OGH 6Ob39/07i

OGH6Ob39/07i16.3.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Pimmer als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schenk und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ. Doz. Dr. Kodek als weitere Richter in der Firmenbuchsache der Antragsteller 1) Josef K*****, 2) R***** Stiftung, *****, beide vertreten durch Dr. Kurt Berger ua Rechtsanwälte in Wien, 3) DI Dieter P*****, 4) Josef A*****, vertreten durch Mag. Dr. Georg Vetter, Rechtsanwalt in Wien, 5) Mag. Ulrike S*****, 6) Leopold S*****, 7) Berthold B*****, 8) Franz O*****, 9) Hubert H*****, 10) Günter P*****, 11) I*****, 12) Mag. Dr. Wilhelm R*****, 11.- und 12.-Antragsteller vertreten durch Wildmoser/Koch & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, 13) Alfred K*****, 14) T***** GmbH, *****, 15) D***** AG, *****, 14.- und 15.-Antragsteller vertreten durch Stefan ... Doornkaat ua Rechtsanwälte in Düsseldorf, 16) DI Gerhard O*****, gegen die Antragsgegner 1) V***** Aktiengesellschaft, 2) V***** Vermögensverwaltung AG, beide *****, beide vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Überprüfung der angebotenen Barabfindung gemäß § 9 Abs 2 SpaltG, über die Revisionsrekurse der 4.-, 11.- und 12.-Antragsteller gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 28. Dezember 2006, GZ 28 R 200/06x-19, womit der Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 6. Juli 2006, GZ 73 Nc 1/06s-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Den Revisionsrekursen wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts ersatzlos aufgehoben wird.

Text

Begründung

Am 30. 9. 2005 wurde in dem vom Landesgericht Linz geführten Firmenbuch bei der zu FN ***** eingetragenen V***** Aktiengesellschaft mit dem Sitz in L***** als übertragender Gesellschaft zu 32 Fr 4327/05s die Abspaltung eines Vermögensteiles zur Neugründung der V***** Vermögensverwaltungs AG (FN *****) mit dem Sitz in L***** eingetragen. Infolge dieser Spaltung stellten 16 Aktionäre Anträge auf Überprüfung der Angemessenheit der angebotenen Barabfindung nach § 9 Abs 2 SpaltG. Diese wurden beim Landesgericht Linz als Handelsgericht eingebracht, weil die übertragende Gesellschaft ihren Sitz im Sprengel des Landesgerichtes Linz hatte (§ 120 Abs 1 Z 4 bzw Abs 2 sowie Abs 5a Z 2 JN).

Mit Beschluss vom 18. 5. 2006, 32 Fr 2601/06h, übertrug das Landesgericht Linz die Zuständigkeit betreffend die V***** Aktiengesellschaft, FN *****, gemäß § 120 Abs 7 JN an das Handelsgericht Wien, weil die Verschmelzung dieser Gesellschaft als übertragender Gesellschaft mit der S***** AG ***** (FN *****) als übernehmender Gesellschaft angemeldet wurde. Mit Beschluss vom 22. 5. 2006, 73 Fr 5890/06y, übernahm das Handeslgericht Wien die Zuständigkeit.

Am 27. 5. 2006 trug das Handelsgericht Wien die Verschmelzung der V***** Aktiengesellschaft (*****) mit der S***** AG ***** (FN *****) in das Firmenbuch ein und löschte die erstgenannte Gesellschaft. Das Vermögen der übertragenden V***** Aktiengesellschaft (FN *****) ist daher im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die S***** AG ***** (FN *****) übergegangen.

Mit Beschluss vom 1. 6. 2006 überwies das Landesgericht Linz die Verfahren zur Überprüfung der Barabfindung nach § 9 Abs 2 SpaltG gemäß § 120 Abs 4 JN an das Handelsgericht Wien. Sei nämlich vor der Entscheidung ein anderes als das angerufene Gericht nach § 120 Abs 2 oder 3 JN zuständig geworden, sei die Sache an dieses Gericht gemäß § 120 Abs 4 JN zu überweisen. Durch die Zuständigkeitsübernahme des Handelsgerichtes Wien vom 22. 5. 2006, spätestens aber durch die Eintragung der Verschmelzung sei das Handelsgericht Wien nach § 120 Abs 4 JN zur Weiterführung des Verfahrens zuständig geworden, weil die S***** AG *****, die als Gesamtrechtsnachfolgerin auch Verfahrenspartei im Barabfindungsverfahren geworden sei, ihren Sitz im Sprengel des Handelsgerichtes Wien habe. Das Handelsgericht Wien sei daher gemäß § 120 Abs 2 und Abs 5a Z 2 JN örtlich zuständig. Das Verfahren befinde sich im Stadium der Befassung des Gremiums; die gerichtliche Entscheidung über die Anträge zur Überprüfung der Barabfindung sei noch nicht ergangen, sodass gemäß § 120 Abs 4 JN ein Zuständigkeitswechsel stattfinde.

In der Folge sprach das Handelsgericht Wien seine Unzuständigkeit aus und vertrat die Ansicht, § 120 Abs 4 JN könne nur so gelesen werden, dass die Unzuständigkeit zwischen dem Antrag auf Abspaltung und der Entscheidung des Gerichtes über diesen Antrag eingetreten sein müsse. Im vorliegenden Fall sei das Landesgericht Linz als Handelsgericht für das Abspaltungsverfahren zur Neugründung der Rechtsträgerin FN ***** unzweifelhaft zuständig gewesen. Die Zweitantragsgegnerin habe ihren Sitz nach wie vor in Linz. Der Antrag auf Überprüfung der Barabfindung sei als Annexverfahren zur eigentlichen Abspaltung zu sehen. Der Gesetzgeber habe im § 120 Abs 1 Z 3 und Abs 5 Z 2 JN hinsichtlich der Angelegenheiten zur Überprüfung des Umtauschverhältnisses von Aktien bei Verschmelzung von Aktiengesellschaften und Angelegenheiten nach dem SpaltG verschiedene Zuständigkeitsregelungen getroffen. Das Firmenbuchgericht Linz habe daher unrichtigerweise seine Zuständigkeit verneint, obwohl es das für die Abspaltung zuständige Gericht sei. Demgegenüber sei das Handelsgericht Wien unzuständig.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss. § 120 Abs 4 JN, der eine amtswegige Überweisung wegen nachträglicher Änderung der zuständigkeitsbegründenden Umstände vorsehe, beziehe sich lediglich auf § 120 Abs 2 und 3 JN, die im vorliegenden Fall jedoch nicht anwendbar seien. Hätte der Gesetzgeber § 120 Abs 4 JN auch auf die Z 3 bis 5 des Abs 1 dieser Bestimmung beziehen wollen, hätte er den Klammerausdruck zwanglos unverändert mit „Abs 1" belassen können. Im Hinblick auf die Ersetzung des Klammerausdruckes durch das Zitat „Z 1 und 2" könne nicht von einer planwidrigen Lücke des Klammerverweises ausgegangen werden. Vielmehr sei der Umkehrschluss zu ziehen, dass die Sonderbestimmung des § 102 Abs 4 JN nicht auf Fälle des Übergangs der örtlichen Zuständigkeit nach den Z 3 bis 5 des § 120 Abs 1 JN anzuwenden sei. Vielmehr bleibe hier die allgemeine Regelung des § 29 JN aufrecht, auch wenn zuzugestehen sei, dass diese Lösung von der praktischen Durchführung her gesehen „weniger befriedigend" sei. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur gegenständlichen Zuständigkeitsfrage keine oberstgerichtliche Rechtsprechung existiere.

Die Revisionsrekurse sind aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig; sie sind auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

§ 120 Abs 1 JN regelt zunächst die sachliche Zuständigkeit für die Führung des Firmenbuchs und bestimmte Firmenbuchangelegenheiten im weiteren Sinn (zum Begriff vgl G. Kodek in Kodek/Nowotny/Umfahrer, FBG § 15 Rz 4). Demnach ist das mit Handelssachen betraute Gericht erster Instanz sachlich zuständig für die Führung des Firmenbuchs (Z 1), für bestimmte Verfahren nach dem UGB (Z 2), für die gemäß §§ 225c bis 225l AktG vom Gericht zu erledigenden Angelegenheiten (Z 3) sowie für die nach dem SpaltG, dem UmwG und dem GesAusG vom Gericht zu erledigenden Angelegenheiten (Z 4 bis 6).

Nach § 120 Abs 2 JN ist örtlich „jenes Gericht (Abs 1 Z 1 und 2)" zuständig, in dessen Sprengel das Unternehmen seine Hauptniederlassung oder seinen Sitz hat. Aus dem Klammerverweis ergibt sich, dass sich diese Regelung der örtlichen Zuständigkeit nur auf die Zuständigkeitstatbestände des § 120 Abs 1 Z 1 und 2 JN, mithin die Führung des Firmenbuches und bestimmte Verfahren nach dem UGB, bezieht. Das in § 120 Abs 2 JN bezeichnete Gericht hat auch zu prüfen, ob eine Zweigniederlassung errichtet oder ob § 29 UGB (bis 31. 12. 2006: § 30 HGB) beachtet ist:

Nach § 120 Abs 3 JN richtet sich, wenn die Hauptniederlassung oder der Sitz eines Unternehmens im Ausland liegt, die örtliche Zuständigkeit nach dem Ort der inländischen Zweigniederlassung, bei mehreren inländischen Zweigniederlassungen nach dem Ort der frühesten inländischen Zweigniederlassung.

Nach § 120 Abs 4 JN ist - in Durchbrechung des Grundsatzes der perpetuatio fori des § 29 JN (Fucik in Fasching I2 § 120 JN Rz 8) - wenn vor der Entscheidung ein anderes als das angerufene oder von Amts wegen eingeschrittene Gericht nach § 120 Abs 2 oder 3 JN zuständig geworden ist, die Sache an dieses zu überweisen.

Schließlich regelt § 120 Abs 5a JN die örtliche Zuständigkeit für Angelegenheiten des § 120 Abs 1 Z 3 bis 5 JN dahingehend, dass für Verfahren nach § 225c bis 225l AktG (§ 120 Abs 1 Z 3 JN) das Gericht zuständig ist, in dessen Sprengel die übernehmende Gesellschaft ihren Sitz hat, für Angelegenheiten nach dem SpaltG (§ 120 Abs 1 Z 4 JN) jenes Gericht, in dessen Sprengel die übertragende Gesellschaft ihren Sitz hat und für Angelegenheiten nach dem Umwandlungsgesetz (§ 120 Abs 1 Z 5 JN) jenes Gericht zuständig ist, in dessen Sprengel die umzuwandelnde Kapitalgesellschaft ihren Sitz hat (Szep in Jabornegg/Strasser, AktG4 § 225e Rz 1; Bachner in Kalss, Handkommentar zur Verschmelzung, Spaltung, Umwandlung § 225e AktG Rz 2).

Die dargestellte Rechtslage ist Folge der mit dem EU-GesRÄG 1996 vorgenommenen Novellierung des § 120 JN. Mit dieser Novelle wurden in § 120 Abs 1 JN die Z 3 bis 5 angefügt und in Abs 2 das Klammerzitat „(Abs 1)" durch das Klammerzitat „(Abs 1 Z 1 und 2)" ersetzt. Zusätzlich wurde - soweit im vorliegenden Fall von Belang - § 120 Abs 5a JN über die örtliche Zuständigkeit für die in § 120 Abs 1 Z 3 bis 5 JN genannten Angelegenheiten eingefügt.

Dem Rekursgericht ist zuzugeben, dass § 120 Abs 4 JN sich nach seinem Wortlaut und seiner systematischen Stellung nur auf § 120 Abs 2 und 3 JN bezieht. Damit scheidet aber bloß die unmittelbare, nicht auch die analoge Anwendung dieser Bestimmung aus.

Rechtspolitischer Grund für die Regelung des § 120 Abs 4 JN ist offenbar das Streben des Gesetzgebers nach einer Konzentration der firmenbuchrechtlichen Angelegenheiten im Sinne des § 120 Abs 1 Z 1 und 2 JN beim sachnächsten Gericht. Eine Zuständigkeit bei einem Gericht, bei dem keine Hauptniederlassung oder Sitz bzw keine inländische Zweigniederlassung mehr besteht, erschien dem Gesetzgeber offenbar nicht sachgerecht.

Damit berührt sich aber die ratio des § 120 Abs 4 JN mit dem Zweck der Neuregelung der Zuständigkeit für Verschmelzung, Spaltung und Umwandlung durch das EU-GesRÄG in § 120 Abs 5a bis 7 JN. Hintergrund dieser Neuregelung war nämlich, dass der Gesetzgeber aus systematischen Gründen und aus Gründen der Konzentration bei einem Gericht die angeführten Angelegenheiten zusammenfassen wollte (vgl 1016 BlgNR 18. GP 12 sowie 32 BlgNR 20. GP 112; G. Kodek in Kodek/Nowotny/Umfahrer, FBG § 15 Rz 52; Fucik in Fasching I2 § 120 JN Rz 10).

Diesem Gesetzeszweck würde jedoch die von den Vorinstanzen angenommene perpetuatio fori krass zuwiderlaufen, hätte diese doch zur Folge, dass für das Verfahren auf Überprüfung der angebotenen Barabfindung gemäß § 9 Abs 2 SpaltG weiterhin das Landesgericht Linz zuständig wäre, obwohl auf Grund der zwischenzeitig erfolgten sprengelübergreifenden Verschmelzung der übertragenden Gesellschaft diese dort nicht mehr ihren Sitz hat, der Anknüpfungspunkt gemäß § 120 Abs 1 Z 4 bzw § 120 Abs 5a JN mithin weggefallen ist und dort auch keine weiteren Firmenbucheintragungen mehr vorgenommen werden können. Der von den Vorinstanzen ins Treffen geführte Gedanke, es handle sich beim Verfahren nach § 225c ff AktG um ein bloßes Annexverfahren zum Firmenbuchverfahren mag für den - ohnedies ausdrücklich gesetzlich geregelten - Regelfall zutreffen, bietet aber keinen Anhaltspunkt für die Lösung der Zuständigkeitsfrage in der hier vorliegenden Sonderkonstellation einer nachträglichen sprengelübergreifenden Verschmelzung der übertragenden Gesellschaft. Diese Sonderkonstellation wurde vom Gesetzgeber des EU-GesRÄG 1996 ersichtlich nicht bedacht (vgl dazu F. Bydlinski in Rummel, ABGB3 § 7 Rz 2 mwN). Zur Vermeidung eines zumindest wertungsmäßigen Widerspruchs zu der vom Gesetzgeber in § 120 Abs 4 und Abs 5a JN angestrebten Konzentration der Firmenbuchsachen im weiteren Sinn bei einem einzigen Gericht ist daher entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen die analoge Anwendung des § 120 Abs 4 JN auf den vorliegenden Fall als sachgerecht. § 120 Abs 4 JN ist daher analog auf nachträgliche Änderungen der für die Zuständigkeitsanknüpfung maßgebenden Sachverhalte in den in § 120 Abs 1 Z 3 bis 5 JN (§ 120 Abs 5a JN) bezeichneten Angelegenheiten anzuwenden. Damit erweist sich aber der Ausspruch der Unzuständigkeit durch das Erstgericht als unzutreffend, sodass dieser Beschluss ersatzlos aufzuheben war.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte