OGH 7Ob223/08g

OGH7Ob223/08g17.12.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1) Daniel T*****, geboren am *****, 2) Alexander T*****, geboren am *****, und 3) Nicole T*****, geboren am *****, alle vertreten durch den Vater Christian T*****, dieser vertreten durch Dr. Gunther Weichselbaum, Rechtsanwalt in Wien, Mutter Birgit T*****, vertreten durch Dr. Hans Pernkopf, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs der Mutter gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom 19. Juni 2008, GZ 20 R 58/08g-U-48, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Klosterneuburg vom 13. März 2008, GZ 1 P 80/03z-U-44, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Oberste Gerichtshof stellt gemäß Art 89 Abs 2 B-VG (Art 140 Abs 1 B-VG) an den Verfassungsgerichtshof den

Antrag,

in § 42 KBGG idF BGBl I 2007/76 die Wortfolge „noch des beziehenden Elternteils" und § 43 Abs 1 KBGG idF BGBl I 2007/76 als verfassungswidrig aufzuheben,

hilfsweise in § 42 KBGG idF BGBl I 2007/76 die Wortfolge „noch des beziehenden Elternteils" als verfassungswidrig aufzuheben.

Mit der Fortführung des Verfahrens wird gemäß § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs innegehalten.

Text

Begründung

Die Minderjährigen befinden sich in Pflege und Erziehung des Vaters. Er leistet Naturalunterhalt. Die Mutter ist zur Leistung des Unterhalts in Geld verpflichtet. Sie ist nunmehr für drei weitere Kinder sorgepflichtig, die in ihrem Haushalt leben und für die sie Naturalunterhalt leistet. Michelle T***** wurde am 31. 10. 2004, die Zwillinge Julie und Joyce T***** wurden am 2. 2. 2007 geboren. Die Mutter bezieht seit 28. 4. 2007 im Hinblick auf die Betreuung der Zwillinge Kinderbetreuungsgeld von täglich 21,80 EUR (monatlich 654 EUR).

Die Mutter stellte unter Hinweis auf die Geburt der Zwillinge den Antrag, sie von der Unterhaltsverpflichtung gegenüber den drei Minderjährigen aus erster Ehe zu entheben. Für den Zeitraum ab 1. 1. 2008 (Inkrafttreten der angefochtenen Bestimmungen) gelte das Kinderbetreuungsgeld nicht als ihr Einkommen. Sie sei damit ab diesem Zeitpunkt einkommenslos und könne den Minderjährigen auch aus diesem Grund keinen Unterhalt leisten.

Das Erstgericht wies ihren Antrag ab. Gemäß § 140 Abs 1 ABGB sei die Mutter nach ihren Kräften verpflichtet, anteilig zur Deckung des Lebensunterhalts ihrer Kinder beizutragen. Sie habe als nicht betreuender Elternteil Geldunterhalt zu leisten. Das Kinderbetreuungsgeld sei als Einkommen zu qualifizieren. Im Hinblick darauf, dass bei der letzten beschlussmäßigen Bestimmung der Unterhaltsbeträge die Prozentkomponenten nicht zur Gänze ausgeschöpft worden seien und sich das Einkommen der Mutter (Kinderbetreuungsgeld) erhöht habe, seien die bisher festgesetzten Unterhaltsbeträge nach wie vor angemessen.

Das Rekursgericht bestätigte die angefochtene Entscheidung. Es vertrat die Rechtsansicht, dass dem § 42 KBGG keine Regelung für die Unterhaltsverpflichtung eines Elternteils zu entnehmen sei. Die Bestimmung beziehe sich nur auf dessen eigenen Unterhaltsanspruch. Auch aus den Materialien ergebe sich kein Hinweis darauf, dass das Kinderbetreuungsgeld entgegen der bisherigen Rechtsprechung nicht als Einkommen des Unterhaltspflichtigen bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage gelten solle. Die Novelle des § 42 KBGG wirke sich daher auf die Beurteilung der Unterhaltsbemessungsgrundlage für Unterhaltspflichten nicht aus.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei, weil zur Frage, ob das Kinderbetreuungsgeld auch nach der Gesetzesänderung durch BGBl I 2007/76 in die Unterhaltsbemessungsgrundlage für Unterhaltspflichten einzubeziehen sei oder nicht, oberstgerichtliche Judikatur fehle.

Dagegen erhebt die Mutter einen Revisionsrekurs mit einem Abänderungsantrag. Sie stützt sich darauf, dass nach dem Wortlaut des § 42 KBGG das Kinderbetreuungsgeld nicht als Einkommen des beziehenden Elternteils gelte. Der politische Wille sei auf die Förderung sowohl der Geburtenzahlen als auch der Betreuung von Kindern in den ersten Lebensjahren durch einen Elternteil gerichtet gewesen. Der betreuende Elternteil solle das Kinderbetreuungsgeld ausschließlich für sich selbst (und für keine anderen Zwecke) verwenden. Es sei so bemessen, dass die Mutter für die Zeit des Bezugs keiner Erwerbstätigkeit nachgehen müsse. Es habe als Bemessungsgrundlage für den Unterhalt anderer Kinder auszuscheiden.

Eine Revisionsrekursbeantwortung wurde nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig.

Der erkennende Senat des Obersten Gerichtshofs hat gegen die hier maßgebende Gesetzeslage verfassungsrechtliche Bedenken, sodass die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens angezeigt erscheint:

Die maßgebenden Bestimmungen des KBGG idF BGBl I 2007/76 lauten wie folgt:

„§ 42. Das Kinderbetreuungsgeld und der Zuschuss zum Kinderbetreuungsgeld gelten weder als eigenes Einkommen des Kindes noch des beziehenden Elternteils und mindern nicht deren Unterhaltsansprüche.

§ 43. (1) Der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld und der Anspruch auf Zuschuss zum Kinderbetreuungsgeld sind gemäß § 290 der Exekutionsordnung (EO), RGBl Nr 79/1896, nicht pfändbar."

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sind auch öffentlich-rechtliche Leistungen in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen (RIS-Justiz RS0047456). Demgemäß hat der Oberste Gerichtshof auch ausgesprochen, dass das nach BGBl I 2001/103 (KBGG) bezogene Kinderbetreuungsgeld, das an die Stelle des Karenzgelds getreten war, ebenso als Einkommen zu gelten hat und nicht zu einer Verkürzung der gesetzlichen Unterhaltspflichten des beziehenden Elternteils führt (vgl 7 Ob 170/04g; RIS-Justiz RS0047456 [T8, T10, T12]). Weiters wird vom Obersten Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertreten, dass jener Elternteil, der seine Unterhaltsverpflichtung Kindern aus zweiter Ehe durch deren vollständige Betreuung im Haushalt erbringt, seine Lebensverhältnisse derart gestalten muss, dass er sowohl seiner Geldalimentationspflicht als auch seiner Betreuungspflicht angemessen nachkommen kann (RIS-Justiz RS0047337). Die Unterhaltsansprüche von Kindern sind grundsätzlich gleichrangig (RIS-Justiz RS0047387). Es läuft dem Gleichheitsgrundsatz zuwider, wenn der Unterhaltspflichtige seinen Kindern aus zweiter Ehe volle Unterhaltsleistung in Form der häuslichen Betreuung zuteil werden lässt, während er den Kindern aus der ersten Ehe den Geldunterhalt unter Berufung auf seine Einkommenslosigkeit verwehrt (RIS-Justiz RS0047370). Gleiches gilt für uneheliche Kinder (§ 166 ABGB).

§ 42 KBGG idF BGBl I 2007/76 ordnet nun an, dass das Kinderbetreuungsgeld weder Einkommen des Kindes noch des beziehenden Elternteils ist. Durch das Kinderbetreuungsgeld wird nach der RV 620 BlgNR 21. GP 55 die Betreuungsleistung der Eltern anerkannt und teilweise abgegolten „und gleichzeitig, im Sinne einer größeren Wahlfreiheit bezüglich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und der Art der Kinderbetreuung, wird die mit einer außerhäuslichen Betreuung von Kindern verbundene finanzielle Belastung teilweise abgegolten".

Der 6. Senat des Obersten Gerichtshofs hatte sich in zwei Entscheidungen, 6 Ob 200/08t und 6 Ob 219/08m, mit § 42 KBGG zu befassen. Beiden Entscheidungen lag die Fallkonstellation zugrunde, dass der geldunterhaltspflichtige Vater die Herabsetzung seiner Unterhaltspflicht gegenüber den bei der Mutter in Pflege und Erziehung lebenden Kindern mit der Begründung begehrte, dass er für seine zweite Ehefrau im Hinblick auf § 42 KBGG unterhaltspflichtig sei, weil sie zwar Kinderbetreuungsgeld beziehe, dieses aber nicht seine Unterhaltsverpflichtung ihr gegenüber aufhebe oder mindere. Die (bisher nicht bestandene) Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Ehefrau sei nun den Kindern aus erster Ehe gegenüber als unterhaltsmindernd zu berücksichtigen.

Der 6. Senat vertrat die Rechtsansicht, der Gesetzgeber habe in § 42 KBGG in einer jeden Zweifel ausschließenden Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, dass er im Bereich des Unterhaltsrechts das Kinderbetreuungsgeld nicht als Einkommen des Kindes oder eines Elternteils behandelt haben wolle. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass es sich dabei um eine ausschließlich steuerrechtliche Regelung handle, weil sich diese vielmehr in der gesonderten, ausdrücklich mit „Pfändungsverbot und Steuerbefreiung" überschriebenen Bestimmung des § 43 KBGG befinde. Gegen die Bestimmungen des KBGG habe er - jedenfalls in der von ihm zu beurteilenden Fallkonstellation - keine verfassungsrechtlichen Bedenken, weil dem einfachen Gesetzgeber bei der Gewährung familienfördernder Maßnahmen ein großer Gestaltungsspielraum zukomme. Das Kinderbetreuungsgeld unterscheide sich von Leistungen mit Einkommensersatzfunktion insofern, als es eine Abgeltung dafür darstellen solle, dass man sich dem Kind widme. Der 6. Senat kam zu dem Ergebnis, dass im Hinblick auf § 42 KBGG den Vater nun eine weitere Unterhaltsverpflichtung für seine das Kinderbetreuungsgeld beziehende Ehefrau treffe, die gegenüber seinen Kindern aus erster Ehe, die im Haushalt der Mutter lebten, als unterhaltsmindernd zu berücksichtigen sei.

Im Schrifttum wird Folgendes vertreten:

Gitschthaler in Unterhaltsrecht2, Rz 123 (Punkt 5) und in „Eine (kurze) Anmerkung zum neuen Kinderbetreuungsgeld aus unterhaltsrechtlicher Sicht" in EF-Z 2008/27, 45 merkt an, dass die bisherige Rechtsprechung zum Kinderbetreuungsgeld im Hinblick auf § 42 KBGG in seiner Fassung ab 1. 1. 2008 überholt sei und das Kinderbetreuungsgeld nunmehr kein Einkommen des beziehenden Elternteils sei.

Schwimann/Kolmasch in Unterhaltsrecht4, 10 vertreten die Ansicht, dass die Konsequenz aus § 42 KBGG, dass nämlich das Kinderbetreuungsgeld nicht in die Unterhaltsbemessungsgrundlage für unterhaltspflichtige Kinderbetreuungsgeldbezieher einbezogen werden könnte, nicht in der Absicht des Gesetzgebers gelegen sein dürfte. Deshalb sollten beide Anordnungsteile (kein Einkommen, keine Unterhaltsminderung) nur in ihrem Zusammenhang gelesen werden.

Der erkennende Senat teilt die Meinung des 6. Senats, dass der Wortlaut des § 42 KBGG mit entsprechender Deutlichkeit anordnet, dass das Kinderbetreuungsgeld im Bereich des Unterhaltsrechts nicht als Einkommen des beziehenden Elternteils zu gelten hat und insoweit keinen Auslegungsspielraum lässt. Die von den Vorinstanzen und von Schwimann/Kolmasch vertretene Ansicht, aus dem Satzteil „und mindern nicht deren Unterhaltsansprüche" sei abzuleiten, dass die Bestimmung nur auf die Beurteilung von Unterhaltsansprüchen, nicht jedoch auf jene von Unterhaltsverpflichtungen des beziehenden Elternteils anzuwenden sei, ist dem Gesetzeswortlaut allerdings nicht zu entnehmen. Ebensowenig ist der gesetzgeberische Wille ersichtlich, dass das Kinderbetreuungsgeld zum Nachteil des gegenüber dem beziehenden Elternteil und dem Kind Unterhaltspflichtigen gewährt werden solle. Würde § 42 KBGG nur für Unterhaltsansprüche des beziehenden Elternteils gelten, so müsste zwar der Unterhaltspflichtige dem beziehenden Elternteil ungekürzt Unterhalt leisten, gleichzeitig aber ohne Berücksichtigung dieser aus dem Gesetz resultierenden Unterhaltspflicht auch vollen Unterhalt an das Kind. Dadurch würde sich seine finanzielle Situation verschlechtern. Der von den Vorinstanzen vorgenommenen Auslegung steht auch § 43 Abs 1 KBGG entgegen. Danach ist der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld nach § 290 EO nicht pfändbar, und zwar ohne Differenzierung, ob es sich um Forderungen Dritter oder Unterhaltsberechtigter handelt. Damit wäre eine Exekutionsführung nicht nur Dritten, sondern auch den Unterhaltsberechtigten auf das meist einzige „Einkommen" des Unterhaltspflichtigen verwehrt. Die nach Ansicht der Vorinstanzen mögliche Schaffung eines Unterhaltstitels zugunsten anderer Unterhaltsberechtigter gegen den beziehenden Elternteil wäre nicht zielführend, weil er (zumindest bei Vermögenslosigkeit und Fehlen weiterer Einkünfte) nicht exekutiv durchgesetzt werden könnte. Vor allem diese Erwägung spricht dafür, dass das Gesetz von vornherein den geldunterhaltsberechtigten Kindern einen Zugriff auf das Kinderbetreuungsgeld verwehrt. Aus diesen Erwägungen kann auch aus der durch die Novelle unverändert gebliebenen Überschrift („Unterhaltsanspruch") allein nicht abgeleitet werden, dass § 42 KBGG nicht auf Unterhaltspflichten anzuwenden ist.

Wendet man nun § 42 KBGG auf den vorliegenden Rechtsfall an, so ergibt dies:

Die Mutter, die verpflichtet ist, für ihre drei Kinder aus erster Ehe Geldunterhalt zu leisten, bezieht das Kinderbetreuungsgeld, das kraft gesetzlicher Anordnung nicht als ihr Einkommen gilt. Sie erhält das Kinderbetreuungsgeld dafür, dass sie sich der Pflege und Erziehung ihrer neugeborenen Zwillinge widmet. Da sie aufgrund der gesetzlichen Anordnung als einkommenslos gilt, müsste sie ihren anderen Kindern gegenüber unmittelbar daraus keinen Geldunterhalt leisten. Die Kinderbetreuungsleistung gegenüber den Zwillingen würde eine Ungleichbehandlung der Kinder aus erster Ehe bewirken. Die Mutter würde im vorliegenden Fall ihren Zwillingen den vollen Naturalunterhalt auf Kosten ihrer geldunterhaltsberechtigten Kinder erbringen. Ein Kind bekäme vollen Unterhalt, während die anderen aus diesem Grund keinen erhalten würden. Dies führt nach Ansicht des erkennenden Senats zu einer verfassungsrechtlich bedenklichen Ungleichbehandlung mehrerer Kinder desselben Elternteils, die sachlich nicht gerechtfertigt erscheint. Die Unterhaltspflichtige hätte sich durch ihren Entschluss, Kinderbetreuungsgeld zu beziehen, in eine Situation gebracht, die sie als einkommenslos gelten ließe. Dies führte zu einem Nachteil aller anderen, die ihr gegenüber einen Anspruch auf Geldunterhalt haben.

§ 43 Abs 1 KBGG wird ebenfalls angefochten, weil diese Bestimmung mit § 42 KBGG eine normative Einheit bildet und zur Interpretation des § 42 KBGG herangezogen wird. Damit scheint ein untrennbarer Zusammenhang zwischen diesen beiden Bestimmungen vorzuliegen (Rohregger in Korinek/Holoubek, Art 140 B-VG Rz 215; Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10, Rz 1158, je mwN).

Sollte der Verfassungsgerichtshof einen untrennbaren Zusammenhang zwischen den Bestimmungen der §§ 42 und 43 Abs 1 KBGG nicht bejahen und § 43 Abs 1 KBGG nicht als präjudiziell ansehen, wird hilfsweise nur § 42 KBGG in der genannten Wortfolge angefochten.

Aufgrund der dargelegten Bedenken sieht sich der Oberste Gerichtshof daher veranlasst, einen entsprechenden Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof zu stellen.

Die Anordnung der Innehaltung des Verfahrens beruht auf der im Spruch zitierten Gesetzesstelle.

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