Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Revisionskosten des Klägers sind weitere Verfahrenskosten.
Die beklagte Partei hat ihre Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Text
Begründung
Die am 9. 3. 1990 geborene Tochter des Klägers, konsumierte in der Nacht vom 17. zum 18. 3. 2007 alkoholische Getränke und wurde, nachdem sie erbrochen hatte, mit der Rettung gegen 2:30 Uhr ins Wilhelminenspital eingeliefert. Als Vorsichtsmaßnahme wurde im Spital eine Blutabnahme „zwecks diagnostischer Einschätzung hinsichtlich der Promille" durchgeführt, weil die Ärzte zu diesem Zeitpunkt nicht wissen konnten, was die Minderjährige alles eingenommen hatte und nachträglich zu einem kritischen behandlungsbedürftigen Zustand hätte führen können (wie zB Opiate oder ähnliches). Da sich dabei herausstellte, dass bei ihr nur ein alkoholisierter Zustand „mäßigen Grades" (1,5 Promille) vorlag, verblieb die Versicherte lediglich zur Ausnüchterung bis etwa 9:00 Uhr im Spital, wobei ihr als bloße Flüssigkeitssubstitution zur Beschleunigung der Ausnüchterung eine Infusion (Ringerlösung) verabreicht wurde.
Mit Bescheid vom 22. 6. 2007 hat die beklagte Partei den Antrag des Klägers auf Gewährung von Anstaltspflege im Wilhelminenspital am 18. 3. 2007 für seine anspruchsberechtigte Tochter Verena abgelehnt.
Die dagegen erhobene Klage war zunächst darauf gerichtet, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, der Tochter des Klägers „die Anstaltspflege vom 18. 3. 2007 zu gewähren". Mit der Klagsausdehnung im Schriftsatz ON 8 (AS 43 und 47) begehrte der Kläger, die beklagte Partei zu verpflichten, „der klagenden Partei die Anstaltspflege und den Krankentransport vom 18. 3. 2007 zu gewähren." Dazu führte der Kläger aus, dass ihm mittlerweile (auch) die Transportkosten vorgeschrieben worden seien, deren genaue Höhe aber derzeit noch nicht angegeben werden könne; dies könne aber nachgereicht werden. Schon alleine die Untersuchung stelle eine ärztliche Behandlung dar. Es habe sich hier nicht bloß um einen Rauschzustand durch Alkoholgenuss gehandelt, weil infolge dessen auch Müdigkeit, allgemeine Schwäche sowie Flüssigkeitsverlust durch Erbrechen aufgetreten seien. Der Krankenhausaufenthalt habe nicht ausschließlich der Ausnüchterung gedient, weil die verabreichte Infusion eine notwendige Pflegemaßnahme zum Ausgleich des Flüssigkeitsdefizits darstelle. Gemäß § 144 Abs 5 ASVG seien (auch) die Transportkosten im Falle der - ex ante zu beurteilenden - Notwendigkeit der Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe zu tragen (ON 8 und 9).
Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung; nach herrschender Judikatur (des Oberlandesgerichts Wien) seien auch Infusionen zur Linderung eines Rauschzustandes nicht als Krankenbehandlung anzusehen. Die Blutabnahme sei lediglich zur Bestimmung des Blutalkoholgehalts erfolgt.
Das Erstgericht wies spruchgemäß (nur) das auf Gewährung der „Anstaltspflege im Wilhelminenspital der Stadt Wien am 18. 3. 2007 für die anspruchsberechtigte Tochter des Klägers" gerichtete Klagebegehren ab. Neben dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt traf es noch folgende Feststellungen:
„Insgesamt war im Spital keine Krankenbehandlung erfolgt; es lag bezogen auf den Zeitpunkt der Diagnostik-Labor keine behandlungsbedürftige Krankheit vor." Weder war die Notwendigkeit einer ambulanten Begutachtung noch einer Krankenhauseinlieferung gegeben. Es lag lediglich ein Ausnüchterungszustand vor. Ex ante betrachtet waren sowohl der Krankentransport als auch die stationäre Aufnahme zum Ausschluss einer anderen, als durch Alkohol bedingten Ursache gerechtfertigt; ex post betrachtet fand keine Krankenbehandlung statt. Der Spitalsaufenthalt am 18. 3. 2007 diente einer kontrollierten Ausnüchterung, ohne dass dabei eine Heilbehandlung durchgeführt wurde.
In rechtlicher Hinsicht hielt das Erstgericht zunächst fest, dass eine Klageausdehnung auf die Transportkosten aufgrund der sukzessiven Kompetenz des Sozialgerichts „nicht möglich" sei, weil sich der bekämpfte Bescheid nur auf die Gewährung der Anstaltspflege beziehe; dennoch werde auch auf die Transportkosten „Bezug genommen". Der Transport eines Versicherten im Sinn der §§ 135 Abs 4, 144 Abs 5 ASVG sei keine selbständige Leistung der Krankenversicherung sondern diene nur dazu, die (ambulante) Krankenbehandlung oder Anstaltspflege zu ermöglichen. Es handle sich daher um eine bloß akzessorische Leistung der Krankenversicherung. Voraussetzung einer Kostentragung durch den Versicherungsträger sei daher grundsätzlich, dass eine (ambulante) Krankenbehandlung oder Anstaltspflege erforderlich gewesen sei. Dies sei der Fall, wenn der Zustand des Versicherten nicht nur regelwidrig, sondern auch behandlungsbedürftig sei. Nur dann sei der Versicherungsfall der Krankheit verwirklicht, aus dem ein Anspruch auf Krankenbehandlung (§ 133 ASVG) sowie allenfalls auf Anstaltspflege (§ 144 ASVG) resultiere. Sei die Anstaltspflege nicht durch die Notwendigkeit ärztlicher Behandlung bedingt, werde sie nicht gewährt (§ 144 Abs 3 ASVG). In diesem Fall liege eine bloße Asylierung vor.
Ob ein Zustand gemessen an den Regeln der ärztlichen Kunst behandlungsbedürftig sei, könne „zumeist erst nach der Durchführung (einer) der Diagnostik dienenden medizinischen Untersuchung(en) gesagt werden". Es stehe daher häufig erst nach der Durchführung solcher Maßnahmen fest, ob ein Versicherter der (ambulanten) Krankenbehandlung oder Anstaltspflege bedürfe (bedurft habe oder hätte). Bezogen auf diesen Zeitpunkt sei die Frage der Behandlungsbedürftigkeit des Versicherten ex ante zu beurteilen. Es komme nämlich nicht darauf an, die Notwendigkeit medizinischer Maßnahmen ex post durch den Erfolg der gewählten Behandlungsmethoden unter Beweis zu stellen (10 ObS 145/03a = SSV-NF 17/73). Davon seien allerdings jene Fälle zu unterscheiden, in denen - vor aller Diagnostik - noch gar nichts über die Behandlungsbedürftigkeit eines regelwidrigen Zustands gesagt werden könne. Diesfalls sei eine ex post Betrachtung geboten. Es könne nämlich erst nach der Vornahme der notwendigen medizinischen Untersuchungen beurteilt werden, ob eine Behandlungsbedürftigkeit vorliege. Für schon vor dem obgenannten Zeitpunkt (Abschluss zumindest einer vorläufigen Diagnostik) erbrachte Leistungen des Krankenversicherungsträgers habe es daher bei einer Beurteilung der Behandlungsbedürftigkeit „ex post" zu bleiben. Stelle sich „in diesem Fall eines Transportes des Versicherten" im Nachhinein heraus, dass weder eine (ambulante) Krankenbehandlung noch eine Anstaltspflege erforderlich gewesen sei, dann bestehe kein Anspruch auf Transportkostentragung durch den Versicherungsträger.
Die Rechtsprechung habe für Fälle, in denen ein Versicherter bei Alkoholisierung lediglich der Ausnüchterung bedürfe, bereits wiederholt das Vorliegen einer Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn verneint und auf dieser Grundlage Ansprüche sowohl aus dem Titel der Anstaltspflege als auch auf Transportkosten abgelehnt (vgl SV-Slg 37.283, 42.402, 48.237, 50.817, 50.822; 10 ObS 2304/96b). Grundlage all dieser Entscheidungen sei jedoch die Annahme gewesen, dass die jeweils gegebene Alkoholisierung keine (ambulante) Krankenbehandlung oder Anstaltspflege erfordert, also keine Behandlungsbedürftigkeit im aufgezeigten Sinn ausgelöst habe.
Bezogen auf den Zeitpunkt nach Diagnostik - diese habe neben der klinischen Untersuchung in der Erstellung eines Laborbefundes bestanden - sei der Zustand der Tochter des Klägers am 18. 3. 2007 nicht behandlungsbedürftig gewesen. Da mangels Behandlungsbedürftigkeit ihres Zustands weder eine (ambulante) Krankenbehandlung noch eine Anstaltspflege erforderlich gewesen sei, bestehe weder ein Anspruch auf Anstaltspflege, noch ein solcher auf die akzessorische Leistung des Krankentransports.
Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts und sprach aus, dass die ordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig sei. Es hielt zunächst fest, dass das Ersturteil über die mit Schriftsatz ON 8 - ohne jeglichen Nachweis - geltend gemachten Transportkosten zumindest in der Begründung der Entscheidung „vorrangig aus formellen Gründen abschlägig" abgesprochen habe, was von der Berufung nicht aufgegriffen werde. Daher sei darauf nicht näher einzugehen; es sei aber anzumerken, dass aus den nachstehenden Erwägungen auch allfällige vom Kläger bereits bezahlte Einlieferungstransportkosten (ohnehin) nicht von der Beklagten zu ersetzen seien, weil eine ärztliche Behandlung hier zu verneinen sei. Insoweit schloss sich das Berufungsgericht der Rechtsansicht des Erstgerichts an und berief sich dazu auf gefestigte [zweitinstanzliche] Rechtsprechung, insbesondere die Entscheidung 9 Rs 125/06b des Oberlandesgerichts Wien, deren rechtliche Ausführungen bereits das Erstgericht wiedergegeben habe. Die Berufung liefere keine neuen Argumente, die das Berufungsgericht veranlassen würden, davon abzugehen. Regelwidrigkeit und Behandlungsbedürftigkeit im Sinn des § 120 Abs 1 Z 1 ASVG seien ein Begriffspaar, das grundsätzlich gemeinsam auftreten müsse, sollten sozialversicherungsrechtliche Leistungsansprüche wirksam werden. Dazu habe das Erstgericht unbekämpft festgestellt, dass die Blutabnahme nur als Vorsichtsmaßnahme zu Zwecken diagnostischer Einschätzung erfolgt, die verabreichte Infusion eine bloße Flüssigkeitssubstitution zur Beschleunigung der Ausnüchterung gewesen und - „ex post betrachtet" - im Spital daher keine Krankenbehandlung durchgeführt worden sei, sondern nur ein Ausnüchterungszustand vorgelegen habe. Die Anstaltspflege der Tochter des Klägers sei nicht durch die Notwendigkeit ärztlicher Behandlung bedingt gewesen, sondern falle unter den Begriff der Asylierung im Sinn des § 144 Abs 3 ASVG und begründe daher keine Verpflichtung des Krankenversicherungsträgers, die mit dem Anstaltsaufenthalt (und dem Einlieferungstransport als bloß akzessorische Leistung der Krankenversicherung [10 ObS 10/94; SSV-NF 8/9 mwN; RIS-Justiz RS0083970; RS0065803]) verbundenen Kosten zu tragen (OLG Wien 9 Rs 37/04h).
Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil des Berufungsgerichts abzuändern und zu erkennen, dass der Anspruch auf Anstaltspflege der Tochter des Klägers am 18. 3. 2007 zu Recht bestehe; hilfsweise wird die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung bzw des Ersturteils und die Zurückverweisung der Rechtssache an das Berufungs- bzw Erstgericht begehrt.
Die beklagte Partei beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die außerordentliche Revision mangels der Voraussetzungen des § 502 ZPO zu „verwerfen" bzw ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Abgrenzung zwischen Anstaltspflege und Asylierung bei Alkoholintoxikation vorliegt (die zitierte Entscheidung 10 ObS 2304/96p, in der ebenfalls die Übernahme der Pflegegebühren [„allenfalls" Krankentransportkosten] durch die beklagte Partei nach einer Anstaltspflege der Versicherten ohne ärztliche Behandlung [„Ausnüchterungspflege bei starkem Alkoholrausch"] strittig war, geht auf diese Rechtsfrage nicht ein). Sie ist im Ergebnis im Sinn der beschlossenen Aufhebung auch berechtigt.
Der Kläger macht in seinen Revisionsausführungen geltend, dass nicht näher begründet werde, warum gerade bei einer Einlieferung wegen Alkoholintoxikation kein Anspruch auf Anstaltspflege bestehen und der Sonderfall einer ex post Betrachtung gegeben sein sollte. Dieselbe Argumentation müsste dazu führen, dass auch andere regelwidrige Körperzustände nicht als Krankheit zu werten wären, nämlich dann, wenn etwa ältere Personen in dehydriertem Zustand in ein Spital eingeliefert würden oder stationäre Aufnahmen nach einem epileptischen Anfall erfolgten und demnach - ex post betrachtet - kein behandlungsbedürftiger Zustand vorliege. Warum vom (allgemeinen) Grundsatz der ex ante Betrachtung gerade in Fällen der Alkoholintoxikation abgegangen werde, sei nicht „schlüssig".
Dazu wurde Folgendes erwogen:
Zunächst ist festzuhalten, dass zum ausgedehnten Klagebegehren (auf Gewährung des Krankentransports vom 18. 3. 2007 [laut Schriftsatz ON 8 bzw Protokoll ON 9]) schon deshalb nicht näher Stellung zu nehmen ist, weil es nicht (mehr) Verfahrensgegenstand ist; nachdem dieses Begehren in erster und zweiter Instanz erfolglos blieb (Seite 4 des Ersturteils und Seite 4 der Berufungsentscheidung), wurde es vom Kläger im Revisionsantrag nämlich nicht mehr aufrecht erhalten.
Im Revisionsverfahren zu prüfen ist jedoch das (auch noch) im Revisionsantrag enthaltene Begehren, zu „erkennen, dass der Anspruch auf Anstaltspflege" der Tochter des Klägers am 18. 3. 2007 zu Recht bestehe.
Nach § 116 Abs 1 Z 2 ASVG trifft die gesetzliche Krankenversicherung unter anderem Vorsorge für den Versicherungsfall der Krankheit. Aus diesem Versicherungsfall nennt § 117 Z 2 ASVG als zu erbringende Leistung der Krankenversicherung unter anderem die Krankenbehandlung (§§ 133 bis 137 ASVG) und die Anstaltspflege (§§ 144 bis 150 ASVG). Nach der Definition in § 120 Abs 1 Z 1 ASVG ist Krankheit ein „regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der die Krankenbehandlung notwendig macht". Ziel der Krankenbehandlung ist es (nach § 133 Abs 2 ASVG), die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wiederherzustellen, zu festigen oder zu bessern. Die Krankenbehandlung muss ausreichend und zweckmäßig sein, darf jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.
Unter dem weder im ASVG noch in anderen Sozialversicherungsgesetzen definierten Begriff „Anstaltspflege" ist die durch die Art der Krankheit erforderte, durch die Notwendigkeit ärztlicher Behandlung bedingte „einheitliche und unteilbare" Gesamtleistung der stationären Pflege in einer - nicht gemäß § 144 Abs 4 ASVG ausgenommenen - Krankenanstalt zu verstehen. So wie die Krankenbehandlung bezweckt sie die Wiederherstellung, Festigung oder Besserung der Gesundheit, Arbeitsfähigkeit und Selbsthilfefähigkeit, tritt aber insofern hinter die Krankenbehandlung zurück, als sie als Leistung der Krankenversicherung erst beansprucht werden kann, wenn eine ambulante Krankenbehandlung nicht mehr ausreicht, um eine Krankheit durch ärztliche Untersuchung festzustellen und sodann durch Behandlung zu bessern oder zu heilen (RIS-Justiz RS0106685). Die von der Krankenanstalt zu erbringenden Teilleistungen der Anstaltspflege sind die Kosten der Unterkunft, der ärztlichen Untersuchung und Behandlung, der Beistellung von allen erforderlichen Heilmitteln, Arzneien usw, sowie der Pflege und der Verköstigung (10 ObS 28/01t mwN).
Während in der Medizin die Krankheit als Störung des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens, somit als eine Abweichung von der Norm „Gesundheit" definiert wird, wird in der Krankenversicherung ein Leiden nur bei Behandlungsbedürftigkeit als Krankheit anerkannt (RIS-Justiz RS0084692; Binder in Tomandl, SV-System 21. Erg-Lfg, 204 f mwN, sowie 252 [zur Behandlungsbedürftigkeit als Voraussetzung der Anstaltspflege, die laut FN 10a bei Einlieferung wegen Alkoholintoxikation nicht erfüllt sei, weshalb dann keine Anstaltspflege vorliege]).
Auf die Ursache der Krankheit kommt es nicht an (10 ObS 12/06x mit Hinweis auf Tomandl, Grundriss des österreichischen Sozialrechts5 Rz 161). Wie der Senat erst jüngst (10 ObS 14/08v) erneut dargelegt hat, muss aber für das Vorliegen einer Krankheit, die einen Anspruch auf Krankenbehandlung auslöst, - der Legaldefinition des § 120 Abs 1 Z 1 ASVG entsprechend - zur Regelwidrigkeit auch noch die Notwendigkeit einer Krankenbehandlung (Behandlungsbedürftigkeit) treten. Außerdem wurde festgehalten, dass die Voraussetzung der Behandlungsbedürftigkeit nach herrschender Ansicht dann erfüllt ist, wenn der regelwidrige Zustand ohne ärztliche Hilfe nicht mit Aussicht auf Erfolg behoben, zumindest aber gebessert oder vor einer Verschlimmerung bewahrt werden kann oder wenn die ärztliche Behandlung erforderlich ist, um Schmerzen oder sonstige Beschwerden zu lindern. Die Notwendigkeit der Krankenbehandlung ist dabei stets losgelöst vom Erfolg bzw Nichterfolg der tatsächlichen Krankenbehandlung ex ante zu beurteilen (RIS-Justiz RS0117777 [T1 und T2] = 10 Ob 14/08v mit Hinweis auf B. Karl, Der praktische Fall: Der krankenversicherungsrechtliche Leistungsanspruch psychisch Kranker, DRdA 2006, 152 ff [155] mwN).
Von diesen Grundsätzen sind die Vorinstanzen abgewichen, wenn sie zum Ergebnis gelangten, dass dann, wenn - vor aller Diagnostik - noch gar nichts über die Behandlungsbedürftigkeit eines regelwidrigen Zustands gesagt werden könne, für die vor dem Abschluss einer zumindest vorläufigen Diagnostik erbrachten Leistungen des Krankenversicherers eine „ex post" Betrachtung der Behandlungsbedürftigkeit geboten sei; dass sich die „ex ante" Beurteilung der Behandlungsbedürftigkeit daher - wie auch das Berufungsgericht meint - auf den Zeitpunkt nach der Durchführung einer (oder mehrerer) der Diagnostik dienender Untersuchung(en) „zu beziehen" habe, womit sie im Ergebnis also doch erst ex post erfolgen würde, trifft nämlich nicht zu:
Entgegen dieser Auffassung ist nämlich allgemein anerkannt, dass die Krankenkassen die Kosten der Untersuchung zur Beseitigung eines Krankheitsverdachts zu tragen haben, auch wenn sich herausstellen sollte, dass eine Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn nicht vorliegt (Mazal, Krankheitsbegriff und Risikobegrenzung, 84). Nach Schrammel (Veränderung des Krankenbehandlungsanspruches durch Vertragspartnerrecht, ZAS 1986, 145 ff [149]) ist daher ein Zustand schon dann regelwidrig, wenn aus der Sicht des Versicherten aufgrund störender Symptome das Bedürfnis nach ärztlicher Behandlung besteht, aus der Sicht des Arztes ärztliches Tätigwerden in Form von Diagnose und Therapie erforderlich ist und er nach allgemeiner Auffassung auf Kosten der Versichertengemeinschaft behandelt werden soll (so auch 10 ObS 12/06x). Die Grenze der Regelwidrigkeit ist (auch nach Mazal aaO 86 und FN 164, der sich insoweit auf Schrammel beruft) so weit zu ziehen, dass bereits ein objektivierbarer Krankheitsverdacht als regelwidriger (und damit behandlungsbedürftiger) Zustand angesehen werden muss (Schrammel aaO 148).
Für die in diesem Zusammenhang erforderliche Anknüpfung an die ärztliche Diagnose und Therapie ist davon auszugehen, dass bei der „ersten" Diagnose noch ein hohes Maß an subjektiver Einschätzung des Patienten ausreichen wird (sodass auch der Versicherte, der tatsächlich nicht krank ist, sich aber aus irgendeinem Anhaltspunkt krank fühlt, „auf Kassakosten" einen Arzt aufsuchen kann); bei Entscheidung über die Anwendung einer Therapie wird hingegen ein höheres Maß an Objektivierbarkeit zu fordern sein, nämlich die Darlegung der objektiven Umstände, aus denen eine bestimmte Therapie angezeigt ist (Mazal aaO 86 FN 163).
Mosler, Rechtsfolgen unwirtschaftlicher Leistungserbringung durch Vertragsärzte, ZAS 2000, 5 ff (6), verweist darauf, dass die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Krankenbehandlung insoweit relativ gering sind, als ein ärztliches Tätigwerden aufgrund einer subjektiv empfundenen Befindensstörung und ihrer glaubhaften Schilderung gegenüber dem Arzt in der Regel ausreicht. Die Untersuchung wegen der vom Patienten (beispielsweise) angegebenen Bauchschmerzen ist also auch dann Krankenbehandlung, wenn sich herausstellt, dass objektiv keine Regelwidrigkeit vorliegt. Da sich die Behandlungsnotwendigkeit in aller Regel erst nach einer Untersuchung feststellen lässt, ist die Erstordination auch in diesen Fällen notwendig, es sei denn, dass von vornherein fest steht, dass eine Krankenbehandlung nicht in Betracht kommt (zB der Patient sucht jemandem zum Plaudern).
Auch Marhold, Ökonomiegebot und Arzthaftung - Dargestellt an Screening-Untersuchungen, ZAS 1997, 97 ff (101 f), geht davon aus, dass Krankenbehandlung auch dann vorliegt, wenn das Bestehen eines konkreten Beschwerdezustands gegebenenfalls nicht verifiziert, sondern falsifiziert wird. Zu fordern ist aber jedenfalls, dass die ärztliche Behandlung durch bestimmte Symptome veranlasst wurde, mögen diese Symptome im Ergebnis auch nicht das Vorliegen eines regelwidrigen Körper- oder Geisteszustands begründen. Minimale Voraussetzung des Krankheitsbegriffs ist daher in der Regel, dass der Versicherte glaubhaft Symptome bezeichnen kann, die auf eine Abweichung von irgendeiner Norm - sei es physiologischer, psychischer oder sozialer Art - hindeuten. Letztlich folgt dies auch aus dem Begriff der Krankenbehandlung. Sie muss nach den Grundsätzen der ärztlichen Wissenschaft erfolgversprechend sein. Erfolgversprechend kann eine Krankenbehandlung aber nur in Bezug auf eine diagnostizierte Regelwidrigkeit des Körper- oder Geisteszustands sein. Fehlt es an einer Diagnose, weil der Patient Symptome, die auf eine Behandlungsbedürftigkeit hindeuten, nicht nennen kann, so liegt Krankheit im Sozialversicherungsrechtssinn nicht vor. Hingegen liegt Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn bereits dann vor, wenn eine Störung der psycho-physischen Funktionen nach außenhin wahrnehmbar ist, und sei es nur durch entsprechende Äußerungen des Versicherten, die die Notwendigkeit einer Diagnoseerstellung indizieren. Der Krankheitsverdacht ist dann dem Versicherungsfall der Krankheit zuzurechnen, wenn er sich durch objektiv diagnostizierbare Symptome äußert, unabhängig davon, ob sich im Nachhinein der Krankheitsverdacht bewahrheitet oder nicht.
Davon ausgehend ist auch der vorliegende Fall differenziert zu beurteilen: Was den bei der Versicherten bestehenden Krankheitsverdacht und die zu seiner Entkräftung im Sinn einer „ersten" Diagnose durchgeführten Maßnahmen betrifft, müssen die eben dargelegten Erwägungen, von denen die angefochtene Entscheidung abweicht, berücksichtigt werden; andererseits ist aber auch nicht außer Acht zu lassen, dass - entgegen den anderslautenden Behauptungen des Klägers - fest steht, dass der Spitalsaufenthalt seiner Tochter nur einer Blutabnahme „zwecks diagnostischer Einschätzung der Promille" und der Verabreichung einer Infusion „zur Beschleunigung der Ausnüchterung" diente.
Die Klagsabweisung wäre daher nur insoweit gerechtfertigt, als es dem Kläger nicht gelungen ist, den ihm obliegenden Beweis für das Vorliegen objektiver Umstände für eine notwendige „Anstaltspflege" im Wilhelminenspital der Stadt Wien für seine Tochter „am 18. 3. 2007" (im Sinn einer durch die Art der Krankheit erforderten, durch die Notwendigkeit ärztlicher Behandlung bedingten „einheitlichen und unteilbaren" Gesamtleistung der stationären Pflege [RIS-Justiz RS0106685]) zu erbringen:
In der bereits vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung ist nämlich auch festgehalten, dass die „diagnoseabhängige" Behandlung ein Wesensmerkmal der sozialversicherungsrechtlich gedeckten Krankenbehandlung darstellt, weshalb dem Arzt eine wesentliche Rolle bei der Abgrenzung des Krankheitsbegriffs zukommt. Ihm obliegt es, festzustellen, wann eine Störung ein solches Ausmaß erreicht hat, dass Behandlungsbedürftigkeit „medizinisch" geboten ist (10 ObS 145/03a = SSV-NF 17/73 mwN). Letzteres hängt also von der jeweiligen ärztlichen Diagnose ab.
Nach diesem (diagnoseabhängigen) Verständnis der Behandlungsbedürftigkeit setzt auch der Anspruch auf „Anstaltspflege" die Notwendigkeit ärztlicher Behandlung voraus; besteht diese nicht mehr („Asylierung"), so wird sie nicht gewährt (§ 144 Abs 3 ASVG). Auch der erkennende Senat hat daher schon wiederholt ausgesprochen, dass, sobald der Asylierungsfall eingetreten ist, der Anspruch des Versicherten auf Gewährung der Anstaltspflege durch den Versicherungsträger gemäß § 100 Abs 1 lit a ASVG iVm § 144 Abs 3 ASVG ohne weiteres Verfahren erlischt (10 ObS 95/03y mwN).
Wenn ein Krankenhausaufenthalt allein die fehlende häusliche Pflege und Obsorge ersetzt und nicht (mehr) einer erfolgversprechenden Behandlung der (einer) Krankheit dient, handelt es sich demnach um einen Asylierungsfall oder Pflegefall (RIS-Justiz RS0084002). In diesem Sinn zeigt auch Binder (in Tomandl, SV-System, 21. Erg-Lfg, 253 mwN in FN 20b) die maßgebenden Kriterien zur Abgrenzung zwischen „Anstaltspflege" und „Asylierung" in Fällen von Alkoholbeeinträchtigung auf: Erstere liegt etwa im - hier nicht gegebenen - Fall schwerer Alkoholvergiftung mit Gefahr einer toxisch bedingten Ateminsuffizienz vor. Letztere ist hingegen anzunehmen, wenn es - wie hier - um eine Alkoholintoxikation ohne Zeichen einer vitalen Gefährdung geht.
Auch wenn daher nach den eingangs dargestellten Erwägungen zunächst ein Anspruch der Tochter des Klägers auf Krankenbehandlung bzw Anstaltspflege (im Sinn einer Klärung des Krankheitsverdachts) bestanden hat (dazu sogleich), ist dieser somit erloschen, als sich herausstellte, dass bei ihr lediglich ein alkoholisierter Zustand „mäßigen Grades" (1,5 Promille) vorlag, dass sie also allein der Ausnüchterung bedurfte (die durch Verabreichung einer Infusion [Ringerlösung] als bloße Flüssigkeitssubstitution nur beschleunigt wurde).
Anders verhält es sich aber mit dem von den Vorinstanzen ebenfalls abschlägig beurteilten Leistungen, die der Krankenversicherer vor dem Abschluss der „vorläufigen Diagnostik" zu erbringen hatte. Hier wendet sich der Kläger - wie bereits ausgeführt - im Ergebnis zu Recht dagegen, dass auch die zur Klärung des vorliegenden Krankheitsverdachts erforderlichen Maßnahmen (klinische Untersuchung und Blutabnahme) ex post dahin beurteilt wurden, dass sie dem Kläger von der beklagten Partei ebenfalls nicht (für seine Tochter) gewährt werden müssten. Von den Feststellungen ausgehend, dass als Vorsichtsmaßnahme im Spital eine Blutabnahme „zwecks diagnostischer Einschätzung hinsichtlich der Promille" durchgeführt wurde, weil die Ärzte zu diesem Zeitpunkt nicht wissen konnten, was die Minderjährige alles eingenommen hatte und nachträglich zu einem kritischen behandlungsbedürftigen Zustand hätte führen können (wie zB Opiate oder ähnliches), kann am Vorliegen eines objektivierten Krankheitsverdachts, der bereits als regelwidriger und behandlungsbedürftiger Zustand der Versicherten anzusehen war, nämlich kein Zweifel bestehen.
Eine abschließende Beurteilung der vorliegenden Klage kann aber noch nicht erfolgen:
Der Kläger begehrte (nicht näher differenziert), ihm die „Anstaltspflege" seiner Tochter „am 18. 3. 2007" zu gewähren, bzw zu erkennen, dass der „Anspruch auf Anstaltspflege" seiner Tochter „am 18. 3. 2007 zu Recht" bestehe (Seite 3 der ao Revision). Die Umwandlung eines Leistungsbegehrens in ein Feststellungsbegehren wäre zwar grundsätzlich zulässig und als Klagseinschränkung, nicht jedoch als Klagsänderung anzusehen (§ 235 Abs 4 ZPO), wenn das Feststellungsbegehren - wie hier - zeitlich und umfangmäßig nicht über den mit Leistungsklage geltend gemachten Anspruch hinausgeht (10 ObS 119/08k mwN). Jedenfalls blieb aber sowohl beim Leistungs- als auch beim Feststellungsbegehren des Klägers unberücksichtigt, dass - aus den dargelegten Gründen - ein Anspruch gegen die beklagte Partei allenfalls auch nur hinsichtlich eines Teils der erbrachten Sachleistungen bestehen könnte, ohne dass der Kläger von den Vorinstanzen auf die Möglichkeit einer dem von ihm verfolgten Rechtsschutzziel entsprechenden Klagsführung (allenfalls durch ein darauf gerichtetes Eventualbegehren) hingewiesen worden wäre.
Da das Gericht die Parteien nicht mit einer Rechtsansicht überraschen darf, die bisher unbeachtet geblieben ist und auf die es die Parteien nicht aufmerksam gemacht hat (vgl dazu allgemein RIS-Justiz RS0037300 mwN), ist insoweit eine Ergänzung des Verfahrens notwendig. Das Erstgericht wird daher die Fassung des Klagebegehrens im fortgesetzten Verfahren mit dem Kläger nach den voranstehenden Erwägungen zu erörtern haben. Dabei wird zu klären sein, ob bzw welche konkreten Leistungen der Kläger - allenfalls hilfsweise neben dem (Pauschal-)Anspruch auf „Anstaltspflege am 18. 3. 3007" - begehrt. Erst dann wird neuerlich zu entscheiden sein (10 ObS 119/08k).
Der Kostenvorbehalt hinsichtlich der Revisionskosten des Klägers beruht auf § 52 Abs 1 ZPO. Die Entscheidung, dass die beklagte Partei die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen hat, beruht auf § 77 Abs 1 Z 1 ASGG.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)