European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2008:0030OB00101.08M.0903.000
Spruch:
Der Revisionsrekurs und der Rekurs werden zurückgewiesen.
Begründung
Das Erstgericht bewilligte der Betreibenden wider die Verpflichtete zur Hereinbringung der vollstreckbaren Forderung von 19.675,09 EUR sA die Pfändung der Forderung der Verpflichteten aus einem Leibrentenvertrag.
Das Rekursgericht gab dem gegen die Exekutionsbewilligung gerichteten Rekurs der Verpflichteten nicht Folge, eliminierte aber über Rekurs der Drittschuldnerin jenen Ausspruch aus der Exekutionsbewilligung, wonach die gepfändete Forderung unbeschränkt pfändbar sei. Insoweit trug es dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung auf.
Die Verpflichtete beantragte in der Zwischenzeit die Erhöhung des unpfändbaren Betrags gemäß § 292a EO, wobei sie in ihrem ersten Antrag vom 4. Dezember 2007 die Erhöhung auf „die Summe der monatlichen Heimkosten", deren Höhe sich aus ihrem Vorbringen mit 2.713,12 EUR ergibt, beantragte (ON 3). Die Verpflichtete wiederholte den Antrag, das Existenzminimum für sie anzuheben, am 6. Dezember 2007 (ON 6) und am 8. Februar 2008 (ON 11), allerdings ohne beziffertes Begehren. Sie verwies auf ihre Einkommens- und Vermögenssituation, insbesondere darauf, dass sie auf sämtliche Einkünfte - also auch auf die Leibrentenforderung - angewiesen sei, um einen möglichst hohen Anteil der für ihre Betreuung erforderlichen Heimaufenthaltskosten tragen zu können. Sie müsse ohnehin darüber hinaus von ihren Kindern unterstützt werden.
Die Betreibende sprach sich dagegen aus, die gepfändete Leibrentenforderung für beschränkt pfändbar zu erklären bzw das Existenzminimum für die Verpflichtete anzuheben.
Das Erstgericht sprach aus, dass es sich bei der Forderung aus dem Leibrentenvertrag um eine unbeschränkt pfändbare Forderung handle, entschied über die Kosten der Schriftsätze der Betreibenden und der Verpflichteten sowie der Drittschuldnerin und wies den Antrag der Verpflichteten auf Erhöhung des unpfändbaren Betrags nach § 292a EO ab.
Das Rekursgericht erklärte die gepfändete Leibrentenforderung über Rekurs der Verpflichteten und der Drittschuldnerin für beschränkt pfändbar gemäß § 290a Abs 1 Z 11 EO, verhielt die Betreibende zum Kostenersatz an die Verpflichtete und die Drittschuldnerin und hob im Übrigen - somit im Umfang des Ausspruchs, dass der Antrag der Verpflichteten auf Erhöhung des unpfändbaren Betrags nach § 292a EO abgewiesen werde - den erstgerichtlichen Beschluss als nichtig auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es sprach weiters aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs gegen den abändernden Beschlussteil und der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss zulässig seien, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Auslegung der materiellen Rechtskraft der Exekutionsbewilligung im Verhältnis zwischen Verpflichteter und Drittschuldnerin fehle und ebenso ungeklärt sei, ob die unterlassene Einvernahme des Betreibenden (Verstoß gegen § 292k Abs 4 EO) Nichtigkeit begründe oder bloß einen Verfahrensmangel.
Die gegenüber der Verpflichteten auch im Umfang des Ausspruchs, wonach die gepfändete und überwiesene Rentenforderung unbeschränkt pfändbar sei, in Rechtskraft erwachsene Exekutionsbewilligung halte dem nunmehr durch das Erstgericht erhobenen Sachverhalt bzw dem neuen Parteivorbringen (ON 10 und 11) nicht Stand, sodass die materielle Rechtskraft der Exekutionsbewilligung die Verpflichtete nicht an der Erhebung eines Rekurses gegen den nunmehrigen Beschluss hindere. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts und dem Standpunkt der Betreibenden sei der Versorgungscharakter der Leibrente zu bejahen. Die Verpflichtete benötige auch die hier gepfändete monatliche Rente zur Deckung der Kosten ihrer Heimunterbringung, weil diese durch ihre eigene Pension (inklusive Sonderzahlungen) und das Pflegegeld nicht abgedeckt werden könnten. Die der Verpflichteten darüber hinaus zustehenden Rechte an einer Eigentumswohnung und -garage änderten daran nichts, weil diese ungeachtet der Bezeichnung als Fruchtgenussrechte bloß höchstpersönliche Wohnungsgebrauchsrechte im Sinn der §§ 504, 521 ABGB seien. Die Verpflichtete könne aus diesen Rechten daher kein Einkommen erzielen. Die Verpflichtete dürfe auch nicht auf ihre Unterhaltsansprüche gegenüber ihren Kindern verwiesen werden, diese zeigten vielmehr den Unterhaltscharakter der Leibrentenforderung auf. Da die Betreibende zu dem wiederholten Antrag auf Erhöhung des unpfändbaren Betrags nach § 292a EO nicht gehört worden sei, die Entscheidung des Erstgerichts daher gegen die Anhörungsverpflichtung des § 292k Abs 4 EO verstoßen habe, sei der angefochtene Beschluss insoweit als nichtig aufzuheben. Das Erstgericht werde die Verpflichtete im fortgesetzten Verfahren anzuleiten haben, einen ziffernmäßig konkreten Antrag zu stellen, auf welchen Betrag der unpfändbare Freibetrag zu erhöhen sei. Danach werde der Betreibenden im Sinn des § 55 EO rechtliches Gehör zu gewähren sein.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs und der Rekurs der Betreibenden, mit dem sie die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses (unbeschränkt pfändbare Leibrentenforderung, Abweisung des Existenzminimumerhöhungsantrags) anstrebt, ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.
1. Der Oberste Gerichtshof sprach wiederholt aus, dass eine verfassungskonforme Auslegung des § 55 Abs 3 EO gebiete, die dort normierte Befugnis des Gerichts zur bindenden Verpflichtung zu machen, wenn nach der Lage des Falls eine verlässliche Klärung die Stellungnahme des Antragsgegners erfordere (3 Ob 30/94 = SZ 67/63 = EvBl 1994/150 ua; RIS‑Justiz RS0016150). Überall dort, wo eine mündliche Verhandlung oder die Einvernehmung einer Partei erforderlich ist, bildet die Unterlassung derselben nicht bloß einen schlichten Verfahrensmangel, sondern eine von Amts wegen wahrzunehmende Nichtigkeit im Sinn des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO (3 Ob 28/99k = SZ 72/108 = JBl 2000, 43; 3 Ob 256/98p = RpflE 1999/78). Dieser Rechtsprechung folgt das Rekursgericht, wenn es den erstgerichtlichen Verstoß gegen die Verpflichtung gemäß § 292k Abs 4 EO, vor der Entscheidung die Parteien einzuvernehmen, als von Amts wegen aufzugreifende Nichtigkeit beurteilt. Dieser Verfahrensverstoß kann nicht im Sinne einiger zweitinstanzlicher Entscheidungen auch als bloßer Verfahrensmangel, der allerdings von Amts wegen aufzugreifen wäre, verstanden werden.
2. Die vom Rekursgericht aufgeworfene Frage nach der materiellen Rechtskraft der Exekutionsbewilligung, welche den Rekurs der Verpflichteten im zweiten Rechtsgang zur Frage, ob die gepfändete Leibrentenforderung bloß beschränkt pfändbar nach § 290a Abs 1 Z 11 EO sei, allenfalls unzulässig machen könne, stellt sich hier nicht. Die Frage nach der allenfalls beschränkten Pfändbarkeit der in Exekution gezogenen Leibrentenforderung wurde ungeachtet der Abweisung des Rechtsmittels der Verpflichteten im ersten Rechtsgang nicht entschieden, zumal das Rekursgericht die Exekutionsbewilligung im Umfang dieses Ausspruchs aufhob. Von materieller Rechtskraft der Exekutionsbewilligung kann daher keine Rede sein; insbesondere im Hinblick darauf, dass die Beurteilung einer Leibrentenforderung als unbeschränkt oder beschränkt pfändbar im Sinn des § 290a Abs 1 Z 11 EO gegenüber der Verpflichteten und der Drittschuldnerin nicht verschieden gelöst werden kann. Im zweiten Rechtsgang war die Verpflichtete daher zur Erhebung eines Rekurses gegen die neuerliche Erklärung der Leibrentenforderung für unbeschränkt pfändbar ebenso legitimiert wie die Drittschuldnerin.
3. Zur Frage des Unterhaltscharakters einer Leibrentenforderung besteht Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs: Für die Unpfändbarkeit der Leibrentenforderung genügt, dass der Leibrentenberechtigte nach seinen jeweiligen Einkommens- und Vermögensverhältnissen zur Deckung seines Unterhalts auf die Leibrente angewiesen ist; dieser Umstand muss nicht vom Vertragszweck umfasst sein; maßgeblich sind die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Pfändung, es besteht keine Veranlassung, auf die Umstände bei Vertragsabschluss abzustellen (3 Ob 21/95 = SZ 68/82). Der Versorgungscharakter der Zahlung liegt bei der gegebenen Situation (Heimkosten übersteigen die Pension samt Pflegegeld der Verpflichteten) nahe. Eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende krasse Fehlbeurteilung liegt keinesfalls vor.
4. Die Abgrenzung zwischen einem Fruchtgenussrecht an einer Wohnung und einem bloßen Wohnungsgebrauchsrecht ist nach den Umständen des Einzelfalls vorzunehmen und wirft daher gleich der Vertragsauslegung im Einzelfall im Allgemeinen grundsätzlich keine erheblichen Rechtsfragen nach § 528 Abs 1 ZPO auf. Aus dem „höchstpersönlichen" Charakter der vertraglichen Rechtsbegründung auf das Vorliegen eines bloßen Gebrauchsrechts zu schließen, bildet keine im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende (krasse) Fehlbeurteilung des Rekursgerichts, ist doch im Zweifel ein bloßes Gebrauchsrecht anzunehmen (RIS‑Justiz RS0011818 [T3], vgl RIS‑Justiz RS0011876).
5. Die von der Betreibenden als erheblich bezeichneten Fragen zur Aufteilung des Exekutionsverfahrens in ein Zwischen- und ein weiteres Verfahren betreffen ausschließlich Kostenfragen, welche grundsätzlich nicht an den Obersten Gerichtshof heranzutragen sind (vgl § 528 Abs 2 Z 3 ZPO).
6. Ein vom Rekursgericht aufgetragener Verbesserungsversuch ist in dritter Instanz nicht anfechtbar; Lehre und Rechtsprechung sind darin einig, dass ein Verbesserungsauftrag überhaupt nicht erfolgreich bekämpft werden kann; erst die Zurückweisung des nicht verbesserten Schriftsatzes berührt die Interessen des Einschreiters, wobei es keinen Unterschied macht, ob der Auftrag vom Erst- oder einem Rechtsmittelgericht stammt (RIS‑Justiz RS0036243).
Der Revisionsrekurs der Betreibenden ist ebenso wie ihr gegen den aufhebenden Beschluss des Rekursgerichts gerichteter Rekurs mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen.
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