OGH 7Ob293/06y

OGH7Ob293/06y31.1.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Pflegschaftssache des Walter G*****, geboren am 9. August 1988, und des minderjährigen Alexander G*****, geboren am 2. September 1993, dieser vertreten durch die Mutter DDr. Claudia G*****, alle vertreten durch Weixelbaum Humer Trenkwalder & Partner Rechtsanwälte OEG in Linz, wegen Unterhaltserhöhung, über deren Revisionsrekurs gegen den Beschluss des Landesgerichtes Wels als Rekursgericht vom 12. Juli 2006, GZ 21 R 262/06p (21 R 263/06k)-U40, womit (unter anderem) der Beschluss des Bezirksgerichtes Wels vom 15. Mai 2006, GZ 1 P 70/03k-U29, zum Teil als nichtig und zum Teil zur Fällung einer neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgehoben wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Punkt I.1) des Beschlusses des Rekursgerichtes und die erstinstanzliche Entscheidung im Umfang der Abweisung der begehrten Unterhaltserhöhung bis einschließlich Mai 2004 werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird auch in diesem Umfang die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern des inzwischen volljährig gewordenen Walter und des noch minderjährigen Alexander G***** wurde am 5. 5. 2004 gemäß § 55a EheG geschieden. Im Scheidungsfolgenvergleich, der am 11. 5. 2004 pflegschaftsbehördlich genehmigt wurde, einigten sich die Eltern auf eine gemeinsame Obsorge für ihre Kinder und deren hauptsächlichen Aufenthalt bei der Mutter. Der Vater verpflichtete sich, ab 1. 5. 2004 monatliche Unterhaltsbeiträge von EUR 320,-- für Walter und von EUR 280,-- für Alexander zu bezahlen. Ausdrücklich ausgehend von monatlichen Einkünften des Vaters von EUR 2.473,-- brutto war eine entsprechende Unterhaltsregelung von den auch damals bereits getrennt lebenden Eltern schon in einem Vergleich vom 12. 6. 2003 getroffen worden.

Am 14. 4. 2005 beantragte die Mutter namens der Kinder, die Unterhaltsverpflichtung des Vaters hinsichtlich Walter für den Zeitraum von 1. 5. 2003 bis 31. 8. 2003 auf EUR 630,-- und ab 1. 9. 2003 auf EUR 735,-- und hinsichtlich Alexander für den Zeitraum von 1. 5. 2003 bis 30. 9. 2003 auf EUR 555,-- und ab 1. 10. 2003 auf EUR 630,-- zu erhöhen. Der Vater sei nicht bereit, nachvollziehbare Unterlagen über sein Einkommen auszuhändigen. Es werde davon ausgegangen, dass er aus seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der D***** GmbH und durch Einnahmen aus Vermietung über ein monatliches Einkommen von rund EUR 4.500,-- verfüge.

Der Vater beantragte, die Unterhaltserhöhung zurück- oder abzuweisen. Er habe 2003 als Geschäftsführer ein monatliches Einkommen von EUR 2.128,06 brutto, also weniger als im Vergleich vom 12. 6. 2003 angenommen, erzielt. Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung von EUR 21.905,80 seien auf Grund einer Vereinbarung an die R***** reg. Genossenschaft abzuführen gewesen, deren Kreditnehmer er sei. Er erbringe den Kindern auch erhebliche Naturalleistungen und habe den Geldunterhalt bereits freiwillig auf monatlich insgesamt EUR 730,-- erhöht.

Das Erstgericht erhöhte die vom Vater ab 1. 5. 2005 zu leistenden Unterhaltsbeiträge für Walter auf EUR 450,-- und für Alexander auf EUR 405,-- und wies das Mehrbegehren ab. Der Vater habe in den Jahren 2002 bis 2004 ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von EUR 2.519,-- zur Verfügung gehabt. Nach der Prozentmethode (20 % für Walter und 18 % für Alexander) und unter Anrechnung der von der Mutter bezogenen Familienbeihilfe errechneten sich die vom Vater zu leistenden Unterhaltsbeträge mit EUR 450,-- für Walter und EUR 405,-- für Alexander. Im Hinblick auf die vom Vater freiwillig erbrachten „außertourlichen" Leistungen könne keinerlei Unterhaltsverletzung festgestellt werden. Ab 1. 5. 2005 seien jedoch keine zusätzlichen Leistungen mehr anzuerkennen, da der Vater ab diesem Zeitpunkt wissen habe müssen, dass die Mutter als Vertreterin der Kinder mit der Anrechnung solcher Leistungen auf den Unterhalt nicht einverstanden sei.

Das sowohl vom Vater als auch von den Kindern angerufene Rekursgericht hob den Beschluss des Erstgerichtes im Umfang der Abweisung der begehrten Unterhaltserhöhung bis einschließlich Mai 2004 als nichtig auf und wies den Unterhaltserhöhungsantrag in diesem Umfang zurück (Punkt I. 1.) seines Spruches). Im Übrigen (Unterhaltserhöhungsbegehren ab 1. 6. 2004 auf EUR 735,-- bzw EUR 630,--) hob es den erstinstanzlichen Beschluss auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Das Berufungsgericht führte (soweit im Revisionsrekursverfahren wesentlich) aus, die Entscheidung des Erstgerichtes über den Unterhaltserhöhungsantrag bis einschließlich Mai 2004 sei nichtig, weil im außerstreitigen Verfahren ergangene Unterhaltsbeschlüsse der materiellen Rechtskraft unterlägen, welche in jeder Lage des Verfahrens zu beachten sei. Gleiches müsse für Unterhaltsfestsetzungen in Form pflegschaftsbehördlich genehmigter Vergleiche gelten. Dem Unterhaltserhöhungsbegehren der Kinder für den Entscheidungszeitraum 1. 5. 2003 bis einschließlich 30. (soll wohl heißen 31.) 5. 2004 stehe daher die materielle Rechtskraft des Unterhaltsvergleiches vom 5. 5. 2004 entgegen. Im Umfang der Abweisung des Mehrbegehrens für den Zeitraum 1. 5. 2003 bis 31. 5. 2004 sei der angefochtene Beschluss daher als nichtig aufzuheben und der Unterhaltserhöhungsantrag zurückzuweisen.

Soweit von den Kindern ab 1. 6. 2004 Unterhaltserhöhungen auf EUR 735,-- bzw EUR 630,-- begehrt würden, sei die Sache mangels ausreichender Tatsachengrundlagen hingegen noch nicht entscheidungsreif. Das Erstgericht werde durch Vernehmung des Vaters zu seinen Kreditverbindlichkeiten im Zusammenhang mit dem vermieteten Objekt und Ergänzung des Sachverständigengutachtens die frei verfügbaren Einkünfte des Vaters in den Jahren 2003 bis 2005 festzustellen haben. Auch auf die Frage der Naturalleistungen zusätzlich zum geleisteten Geldunterhalt werde näher einzugehen sein. Zutreffend habe das Erstgericht aber bereits erkannt, dass für die Zeit ab Mai 2005 Naturalleistungen des Vaters nur noch insoweit zu berücksichtigen seien, als sie mit Zustimmung der Mutter erbracht worden seien. Das Erstgericht werde konkrete Feststellungen zu treffen haben, in welchem Umfang Naturalleistungen auch noch ab Mai 2005 mit Zustimmung der Mutter erbracht worden seien. Des weiteren werde zu klären sein, ob und seit wann der Vater tatsächlich EUR 730,-- insgesamt an Unterhalt für seine Kinder leiste und in welchem Verhältnis dieser Betrag auf die beiden entfalle. Erst dann werde endgültig entschieden werden können, ob der Vater die den Kindern für die jeweiligen Zeiträume zustehenden Unterhaltsbeträge insgesamt - in Geld oder Naturalien - geleistet habe oder nicht.

Das Rekursgericht sprach hinsichtlich Punkt I. 1) seiner Entscheidung zunächst aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Über Zulassungsvorstellung (§ 63 AußStrG) der Kinder erklärte es den ordentlichen Revisionsrekurs aber doch für zulässig: Im Hinblick darauf, dass der Oberste Gerichtshof in den Entscheidungen 6 Ob 120/03w, 6 Ob 18/97h und 4 Ob 319/98k, abweichend von der Entscheidung SZ 65/54, eine Neufestsetzung von Unterhalt auch für einen vor der letzten Unterhaltsentscheidung liegenden Zeitraum zulasse, sei der Zulässigkeitsausspruch abzuändern gewesen. Der ausschließlich gegen Punkt I. 1) der Rekursentscheidung gerichtete Revisionsrekurs der Unterhaltsberechtigten ist zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrages berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionsrekurswerber machen zutreffend geltend, dass die dem Punkt I.1) des angefochtenen Beschlusses zugrundeliegende Ansicht des Rekursgerichtes im Widerspruch zur ständigen oberstgerichtlichen Judikatur (auch zur vom Rekursgericht erwähnten Entscheidung SZ 65/54) steht. Danach ist die auch Beschlüssen im Außerstreitverfahren zukommende materielle Rechtskraft zwar in jeder Lage des Verfahrens zu beachten (SZ 44/181 ua). Zufolge der jeder Unterhaltsbemessung innewohnenden Umstandsklausel ist der Unterhaltsanspruch bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse durch das Gericht aber neu zu bestimmen (RIS-Justiz RS0018984). Die Umstandsklausel gilt sowohl für gerichtliche Entscheidungen, als auch für Unterhaltsvergleiche (1 Ob 550/94 mwN). Seit der Änderung der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Zulässigkeit von Unterhaltsbegehren für die Vergangenheit (verst. Sen. SZ 61/143) kann auch die Änderung der Verhältnisse für die Vergangenheit geltend gemacht werden. Die seinerzeitige Unterhaltsbemessung ist bei Bejahung geänderter Verhältnisse nicht mehr bindend (SZ 63/153 ua). Nach der im Schrifttum (Stabentheiner in Rummel ABGB3 § 140 Rz 15b) gebilligten Rechtsprechung ist geänderten tatsächlichen Verhältnissen ein Sachverhalt gleichzuhalten, bei dem die wahren Einkommensverhältnisse anlässlich der Unterhaltsfestsetzung unbekannt waren (SZ 65/54 ua) und die den Vergleich abschließenden Parteien irrtümlich von falschen Bemessungsgrundlagen ausgingen (RIS-Justiz RS0107667). Bei unrichtigen Angaben des Unterhaltspflichtigen über sein Einkommen ist eine Unterhaltserhöhung trotz eines vorliegenden rechtskräftigen Unterhaltstitels (pflegschaftsgerichtlich genehmigter Vergleich; Unterhaltsbeschluss) unter Heranziehung der Umstandsklausel zulässig. Dazu bedarf es keiner Anfechtung des Unterhaltsvergleiches im streitigen Verfahren (1 Ob 524/90, RZ 1990/117). Die materielle Rechtskraft der Entscheidung setzt voraus, dass dem Gericht alle für die Unterhaltsbemessung maßgebenden Umstände bekannt sein müssen, im Fall der Genehmigung eines Unterhaltsvergleiches oder bei der gleichzuhaltenden Unterhaltsfestsetzung, die den Vergleich als tragende Begründung heranzieht, also auch der Umstand, dass eine für die Bejahung einer anfechtungsfesten Willenseinigung erforderliche Vergleichsgrundlage vorlag. Der Irrtum einer Partei und der darauf beruhende Willensmangel kann daher im Sinn der weiten Auslegung der Umstandsklausel gegen die materielle Rechtskraft ins Treffen geführt und zum Gegenstand eines Unterhaltserhöhungsantrages - auch für die Vergangenheit - gemacht werden (6 Ob 18/97h; 4 Ob 319/98k; 6 Ob 120/03w; RIS-Justiz RS0107666; Reischauer, Unterhalt für die Vergangenheit und materielle Rechtskraft, JBl 2000, 421 [428]). Einen derartigen Irrtum beziehungsweise eine unrichtige Angabe des Vaters über sein Einkommen haben die Kinder schon im Erhöhungsantrag insofern geltend gemacht, als von ihnen behauptet wurde, der Vater habe tatsächlich wesentlich höhere Einkünfte als das den Unterhaltsvergleichen vom 12. 6. 2003 und vom 5. 5. 2004 zugrundegelegte monatliche Einkommen von EUR 2.473,-- brutto erzielt. Sollte dies zutreffen, stünde die Rechtskraft der beiden Unterhaltsvergleiche einer Unterhaltserhöhung im Zeitraum 1. 5. 2003 bis einschließlich Mai 2004 aber - entgegen der Ansicht des Rekursgerichtes - nicht entgegen. Ob dies zutrifft, lässt sich allerdings, wie vom Rekursgericht detailliert erörtert, auf der Basis der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen noch nicht beurteilen; insbesondere die frei verfügbaren Einkünfte des Vaters (auch) in den Jahren 2003 und 2004 sowie die von diesem im fraglichen Zeitpunkt erbrachten Naturalleistungen mit Unterhaltscharakter stehen noch nicht fest.

In Stattgebung des Revisionsrekurses ist daher der die erstinstanzliche Entscheidung teilweise als nichtig aufhebende Punkt I. 1) des angefochtenen Beschlusses aufzuheben. Weiters muss auch die den Zeitraum 1. 5. 2003 bis 31. 1. 2004 betreffende Entscheidung des Erstgerichtes - allerdings nicht als nichtig, sondern weil das erstinstanzliche Verfahren auch insoweit ergänzungsbedürftig ist, um eine gründliche Beurteilung der Sache zu ermöglichen - aufgehoben und dem Erstgericht auch diesbezüglich eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen werden.

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