OGH 1Ob26/08t

OGH1Ob26/08t6.5.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Hanno Zanier, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen 306.984,63 EUR sA, infolge Rekurses der beklagten Partei (Rekursinteresse 241.902,88 EUR sA) gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 11. Oktober 2007, GZ 14 R 154/07f-43, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 22. Mai 2007, GZ 30 Cg 11/04i-39, teilweise aufgehoben wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit der Entscheidung 2000/766/EG des Rates vom 4. Dezember 2000 über Schutzmaßnahmen in Bezug auf die transmissiblen spongiformen Enzephalopathien und die Verfütterung von tierischem Protein wurde es als Vorsichtsmaßnahme für angezeigt gehalten, die gängige Praxis zu unterbinden, tierisches Protein zur Tierfütterung zu verwenden. Es sollte sichergestellt werden, dass Tierabfälle nach sicheren Verfahren gesammelt, befördert, verarbeitet, gelagert und beseitigt werden. Die Mitgliedstaaten wurden verpflichtet, die Verfütterung von verarbeiteten tierischen Proteinen an Nutztiere, die zur Nahrungsmittelproduktion gehalten oder gezüchtet werden, zu untersagen (Art 2 Abs 1 der Entscheidung 2000/766). Nach Auftreten des ersten BSE-Falls in Deutschland wurde mit Wirksamkeit vom 1. 1. 2001 die Definition des „Sonderrisikomaterials" um Rinderdärme erweitert. Während also bis Ende 2000 Tiermehl, das auch Rinderdärme enthielt, als „sonderrisikomaterialfrei" eingestuft wurde, hinderte die Mitverarbeitung von Rinderdärmen seit Anfang 2001 diese Einstufung als „sonderrisikomaterialfrei".

Dipl. Geol. Rainer K*****, der ein nicht protokolliertes Einzelunternehmen unter der Etablissementbezeichnung „P*****" betreibt, entwickelte ein Verfahren, aufgrund dessen unter Verwendung von Tiermehl ein Brennstoff entsteht. Im Zeitraum Ende 2000 bis Mai 2001 erwarb er in Deutschland hergestelltes Tiermehl, um es als Brennstoff in einem für diesen Zweck umgerüsteten kalorischen Kraftwerk in Bulgarien einzusetzen. In Bulgarien hätte er für das Tiermehl 5 EUR pro Tonne erhalten. Das Tiermehl war gemäß den damals in Deutschland gültigen Standards zwecks Verfütterung an Tiere hergestellt worden. In der Tierkörperverwertungsanstalt, aus der die erste Tranche des von Dipl. Geol. Rainer K***** erworbenen (noch im Jahr 2000 hergestellten) Tiermehls stammte, wurden im Jahr 2000 unter anderem auch Därme und Mandeln von Rindern zu Tiermehl verarbeitet. Es kann nicht festgestellt werden, dass das von Dipl. Geol. Rainer K***** erworbene, zumindest teilweise bereits im Jahr 2000 hergestellte Tiermehl auch nach den seit 1. 1. 2001 geltenden Kriterien sonderrisikomaterialfrei war. Eine nachträgliche Überprüfung, ob vor dem 1. 1. 2001 hergestelltes Tiermehl „Sonderrisikomaterial" enthält, ist technisch nicht möglich. Nach der Produktion des Tiermehls kann diese Frage nicht mehr geklärt werden. Im April 2003 wurden rund 1.100 t des von Dipl. Geol. Rainer K***** erworbenen Tiermehls auf der Donau mittels eines Motorschiffes von Deutschland in Richtung Bulgarien transportiert. Das Schiff langte, nachdem es Österreich und Ungarn unbeanstandet passiert hatte, am 28. 4. 2003 in Serbien bei einer Zollstelle ein. Die serbischen Behörden hinderten das Schiff an der Weiterfahrt, weil die Durchfuhr von Tiermehl nationalem serbischen Recht widerspreche. Es wurde zwar eine Transitbewilligung für Abfall gegen Zahlung in Aussicht gestellt, eine freiwillige Unterstellung der Fracht unter den Begriff „Abfall" lehnte der Eigentümer aber ab, weil in diesem Fall die Einreise nach Bulgarien verweigert worden wäre. Er entschloss sich zum Rücktransport nach Deutschland. Im Zuge einer Großkontrolle der österreichischen Zollbehörden wurde das Schiff am 1. 6. 2003 angehalten. Die Organe der österreichischen Zollbehörde, die festgestellt hatten, dass Tiermehl transportiert wurde, nahmen die Frachtpapiere an sich. Diese wurden der Besatzung am 17. 6. 2003 zurückgestellt. Die Maßnahmen des österreichischen Zolls waren mit diesem Tag beendet, sodass insoweit kein Hindernis für die Weiterfahrt des Schiffs bestand. Mit Bescheid vom 6. 6. 2003, GZ 61 3543/285-VI/1/03-Ste, hatte aber das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (im Folgenden: BMLFUW) gemäß § 69 AWG 2002 sowie im Sinne des Art 26 lit a und b der Verordnung (EWG) Nr. 259/93 des Rates vom 1. Februar 1993 (VerbringungsVO) der „P*****" die Zustimmung zur Rückführung des Tiermehls (nach Deutschland) mittels Schiff auf der Donau nur bei Einhaltung nachstehender Bedingungen und Auflagen erteilt:

„I. Die Zustimmung zur Rückführung durch Österreich gilt nur, wenn die Genehmigung der Rückführung obgenannter Abfälle durch die Regierung von Niederbayern erteilt ist. Die Zustimmung zur Rückführung gilt nur, wenn bei der Regierung von Niederbayern oder beim Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft eine vorgelegte Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 250.000 im Original hinterlegt ist.

II. Die Transportroute darf nur mit dem Schiff ... ohne Zwischenlagerung und ohne Umladen auf der Donau zum Hafen S***** durchgeführt werden."

Das BMLFUW begründete diesen Bescheid damit, dass die genannten Abfälle in der EU-VerbringungsVO als nicht gelistet geführt und daher gemäß „Roter Liste" gehandhabt würden. Die Durchfuhr nach Bulgarien als Nicht-OECD-Staat stelle eine verbotene Verbringung dar. Die Rückfuhr von illegal verbrachten Abfällen sei nach Art 26 Abs 1 lit a und b der EU-VerbringungsVO notifizierungspflichtig. Die Vorgangsweise des BMLFUW war mit der Regierung von Niederbayern abgestimmt; diese erließ gegenüber der „P*****" am 12. 6. 2003 einen entsprechenden Bescheid, der mit einem weiteren Bescheid dahin ergänzt wurde, dass die P***** und der Frachtführer als Gesamtschuldner zur Rückfuhr und Entsorgung der Abfälle verpflichtet wurden. Mit Schreiben des BMLFUW vom 10. 9. 2003 wurde Dipl. Geol. Rainer K***** mitgeteilt, dass im Einvernehmen mit der Regierung von Niederbayern nunmehr auf ein Notifizierungsverfahren verzichtet worden sei. Daraufhin fuhr das Schiff am 19. 9. 2003 von Wien Richtung Passau, wo es am 21. 9. 2003 eintraf.

Mit Beschluss vom 16. 10. 2003, Zl. 2003/07/0088-5 wies der Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde des Dipl. Geol. Rainer K***** gegen den Bescheid des BMLFUW vom 6. 6. 2003 mit der Begründung zurück, dass die belangte Behörde die als Bescheid bezeichnete Erledigung an die „P*****" gerichtet habe. Als Beschwerdeführer trete jedoch „Dipl. Geol. Rainer K*****, Inhaber der Firma P*****" auf. An den so bezeichneten Beschwerdeführer sei der angefochtene Bescheid nicht gerichtet gewesen, sondern nur an die „P*****", die kein eigenes Rechtssubjekt sei. Der an die „P*****" gerichtete Bescheid sei daher ins Leere gegangen. Die Bezeichnung des Bescheidadressaten könne auch nicht dahin umgedeutet werden, dass sich dahinter der Beschwerdeführer verberge. Der Bescheidadressat sei unklar, sodass überhaupt kein Bescheid vorliege.

Die Frachtführerin stellte für die Liegetage in Wien vom 2. 6. bis inklusive 26. 9. 2003 an Liegegeld 2.213,28 EUR täglich (netto) sowie weiteres Liegegeld in Rechnung (insgesamt an Liegegeld 252.313,52 EUR). Darüber hinaus verrechnete die Frachtführerin an Frachtkosten für den Transport des Tiermehls von Deutschland nach Bulgarien 19.166,13 EUR und an Honoraren für Besprechungen in Wien und Bratislava 1.600 EUR.

Am 22. 1. 2004 trat Dipl. Geol. Rainer K***** alle seine Forderungen „aus dem rechtswidrigen Festhalten" des Schiffs im Hafen Wien/Hainburg gegen die Republik Österreich in Höhe von 322.239,40 EUR zuzüglich Anwaltskosten der nunmehrigen Klägerin ab, die die Abtretung zur Einziehung annahm.

Die Klägerin begehrte letztlich die Zahlung von 306.984,63 EUR sA aus dem Titel des Schadenersatzes für das ihr in Rechnung gestellte „Liegegeld", die frustrierten Frachtkosten und notwendige „Besprechungskosten". Sie brachte zusammengefasst vor, das Tiermehl sei sonderrisikomaterialfrei hergestellt worden. Eine Notifizierungspflicht habe nicht bestanden, weil kein Abfall, sondern ein Wertstoff vorgelegen sei. Aufgrund des (auch) inhaltlich rechtswidrigen „Nichtbescheids" vom 6. 6. 2003 sei das Schiff an der Weiterfahrt gehindert gewesen. Darüber hinaus wäre das Umweltministerium verpflichtet gewesen, amtswegig ein Verfahren zur Überprüfung der Abfalleigenschaft zu veranlassen.

Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, das Tiermehl sei Abfall im Sinne des AWG 2002. Die „P*****" habe nicht über die erforderliche Bewilligung des BMLFUW zur grenzüberschreitenden Verbringung des Tiermehls verfügt. Die Anhaltung durch die Zollbehörde sei rechtmäßig erfolgt. Ein Feststellungsverfahren sei nur durchzuführen, wenn begründete Zweifel an der Abfalleigenschaft einer Sache bestünden. Solche Zweifel seien nicht vorgelegen, weil nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs Tiermehl als Abfall zu qualifizieren sei. Der Bescheid vom 6. 6. 2003 sei jedenfalls inhaltlich richtig. Es sei eine illegale Verbringung gemäß Art 26 der VerbringungsVO vorgelegen. Ein Bescheid an den richtigen Bescheidadressaten hätte dieselben Folgen herbeigeführt, sodass ein Rechtswidrigkeitszusammenhang fehle. Das Erstgericht legte dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) mit Beschluss vom 8. 4. 2005, gemäß Art 234 EGV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

„1. Unterliegt die Verbringung (Durchfuhr bzw Rückfuhr) von Tiermehl, sei es sonderrisikomaterialfrei oder nicht, als Abfall der Notifizierungspflicht nach der EU-AbfVerbrVO?

In eventu:

2. Ist die Verbringung von Tiermehl, sei es sonderrisikomaterialfrei oder nicht, gemäß Art 1 Abs 2 lit d EU-AbfVerbrVO von der Anwendung der EU-AbfVerbrVO ausgenommen?

Bei Verneinung von Frage 2:

3. Ist die Verbringung (Durchfuhr bzw Rückfuhr) von

  1. a) sonderrisikomaterialfreiem oder
  2. b) sonderrisikomaterialhaltigem Tiermehl (eingestuft als Material nach 'Kategorie I' der EU-Nebenprodukteverordnung [VO (EG) 1774/2002 ]) Tiermehl, weil es sich um Abfall im Sinne der EU-AbfVerbrVO handelt, ohne Notifizierung und Zustimmung der betroffenen Behörden illegal nach Art 26 Abs 1 lit a und b EU-AbfVerbrVO?"

    Der Europäische Gerichtshof beantwortete in seinem Urteil vom 1. 3. 2007 diese Fragen zusammengefasst dahin, dass Tiermehl, das spezifiziertes Risikomaterial enthalte, als Abfall anzusehen sei. Wolle sich der Besitzer von Tiermehl, das kein spezifiziertes Risikomaterial enthalte, dessen entledigen, sei dieses Mehl als Abfall iSd Richtlinie 75/442 einzustufen. Eine Notifizierung könne hinsichtlich der Verbringung des Tiermehls nicht verlangt werden, wenn dieses bei seinem Rücktransport nach Deutschland weiterhin zur Verwertung bestimmt und von der „Grünen Liste" erfasst gewesen sei. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Entsprechend dem von der beklagten Partei erhobenen Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens sei zu prüfen gewesen, ob die im Bescheid des BMFLUW vom 6. 6. 2003 vertretene Rechtsansicht, es handle sich bei dem transportierten Tiermehl um Abfall im Sinne der EU-AbfVerbrVO, richtig war. Aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs sei abzuleiten, dass Tiermehl dann als Abfall zu qualifizieren sei, wenn es entweder sonderrisikomaterialbehaftet sei oder aber sein Besitzer sich dessen entledigen wolle. Tiermehl sei dann kein Abfall, wenn es sonderrisikomaterialfrei sei und überdies sich sein Besitzer nicht dessen entledigen, sondern es als Rohstoff verwerten wolle. Es sei nicht feststellbar gewesen, ob das Tiermehl - nach der zur Zeit seines Transports durch Österreich bzw der Erlassung des Bescheids vom 6. 6. 2003 geltenden Rechtslage - sonderrisikomaterialfrei gewesen sei. Die Beweislast für die Sonderrisikomaterialfreiheit - als anspruchsbegründende Tatsache - treffe die Klägerin. Die verbleibende Unklarheit gehe zu deren Lasten. Daraus folge, dass der Bescheid vom 6. 6. 2003 inhaltlich richtig gewesen sei. Ob kontaminiertes Tiermehl im Zuge seiner Verwertung als Brennstoff allenfalls kein erhöhtes Umweltrisiko in sich berge und daher nicht seinen Ausschluss von der „Grünen Liste" zur Folge hätte, müsse mangels entsprechenden Vorbringens nicht geprüft werden. Das Berufungsgericht änderte das erstinstanzliche Urteil dahin ab, dass es unter Einbeziehung der als unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Abweisung von 17.579,29 EUR sA das Klagebegehren im Teilbetrag von 65.081,75 EUR sA sowie einen Teil des weiteren Zinsenbegehrens (mittels Teilurteil) - unbekämpft - abwies. Im Übrigen, also im Umfang des Mehrbegehrens von 241.902,88 EUR sA hob es das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, dass gegen den Aufhebungsbeschluss der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens sei zulässig, weil aus der bisherigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung kein allgemeiner Grundsatz ableitbar sei, wonach dieser Einwand bei Verfahrensverstößen generell unzulässig wäre. Da Dipl. Geol. Rainer K***** als Inhaber der P***** den Bescheid erhalten und sich auch als dessen Adressat angesehen habe, sei der Einwand möglich, der Schaden wäre nicht entstanden, wenn - richtigerweise - er (persönlich) als Adressat angeführt worden wäre. Diesem Einwand könne aber nur dann Erfolg beschieden seien, wenn die Entscheidung des BMLFUW in materieller Hinsicht richtig gewesen sei. Die Beweislast dafür, dass auch bei pflichtgemäßem Verhalten der Schaden nicht hätte abgewendet werden können, treffe die beklagte Partei. Diese habe zu behaupten und zu beweisen, dass es sich beim Tiermehl um notifizierungspflichtigen Abfall gehandelt habe. Da nicht feststehe, dass das Tiermehl spezifiziertes Risikomaterial enthalten habe, gehe dies zu Lasten der beklagten Partei. Von einer Entledigungspflicht sei also nicht auszugehen, weshalb daraus die Abfalleigenschaft nicht definiert werden könne. Es sei demnach zu prüfen, ob das Tiermehl Abfall war, weil sich sein Besitzer dessen entledigen wollte. Maßgeblicher Zeitpunkt für diese Prüfung sei das Datum der Bescheiderlassung durch das BMFLUW, also der 6. 6. 2003. Zu diesem Zeitpunkt habe sich das Tiermehl, nachdem der Transport nach Bulgarien gescheitert war, auf dem Rücktransport nach Deutschland befunden. Es sei daher zu prüfen, welchen Verwendungszweck der Besitzer zum damaligen Zeitpunkt im Auge gehabt habe, insbesondere ob eine weitere Verwertung vorgesehen gewesen sei und ob der Preis für eine solche Verwertung die allfällig bisher entstandenen Kosten abgedeckt hätte. Die Frage, ob das Kraftwerk in Bulgarien die entsprechende Genehmigung zur Verbrennung des Tiermehls besitze, sei nicht relevant. Habe Dipl. Geol. Rainer K***** keinen Entledigungswillen gehabt, dann sei das Tiermehl nicht als Abfall zu qualifizieren und nicht notifizierungspflichtig. Ergebe sich im fortgesetzten Verfahren hingegen ein Entledigungswille, dann sei das Tiermehl als Abfall anzusehen und käme die EU-AbfVerbrVO zur Anwendung. Wäre in diesem Fall das Tiermehl bei seinem Rücktransport nach Deutschland ausschließlich zur Verwertung in einer zugelassenen Anlage bestimmt gewesen, wäre eine Notifizierung nicht erforderlich gewesen. Allerdings sei vorgesehen, dass Abfälle nicht als Abfälle der „Grünen Liste" befördert werden dürfen, falls sie mit anderen Materialien in einem Ausmaß kontaminiert sind, dass die mit dem Abfall verbundenen Risken soweit erhöht wurden, dass sie auf die „Gelbe" oder „Rote Liste" gesetzt werden müssten oder dass die umweltverträgliche Verwertung des Abfalls unmöglich geworden sei. Auch für diese Ausnahme sei die beklagte Partei behauptungs- und beweispflichtig. Da Feststellungen zur Abfalleigenschaft des Tiermehls und dazu fehlten, ob die Ausnahme von der Notifizierungspflicht nach Art 1 Abs 3a der Verordnung Nr. 259/93 gegolten habe, erweise sich die Rechtssache im Umfang der Aufhebung als noch nicht spruchreif.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof ist zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens ist bei der hier zu beurteilenden Konstellation zulässig. Der den Bescheid vom 6. 6. 2003 erlassenden Behörde unterlief ein Verfahrensverstoß, weil sie als Bescheidadressaten die Etablissementbezeichnung des vom „wahren Bescheidadressaten" betriebenen nicht protokollierten Einzelunternehmens benannte. Der Bescheid kam dem „wahren Adressaten" - insoweit unbeanstandet - zu, er betrachtete sich auch als Adressat dieses Bescheids. Unter Bedachtnahme auf den Hauptzweck der richtigen Benennung eines Bescheidadressaten - nämlich diesem unzweifelhaft vor Augen zu führen, dass er der vom Bescheid Betroffene ist -, kann nicht zweifelhaft sein, dass ein solcher Verfahrensverstoß den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens nicht ausschließt (vgl 1 Ob 5/93; RIS-Justiz RS0027498).

Die Klägerin hat in ihrer Rekursbeantwortung keine Argumente gegen die Richtigkeit dieser Rechtsansicht ins Treffen geführt, die Beklagte betont in ihren Rekursausführungen sogar deren Richtigkeit. Weitere tiefschürfende Ausführungen hiezu sind daher entbehrlich.

2. Der Beweis, dass der Schaden auch bei rechtmäßigem Verhalten eingetreten wäre, obliegt dem rechtswidrig handelnden Schädiger, hier also der beklagten Partei (SZ 64/23; RIS-Justiz RS0022895). Mit diesem Grundsatz steht die Rechtsansicht des Berufungsgerichts im Einklang, die beklagte Partei habe den Beweis darüber zu erbringen, dass das Tiermehl mit dem Bescheid vom 6. 6. 2003 zu Recht als notifizierungspflichtiger Abfall eingestuft worden sei.

3. Mit dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung können Feststellungen der Untergerichte nur angefochten werden, soweit sie auf Schlussfolgerungen beruhen, die gegen Gesetze der Logik und der Erfahrung verstoßen (vgl Kodek in Rechberger³ § 503 ZPO Rz 26 mwN). Dies trifft hier nicht zu. Das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, die Tatsache, dass in den Monaten Oktober/November 2000 in einer bestimmten Tierkörperverwertungsanstalt noch Rinderdärme verarbeitet worden waren, lasse keinen zwingenden Schluss darauf zu, dass auch in dem von Dipl. Geol. Rainer K***** erworbenen Tiermehl tatsächlich Rinderdärme enthalten waren, mag dieses Tiermehl auch (zumindest teilweise) im Jahr 2000 in der genannten Tierkörperverwertungsanstalt erzeugt worden sein. Dass diese Schlussfolgerung durch eine andere allenfalls mögliche - etwa die von der beklagten Partei gewünschte gegenteilige - ersetzt werden könnte, reicht für den Revisionsgrund nach § 503 Z 4 ZPO nicht aus (RIS-Justiz RS0043307). Da der Oberste Gerichtshof keine Tatsacheninstanz ist, ist es nicht seine Aufgabe zu überprüfen, ob die vom Berufungsgericht aufgrund seiner Beweiswürdigung getroffenen Schlussfolgerungen auch richtig sind (RIS-Justiz RS0043150).

4. Die Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs entfaltet bindende Wirkung für das Verfahren vor dem österreichischen Gericht in allen Instanzen, und zwar nicht nur in ihrem Tenor, sondern auch in den tragenden Entscheidungsgründen (EuGH Slg 1986, 947; Schragel in Fasching/Konecny² II/2 § 190 ZPO Rz 5). Die Entscheidung des Berufungsgerichts weicht von der Vorabentscheidung nicht ab:

a) Die Frage, ob das Tiermehl spezifiziertes Risikomaterial enthält oder nicht, ist nach den erstgerichtlichen Feststellungen offen gelassen. Nur wenn festgestellt worden wäre, das von Dipl. Geol. Rainer K***** angekaufte Tiermehl habe Sonderrisikomaterial enthalten, wäre es als Material der Kategorie 1 im Sinne von Art 4 Abs 1 Buchstabe b Ziff i der VO 1774/2002 und damit jedenfalls als Abfall einzustufen (Erwägungsgrund 54). Zur Vermeidung des Seuchenrisikos bestünde diesfalls die Pflicht entweder zur Beseitigung durch Verbrennen in einer zugelassenen Verbrennungsanlage oder zur Verarbeitung in einem zugelassenen Verarbeitungsbetrieb, um schließlich als Abfall verbrannt oder mitverbrannt zu werden oder aber die Pflicht zur Beseitigung durch Vergraben auf einer zugelassenen Deponie (Erwägungsgrund 55 f). Falls das Tiermehl hingegen sonderrisikomaterialfrei sei, könnte es unter „Material der Kategorie 3" fallen. Im Gegensatz zu Material der Kategorie 1 wäre es dann nicht ausschließlich zur Beseitigung bestimmt, sondern darf das Material zu Erzeugnissen von wirtschaftlichem Wert verarbeitet oder als Rohstoff in einem Heimtierfutterbetrieb verwendet werden (Erwägungsgründe 58 und 59). Entgegen den Rekursausführungen ergibt sich aus der Verordnung Nr. 1774/2002 somit keine uneingeschränkte Pflicht, sich eines Stoffes wie Tiermehl zu entledigen, sofern es kein Sonderrisikomaterial enthält (siehe Erwägungsgrund 59).

b) Das Berufungsgericht erachtete die ergänzende Verhandlung und neuerliche Entscheidung durch das Erstgericht für erforderlich, weil nicht festgestellt werden konnte, dass das Tiermehl spezifiziertes Risikomaterial enthalten hätte, nicht feststehe, ob das Tiermehl Abfall sei und keine Feststellungen vorhanden seien, die eine Beurteilung zuließen, ob sich Dipl. Geol. Rainer K***** zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung des Tiermehls entledigen wollte oder nicht. Diese Rechtsansicht findet ihre Grundlage im Erwägungsgrund 64 der Vorabentscheidung, nach dem es Sache des vorlegenden Gerichts sei, entsprechend der in den drei vorstehenden Randnummern genannten Rechtsprechung zu prüfen, ob sich der Besitzer des Tiermehls am 6. 6. 2003 dessen habe entledigen wollen. Dem Rekursvorbringen, bereits auf Grundlage der vorhandenen Feststellungen stehe die Unmöglichkeit der gewinnbringenden Verwertung bzw deren Unwirtschaftlichkeit fest, ist entgegenzuhalten, dass dann, wenn die dem Aufhebungsbeschluss zugrunde liegende Rechtsansicht richtig ist, dem Obersten Gerichtshof die Überprüfung verwehrt ist, ob die Verfahrensergänzung tatsächlich notwendig ist ( Kodek in Rechberger3, § 519 ZPO Rz 26 mwN).

c) Wie der EuGH im Erwägungsgrund 60 seiner Vorabentscheidung ausführt, ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung, ob das Tiermehl als Abfall einzustufen ist, das Datum der Bescheiderlassung im Anlassverfahren, somit der 6. 6. 2003. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Tiermehl bereits auf dem Rücktransport durch Österreich, ohne dass es seinen ursprünglichen Bestimmungsort - das Kraftwerk in Bulgarien - jemals erreicht hatte. Ist die Abfalleigenschaft aber erst zum 6. 6. 2003 - bezogen auf den Rücktransport - zu prüfen, bleibt die Frage, ob das bulgarische Kraftwerk über die entsprechende Genehmigung zur Verbrennung des Tiermehls verfügt hätte, ohne Einfluss.

Dem Rekurs ist daher ein Erfolg zu versagen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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