OGH 6Nc7/09w

OGH6Nc7/09w19.2.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann-Prentner als weitere Richter in der Außerstreitsache des Antragstellers Jürgen J*****, Deutschland, vertreten durch Markus Jaeckel, Rechtsanwalt in Regensburg, Deutschland, gegen die Antragsgegnerin v***** AG, *****, wegen Überprüfung einer Barabfindung, über das Ersuchen des Landesgerichts Linz um Entscheidung nach § 47 JN in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Für diese Außerstreitsache ist das Handelsgericht Wien zuständig. Die Beschlüsse des Handelsgerichts Wien vom 6. 10. 2008, GZ 73 Nc 7/08a, und vom 9. 10. 2008, GZ 73 Nc 8/08y, werden aufgehoben.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Der Antragsteller war laut eigenen Angaben Minderheitsaktionär der im Firmenbuch des Handelsgerichts Wien zu FN 78568t eingetragenen BÖHLER-UDDEHOLM Aktiengesellschaft. Bei dieser wurde am 5. 9. 2008 der Hauptversammlungsbeschluss vom 23. 6. 2008 auf Übertragung der Aktien aller von der Hauptaktionärin (der Antragsgegnerin) verschiedener Aktionäre auf die Hauptaktionärin gemäß § 1 GesAusG eingetragen. Die Antragsgegnerin voestalpine AG ist im Firmenbuch des Landesgerichts Linz zu FN 66209t registriert.

Der Antragsteller strebte beim Handelsgericht Wien die Überprüfung der Angemessenheit der im Rahmen des Gesellschafterausschlusses angebotenen Barabfindung und die Festlegung einer höheren Barabfindung an.

Das Handelsgericht Wien, das diesen Antrag irrtümlicherweise sowohl zu 73 Nc 7/08a (aufgrund der Originaleingabe) als auch zu 73 Nc 8/08y (aufgrund der Telefaxeingabe) führte, erklärte sich mit den aus dem Spruch ersichtlichen Beschlüssen für örtlich unzuständig und überwies die Rechtssache gemäß § 44 JN an das „nicht offenbar unzuständige" Landesgericht Linz.

Das Landesgericht Linz lehnte mit seinen Beschlüssen vom 15. 10. 2008, GZ 32 Nc 230/08w, und vom 16. 10. 2008, GZ 32 Nc 231/08t, die Übernahme der Zuständigkeit für diese(s) Verfahren ab, sprach aus, dass es örtlich nicht zuständig sei, und übermittelte die Akten wieder dem Handelsgericht Wien.

Sämtliche Beschlüsse wurden zwischenzeitig den Parteien zugestellt und sind in Rechtskraft erwachsen.

Nunmehr legte das Landesgericht Linz die Akten dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung gemäß § 47 JN vor.

1. Gemäß § 47 Abs 1 JN sind Streitigkeiten zwischen verschiedenen Gerichten erster Instanz über die Zuständigkeit für eine bestimmte Rechtssache von dem diesen Gerichten zunächst übergeordneten gemeinsamen höheren Gericht zu entscheiden. Dies ist im vorliegenden Fall der Oberste Gerichtshof (vgl Mayr in Rechberger, ZPO³ [2006] § 47 JN Rz 3).

2. Haben beide Gerichte wie im vorliegenden Fall ihre Zuständigkeit rechtskräftig (RIS-Justiz RS0118692) verneint, ohne dass die Zuständigkeit eines weiteren Gerichts in Betracht käme (negativer Kompetenzkonflikt), bestimmt das zunächst übergeordnete gemeinsame höhere Gericht das für die Rechtssache zuständige Gericht und hebt gleichzeitig den Unzuständigkeitsbeschluss dieses Gerichts auf (SSV-NF 2/64).

3. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RIS-Justiz RS0046391) ist bei der Entscheidung nach § 47 Abs 1 JN auf eine allfällige Bindungswirkung des ersten Beschlusses, auch wenn dieser vielleicht unrichtig war, Bedacht zu nehmen, haben doch die Vorschriften über die Bindung an rechtskräftige Entscheidungen über die Zuständigkeit und an Überweisungsbeschlüsse den Zweck, Kompetenzkonflikte nach Möglichkeit von vornherein auszuschließen; dabei nimmt der Gesetzgeber in Kauf, dass allenfalls auch ein an sich unzuständiges Gericht durch eine unrichtige Entscheidung gebunden wird. An dieser Rechtsprechung ist grundsätzlich festzuhalten (erst jüngst 2 Nc 1/08g).

Damit wäre das Landesgericht Linz zuständig, an das das Handelsgericht Wien die vorliegende Außerstreitsache überwiesen hat. Dass das Landesgericht Linz als Adressatgericht seinen Unzuständigkeitsbeschluss noch vor Eintritt der Rechtskraft des Überweisungsbeschlusses des Handelsgerichts Wien gefasst hat, würde daran an sich nichts ändern (8 Nc 41/03a; 3 Nc 34/03k).

4. Der erkennende Senat hat - im Zusammenhang mit einem anderen Antragsteller - zu 6 Ob 21/09w für die aufgrund des Hauptversammlungsbeschlusses vom 23. 6. 2008 auf Übertragung der Aktien aller von der Hauptaktionärin (der Antragsgegnerin) verschiedener Aktionäre auf die Hauptaktionärin gemäß § 1 GesAusG eingeleiteten Verfahren auf Überprüfung der Angemessenheit der im Rahmen des Gesellschafterausschlusses angebotenen Barabfindung und die Festlegung einer höheren Barabfindung mit ausführlicher Begründung die Zuständigkeit des Handelsgerichts Wien als für die BÖHLER-UDDEHOLM Aktiengesellschaft zuständiges Firmenbuchgericht klargestellt.

5. Der erkennende Senat hat außerdem bereits mehrfach betont, dass sich aus den einschlägigen Zuständigkeitsregeln (§ 120 JN iVm § 225e AktG, § 3 GesAusG usw) klar die Absicht des Gesetzgebers erkennen lasse, im Falle von Gesellschaftsumwandlungen, -spaltungen und -übernahmen bzw von Gesellschafterausschlüssen sämtliche Verfahren zur Überprüfung von (Bar-)Abfindungen jeweils beim Firmenbuchgericht der einzigen bzw maßgeblichen beteiligten Gesellschaft zu konzentrieren (6 Ob 39/07i ecolex 2007/224; 6 Ob 21/09w). Dies sei im Anwendungsbereich des Gesellschafter-Ausschlussgesetzes das Firmenbuchgericht der Kapitalgesellschaft (6 Ob 21/09w).

6. Die Beschlüsse des Handelsgerichts Wien und des Landesgerichts Linz sind infolge Zustellung an die Parteien rechtskräftig geworden, womit der negative Kompetenzkonflikt begründet war. Sonstige rechtskräftige Zuständigkeitsentscheidungen zu Lasten des einen oder des anderen Gerichtshofs sind nicht aktenkundig (vgl die Aufstellung des Landesgerichts Linz vom 13. 2. 2009, ON 11), die Zuständigkeitsfrage ist jedoch in mehreren Verfahren Gegenstand von Rechtsmittelverfahren. Damit ist aber - soweit dies für den erkennenden Senat überblickbar ist - der zu 6 Ob 21/09w ergangene Beschluss, mit dem die Zuständigkeit des Handelsgerichts Wien letztinstanzlich festgestellt wurde, der erste die Zuständigkeit eines der beiden Gerichtshöfe feststellende Beschluss außerhalb eines negativen Kompetenzkonflikts.

7. Ergibt sich aus der Rechtslage, dass eine bestimmte Art von Verfahren (hier: die Verfahren auf Überprüfung der Angemessenheit der im Rahmen eines bestimmten Gesellschafterausschlusses angebotenen Barabfindung und die Festlegung einer höheren Barabfindung) bei einem bestimmten Gericht zu konzentrieren sind und liegt diesbezüglich bereits eine rechtskräftige Entscheidung über die Zuständigkeit eines Gerichts vor, ohne dass in diesem Zusammenhang ein offener negativer Kompetenzkonflikt besteht (hier: die Entscheidung 6 Ob 21/09w zu Lasten des Handelsgerichts Wien), würde es dieser Rechtslage widersprechen, im Falle von negativen Kompetenzkonflikten die Zuständigkeit eines anderen Gerichts (hier: des Landesgerichts Linz) im Sinne der zu 3. dargestellten Rechtsprechung lediglich deshalb zu bejahen, weil das zuständige Gericht - von den Parteien unangefochten - seine Zuständigkeit verneint und die Rechtssache überwiesen hat. In einem solchen Fall ist die erwähnte Rechtsprechung nicht anwendbar.

8. Damit waren gemäß § 47 Abs 1 JN die Zuständigkeit des Handelsgerichts Wien (auch) in dieser Außerstreitsache festzustellen und dessen Unzuständigkeitsbeschlüsse aufzuheben.

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