OGH 6Ob152/09k

OGH6Ob152/09k5.8.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann-Prentner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Parteien 1. c***** Gesellschaft m.b.H., *****, 2. Claudia B*****, beide vertreten durch Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei und Gegner der gefährdeten Parteien Gerald G*****, vertreten durch Gheneff - Rami - Sommer Rechtsanwälte KEG in Wien, wegen Unterlassung und Widerrufs, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei und Gegner der gefährdeten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 3. Juni 2009, GZ 6 R 84/09h-13, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Die Kläger beantragten zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsbegehrens die einstweilige Verfügung, dem Beklagten werden die - insbesondere in einer Presseaussendung erhobenen - Behauptungen „Im Falle der Ö*****-nahen G***** Werbeagentur ortet das B***** schwerwiegende Mängel bei der Auftragsvergabe von Werbemaßnahmen der G*****-AG und der Stadt G*****" und/oder „Das, was sich hier offenbart, ist Sodom und Gomorrha in Reinkultur" und/oder „Auch der Verdacht der illegalen Parteienfinanzierung durch die Bevorzugung von Werbeunternehmen gehört restlos aufgeklärt" und/oder „Alles in allem ein klassischer Fall für die Korruptions-Staatsanwaltschaft" und/oder sinngleiche Behauptungen verboten.

Der Beklagte wandte ein, er bekleide eine Reihe politischer Ämter und Funktionen, unter anderem sei er Nationalratsabgeordneter, Mitglied des Rechnungshofausschusses des Nationalrats und Gemeinderat. Es gehöre deshalb zu seinen Aufgaben, Ungereimtheiten der verfahrensgegenständlichen Art aufzugreifen und an die Öffentlichkeit zu bringen. Er habe in den inkriminierten Äußerungen lediglich konkrete, durchaus sachlich begründete Verdachtsmomente wiedergegeben und damit innerhalb des Rahmens der Meinungs- und Informationsfreiheit gehandelt. Es bestehe in Anbetracht der involvierten Personen und Institutionen ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Kenntnis der geäußerten Verdachtslage. Das Erstgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung. Die in der Klage vorgebrachten Umstände und Äußerungen seien im Wesentlichen unstrittig, Bescheinigungsmittel zur Wahrheit des geäußerten Verdachts habe der Beklagte nicht angeboten. In ihrem Gesamtzusammenhang und aus der Sicht eines redlichen Mitteilungsempfängers könnten die vom Beklagten getätigten Äußerungen nur so verstanden werden, dass er voll und ganz hinter dem geäußerten Verdacht steht und ihn für richtig hält. Er könne sich auch nicht darauf berufen, bloß im Interesse der Öffentlichkeit einen bestehenden Verdacht verbreitet zu haben, vielmehr sei er selbst der Urheber der Verdächtigungen.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es verneinte das Vorliegen der vom Beklagten gerügten Feststellungsmängel und billigte die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts. Mangels eines ausreichenden und richtigen Tatsachensubstrats für die verbreiteten Verdächtigungen und Verunglimpfungen könne sich der Beklagte nicht erfolgreich mit seinem Recht auf freie Meinungsäußerung rechtfertigen. Die Klägerinnen seien auch keine Gegner des Beklagten in einem politischen Meinungsstreit, sodass ihnen - anders als Politikern - kein erhöhtes Maß an Toleranz abverlangt werden könne. Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands im Provisorialverfahren - ungeachtet des von den Klägerinnen mit nur 19.620 EUR angesetzten Streitwerts - wegen der Bedeutung seines Ausgangs für das Hauptverfahren den Betrag von 20.000 EUR übersteige, erklärte den Revisionsrekurs jedoch mangels erheblicher Rechtsfrage für nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß Art 16 Abs 4 des BudgetbegleitG BGBl I 2009/52 ist dessen Art 16 (richtig offenkundig: Art 15) Z 24 über die Erhöhung der Wertgrenzen des § 528 Abs 2 Z 1a ZPO nur auf Entscheidungen der zweiten Instanz anzuwenden, deren Datum nach dem 30. Juni 2009 liegt. Dies ist hier nicht der Fall.

In seinem außerordentlichen Revisionsrekurs macht der Beklagte geltend, das Rekursgericht sei von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zum Umfang des Schutzbereichs des Art 10 MRK, welcher nur im Falle eines massiven Wertungsexzesses überschritten werde, sowie zur Unanwendbarkeit des § 1330 ABGB bei bloßer Behauptung eines Tatverdachts abgewichen.

Der Beklagte bringt in seinen Ausführungen keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO zur Darstellung, sodass der außerordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig ist:

1. Ob eine andere Beurteilung der festgestellten Äußerung vertretbar gewesen wäre (RIS-Justiz RS0107768) und ob eine bestimmte Äußerung als Wertungsexzess zu qualifizieren ist (RIS-Justiz RS0113943), sind Fragen des Einzelfalls, denen in der Regel keine erhebliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zukommt. Dies gilt auch für die Frage, wie eine Behauptung auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs im Einzelfall zu verstehen ist (4 Ob 18/04g; 6 Ob 153/06b).

Der Beklagte übersieht, dass die vom Recht auf freie Meinungsäußerung geschützte politische Diskussion und die Information über wichtige Angelegenheiten des öffentlichen Interesses - wozu zweifellos die Aufdeckung politischer Korruption zählt - durchaus in einer sachlichen, reißerische persönliche Verunglimpfungen („Sodom und Gomorrha") sowie Vorverurteilungen, denen kein bescheinigtes Tatsachensubstrat gegenübersteht, vermeidenden Form ausgeübt werden kann, ohne dass darunter ihre gebotene Aufmerksamkeitswirkung leiden müsste.

Die Klägerinnen sind weder Politiker, bei denen nach der Rechtsprechung die Grenzen noch zulässiger Kritik an der Ausübung ihres Amtes weiter gesteckt werden als bei Privatpersonen, noch haben sie selbst mit eigenen Stellungnahmen im gegenständlichen Zusammenhang die politische Bühne betreten (vgl RIS-Justiz RS0115541). Es handelt sich, anders als in der im Revisionsrekurs zitierten Entscheidung 6 Ob 218/08i, bei den Klägerinnen nach dem bescheinigten Sachverhalt nicht um „public figures", von denen eine besonders erhöhte Kritiktoleranz zu fordern wäre.

Wenn die Vorinstanzen die inkriminierten Äußerungen des Beklagten auf Grundlage des bescheinigten Sachverhalts als nicht bloß überspitzt, sondern exzessiv gewertet haben, kann darin keine aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Überschreitung des ihnen offen stehenden Bewertungsspielraums erblickt werden.

2. Zu den Ausführungen des Beklagten, er habe bloß einen Tatverdacht wiedergegeben, ohne sich damit zu identifizieren, ist auf die zutreffende Begründung des Rekursgerichts zu verweisen. Bloße Verdächtigungen fallen grundsätzlich unter § 1330 Abs 2 ABGB, weil diese Bestimmung bei anderer Auslegung gegen geschickte Formulierungen wirkungslos wäre (RIS-Justiz RS0031816). Nach dem bescheinigten Sachverhalt war der Beklagte nicht Verbreiter, sondern selbst Urheber der inkriminierten Vorwürfe und Verdächtigungen, mit denen er sich ohne erkennbaren Vorbehalt identifiziert hat. Aus der im außerordentlichen Revisionsrekurs zitierten Rechtsprechung, die sich jeweils auf Fälle von Medienberichterstattung und die besondere Schutzwürdigkeit der Pressefreiheit bezieht (RIS-Justiz RS0102056), kann der Beklagte, der kein Medieninhaber ist, sondern als Presseinformant auftrat, für seinen Standpunkt nichts Günstigeres ableiten.

Der Revisionsrekurswerber bringt somit keine Rechtsfragen der in § 528 Abs 1 ZPO geforderten Qualität zur Darstellung, sodass der außerordentliche Revisionsrekurs spruchgemäß zurückzuweisen war.

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