OGH 7Ob88/08d

OGH7Ob88/08d27.8.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Vogl Rechtsanwalt GmbH in Feldkirch, gegen die beklagte Partei G***** Versicherungs AG, *****, vertreten durch Dr. Michael Konzett, Rechtsanwalt in Bludenz, wegen 123.350,69 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 8. Februar 2008, GZ 4 R 284/07g-48, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Nach Art 8.1.3.1 AHVB 1993 hat der Versicherungsnehmer den Versicherer umfassend und unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche ab Kenntnis zu informieren und insbesondere den Versicherungsfall anzuzeigen. Diese Bestimmung kann nur so ausgelegt werden, dass der Versicherungsfall spätestens innerhalb von einer Woche ab Kenntnis des Schadensfalls zu melden ist. Wenn das Berufungsgericht vertritt, dass diese Bestimmung nicht zweifelhaft sei und es nicht auf den Zeitpunkt der subjektiven Erkenntnis der Klägerin, sie könne auch von der Beklagten Deckung fordern, ankomme, ist dies nicht zu beanstanden.

Auf die Einhaltung der Erfüllung von Obliegenheiten kann ebenso wie auf die Einhaltung von Formvorschriften, soweit es sich um vertragliche Vereinbarungen handelt, von dem dadurch Berechtigten verzichtet werden (RIS-Justiz RS0106627). Hier forderte die Beklagte jedoch von Beginn an die Vorlage von (weiteren) Unterlagen, um den Vorfall prüfen zu können. Die Prüfung des Schadensfalls durch den Versicherer dient nicht nur der Abklärung, ob überhaupt ein Versicherungsfall vorliegt, sondern auch, ob bei Vorliegen einer Obliegenheitsverletzung der Kausalitätsgegenbeweis erbracht ist. Die Rechtsansicht, dass aus dem grundsätzlichen Eingehen auf den Schadensfall noch kein Verzicht auf die Geltendmachung einer Obliegenheitsverletzung abzuleiten ist, ist daher nicht zu beanstanden. Auch in einer bestimmten Begründung einer Ablehnung liegt nicht grundsätzlich ein Verzicht auf andere als die genannten Einwendungen gegenüber dem Anspruch des Versicherungsnehmers, und zwar auch dann nicht, wenn ihre Voraussetzungen dem Versicherer bekannt waren (RIS-Justiz RS0043234). Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass auch in der Ablehnung der Deckung ohne Bezugnahme auf die Verletzung der Anzeigeobliegenheit der Klägerin in diesem Fall kein Verzicht auf deren Geltendmachung zu erblicken ist, hält sich daher im Rahmen der Rechtsprechung.

Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall dienen dem Zweck, den Versicherer vor vermeidbaren Belastungen und ungerechtfertigten Ansprüchen zu schützen. Die Drohung mit dem Anspruchsverlust soll den Versicherungsnehmer motivieren, die Verhaltensregeln ordnungsgemäß zu erfüllen; ihr kommt eine präventive Funktion zu (7 Ob 63/02v). Nach ständiger Rechtsprechung trifft für das Vorliegen des objektiven Tatbestands einer Obliegenheitsverletzung die Beweislast den Versicherer, während es Sache des Versicherungsnehmers ist, zu behaupten und zu beweisen, dass er die ihm angelastete Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen habe. Der Versicherte kann sich von den Folgen einer Obliegenheitsverletzung nur durch den Beweis der leichten Fahrlässigkeit (RIS-Justiz RS0043728) oder durch den Kausalitätsgegenbeweis, das ist der Nachweis, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers einen Einfluss gehabt hat (RIS-Justiz RS0116979), befreien. Die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass - bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Begehung von Obliegenheitsverletzungen - die Verletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung und den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistungen einen Einfluss gehabt hat, trifft - entgegen der Ansicht der Revisionswerberin - den Versicherungsnehmer (RIS-Justiz RS0081313, RS0043728). Die Frage, ob den Versicherungsnehmer an der Obliegenheitsverletzung ein Verschulden trifft und welche Verschuldensform er zu verantworten hat, ist jeweils eine Frage des Einzelfalls. Hier wartete die Klägerin die Ablehnung der Deckung durch den Haftpflichtversicherer der Werkunternehmerin ab, bevor sie etwa vier Monate nach Schadenseintritt der Beklagten eine Schadensmeldung zukommen ließ. Das Berufungsgericht war der Ansicht, die Klägerin hätte bereits im Zeitpunkt des Schadensfalls naheliegender Weise erkennen müssen, dass sie als unmittelbare Verursacherin des Schadens (Anordnung der Flutung der Baustelle) zur Schadenstragung herangezogen werden könnte; es könne ihr auch nicht entfallen sein, mit der Beklagten eine entsprechende Haftpflichtversicherung (gerade auch für die betreffende Baustelle, wobei die Versicherungssumme für Überflutungsschäden anlässlich des Kraftwerksbaus erst einige Monate zuvor um das Zehnfache erhöht worden war) abgeschlossen zu haben. Das Unterlassen der Meldung des Schadensfalls an die Beklagte innerhalb einer Woche ab dessen Kenntnis sei ihr daher als grobes Verschulden anzulasten. Diese mit überzeugenden Argumenten begründete Rechtsansicht ist nicht zu beanstanden.

Das Erstgericht führte im Rahmen seiner Feststellungen aus, dass „aufgrund der ausführlichen Dokumentation des Schadensereignisses, Lichtbilder und Videofilme sowie aufgrund der von der örtlichen Bauaufsicht geprüften Leistungen der ARGE (Werkunternehmerin) im Zuge der Sanierungsmaßnahmen der Beklagten keine Möglichkeiten entgangen" seien, „den Versicherungsfall entsprechend feststellen und beurteilen zu können". Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung wiederholte es seine Ansicht, dass es der Beklagten aufgrund dieser Dokumentation möglich gewesen sei, „alles zu erheben, was zur Beurteilung der Leistungspflicht und Schadensfeststellung notwendig war". Die Ausführungen des Berufungsgerichts, dass sich die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts somit sinngemäß darauf beschränkten, dass der Beklagten Lichtbilder und Videofilme von der gefluteten Baustelle vor deren Sanierung und ein von der Bauaufsicht geprüftes Leistungsverzeichnis betreffend die Sanierungsmaßnahmen zur Beurteilung des Schadensfalls vorlagen, ist durchaus zu billigen. Ob die genannten Unterlagen hinreichten, der Beklagten die Feststellung des Versicherungsfalls und den Umfang ihrer Ersatzpflicht in gleichwertiger Weise zu ermöglichen, wie wenn sie sich selbst (durch eigene Experten) von der beschädigten Baustelle vor deren Sanierung ein Bild hätte machen können und ob daher mit Fotos und Videofilmen von einer beschädigten Sache und einem Verzeichnis von Sanierungsmaßnahmen der Kausalitätsgegenbeweis im Sinn des § 6 Abs 3 VersVG erbracht ist, ist hingegen eine Rechtsfrage. Das Berufungsgericht hatte daher im Sinn seiner allseitigen Prüfungspflicht in rechtlicher Hinsicht (Kodek in Rechberger3, § 471 ZPO Rz 9 mwN) auch zu beurteilen, ob der Kausalitätsgegenbeweis aus rechtlicher Sicht im vorliegenden Verfahren erbracht wurde. Der Kausalitätsgegenbeweis ist strikt zu führen. Ein wirksamer Gegenbeweis setzt voraus, dass ihm eine Beweislage zugrunde liegt, die jener gleichwertig ist, die der Versicherte durch seine Obliegenheitsverletzung zerstört oder eingeschränkt hat (RIS-Justiz RS0081225).

Im vorliegenden Fall war von der Beklagten unter anderem zu beurteilen, ob die Klägerin die Baugrube für die Errichtung des Kraftwerks entsprechend dem Bauplan, der dem Abschluss des Versicherungsvertrags zugrunde lag, herstellen ließ oder ob (allenfalls auf Veranlassung oder in Kenntnis der Klägerin) davon abweichende Baumaßnahmen gesetzt wurden, die eine Verringerung der Wasserabfuhrmöglichkeit bewirkten, sodass durch starke Regenfälle ein stärkeres Ansteigen des Wasserpegels verursacht wurde (allfällige Risikoerhöhung). Weiters war für die Beurteilung des Schadensfalls für die Beklagte wesentlich, ob durch das von der Klägerin veranlasste Öffnen der Bohlenwand, die zur Überschwemmung der Baugrube führte, tatsächlich jene Schäden entstanden sind, die ihr gegenüber in der Folge von der Klägerin geltend gemacht wurden. Bei der Beurteilung des vorliegenden Versicherungsfalls kommt es daher im besonderen Maß auf die Befundung vor Ort an. Dass Lichtbilder und Videofilme von einer derart umfangreichen Baustelle (großflächige Baugrube mit starken Höhendifferenzen) selbst bei entsprechendem Bemühen der Hersteller des Bildmaterials um objektive Darstellung der tatsächlichen Gegebenheiten letztlich nicht sicherstellen können, dass die Örtlichkeiten umfassend naturgetreu dargestellt sind, liegt auf der Hand. Auch der Umstand, dass ein Leistungsverzeichnis über die Sanierungsmaßnahmen erstellt und von der Bauaufsicht geprüft wurde, besagt noch nicht, dass dieses damit denknotwendig auch richtig ist und jene Schäden umfasst, die vom Versicherer zu ersetzen sind. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass in diesem besonderen Fall die Dokumentation des Schadensfalls durch Lichtbilder, Videofilme und durch von der Bauaufsicht geprüfte Rechnungen die eigene Befundaufnahme der durch die Flutung der Baugrube entstandenen Schäden vor deren Beseitigung nicht ersetzen können und insbesondere keinen strikten Gegenbeweis darstellen, hält sich daher im Rahmen der Rechtsprechung. Die Klägerin kann sich weiters auch nicht auf das von einem anderen Versicherer eingeholte Gutachten berufen, weil es auch diesem anderen Versicherer wegen der von der Klägerin sofort veranlassten Schadensbeseitigung nicht ermöglicht worden war, die Örtlichkeiten unmittelbar nach dem Schadenseintritt zu begutachten.

Eine erhebliche Rechtsfrage wird nicht geltend gemacht, weshalb die Revision zurückzuweisen ist. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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