OGH 10Ob85/08k

OGH10Ob85/08k14.10.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Kinder Lena Katharina U*****, geboren am 21. Jänner 1995, und Louisa U*****, geboren am 6. März 1998, beide *****, beide vertreten durch das Land Oberösterreich als Jugendwohlfahrtsträger (Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck, Sportplatzstraße 1 - 3, 4840 Vöcklabruck), über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Linz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 19. Juni 2008, GZ 21 R 165/08a, 21 R 166/08y-U28, womit infolge Rekurses des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Linz, die Beschlüsse des Bezirksgerichts Vöcklabruck vom 14. März 2008, GZ 1 P 130/05k-U19 und -U20, bestätigt wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Lena Katharina U*****, geboren am 21. 1. 1995, und Louisa U*****, geboren am 6. 3. 1998, sind wie ihre Mutter Anja F***** und ihr Vater Markus Rüdiger U***** deutsche Staatsangehörige. Die Ehe der Eltern wurde mit Urteil des Amtsgerichts Seligenstadt vom 13. 9. 2001 rechtskräftig geschieden.

Die beiden Mädchen werden von der Mutter in ihrem Haushalt in A***** betreut. Zuletzt wurde der nach wie vor in Deutschland wohnhafte Vater mit Beschluss des Bezirksgerichts Oberndorf vom 17. 6. 2004 für den Zeitraum ab 1. 4. 2004 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 205 EUR pro Kind verpflichtet. Mit Beschlüssen des Bezirksgerichts Oberndorf je vom 18. 2. 2005 wurden den beiden Kindern Unterhaltsvorschüsse nach §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von jeweils 135 EUR monatlich für den Zeitraum vom 1. 2. 2005 bis 31. 1. 2008 gewährt (die Reduktion gegenüber der Titelhöhe ist im Zusammenhang mit der Höhe des seinerzeit vom Vater bezogenen Arbeitslosengeldes zu sehen). Einem gegen diese beiden Beschlüsse erhobenen Rekurs des Bundes wurde mit Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht nicht Folge gegeben.

Am 7. 3. 2008 (ON U17 und U18) beantragte der Jugendwohlfahrtsträger in Vertretung der beiden Kinder die Weitergewährung der Unterhaltsvorschüsse in Höhe von monatlich 205 EUR (= Titelhöhe).

Mit Beschlüssen je vom 14. 3. 2008 hat das Erstgericht für den Zeitraum vom 1. 2. 2008 bis 31. 1. 2011 Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in einer monatlichen Höhe von jeweils 205 EUR weitergewährt. Begründet wurden die Weitergewährungsbeschlüsse damit, dass keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Voraussetzungen für die Vorschussgewährung nicht mehr gegeben wären.

Das Rekursgericht gab dem (sich im Wesentlichen auf die Begründung der höchstgerichtlichen Entscheidungen 4 Ob 4/07b, 6 Ob 121/07y und 1 Ob 267/07g berufenden) Rekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Linz, teilweise Folge und änderte die Beschlüsse des Erstgerichts dahin ab, dass den beiden Kindern die Unterhaltsvorschüsse für den Zeitraum vom 1. 2. 2008 bis 31. 1. 2011 in Höhe von jeweils 135 EUR monatlich weitergewährt wurden, während das Mehrbegehren auf einen weiteren Vorschusszuspruch in Höhe von monatlich 70 EUR je Kind für den genannten Zeitraum abgewiesen wurde.

Behaupte ein Kind in seinem Weitergewährungsantrag, dass die bei der Erstgewährung angenommenen Anspruchsvoraussetzungen weiterhin gegeben seien, sei das Gericht nicht berechtigt, den ursprünglichen Gewährungsbeschluss zu überprüfen; lediglich neue Versagungsgründe seien von Amts wegen zu beachten. Eine einer Änderung der Rechtslage gleichzuhaltende tiefgreifende Änderung der Rechtsprechung liege nicht vor. Es gebe nämlich erst drei einschlägige Entscheidungen, die sich alle nicht ausdrücklich mit der früheren Judikatur (insbesondere 4 Ob 117/02p) auseinandersetzten, sodass noch nicht von einer endgültigen Judikaturwende gesprochen werden könne. Die Anwendung der neuen Judikatur würde somit zu einer unzulässigen Durchbrechung der Rechtskraft des ursprünglichen Gewährungsbeschlusses führen, soweit Vorschüsse in einer Höhe von je 135 EUR gewährt worden seien.

Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil die Frage, ob in der neuen Judikatur des Obersten Gerichtshofs (4 Ob 4/07b, 6 Ob 121/07y und 1 Ob 267/07g) eine einer Gesetzesänderung gleichkommende tiefgreifende Änderung der Rechtsprechung zu erblicken sei, vom Höchstgericht bisher noch nicht entschieden worden sei.

Die Abweisung des Mehrbegehrens der beiden Kinder (Weitergewährung von Vorschüssen in Höhe von weiteren 70 EUR monatlich je Kind) ist in Rechtskraft erwachsen.

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Bundes mit dem Antrag auf Abänderung im antragsabweisenden Sinn.

In ihren Revisionsrekursbeantwortungen beantragen die Kinder (vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger) und die Mutter, dem Rekurs des Bundes nicht Folge zu geben. Der Vater hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, er ist jedoch nicht berechtigt.

Der Bund verweist im Wesentlichen darauf, dass der inzwischen gefestigte Judikaturwandel als eine tiefgreifende, einer Änderung der Rechtslage gleichzuhaltende Änderung der Rechtsprechung anzusehen sei, der die Rechtskraft des ursprünglichen Gewährungsbeschlusses nicht entgegenstehe. Somit sei aufzugreifen, dass die beiden Kinder in Österreich keinen Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse hätten.

Rechtliche Beurteilung

Dazu wurde Folgendes erwogen:

Es unterliegt keinem Zweifel, dass im Außerstreitverfahren ergangene Beschlüsse, wie etwa Unterhaltsbemessungs- und Unterhaltsvorschussgewährungs- beschlüsse, der materiellen Rechtskraft (nunmehr nach § 43 Abs 1 AußStrG „Verbindlichkeit der Feststellung": RV 224 BlgNR 22. GP 45) zugänglich sind (RIS-Justiz RS0107666, zuletzt etwa 7 Ob 293/06y und 3 Ob 43/07f) und nur bei Änderung der Sachlage oder der Rechtslage abgeändert werden können (RIS-Justiz RS0053297). Eine tiefgreifende Änderung der Rechtsprechung wird einer Änderung der Rechtslage gleichgehalten (4 Ob 42/05p = RIS-Justiz RS0007171 [T26] mwN).

1.1. Zu einer solchen tiefgreifenden Änderung der Rechtsprechung ist es im Zusammenhang mit den Anspruchsvoraussetzungen für österreichische Unterhaltsvorschüsse im Anwendungsbereich der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 („Wanderarbeitnehmerverordnung") nicht gekommen.

1.2. In der jüngsten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (4 Ob 4/07b, 6 Ob 121/07y, 1 Ob 267/07g) wurde in Widerspruch zur früheren Judikatur in vergleichbaren Fällen (4 Ob 117/02p = SZ 2002/77; 9 Ob 157/02g ua) die Ansicht vertreten, dass der Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse als Familienleistungen im Sinn der VO 1408/71 an die Rechtsstellung des Unterhaltsschuldners anknüpfe, in dessen Haushalt das Kind nicht lebe und der den ihm auferlegten Geldunterhalt als Familienlast nicht tragen könne oder wolle. Es sei daher für das Bestehen eines solchen Anspruchs nach den Kollisionsregeln der VO 1408/71 (nur) jenes System sozialer Sicherheit maßgebend, in das der Geldunterhaltsschuldner eingebunden sei.

1.3. Anders als bei der Berücksichtigung von Transferleistungen bei der Bemessung der Unterhaltshöhe (dazu 4 Ob 42/05p = RIS-Justiz RS0007171 [T26]) kann angesichts der in den letzten Jahren aufgetretenen Widersprüchlichkeit der Judikatur zur Leistungszuständigkeit für Unterhaltsvorschüsse nach der VO 1408/71 noch keineswegs von einer „tiefgreifenden Judikaturänderung" gesprochen werden.

1.4. Nach dem Konzept des § 18 Abs 1 UVG ist das Gericht nicht berechtigt, im Zusammenhang mit der Weitergewährung den ursprünglichen Gewährungsbeschluss zu überprüfen. Haben sich nach der Erstgewährung die Sach- und Rechtslage nicht geändert, ist eine abweichende rechtliche Beurteilung im Weitergewährungsverfahren im Hinblick auf die Rechtskraft des ursprünglichen Gewährungsbeschlusses ausgeschlossen (Neumayr in Schwimann, ABGB3 I § 18 UVG Rz 4).

Im Hinblick auf die Verneinung einer Änderung der Rechtslage (in Form einer tiefgreifenden Judikaturänderung) liegt kein Grund vor, die Vorschüsse nicht weiterzugewähren.

Dem Revisionsrekurs des Bundes ist daher ein Erfolg zu versagen.

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