OGH 9ObA13/09s

OGH9ObA13/09s26.1.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gillinger und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei F***** F*****, Arbeiter, *****, vertreten durch die Nusterer & Mayer Rechtsanwälte OG in St. Pölten, gegen die beklagte Partei W***** A*****, Transportunternehmer, *****, vertreten durch die Brandstetter Pritz & Partner Rechtsanwälte KEG in Wien, wegen 4.495,06 EUR brutto sA (Revisionsinteresse 4.358,50 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. November 2008, GZ 7 Ra 129/08d-17, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 25. Juli 2008, GZ 27 Cga 35/08z-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie einschließlich der bereits in Rechtskraft erwachsenen teilweisen Klageabweisung durch das Erstgericht insgesamt wie folgt zu lauten haben:

„Das Klagebegehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 4.495,06 EUR brutto samt 11,19 % Zinsen seit 1. 1. 2008 binnen 14 Tagen zu bezahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der Wirtschaftskammer NÖ den pauschalierten Aufwandersatz von 580 EUR und die Barauslagen von 41,39 EUR für das Verfahren erster Instanz und den pauschalierten Aufwandersatz von 370 EUR und die Barauslagen von 467 EUR für das Berufungsverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.031,98 EUR (darin 74,66 EUR USt und 584 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war beim Beklagten als Kraftfahrer im Baugewerbe beschäftigt, und zwar vom 6. 9. 2000 bis 10. 12. 2000, vom 2. 4. 2001 bis 7. 1. 2002, vom 2. 4. 2002 bis 2. 6. 2002, vom 2. 6. 2003 bis 18. 12. 2003, vom 29. 3. 2004 bis 31. 12. 2004, vom 29. 3. 2005 bis 28. 12. 2005, vom 2. 4. 2006 bis 22. 12. 2006 und vom 10. 4. 2007 bis 31. 12. 2007. Die Arbeitsverhältnisse, die dem Kollektivvertrag für das Güterbeförderungsgewerbe für Arbeiter unterlagen, wurden - abgesehen vom Zivildienst des Klägers in der Zeit vom 3. 6. 2002 bis 1. 6. 2003 - stets im Winter saisonbezogen beendet, und zwar am 7. 1. 2002 durch Arbeitgeberkündigung, sonst jeweils durch einvernehmliche Auflösung. Anlässlich der jährlichen Beendigung fand jeweils eine Endabrechnung der Ansprüche des Klägers statt. Der Kläger wurde im Winter bei der Gebietskrankenkasse abgemeldet, erhielt jedoch eine Wiedereinstellungszusage für das kommende Frühjahr. Beide Teile gingen davon aus, dass der Kläger im Frühjahr wieder für den Beklagten arbeiten werde. Der konkrete Tag des Wiedereinstiegs nach der Winterpause wurde zwischen den Parteien telefonisch vereinbart. Weitere Vereinbarungen wurden zwischen den Parteien nicht getroffen, insbesondere auch nicht über eine Anrechnung von Vordienstzeiten. Der Kläger war jeweils in den Wintermonaten beim Arbeitsmarktservice arbeitslos gemeldet.

Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Klage nach Ausdehnung des Klagebegehrens eine Abfertigung in der Höhe von 4.495,06 EUR brutto sA und führt dazu aus, dass er beim Beklagten vom 6. 9. 2000 bis 31. 12. 2007 beschäftigt gewesen sei. Das Arbeitsverhältnis, das letztlich durch einvernehmliche Auflösung beendet worden sei, sei im genannten Zeitraum mehrmals unter Ausstellung einer Wiedereinstellungszusage saisonal „unterbrochen" worden. Insgesamt ergebe sich unter Herausrechnung der beschäftigungslosen Zeit eine Gesamtbeschäftigungsdauer von 5,7 Jahren. Aufgrund dieser Dauer des Arbeitsverhältnisses stehe dem Kläger ein Abfertigungsanspruch zu. Dessen Berechnung sei der Durchschnittsverdienst der letzten drei Monate zugrundegelegt worden. Der Kläger sei vom Beklagten ohne schriftliche Vereinbarung und ohne Zustimmung in die „Abfertigung neu" übernommen worden. Der Anspruch in der Höhe von 1.026,83 EUR brutto, den der Kläger bei der Mitarbeitervorsorgekasse erworben habe, sei bei Berechnung der Abfertigung bereits abgezogen worden.

Der Beklagte bestritt das Klagevorbringen, beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, dass es sich bei den vom Kläger genannten Zeiträumen um jeweils neue Arbeitsverhältnisse ohne Anrechnung von Vordienstzeiten gehandelt habe. Nach jeder Beendigung sei eine Endabrechnung des Arbeitsverhältnisses durchgeführt worden. Für Arbeitsverhältnisse nach dem 31. 12. 2002 gelte das Betriebliche Mitarbeitervorsorgegesetz. Der Kläger habe keinen Abfertigungsanspruch gegen den Beklagten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von 4.358,50 EUR brutto sA statt, während es das Mehrbegehren des Klägers von 136,56 EUR brutto sA abwies. Die Parteien haben der Art der Lösung des Arbeitsverhältnisses keine besondere Beachtung geschenkt und eine Konstruktion gewählt, die den Anspruch auf Arbeitslosengeld nach sich ziehe. Insgesamt ergebe die Auslegung der Absicht der Parteien gemäß § 914 ABGB, dass es sich um Karenzierungen gehandelt habe. Es sei daher die Gesamtdauer der vom Kläger beim Beklagten verbrachten Zeiten heranzuziehen. Dem Kläger gebühre eine Abfertigung von 4.358,50 EUR brutto. Deren Berechnung seien jedoch die Monate Oktober bis Dezember 2007 - und nicht September bis November 2007 - zugrundezulegen gewesen, woraus die Abweisung des Mehrbegehrens von 136,56 EUR brutto sA resultiere.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Die Gesamtbeurteilung spreche für eine Karenzierung und gegen eine Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses. Sollte der Arbeitnehmer aufgrund einer Absprache nur vorübergehend mit der Arbeit aussetzen, sodass der Arbeitgeber auf diesen zu einem späteren Zeitpunkt wieder zugreifen könne, so sei im Allgemeinen eine Aussetzung im Sinn einer Karenzierung anzunehmen. Die vertragliche Bindung sollte nämlich nicht abgebrochen, sondern lediglich auf unbestimmte Zeit suspendiert werden (8 ObA 152/99g). Die Parteien haben bei der jeweiligen Aussetzung des Arbeitsverhältnisses den Abfertigungsanspruch nicht abgerechnet und einen bestimmten Zeitpunkt für die Wiederaufnahme der Arbeit vorgesehen. Auch daraus ergebe sich nach den §§ 914 ff ABGB unter Erforschung der wahren Parteienabsicht das Vorliegen einer Karenzierung des fortbestehenden Vertragsverhältnisses. Das Ersturteil sei daher zu bestätigen. Die ordentliche Revision sei im Hinblick auf die Einzelfallbezogenheit der Berufungsentscheidung nicht zulässig.

Gegen die Entscheidung zweiter Instanz richtet sich die außerordentliche Revision des Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, das Klagebegehren abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in der freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist gemäß § 502 Abs 1 ZPO zulässig; sie ist auch im Sinn der begehrten Abänderung berechtigt.

Unstrittig unterlag die arbeitsvertragliche Beziehung der Parteien dem Kollektivvertrag für das Güterbeförderungsgewerbe für Arbeiter (KollV). Hieraus ergibt sich jedoch für die hier streitgegenständliche Problematik der Aussetzung oder Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses nichts Wesentliches. Für Arbeitsverhältnisse, die vor dem 1. 1. 2003 begonnen haben, gilt laut Art XVI KollV das Arbeiter-Abfertigungsgesetz; für Arbeitsverhältnisse, die nach dem 31. 12. 2002 begonnen haben, gilt das Betriebliche Mitarbeitervorsorgegesetz (seit der Novelle BGBl I 2007/102 in Betriebliches Mitarbeiter- und Selbständigenvorsorgegesetz umbenannt). Der Kläger geht von einem vor dem 1. 1. 2003, nämlich bereits am 6. 9. 2000, begonnenen Arbeitsverhältnis aus. Er steht daher auf dem Standpunkt, dass für ihn das Arbeiter-Abfertigungsgesetz (ArbAbfG), BGBl 1979/107, gelte. Gemäß § 2 Abs 1 ArbAbfG sind auf die nach diesem Gesetz gebührende Abfertigung die §§ 23 und 23a AngG anzuwenden. Es ist daher gemäß § 23 Abs 1 AngG entscheidend, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien ununterbrochen mindestens drei Jahre gedauert hat.

Ob die Parteien eine Unterbrechung oder eine - keine Beendigung darstellende - bloße Karenzierung (= Aussetzung) des Arbeitsverhältnisses vereinbart haben, ist aus dem nach den §§ 914 ff ABGB unter Erforschung der wahren Parteienabsicht zu ermittelnden Inhalt der zwischen den Arbeitsvertragsparteien abgeschlossenen Vereinbarung(en) zu beurteilen (9 ObA 147/98b; RIS-Justiz RS0017802 ua). Dabei ist nicht so sehr auf die Wortwahl der Parteien anzustellen, weil in diesem Zusammenhang häufig wenig Wert auf Präzisierung gelegt wird und die Parteien solchen Gesprächsinhalten über Wiedereinstellungszusagen oder Wiedereinstellungsvereinbarungen zumeist wenig Bedeutung zumessen (9 ObA 11/99d ua). Entscheidend ist, ob aufgrund einer Gesamtsicht die Merkmale, die für das Vorliegen einer Unterbrechungsvereinbarung sprechen, gegenüber den Merkmalen, die auf das Vorliegen einer bloßen Karenzierungsvereinbarung hindeuten, überwiegen (9 ObA 216/97y ua). Insbesondere dann, wenn die Absicht bestand, dem Arbeitnehmer den Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung zu ermöglichen, ist eher von einer echten Unterbrechung auszugehen als von einer bloßen Karenzierung, setzt doch die Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld Arbeitslosigkeit, also die Unterbrechung (Beendigung) des Arbeitsverhältnisses voraus (RIS-Justiz RS0111501 ua). Im Einzelfall kann die Erforschung des Parteiwillens aber auch in einem derartigen Fall zum gegenteiligen Ergebnis führen (vgl 9 ObA 147/98b ua). Hier deutet aber nicht nur das geplante „Stempelngehen" des Klägers auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Wiedereinstellungszusage hin, sondern auch die jeweilige Endabrechnung des Arbeitsverhältnisses und die Abmeldung des Klägers bei der zuständigen Gebietskrankenkasse durch den Beklagten (vgl 9 ObA 222/97f; 8 ObA 58/88g; 8 ObA 39/03y; 8 ObS 3/06h ua). Dabei wird nicht verkannt, dass die Abmeldung bei der Sozialversicherung als bloße Wissenserklärung eine Karenzierungsvereinbarung nicht ausschließt (vgl 8 ObA 216/96 ua); die Abmeldung spricht hier aber nicht für eine Karenzierung, sondern in Verbindung mit den anderen Umständen für eine Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses.

Entgegen der Auffassung des Klägers und der Vorinstanzen spricht auch sonst kaum etwas für eine Karenzierung. Dass sich die Parteien beispielsweise wenig Gedanken über die Art der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemacht haben, ist richtig und deckt sich mit der auch in vergleichbaren Prozessen gewonnenen Erfahrung. Dieser Umstand spricht aber nicht für eine Karenzierung, sondern kommt bei beiden Varianten vor. Wenn auch die Art der Beendigung des Arbeitsverhältnisses den Parteien wenig wichtig war, so ging es ihnen doch darum, durch eine wiederkehrende Beendigung des Arbeitsverhältnisses dem Kläger den Bezug von Arbeitslosengeld zu ermöglichen. Die offenen Ansprüche des Klägers blieben auch nicht bis zur Wiedereinstellung stehen, sondern wurden endgültig abgerechnet. Aus dem Hinweis des Berufungsgerichts, dass die Abfertigung nicht abgerechnet wurde, ist für eine Karenzierung nichts zu gewinnen. Da hier nämlich, soweit es das Regime des ArbAbfG betrifft kein Beschäftigungszeitraum des Klägers beim Beklagten für sich betrachtet mindestens drei Jahre gedauert hat, gab es keinen Abfertigungsanspruch, der abzurechnen gewesen wäre (vgl 8 ObA 58/98g ua). Auch aus 8 ObA 152/99g ist für den Standpunkt des Klägers nichts zu gewinnen. Im dort beurteilten Fall fehlte eine Endabrechnung der Ansprüche des Arbeitnehmers, die hier jedoch jeweils erfolgt ist.

Bei der anzustellenden Gesamtsicht gibt es somit im vorliegenden Fall keine überzeugenden Anhaltspunkte für eine Parteienabsicht, die für eine bloße Karenzierung spricht. Die gegenteilige Auffassung der Vorinstanzen ist unbegründet (vgl 9 ObA 249/99d; 9 ObA 231/01p ua). Der Revision des Beklagten ist daher Folge zu geben. Die vorinstanzlichen Entscheidungen sind im Sinn der Klageabweisung abzuändern.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO und § 58a ASGG iVm § 1 Aufwandersatzgesetz, BGBl 1993/28, und § 1 Aufwandersatzverordnung, BGBl II 2007/365.

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