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Den Rekursen wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Nach § 125 Abs 1Gewerbeordnung 1994 (GewO) hat der Landeshauptmann durch Verordnung Höchsttarife für Rauchfangkehrerleistungen festzulegen. Dabei ist auf die Leistungsfähigkeit der Betriebe und auf die Interessen der Leistungsempfänger Bedacht zu nehmen. Vor der Festlegung der Höchsttarife sind nach § 125 Abs 2 GewO die zuständige Landesinnung der Rauchfangkehrer, die zuständige Kammer für Arbeiter und Angestellte, die zuständige Landwirtschaftskammer und die berührten Gemeinden zu hören.

Für das Burgenland galt bis einschließlich 30. 6. 2005 die Verordnung des Landeshauptmannes von Burgenland vom 22. 10. 1997 betreffend die Neufestsetzung der Höchsttarife für das Rauchfangkehrergewerbe, LGBl 1997/65 in der Fassung LGBl 2003/18. Diese Verordnung wurde mit Wirksamkeit vom 1. 7. 2005 (mit dem Inkrafttreten des Burgenländischen Kehrgesetzes) durch die Verordnung des Landeshauptmannes von Burgenland vom 5. 6. 2005 betreffend die Festsetzung von Höchsttarifen für das Rauchfangkehrergewerbe, LGBl 2005/50, außer Kraft gesetzt. Der Verfassungsgerichtshof hob in seinem Erkenntnis vom 2. 3. 2006 diese Verordnung über Individualantrag des Erstklägers mit Ablauf des 30. 6. 2006 als gesetzwidrig auf. Gründe für die Aufhebung waren, dass a) entgegen § 125 Abs 1 GewO die Leistungsfähigkeit der Betriebe trotz konkreter Einwendungen im Begutachtungsverfahren nicht erhoben wurde, b) entgegen § 125 Abs 2 GewO die zuständige Landesinnung der Rauchfangkehrer nicht gehört wurde, und c) die Verordnung ohne gesetzliche Ermächtigung rückwirkend in Kraft gesetzt wurde (dies betrifft den Zeitraum vom 1. 7. 2005 bis 15. 7. 2005 [Tag nach der Veröffentlichung]). In der Folge erließ der Zweitnebenintervenient am 28. 6. 2006 die geltende burgenländische Höchsttarifverordnung 2006, LGBl 2006/32, welche dieselben Tarifansätze vorschreibt wie die aufgehobene Verordnung LGBl 2005/50. Die geltende, am 1. 7. 2006 in Kraft getretene Höchsttarifverordnung wurde nicht angefochten.

In ihrer Amtshaftungsklage begehren die Kläger, die seit Jahren das Rauchfangkehrergewerbe im Burgenland ausüben, den Ersatz des Schadens, der ihnen im Zeitraum vom 1. 7. 2005 bis 30. 6. 2006 durch die Anwendung der - niedrigeren und wirtschaftlich nicht gerechtfertigten - Tarifansätze der gesetzwidrigen Verordnung LGBl Nr 2005/50 entstanden sei. Dieser Schaden bestehe in der Differenz zwischen dem tatsächlichen Ergebnis im Vergleich zu jenem Ergebnis, das sich unter Zugrundelegung der nach der früheren Höchsttarifverordnung geltenden, höheren Tarifansätze ergeben hätte.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach. Die Verordnung sei nur aus formalen Gründen aufgehoben worden, habe aber inhaltlich den Vorgaben des § 125 GewO entsprochen. Das zeige sich schon darin, dass die formal einwandfrei zustandegekommene, seit 1. 7. 2006 geltende burgenländische Höchsttarifverordnung dieselben Tarifansätze wie die aufgehobene Verordnung vorsehe. Auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten des Zweitnebenintervenienten würde sich die wirtschaftliche Situation der Kläger aus diesem Grund vollkommen ident darstellen. Keineswegs könnten sämtliche Umsatzeinbußen eines Unternehmens auf die 2005 geänderten Tarife zurückgeführt werden, weshalb die Ermittlung des Schadens anhand des Vergleichs „vorher - nachher“ nicht in Betracht komme.

Die Nebenintervenienten verwiesen zusätzlich auf die unterlassene Anfechtung der geltenden Höchsttarifverordnung und bestritten das Vorliegen einer gesicherten Erwerbsmöglichkeit/eines positiven Schadens insbesondere wegen des Burgenländischen Kehrgesetzes vom 31. 3. 2005, das wegen der freien Wahl des Rauchfangkehrers und der entfallenden Kehrpflicht bei nicht benützten Rauchfängen jedenfalls zu Umsatzeinbußen geführt hätte.

Das Erstgericht erkannte das Begehren des Erstklägers als dem Grunde nach zu Recht bestehend und wies das Klagebegehren der übrigen Kläger ab. Den - im Rekursverfahren vor allem noch strittigen - Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens schloss es in diesem Fall grundsätzlich aus, weil die übertretene Norm, nämlich der gesetzliche Verfahrensgang vor Erlassung der Verordnung, gerade die Auseinandersetzung mit den Standpunkten der von der Verordnung Betroffenen, also der Rauchfangkehrer und ihrer Kunden, bezweckt hätte.

Das Berufungsgericht gab den Berufungen der Zweit- bis Viertkläger, der Beklagten und der beiden Nebenintervenienten Folge, hob das angefochtene Urteil auf und wies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Es ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu, weil dessen Rechtsprechung die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens - insbesondere im Amtshaftungsverfahren - ausgeschlossen sein solle, bisher nur in kasuistischer Weise behandelt habe. Im konkreten Fall erachtete es diesen Einwand für zulässig. Die bisherige Judikatur habe die Einrede dann ausgeschlossen, wenn die übertretene Norm einen Eingriff in Grundrechte - wie Freiheit oder Eigentum - bedeutet hätte. Hier sei aber nicht unmittelbar in das Eigentum der Kläger eingegriffen, sondern (nur) eine konkrete Gewinnchance vernichtet worden. Die Behandlung dieses zulässigen Einwands setze aber eine umfangreiche Verfahrensergänzung voraus. Die unterbliebene Anfechtung der neuen Verordnung, deren Tarife mit jenen der aufgehobenen praktisch inhaltsgleich seien, lasse keinesfalls den Schluss zu, dass diese Tarife jedenfalls den Vorgaben des § 125 GewO entsprechen würden. Es bedürfe daher einer inhaltlichen Prüfung des Tarifs anhand der Kriterien des § 125 GewO. Geprüft werden müsste weiters, ob die als gesetzwidrig aufgehobene Verordnung tatsächlich niedrigere Höchsttarife festgesetzt hätte und ob Umsatzeinbußen auch auf das Burgenländische Kehrgesetz zurückzuführen seien. Der von den Klägern geforderte Ersatz für die Minderung einer objektiv gegebenen Gewinnmöglichkeit stelle einen positiven Schaden dar, der auch bei leichter Fahrlässigkeit zu ersetzen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichteten Rekurse der Kläger und der Nebenintervenienten sind zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Judikatur hat den Grundsatz geprägt, dass dem Beklagten der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens im Amtshaftungsprozess verwehrt ist, wenn die übertretene Verhaltensnorm von ihrem Schutzzweck her jedes andere Organverhalten ausschließen will und deshalb Eingriffe in fremdes Rechtsgut an eine bestimmte Form (ein bestimmtes Verhalten) binden will (RIS-Justiz RS0022911; weitere Nachweise bei Schragel, AHG³ § 1 Rz 155). Ob einer Schutznorm diese Anordnung entnommen werden kann, ist im jeweiligen Einzelfall durch Auslegung des Zwecks der verletzten Schutznorm zu ermitteln (1 Ob 256/07i; Schragel aaO), was naturgemäß eine gewisse Kasuistik mit sich bringt. Eine eindeutige Abgrenzung nimmt die höchstgerichtliche Judikatur bei einer vom Verfassungsgerichtshof oder vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellten Verletzung des verfassungsmäßig gewährleisteten Rechts auf persönliche Freiheit vor: In diesen Fällen ist der Einwand, die Haft wäre auch bei einem rechtmäßigen Verhalten der Organe verhängt worden, nicht zulässig (1 Ob 35/80 = SZ 54/108; 1 Ob 4/94 = RIS-Justiz RS0027498 [T3]). Hingegen werden andere Fälle verletzter Verfahrensvorschriften in Lehre und Judikatur differenziert beurteilt. Schragel (aaO mit Hinweis auf Rebhahn, Staatshaftung 637, und Karollus, Schutzgesetzverletzung 405 ff) sowie Koziol (Haftpflichtrecht³ I Rz 8/71) stellen im Wesentlichen übereinstimmend auf das Gewicht der verletzten Verfahrensvorschrift im Verhältnis zum Erfolg ab: Es ist demnach zu differenzieren, ob ein dem Schutz des Geschädigten dienendes besonderes Verfahren überhaupt nicht eingehalten oder nur Zuständigkeitsvorschriften verletzt oder Formfehler begangen wurden. Diese Abgrenzung findet sich ebenso in der Judikatur des Obersten Gerichtshofs (1 Ob 42/90 = SZ 64/23 mit zahlreichen Nachweisen auch zu deutscher Literatur und Judikatur: Reduktion des rechtswidrigen Organverhaltens auf die bloße Missachtung von Zuständigkeitsnormen ohne Einfluss auf das Ergebnis; 1 Ob 26/08t: Bezeichnung eines Einzelunternehmens als Bescheidadressat anstelle des Inhabers, dem der Bescheid zukam und der sich auch als Adressat sah). Diese Fälle, in denen der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens zugelassen wurde, lassen sich in die Kategorie Verletzung „bloßer“ Verfahrensvorschriften einordnen. Die Verletzung grundlegender Verfahrensvorschriften, die insbesondere das rechtliche Gehör betrafen, kann hingegen ein anderes Ergebnis rechtfertigen. So erkannte der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 9 ObA 2008/96a, dass eine vom Dienstgeber ausgesprochene Versetzung mangels vorheriger Verständigung der Personalvertretung unwirksam war. Die Berufung auf rechtmäßiges Alternativverhalten wurde in diesem Fall abgelehnt, weil der Gesetzgeber den Eingriff in eine Rechtsposition von der Einhaltung eines bestimmten Verfahrens abhängig mache.

Eine vergleichbare Konstellation ist hier gegeben. Nach § 125 Abs 1 GewO muss bei Erlassung von Verordnungen über die Höchsttarife auf die Leistungsfähigkeit der Betriebe und auf die Interessen der Leistungsempfänger Bedacht genommen werden. Die in Abs 2 leg cit ausdrücklich vorgeschriebene Anhörung bestimmter Interessenvertretungen verfolgt eindeutig den Zweck, den Ausgleich der Interessen von Unternehmern einerseits und Konsumenten andererseits zu garantieren. Würde trotz Verletzung eines derartigen Anhörungsrechts und ohne Durchführung eines nachvollziehbaren Ermittlungsverfahrens, das einen wesentlichen Parameter für die Ermittlung von Höchsttarifen darstellt, der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens zugelassen, bedeutete das im Endergebnis nichts anderes, als die Vorgangsweise eines Verordnungsgebers zu billigen, der eindeutige gesetzliche Vorgaben bei Erlassung einer Verordnung außer Acht lässt und damit den Verordnungsgebungsprozess (aus welchen Motiven auch immer) verkürzt. Aus diesen Erwägungen ist der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens, der mit der Einhaltung des gesetzmäßigen Verfahrens bei Erlassung der Nachfolgeverordnung begründet wird, abzulehnen. Unberücksichtigt lassen die Rekurswerber außerdem die rechtswidrig angeordnete Rückwirkung, auch wenn diese nur einen kurzen Zeitraum von ca 2 Wochen betrifft. Eine bei Einhaltung des gesetzmäßigen Verfahrens (Anhörung der zuständigen Innung und Ermittlung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit) vorgenommene Tarifänderung wäre jedenfalls für den Zeitraum vom 1. 7. 2005 bis zum rechtmäßigen Inkrafttreten der Verordnung unzulässig geblieben. Daran hätte das behauptete rechtmäßige Alternativverhalten nichts geändert.

Die vom Berufungsgericht zur inhaltlichen Prüfung der Höchsttarife angeordnete Verfahrensergänzung ist damit nicht notwendig. Ob die rechtswidrige Festlegung von Höchsttarifen tatsächlich in das Grundrecht des Eigentums eingreift und deshalb die Berufung auf das rechtmäßige Alternativverhalten ausschließt, muss bei diesem Ergebnis nicht weiter erörtert werden.

Entgegen der von den Nebenintervenienten im Rekursverfahren nach wie vor vertretenen Auffassung ist der von den Klägern behauptete Rückgang ihrer Einnahmen eine typische Vermögenseinbuße, die ein Unternehmer bei Verringerung der für seine Branche geltenden Höchsttarife erleidet; sie ist damit als positiver Schaden zu qualifizieren (RIS-Justiz RS0030425; 2 Ob 8/07a ua). Dieser Qualifikation stehen auch die von den Nebenintervenienten behaupteten Änderungen durch das Burgenländische Kehrgesetz 2005 nicht entgegen, das den Kunden völlig freistellen soll, den Rauchfangkehrerbetrieb zu wechseln und unbenutzte Rauchfänge abzumelden. Diese Änderungen mögen eine gewisse Flexibilität bei Wahl des Rauchfangkehrerbetriebs ermöglichen, bedeuten aber nicht zwingend, dass der Kundenstamm bzw das Auftragsvolumen der klagenden Rauchfangkehrer im entscheidungswesentlichen Zeitraum vom 1. 7. 2005 bis 30. 6. 2006 auf Null zu reduzieren wäre und damit eine gesicherte Erwerbschance als positiver Schaden jedenfalls verneint werden müsste. Zu bezweifeln ist allerdings, ob sich ein Schaden wirklich durch einen Vergleich der Umsatzzahlen ermitteln lässt, wie dies die Kläger der Berechnung ihres jeweiligen Schadens zugrunde legen. Insofern ist der Einwand, ein Umsatzrückgang könne vielfältige Ursachen haben und nicht ausschließlich auf die Reduktion der Höchsttarife zurückzuführen sein, durchaus nicht von der Hand zu weisen und wird im fortgesetzten Verfahren zu beachten sein. Genau dazu, nämlich zur Klärung der Frage, ob den Klägern durch die rechtswidrige Vorgangsweise bei Erlassung der Verordnung überhaupt ein Schaden - wenn ja in welcher Höhe - entstanden ist, dient letztlich die vom Berufungsgericht zu diesem Thema angeordnete Verfahrensergänzung, weshalb den Rekursen im Ergebnis ein Erfolg zu versagen ist.

Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO.

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