Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil zur Gänze wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 9.816,86 EUR (darin 856,81 EUR USt und 4.676 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zweiter und dritter Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger wurde mit Wirkung vom 1. 1. 2001 in ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Dienstverhältnis zur beklagten Partei übernommen und gleichzeitig für diesen Zeitraum zum Geschäftsführer bestellt.
Im Dienstvertrag bestand hinsichtlich des Urlaubs nachstehende Regelung:
„Ihr Anspruch auf Gebührenurlaub - den Sie im Einvernehmen mit den übrigen Mitgliedern der Geschäftsleitung unter tunlichster Berücksichtigung der Betriebsverhältnisse in Anspruch nehmen werden - beträgt 35 Arbeitstage pro Kalenderjahr."
Im Jahr 2001 war der Kläger zunächst einer von drei handelsrechtlichen Geschäftsführern. Im Juli 2001 fassten die Gesellschafter den Entschluss, dass für die beklagte Partei lediglich ein Alleingeschäftsführer tätig sein sollte. Mit Umlaufbeschluss der beiden Gesellschaftervertreter vom 17. 7. 2001 wurden der Kläger und ein weiterer Geschäftsführer mit sofortiger Wirkung als Geschäftsführer der beklagten Partei abberufen und überdies festgehalten, den Kläger und den ebenfalls abberufenen Geschäftsführer bis auf weiteres von ihrer Verpflichtung zur Dienstleistung für die Gesellschaft zu entbinden. Noch am selben Tag suchte ein Mitarbeiter der beklagten Partei in Begleitung eines Rechtsanwalts den Kläger in seinem Büro auf, überreichte ihm eine Ausfertigung des Gesellschafterbeschlusses und teilte ihm mit, dass für die Abberufung kein Grund in seiner Person liege, sondern dies vielmehr der Wunsch des neuen Eigentümers sei. Der Mitarbeiter teilte dem Kläger auch mit, dass er mit ihm umgehend Verhandlungen über eine vorzeitige Auflösung seines befristeten Vertrags führen sollte. Nicht feststellbar ist, dass im Zug dieses Gesprächs die Bemerkung fiel, dass der Kläger jederzeit wieder zum Dienst einberufen werden könne. Dem Kläger wurden die Schlüssel abgenommen und sein PC-Zugang gesperrt. Er betrat ab diesem Tag auch nicht mehr sein Büro. Mehrere Gespräche zwischen Repräsentanten der beklagten Partei und dem Kläger über die Auflösung seines Dienstverhältnisses brachten kein Ergebnis.
Im Oktober 2002 wurde dem Geschäftsführer der beklagten Partei mitgeteilt, dass der Kläger von dem ab 1. 1. 2001 angefallenen Urlaub lediglich einen Arbeitstag als Urlaub gemeldet hatte. Zwischen Mitte Oktober 2002 und Ende März 2004 fand eine rege Korrespondenz zwischen der beklagten Partei und dem Kläger statt, in der die beklagte Partei den Kläger zur Nachreichung der Urlaubsmeldungen für das Urlaubsjahr 2001 und den rechtzeitigen Verbrauch des Urlaubs für das Jahr 2002 aufforderte und den Rechtsstandpunkt vertrat, dass es nicht im Belieben des Klägers liege, bei vollständiger Dienstfreistellung seine Freizeit nicht als Urlaub anzusehen, zumal der Urlaub möglichst bis zum Ende des Urlaubsjahrs, in dem der Anspruch entstanden sei, zu verbrauchen sei. Der Kläger vertrat den Standpunkt, seit dem 17. 7. 2001 keinen Urlaub konsumiert zu haben und vorläufig auch keinen Urlaub zu planen. Der Verbrauch des Urlaubsanspruchs sei von der beklagten Partei nicht angeboten worden und laute die Dienstfreistellung auf jederzeitigen Widerruf. Ebenso wenig sei eine Realannahme eines Urlaubsanbots erfolgt und wäre ein derartiger Urlaubskonsum aus verschiedenen Gründen auch unzumutbar. Mit Schreiben vom 3. 3. 2003 hielt die beklagte Partei im Zuge einer neuerlichen Aufforderung an den Kläger zur Vorlage von Urlaubsmeldungen fest, dass der Kläger vom Dienst freigestellt sei und während des zu fixierenden Urlaubs nicht zum Dienst einberufen werden könne.
Die jeweiligen Positionen wurden im Schreiben des Klagevertreters vom 17. 3. 2003 an den Beklagtenvertreter und in einem Schreiben des Aufsichtsratsvorsitzenden an den Kläger vom 23. 3. 2004 wiederholt.
Der Kläger verfügt in Wien über eine Mietwohnung, in L***** über ein Einfamilienhaus.
Seit Ende 2000 litt die Gattin des Klägers an einer Darmkrebserkrankung. Sie wurde zwischen November 2000 und März 2001 zweimal operiert, musste bis Mitte 2001 eine belastende Chemotherapie absolvieren und befand sich anschließend auch im Jahr 2002 regelmäßig bei Kontrolluntersuchungen. Die Behandlungen endeten am 7. 1. 2003, danach folgten sporadische Untersuchungen. Es ist nicht feststellbar, dass sich der Kläger allein oder in Begleitung seiner Ehefrau in der Zeit bis Ende 2005 zu einem Erholungsurlaub im Ausland aufhielt. Feststellbar ist, dass sich der Kläger immer wieder, insbesondere in der warmen Jahreszeit, mit seiner Gattin im Einfamilienhaus in L***** aufhielt. Der Kläger nützte den Umstand, dass er seiner Arbeitstätigkeit nicht nachgehen musste, auch dazu, sich alleine oder gemeinsam mit seiner Gattin Freizeittätigkeiten zu widmen und sich zu erholen. Ein Urlaubsverbrauch im Sinn eines Ortswechsels und Aufenthalts an einem Urlaubsort im In- oder Ausland war dem Kläger im gesamten Zeitraum (auch finanziell) möglich.
Der Kläger begehrt mit seiner am 30. 3. 2006 eingelangten Klage 128.592,96 EUR brutto sA an Urlaubsersatzleistung für 174 Arbeitstage. Die rechtswidrige Aufforderung an ihn, Urlaubsmeldungen nachzureichen, ändere nichts an seinen Ansprüchen. Eine Vereinbarung zwischen ihm und der beklagten Partei über den Verbrauch seines Urlaubs sei nie rechtswirksam zustandegekommen. Auf Seiten des Klägers lägen auch triftige Gründe vor, die den Urlaubsverbrauch unzumutbar erscheinen ließen, weil seine Gattin schwer krebsleidend gewesen sei und vom Kläger habe regelmäßig betreut werden müssen.
Die beklagte Partei bestritt und beantragte Klageabweisung. Der Kläger sei bereits am 17. 7. 2001 vom Dienst freigestellt worden, habe aber trotz mehrfacher Aufforderung keine Urlaubsmeldungen abgegeben. Der Kläger habe sich im Dienstvertrag verpflichtet, den Urlaub im jeweiligen Arbeitsjahr in Anspruch zu nehmen, habe sich aber gegen Treu und Glauben und rechtsmissbräuchlich geweigert, Urlaub zu konsumieren. Auch sei davon auszugehen, dass der Kläger seinen gesamten Urlaub de facto konsumiert habe. Ein erheblicher Teil des eingeklagten Anspruchs sei jedenfalls verjährt, maximal könnten 105 Arbeitstage Urlaub geltend gemacht werden. Die beklagte Partei habe in diversen Schreiben klargestellt, dass der Kläger nicht mehr zum Dienst herangezogen werde und zu jeder erdenklichen Zeit Urlaub konsumieren könne, solle und müsse. Aufgrund seiner Position als Geschäftsführer habe der Kläger den Urlaub selbst bloß nach Rücksprache mit seinem Geschäftsführungskollegen in Anspruch nehmen können. Die Krebserkrankung der Ehegattin des Klägers sei kein Argument dafür, viereinhalb Jahre keinen Urlaub zu beanspruchen. Überdies wendete die beklagte Partei aufrechnungsweise eine Gegenforderung von 6.490 EUR ein.
Das Erstgericht wies auf der Grundlage des eingangs (zusammengefasst) wiedergegebenen Sachverhalts das Klagebegehren zur Gänze ab. Ein vom Kläger gewünschter Urlaub habe keinerlei Genehmigung einer anderen Person bedurft. Die beklagte Partei habe dem Kläger das Anbot zum Abschluss von Urlaubsvereinbarungen unterbreitet. Nach den Feststellungen sei dem Kläger auch unter Berücksichtigung der Erkrankung seiner Ehegattin spätestens ab 2003 ein regelmäßiger Urlaubsverbrauch möglich und zumutbar gewesen. Gemäß § 4 Abs 5 UrlG verjähre der Urlaubsanspruch nach Ablauf von zwei Jahren ab dem Ende des Urlaubsjahrs, in dem er entstanden sei. Eine betriebliche Übung, wonach die beklagte Partei von dieser Verjährungsbestimmung abgegangen wäre, sei nicht feststellbar. Die in den Jahren 2001 und 2002 entstandenen Urlaubsansprüche seien somit zum Zeitpunkt der Klagseinbringung als verjährt anzusehen. Die zur Geltendmachung des Anspruchs noch offenen Urlaubsansprüche für die Jahre 2003 bis 2005 seien jedoch nach den Feststellungen vom Kläger realiter durch tatsächliche Urlaubs- und Erholungszeiten verbraucht worden oder sei dem Kläger jedenfalls im Zeitraum 2003 bis 2005 ein solcher Urlaubsverbrauch möglich und zumutbar gewesen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge. Es änderte das Ersturteil im Sinn eines Teilurteils ab, erkannte die Klagsforderung als mit 77.599,20 EUR samt 9,47 % Zinsen seit 1. 1. 2006 als zu Recht und im Ausmaß von 50.993,76 EUR brutto sA als nicht zu Recht bestehend und verurteilte die beklagte Partei zur Zahlung eines Betrags von 71.119,20 EUR brutto samt 9,47 % Zinsen seit 1. 1. 2006. Ein Mehrbegehren von 50.993,76 EUR brutto wies das Berufungsgericht (rechtskräftig) ab; weiters fasste es den Beschluss, dass das Urteil hinsichtlich der geltend gemachten Gegenforderung von 6.480 EUR aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werde. Das Berufungsgericht sprach weiters aus, dass die ordentliche Revision gegen das Teilurteil nicht zulässig sei.
Seit der ausführlich begründeten Entscheidung 9 ObA 144/05z werde unter Hinweis auf die Aufhebung des § 9 UrlG aF durch das ARÄG 2000 eine Obliegenheit des Arbeitnehmers, den Urlaub in einer längeren Kündigungsfrist zu verbrauchen, in ständiger Rechtsprechung grundsätzlich abgelehnt. Dies gelte auch, wenn eine einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses vereinbart worden sei. Nichts anderes könne bei einer Dienstfreistellung gelten, wenn das Dienstverhältnis aufgrund der Befristung durch Zeitablauf ende. Der Nichtabschluss der Urlaubsvereinbarung stehe nach Aufhebung des § 9 UrlG aF nur mehr unter der „Sanktion" der Verjährung des Urlaubsanspruchs nach § 4 Abs 5 UrlG. Zu einem Entfall der Urlaubsersatzleistung käme es unter Umständen im Fall eines Rechtsmissbrauchs. Auch könne nicht von einem Urlaubskonsum des Klägers im Sinn einer Realannahme ausgegangen werden. Zur Begründung einer Treuwidrigkeit oder eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens bedürfe es damit eines zur Ablehnung von Urlaubskonsum hinzutretenden weiteren Moments. Ein solches liege nicht vor. Dem bloßen Zeitfaktor werde mit der zweijährigen Verjährung des Urlaubsanspruchs im Sinn des § 4 Abs 5 UrlG begegnet. Damit werde schon von Gesetzes wegen zum Ausdruck gebracht, dass eine Kumulierung von Urlaubsansprüchen über diesen Zeitraum dann, wenn keine weiteren Umstände hinzutreten, keine Treuwidrigkeit darstellen könne. Weitere Umstände für Treuwidrigkeit oder für Rechtsmissbrauch seien nicht ersichtlich. Gemäß § 10 Abs 1 UrlG stehe dem Berufungswerber damit die Urlaubsersatzleistung für nicht verbrauchten und nicht verjährten Urlaub für die Jahre 2003 bis 2005 in Höhe von 77.599,20 EUR brutto zu. Im Ausmaß der von der beklagten Partei erhobenen Gegenforderung von 6.480 EUR habe nicht über das Klagebegehren abgesprochen werden können, da dazu keine Feststellungen getroffen worden seien.
Mit ihrer außerordentlichen Revision bekämpft die beklagte Partei das Teilurteil im klagestattgebenden Umfang (sowie den berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschluss) wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidung im gänzlich klageabweisenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt, das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision gegen das Teilurteil ist zulässig, weil eine Präzisierung der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage des rechtsmissbräuchlichen „Hortens" von Urlaubsansprüchen bei langjährigen Dienstfreistellungen erforderlich ist. Sie ist auch berechtigt.
Der Oberste Gerichtshof hat in seiner bereits vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 9 ObA 144/05z (SZ 2005/182) ausgesprochen, dass das in § 4 Abs 1 UrlG verankerte Erfordernis des Abschlusses einer Urlaubsvereinbarung die Annahme eines einseitigen Gestaltungsrechts ausschließt (RIS-Justiz RS0070760). Der Arbeitnehmer kann vom Arbeitgeber nicht gezwungen werden, zu einem bestimmten Zeitpunkt Urlaub zu machen. Auch durch eine - allein in der Ingerenz des Arbeitgebers liegende - Dienstfreistellung kann der Arbeitgeber den Urlaubsverbrauch nicht einseitig erzwingen. Auch nach der Aufhebung des § 9 UrlG aF kann eine Dienstfreistellung (zumindest) das Anbot des Arbeitgebers auf Abschluss einer Urlaubsvereinbarung enthalten, sofern die dafür erforderlichen Voraussetzungen einer schlüssigen Willenserklärung vorliegen. Mit der Treuepflicht ist es nicht vereinbar, im gekündigten Arbeitsverhältnis das Anbot des Arbeitgebers zum Abschluss einer Urlaubsvereinbarung während der Dienstfreistellung zwar abzulehnen, dann aber doch die bezahlte Freizeit zu einem erheblichen Teil tatsächlich für Zwecke zu verwenden, die die Gewährung von Urlaub erfordern.
Das „Horten von Urlaub" ist nach den Intentionen des Urlaubsgesetzes - auch nach Aufhebung des § 9 UrlG aF - verpönt. Der Nichtabschluss der Urlaubsvereinbarung durch den Arbeitnehmer steht aber nach Aufhebung des § 9 UrlG aF im Allgemeinen nur mehr unter der „Sanktion" der Verjährung des Urlaubsanspruchs nach § 4 Abs 5 UrlG. Zu einem Entfall der Urlaubsersatzleistung kann es aber auch schon nach der Entscheidung 9 ObA 144/05z im Fall eines Rechtsmissbrauchs des Arbeitnehmers kommen (ähnlich 8 ObA 80/05f und 9 ObA 51/07a).
In ihrer Besprechung der Entscheidung 9 ObA 144/05z stimmt Drs (ZAS 2007, 84 [85]) der Auffassung, dass seit dem ARÄG 2000 keine Obliegenheit zum Urlaubsverbrauch während der Kündigungsfrist mehr bestehe und eine entsprechende Verweigerung des Arbeitnehmers von Gesetz wegen finanziell nicht mehr „sanktioniert" sei, uneingeschränkt zu. Das sicherlich zweckwidrige und damit „verpönte" Horten von Urlaubsansprüchen ändere nichts an diesem Ergebnis. Die einzige Grenze, die der Gesetzgeber dem Arbeitnehmer diesbezüglich vorgebe, sei die der Verjährung gemäß § 4 Abs 5 UrlG. Allerdings gehe aus der Entscheidung nicht klar hervor, unter welchen Voraussetzungen Rechtsmissbrauch bzw Treuepflichtverletzungen zu einem Entfall der Urlaubsersatzleistung führen könnten. Drs (aaO 86) vertritt die Auffassung, dass besondere Umstände, die den Arbeitnehmer unter Umständen ausnahmsweise doch zum Urlaubsverbrauch „verpflichten" könnten, vom Arbeitgeber zu behaupten und zu beweisen wären. Die Verweigerung eines zumutbaren Urlaubsverbrauchs alleine reiche dazu allerdings nicht aus; immerhin sehe das Urlaubsgesetz das Erfordernis einer Urlaubsvereinbarung und keine Pflicht des Arbeitnehmers zur Zustimmung vor. Der 9. Senat vertrete die Ansicht, dass eine lange Dienstfreistellung auch in Kombination mit anderen Verhaltensweisen des Arbeitnehmers unter Umständen die Annahme einer Verletzung der Treuepflicht rechtfertigen könnte, ohne aber aufzuzeigen, um welche Verhaltensweisen es sich dabei handeln könnte. Der Urlaubsanspruch sei primär zum Schutz des persönlich abhängigen Arbeitnehmers eingeführt worden, um ihm die Möglichkeit zu bieten, zumindest für einige Zeit den Arbeitsalltag hinter sich zu lassen. Obwohl die Erholung sicherlich den vorrangigen Urlaubszweck darstelle, diene er daher neben sonstigen, vor allem privaten Interessen des Arbeitnehmers, wie zB der Verwirklichung von Freizeitinteressen. Dementsprechend sei der Arbeitnehmer auch nicht verpflichtet, den Urlaub zur Erholung zu verwenden. Da es der Oberste Gerichtshof auch hier unterlassen habe, nähere Aussagen darüber zu treffen, aufgrund welcher konkreten Verhaltensweise der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenhalten könne, dürfe man auf zukünftige OGH-Entscheidungen „gespannt sein".
Auch Cerny vertritt in seiner Anmerkung zu 9 ObA 144/05z (DRdA 2007, 34 [36]) die Auffassung, dass in jedem Fall die Entscheidung über eine Dienstfreistellung allein in der Ingerenz des Arbeitgebers liege. Er gelangt allerdings zu einer „logischen Unvereinbarkeit" von Urlaub und Dienstfreistellung. Urlaub sei Freistellung des Arbeitnehmers von seiner Arbeitspflicht für eine bestimmte Zeit bei Fortzahlung des Entgelts. Beides, die Freistellung von der Arbeitspflicht und die Entgeltfortzahlung, seien Wesenselemente des Urlaubsbegriffs. Daraus folge aber, dass für eine Zeit, in der der Arbeitnehmer aus anderen Gründen, wie zB aufgrund einer Dienstfreistellung, ohnehin von der Arbeitspflicht befreit sei, kein Urlaub vereinbart werden könne. Dies führe zur Konsequenz, dass der Arbeitgeber seinen Willen eindeutig erklären müsse: Wenn er mit dem Arbeitnehmer eine Vereinbarung über den Urlaubsverbrauch während der Kündigungsfrist treffen wolle, müsse er dem Arbeitnehmer ausdrücklich ein Angebot zum Abschluss einer derartigen Vereinbarung machen. Wolle er hingegen den Arbeitnehmer für die Dauer der Kündigungsfrist dienstfrei stellen, sei ein Urlaubsverbrauch in dieser Zeit ausgeschlossen. Für die von der Rechtsprechung vor der Änderung des Urlaubsgesetzes durch das ARÄG vertretene und vom Obersten Gerichtshof in der gegenständlichen Entscheidung auch nach Aufhebung des § 9 UrlG aF weiterhin in Betracht gezogene Annahme, eine Dienstfreistellung könne (zumindest) das konkludente Anbot des Arbeitnehmers auf Abschluss einer Urlaubsvereinbarung enthalten, gebe es keine Grundlage. Auch für Konstruktionen wie jene einer „stillen Annahme" eines mit der Dienstfreistellung verbundenen Anbots des Arbeitgebers zum Abschluss einer Urlaubsvereinbarung sei beim richtigen Verständnis der Begriffe „Dienstfreistellung" und „Urlaub" kein Platz. Schließlich scheide auch die Möglichkeit einer „Vorausvereinbarung" im Arbeitsvertrag, wonach der Arbeitnehmer einen bestimmten Teil des (Rest-)Urlaubs während der Kündigungsfrist zu verbrauchen habe, aus. Derartige Vereinbarungen würden gegen einseitig zwingendes Gesetzesrecht (§ 12 UrlG) verstoßen und seien deshalb nichtig.
Auch unter Beachtung dieser Argumente ist vorweg festzuhalten, dass an den Aufforderungen zum Urlaubsverbrauch hier kein Zweifel bestehen kann.
Weiters ist voranzustellen, dass aber eine Verletzung der Treuepflicht im Sinne der Vorentscheidungen (9 ObA 144/05z, 8 ObA 80/05f ua) dadurch, dass das Angebot des Arbeitgebers zum Urlaubsverbrauch bei Dienstfreistellung vom Arbeitnehmer bloß formell abgelehnt wird, der Arbeitnehmer aber tatsächlich „Urlaub" konsumiert, hier nicht nachgewiesen werden konnte.
Es stellt sich damit die Frage, inwieweit das Verhalten des Klägers, hier über mehrere Jahre hinweg trotz Dienstfreistellung keinen Urlaub zu konsumieren, um nunmehr die Urlaubsersatzleistung dafür in Anspruch zu nehmen, als rechtsmissbräuchlich einzustufen ist.
Der Fall, dass die Schädigungsabsicht den einzigen oder überwiegenden Grund der Rechtsausübung bildet (Schikane), wird in derartigen Konstellationen regelmäßig zu verneinen sein, weil es dem Arbeitnehmer wohl zumindest auch um die Förderung der eigenen Interessen im Sinn der Erlangung einer Urlaubsersatzleistung gehen wird.
Entscheidend wird damit die Prüfung der weiteren Variante des Rechtsmissbrauchs, der auch dann bejaht wird, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein ganz krasses Missverhältnis besteht (9 ObA 144/05z; 9 Ob 32/02z mwN; RIS-Justiz RS0026265; RS0026271 ua).
Bereits in der zitierten Vorentscheidung 9 ObA 144/05z wurde festgehalten, dass die Frage, ob ein Rechtsmissbrauch vorliegt, grundsätzlich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls zu beurteilen ist (RIS-Justiz RS0110900; 9 Ob 32/02z ua).
Als maßgebliche Parameter dafür wurden die Dauer der Kündigungsfrist, die Anzahl der Urlaubstage, das Verhalten des Arbeitnehmers in der Kündigungsfrist sowie die Erholungsmöglichkeit des Arbeitnehmers und die Erfordernisse des Betriebs hervorgehoben und auch klargestellt, dass allein die Jahreszeit (Urlaubszeit) nicht ausreicht, um einen Missbrauchsfall anzunehmen.
Dies kann bei - widerrufbaren, insbesondere aber unwiderrufbaren - Dienstfreistellungen noch präzisiert werden.
Bei der Bewertung, ob nun die geförderten Interessen des Arbeitnehmers zu den beeinträchtigten Interessen des Arbeitgebers in einem so krassen Missverhältnis stehen, dass im konkreten Einzelfall die Ausübung eines vom Gesetzgeber eingeräumten Rechts als rechtsmissbräuchlich einzustufen ist, ist auch zu untersuchen, welche Interessen der Gesetzgeber bei seiner allgemeinen Festlegung der Rechte fördern und schützen wollte.
Nicht unerwähnt bleiben soll dabei die historische Entwicklung: Bis zur Novelle BGBl I 2000/44 war für die Berechnung der Urlaubsentschädigung, also der vollen Leistung, auch bei bloß angefangenem Urlaubsjahr bei Arbeitgeberkündigung und einer drei Monate übersteigenden Kündigungsfrist die Zumutbarkeit des Verbrauchs zu prüfen. Nach der alten Rechtslage waren zwar nicht verjährte Ansprüche aus früheren Urlaubsjahren unabhängig von der Art der Auflösung voll zu entschädigen (Arb 11.088), aber es wurde auch insoweit die Frage der Zumutbarkeit des Urlaubsverbrauchs bei Kündigungen mit einer 3 Monate übersteigenden Kündigungsfrist geprüft (9 ObA 171/88 = SZ 61/196; 8 ObA 29/03b). Mit der Abschaffung der vollen Urlaubsentschädigung und der Festlegung der Urlaubsersatzleistung, die im Wesentlichen nur noch der aliquoten früheren Urlaubsabfindung entspricht (für abgelaufene Jahre war diese naturgemäß mit der Urlaubsentschädigung ident), entfiel auch die im Rahmen der Regelungen der Urlaubsentschädigung vorgesehene Zumutbarkeitsprüfung. Mit der Frage von längeren, über ein Jahr hinausgehenden Auflösungsphasen, für die sich vorweg durch die Zumutbarkeitsprüfung im Rahmen der Urlaubsentschädigung im Gesetz ein Ansatz fand, hat sich der Gesetzgeber nicht auseinandergesetzt.
Drs (aaO) hat (wie bereits dargelegt) in diesem Zusammenhang herausgearbeitet, dass der Urlaubsanspruch zum Schutz des persönlich abhängigen Arbeitnehmers diesem die Möglichkeit bieten soll, „zumindest für einige Zeit den Arbeitsalltag hinter sich zu lassen" (allgemein zum Erholungszweck RIS-Justiz RS0077260). Damit ergibt sich aber, dass es bei einer mehrjährigen Dienstfreistellung einer Erholung (wovon?) insoweit im geringeren Ausmaß bedarf. Dass es allerdings nicht nur um die Erholung von der „Arbeit" geht, zeigt sich aus § 2 Abs 2 letzter Satz UrlG, der ausdrücklich festhält, dass der Urlaubsanspruch auch für entgeltfreie Zeiten zustehen soll. Auch ist von Relevanz, ob eine unwiderrufliche Dienstfreistellung vorliegt, weil der gesunde, unbeeinträchtigte Arbeitnehmer dann seine Zeit ja völlig frei - ohne die Bedrohung durch die Widerrufsmöglichkeit - für Erholungszwecke verwenden und verplanen kann.
Von Relevanz ist - wie bereits in der Vorentscheidung betont wurde - naturgemäß die Regelung des § 4 UrlG, der grundsätzlich einen Urlaubsverbrauch während des Urlaubsjahres vorsieht. Auch wenn im Falle des Verstoßes dagegen im Regelfall auf die im Gesetz bedachte Sanktion des Urlaubsverfalls zu verweisen ist, so lässt sich für die Bewertung des Rechtsmissbrauchs bei „unterjährigen" Dienstfreistellungen daraus ableiten, dass dieser schon regelmäßig deshalb zu verneinen sein wird, weil ja nach § 4 UrlG der Urlaubsverbrauch während des Urlaubsjahres - also bis zuletzt - vorgesehen ist.
Als grundsätzliche Wertung des UrlG kann § 2 Abs 2 letzter Satz und § 4 Abs 1 UrlG entnommen werden, dass es sich beim Urlaub um Zeiträume handeln muss, in denen der Arbeitnehmer ohne Einschränkung durch Krankheit oder familiäre Hinderungsgründe seine Zeit zu Erholungszwecken gestalten kann.
Abschließend kann also festgehalten werden, dass sich für die Bewertung der gegenläufigen Interessen aus dem Urlaubsgesetz neben der Grundwertung in dessen § 4 Abs 1 (Urlaubsverbrauch im Urlaubsjahr) auch ergibt, dass Dienstfreistellungen, insbesondere unwiderrufliche und die Jahresfrist überschreitende, zu berücksichtigen sind, soweit nicht etwa persönliche oder familiäre Hinderungsgründe, die sonst einen Urlaubsverbrauch gehindert hätten, einer Gestaltung der Zeit zu Erholungszwecken entgegenstehen.
Letztlich ist mit der Vorentscheidung hervorzuheben, dass nur dann, wenn sich unter Berücksichtigung der gesetzlichen Wertungen ein völlig eindeutiges, krasses Überwiegen der benachteiligten Interessen des Arbeitgebers in einer vom Gesetz wegen der Besonderheiten des Falles nicht geregelten Konstellation ergibt, ein Rechtsmissbrauch des Arbeitnehmers in seiner mangelnden Bereitschaft, Urlaub zu verbrauchen, erblickt werden kann.
Auch unter Beachtung aller dieser Umstände ist hier nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs ein Rechtsmissbrauch zu bejahen:
Der Kläger lehnte mehrfache Aufforderungen der Beklagten, seinen Urlaub zu konsumieren, ab.
Er war für fast 4,5 Jahre, wenngleich nicht unwiderruflich, aber doch durchgängig, dienstfrei gestellt. Es wurde auch eindeutig klargestellt, dass der Kläger während eines Urlaubs nicht zum Dienst einberufen werden könne. Aufgrund seiner Abberufung als Geschäftsführer konnte er ebenfalls damit rechnen, dass die Dienstfreistellung nicht widerrufen werde, was die Beklagte auch in ihrem Schreiben vom 29. 10. 2002 zum Ausdruck brachte.
Mag auch der Kläger infolge der schweren Erkrankung seiner Ehegattin, die eine regelmäßige Behandlung bis Anfang Jänner 2003 erforderte, in dieser Zeit ein zu berücksichtigendes Interesse an der Unterlassung des Urlaubskonsums gehabt haben, so wurde ihm doch andererseits durch die durchgängige Dienstfreistellung eine nachhaltige, weit über die Grenzen einer Pflegefreistellung hinausgehende Betreuung seiner Ehegattin möglich, die er sonst auch wieder nur im Rahmen eines Urlaubskonsums hätte vornehmen können.
Nach der Krankheit seiner Ehegattin nutzte der Kläger die Dienstfreistellung dazu, allein oder gemeinsam mit ihr Freizeittätigkeiten nachzugehen und sich zu erholen.
In der Vorentscheidung 9 ObA 144/05z (SZ 2005/182) war die Arbeitnehmerin während einer etwa zweijährigen Dienstfreistellung nicht nur durch Krankenstände am Urlaubskonsum teilweise gehindert, sondern musste sich auch mit der Belastung durch ein Zustimmungsverfahren zur Kündigung nach dem BEinstG auseinandersetzen. Hier liegt eine fast 4,5-jährige Dienstfreistellung vor, in der die Zwecke des Urlaubsgesetzes verwirklicht werden konnten. Es handelte sich somit um einen Zeitraum, der ein Vielfaches des gesetzlich für den Urlaubsverbrauch zustehenden Zeitraums beträgt und auch den Jahreszeitraum, in dem der Urlaub grundsätzlich verbraucht werden soll, deutlich überschreitet. Das Verhalten des Klägers, hier trotz des Umstands, dass er im Rahmen einer mehrjährigen Dienstfreistellung seine Zeit für Urlaubszwecke nutzen konnte, das mehrfache klare Anbot der Beklagten zum Abschluss von Urlaubsvereinbarungen auszuschlagen, ist daher insgesamt als rechtsmissbräuchlich anzusehen.
Ein Anspruch des Klägers auf Urlaubsersatzleistung war daher zur Gänze abzulehnen und das zur Gänze klagsabweisende Ersturteil wiederherzustellen. Davon erfasst ist auch der in einem untrennbaren Zusammenhang stehende Aufhebungsbeschluss (Deixler-Hübner in Fasching/Konecny² § 391 Rz 64; RIS-Justiz RS0040804).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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