OGH 1Ob178/08w

OGH1Ob178/08w16.9.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Susanne F*****, 2.) Marcel F*****, und 3.) Verlassenschaft nach dem am 20. Dezember 2006 verstorbenen Markus F*****, alle vertreten durch Mag. Arno Likar, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Paul F*****, vertreten durch Dr. Gerald Ruhri, Rechtsanwalt in Graz, wegen 1.) 17.000 EUR sA und Feststellung

(Streitwert 1.200 EUR), 2.) 20.000 EUR sA und Feststellung

(Streitwert 1.200 EUR), und 3.) 20.000 EUR sA und Feststellung (Streitwert 1.200 EUR), infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 29. Mai 2008, GZ 3 R 46/08x-68, mit dem das Endurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 20. Jänner 2008, GZ 20 Cg 39/06d-60, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 2.280,31 EUR (darin 380,05 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortungen binnen 14 Tagen zu ersetzen, und zwar die Erstklägerin zu 31 %, der Zweitkläger zu 40 %, und die Drittklägerin zu 29 %.

Text

Begründung

Der (damals 17-jährige) Beklagte wurde, ohne dazu begründeten Anlass gegeben zu haben, von mehreren Personen - unter anderem auch vom Zweitbeklagten und dessen Zwillingsbruder - bedroht, körperlich attackiert und verletzt. Nachdem er sich kurz befreit hatte und fortgelaufen war, wurde er neuerlich umringt und vom erwähnten Zwillingsbruder in den „Schwitzkasten" genommen. Der Beklagte wehrte sich durch Stiche mit einem Messer, die den Angreifer tödlich verletzten. Der Beklagte wurde wegen Notwehrexzesses rechtskräftig wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB strafgerichtlich verurteilt.

Die Mutter des Getöteten (Erstklägerin), sein Zwillingsbruder (Zweitkläger) und die Verlassenschaft nach einem (2 Jahre jüngeren) Bruder (Drittkläger) begehrten nun Schmerzengeld in Höhe von je 20.000 EUR - das (abgewiesene) Feststellungsbegehren ist nicht mehr Gegenstand des Verfahrens -, da sie aufgrund der Traumatisierung durch den Tod ihres Angehörigen psychische Belastungen mit Krankheitswert erlitten hätten.

Der Beklagte anerkannte gegenüber der Erstklägerin einen Schmerzengeldanspruch von 3.000 EUR, worüber ein Teilanerkenntnisurteil erging. Im Übrigen bestritt er das Klagebegehren. Den Getöteten treffe ein so hohes Maß an Mitschuld, dass ungeachtet der strafrechtlichen Verurteilung weitere Ansprüche der Kläger nicht bestünden.

Das Berufungsgericht verneinte Ersatzansprüche der Drittklägerin wegen des vergleichsweise geringen Verschuldens des Beklagten und des Fehlens einer psychischen Beeinträchtigung von Krankheitswert beim ursprünglichen Drittkläger. Ausgehend von einer Verschuldensteilung von 1 : 2 zugunsten des Beklagten und der Annahme, die durch den Tod ihres Angehörigen eingetretenen seelischen Alterationen mit Krankheitswert rechtfertigten ein (rechnungsmäßiges) Schmerzengeld von 18.000 EUR (Erstklägerin) bzw 6.000 EUR (Zweitkläger), gelangte das Berufungsgericht zu Zusprüchen von (weiteren) 3.000 EUR samt Zinsen an die Erstklägerin und von 2.000 EUR samt Zinsen an den Zweitkläger, wogegen alle übrigen erhobenen Klageforderungen abgewiesen wurden. Die ordentliche Revision hielt das Berufungsgericht mit der Begründung für zulässig, dass Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs im Fall eines Notwehrexzesses und der daraus ableitbaren Fragen beim Zuspruch von Schock-/Trauerschmerzengeld fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Kläger erweist sich als unzulässig, weil darin nicht aufgezeigt wird, dass die Entscheidung von der Beantwortung einer im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage abhinge. Gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO kann sich die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken:

1.) Die Beurteilung des Verschuldensgrads und das Ausmaß eines Mitverschuldens des Geschädigten können wegen ihrer Einzelfallbezogenheit nicht als erhebliche Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO gewertet werden, wenn kein wesentlicher Verstoß gegen maßgebliche Abgrenzungskriterien vorliegt (RIS-Justiz RS0087606). Auch die Frage, ob dem Beklagten leichte oder grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist, ist nach den konkreten Umständen des Falls zu beurteilen, und bildete nur dann eine erhebliche Rechtsfrage, wenn dem Berufungsgericht eine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen wäre (3 Ob 103/04z; 7 Ob 214/04b ua).

Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn es um die Gewichtung des Verschuldens eines (getöteten oder verletzten) Angreifers und jenes des Angegriffenen geht, der einen Notwehrexzess zu verantworten hat (vgl auch 1 Ob 791/80 in RIS-Justiz RS0027341). Dass ein völlig gleichartiger Sachverhalt vom Obersten Gerichtshof noch nicht entschieden wurde, begründet nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0107773). Eine solche liegt insbesondere dann nicht vor, wenn die für vergleichbare Sachverhalte entwickelten Grundsätze der Rechtsprechung auf den konkreten Sachverhalt anwendbar sind und ohne grobe Subsumtionsfehler angewendet wurden (4 Ob 13/04x; 3 Ob 99/08t ua).

2.) Die vom Berufungsgericht vorgenommene Gewichtung des Verschuldens des Beklagten einerseits und des Mitverschuldens des getöteten Angehörigen der Kläger andererseits stellt keine krasse Fehlbeurteilung dar, die vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit zu korrigieren wäre. Wenn die Revisionswerber primär darauf hinweisen, dass ihr Angehöriger dem Beklagten körperlich unterlegen gewesen sei und ihn bloß in den „Schwitzkasten" genommen habe, greifen sie unzulässigerweise nur einzelne Details aus dem gesamten maßgeblichen Sachverhalt heraus. Schon vorher war der Beklagte ohne jeden Anlass von zumindest fünf Personen attackiert, festgehalten und geschlagen worden, wobei er durch einen Faustschlag auch eine Verletzung im Gesicht erlitten hatte. Obwohl er sich bereits mit einem Messer zur Wehr gesetzt hatte und davongelaufen war, wurde er neuerlich umringt und vom - nach den Feststellungen im Strafurteil durchtrainierten - Angehörigen der Kläger festgehalten. Unter diesen Umständen musste der Beklagte jedenfalls damit rechnen, dass es neuerlich zu erheblichen körperlichen Attacken kommen werde, an denen sich auch die übrigen Burschen beteiligen würden. Er hatte also durchaus erheblichen Anlass dazu, sich zur Vermeidung der ihm drohenden Nachteile mit massiven Mitteln zur Wehr zu setzen. Angesichts der Feststellung, dass er Angst vor erheblichen Körperverletzungen hatte und verängstigt in eine gebückte Haltung gezwungen worden war, ist ihm seine - nach dem Ergebnis des Strafverfahrens zugrunde zu legende - Überreaktion weniger vorzuwerfen als die wiederholten und grundlosen Aggressions- und Angriffshandlungen des später Getöteten.

3.) Soweit die Erstklägerin und der Zweitkläger die Höhe des vom Berufungsgericht betragsmäßig pauschal festgelegten Schmerzengelds in Zweifel ziehen, ist ihnen entgegenzuhalten, dass auch die Frage der Schmerzengeldbemessung regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO darstellt, sofern keine eklatante Fehlbemessung vorliegt (RIS-Justiz RS0042887). Das Berufungsgericht hat ersichtlich auch berücksichtigt, dass sowohl die Erstklägerin als auch der Zweitkläger bereits vor dem Tod ihres Angehörigen psychisch stark beeinträchtigt waren, sodass nur für die darüber hinausgehenden, durch den Tod des Angehörigen verursachten Leiden Schmerzengeld zustehen kann. Nach den (unbekämpften) Feststellungen der Vorinstanzen waren diese Leidenszustände bei der Erstklägerin mit 10 Tagen starken, 20 Tagen mittelstarken und 80 Tagen leichten, beim Zweitkläger mit 2 Tagen starken, 10 Tagen mittelstarken und 25 Tagen leichten (körperlichen) Schmerzen vergleichbar. Unter diesen Umständen kann von einer krassen Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht keine Rede sein.

4.) Was schließlich den behaupteten Schmerzengeldanspruch der Drittklägerin betrifft, ist unstrittig, dass insoweit ein reiner „Trauerschaden" ohne Krankheitswert vorlag. In einem solchen Fall gebührt Schmerzengeld allerdings nur bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz des Schädigers (RIS-Justiz RS0115189). Das Berufungsgericht spricht in seiner rechtlichen Beurteilung zwar nur davon, dass auf Seiten des Beklagten keine „so starken Zurechnungsmomente" vorlägen, um im Lichte der dargelegten Judikatur den Zuspruch von „Trauerschmerzen" ohne Krankheitswert rechtfertigen zu können, will damit aber ganz ersichtlich zum Ausdruck bringen, dass es dem Beklagten somit nur leicht fahrlässiges Verhalten vorwerfen will. Wie bereits eingangs dargelegt, bildet die Beurteilung des Verschuldensgrads im Einzelfall aber regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50 Abs 1, 41 Abs 1 ZPO. Die Kläger trifft die Ersatzpflicht entsprechend ihrem jeweiligen Anteil am gesamten Revisionsstreitwert. Der Einheitssatz für die Revisionsbeantwortung beträgt allerdings nur 50 %.

Stichworte