OGH 12Os83/08k (12Os107/08i)

OGH12Os83/08k (12Os107/08i)22.8.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. August 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. Lässig und Dr. T. Solé als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Falmbigl als Schriftführer, in der Strafsache gegen Cemal Y***** und Ali K***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG und anderer strafbarer Handlungen über den Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten Cemal Y***** sowie über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der beiden Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 19. März 2008, GZ 38 Hv 232/07p-86, und über die Beschwerde des Angeklagten Ali K***** gegen den gleichzeitig gefassten Beschluss gemäß § 494a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung

I. den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Angeklagten Cemal Y***** wird hinsichtlich der Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt;

II. zu Recht erkannt:

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Cemal Y***** und Ali K***** werden

1. das angefochtene Urteil, welches im Übrigen unberührt bleibt, in dem Cemal Y***** betreffenden Schuldspruch A sowie in dem Ali K***** betreffenden Schuldspruch B und damit auch in den beiden Strafaussprüchen (nicht aber im Umfang des Einziehungserkenntnisses nach § 34 SMG iVm § 26 StGB) und

2. der unter einem gefasste, den Angeklagten Ali K***** betreffende Beschluss nach § 494a StPO

aufgehoben und die Strafsache insoweit an das Erstgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Beide Angeklagten werden mit ihren Berufungen, der Angeklagte Ali K***** überdies mit seiner implizierten Beschwerde, auf diese Entscheidung verwiesen.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Cemal Y***** der Vergehen nach § 27 Abs 1 erster, zweiter und sechster Fall SMG aF (A I), des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 2 Z 3 SMG (A II) und des Vergehens der falschen Beweisaussage vor Gericht nach § 288 Abs 1 StGB (C) sowie Ali K***** der Vergehen nach § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG aF (B I), der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z1 achter Fall, Abs 3 und 5 erster Fall SMG, teils als Beteiligter nach § 12 dritter Fall StGB, (B II) und des Vergehens der falschen Beweisaussage vor Gericht nach § 288 Abs 1 StGB (C) schuldig erkannt.

Danach haben - soweit hier von Relevanz und verkürzt zusammengefasst - in Salzburg vorschriftswidrig

A.

Cemal Y*****

I. von Herbst 2005 bis Oktober 2006 Heroin erworben und bis zum Eigenkonsum besessen sowie unentgeltlich ein Gramm dem Arzu I***** überlassen,

II. von Juni 2006 bis 20. Oktober 2006 mindestens 676,5 Gramm Heroin brutto (zumindest 60 Gramm Reinsubstanz) in einer das 15-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge anderen Personen überlassen;

B.

Ali K*****

I. von März 2006 bis Oktober 2006 Suchtgifte erworben und zum jeweiligen Eigenkonsum besessen;

II. vom Sommer 2006 bis Oktober 2006 Heroin gewerbsmäßig anderen überlassen, und zwar

1. von Juni 2006 bis Oktober 2006 als Beitragstäter (§ 12 dritter Fall StGB) durch Begleiten des Cemal Y***** bei einem Teil seiner Suchtgiftweitergaben;

2. bis 5. von Herbst 2005 bis Herbst 2006 Heroin als unmittelbarer Täter (§ 12 erster Fall StGB).

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richten sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Cemal Y***** sowie die auf § 281 Abs 1 Z 5a und 11 StPO gegründete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Ali K*****.

Darüber hinaus begehrt der Angeklagte Cemal Y***** hinsichtlich der Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Zum Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten Cemal Y*****:

Der Angeklagte Cemal Y***** bringt in seinem Wiedereinsetzungsantrag vor, dass die Kanzleikraft seines Rechtsanwalts, die ihre Aufgaben bisher immer zur vollsten Zufriedenheit erfüllt habe und der bisher kein Fehler unterlaufen sei, den Akt aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen abgelegt habe, anstatt die „Berufung“ im Kalender einzutragen.

Dem - durch eidesstättige Erklärung der Sekretärin des Anwalts gestützten - Antrag kommt Berechtigung zu, weil das Verschulden einer Kanzleiangestellten der Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht entgegensteht, wenn es sich - wie im vorliegenden Fall - um ein einmaliges Versehen handelt, das angesichts der Verlässlichkeit und Bewährung der Kanzleikraft nicht zu erwarten war, und dem Verteidiger keine Verletzung der von ihm zu erwartenden Sorgfalts-, Organisations- und Kontrollpflichten vorgeworfen werden muss (vgl RIS-Justiz RS0101310, RS0101329).

Zu den Nichtigkeitsbeschwerden der beiden Angeklagten:

Aus Anlass beider Nichtigkeitsbeschwerden waren die von den Angeklagten nicht geltend gemachten und die Schuldsprüche A und B betreffenden Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 Z 9 lit a und 10 StPO von Amts wegen wahrzunehmen (§ 290 Abs 1 StPO):

Die Tatrichter sprachen Cemal Y***** wegen des Überlassens einer das 15-fache der Grenzmenge übersteigenden Suchtgiftmenge (§ 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 2 Z 3 SMG) schuldig (A II 1 - 7) und bezeichneten diese im Urteilstenor deklarativ (vgl Fabrizy StPO10 § 260 Rz 2) mit 676,5 Gramm Heroin brutto (zumindest 60 Gramm Reinsubstanz). Feststellungen in den Entscheidungsgründen darüber, welchen Reinheitsgehalt das vom Beschwerdeführer Cemal Y***** anderen überlassene Suchtgift hatte, finden sich jedoch nicht. Lediglich die Qualität des bei einem der beiden (vgl US 8) Lieferanten des Erstangeklagten sichergestellten Heroins wurde ohne Bezugnahme auf das von diesem Angeklagten verhandelte Suchtgift beschrieben (vgl US 10). Überdies geht aus den Konstatierungen nicht hervor, ob beide Lieferanten das Suchtgift ihrerseits von derselben Quelle bezogen hatten und wieviel Heroin der Erstangeklagte von welchem der beiden Zwischenhändler erhalten hatte (vgl einerseits US 8 [Suchtgiftbezug von Ranko und Mirko S*****] und andererseits US 15 [von Mirko S***** übernommene Menge]). Damit bleibt unklar, inwieweit das erkennende Gericht Rückschlüsse aus der Qualitätsbestimmung der bei Mirko S***** sichergestellten Suchtgiftmengen auf die Qualität der dem Nichtigkeitswerber angelasteten Heroinmengen zog (vgl US 16).

Konstatierungen über den Reinheitsgehalt zur Beurteilung des Vorliegens einer die Grenzmenge übersteigenden Menge (deren Untergrenze nach § 28b iVm Anhang 1 der Suchtgift-Grenzmengenverordnung BGBl II 1997/377 idF BGBl II 2006/228 bei Heroin mit 3 Gramm Reinsubstanz festgesetzt wurde) sind für die Subsumtion unter den Tatbestand des § 28a SMG (bzw bei mehrfacher Überschreitung der Grenzmenge: unter die Tatbestände; vgl Schroll, RZ 2008, 92; 12 Os 48/08p ua) unerlässlich (vgl RIS-Justiz RS0111350). Die im Urteilsspruch angegebene Nettomenge Heroin vermag fehlende Feststellungen nicht zu ersetzen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 580).

Bleibt noch festzuhalten, dass die Annahme der erst mit der SMG-Novelle 2007 eingeführten Qualifikation der Überschreitung des Fünfzehnfachen der Grenzmenge nach § 28a Abs 2 Z 3 SMG und damit die darauf basierende, gegenüber dem Grunddelikt des vor Inkrafttreten des § 28a Abs 1 SMG in Geltung gewesenen § 28 Abs 2 SMG aF höhere Strafdrohung auf ein Tatverhalten, welches vor Inkrafttreten dieser neuen Bestimmung lag, dem verfassungsgesetzlich vorgegebenen (Art 7 Abs 1 MRK) Rückwirkungsverbot des § 1 Abs 1 StGB widerspricht.

Im Hinblick darauf ist gemäß § 289 StPO überdies der den Angeklagten Cemal Y***** betreffende Schuldspruch A I aufzuheben. Vorweg ist dazu klarzustellen, dass angesichts des zu diesem Schuldspruch angenommen Eigenkonsums von Suchtgiften und der einmaligen, unentgeltlichen Überlassung von Heroin an Arzu I***** (vgl US 8 und 9) die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 27 Abs 2 SMG erfüllt sind, weil unter dem „ausschließlich persönlichen Gebrauch“ iSd Bestimmung nicht nur der Eigenkonsum, sondern auch das uneigennützige Handeln für den persönlichen Gebrauch eines anderen (vgl § 35 Abs 1 zweiter Fall SMG) zu verstehen ist. Dies folgt schon daraus, dass im § 27 Abs 2 SMG auf die Straftat (nach Abs 1 leg cit) abgestellt wird, welche auch die Tathandlungen des Anbietens, Überlassens oder Verschaffens umfasst und insoweit nur in Bezug auf einen anderen Suchtgiftverbraucher als den Täter anwendbar ist (vgl Einführungserlass zur SMG-Novelle 2007, 5). Angesichts der im § 27 Abs 2 SMG vorgesehenen Strafdrohung im Zusammenhalt mit der nunmehr gegenüber der Rechtslage vor Inkrafttreten der SMG-Novelle 2007 wesentlich weiter gehenden Diversionsmöglichkeit nach § 35 Abs 1 SMG wäre nach § 48 SMG iVm § 61 StGB fallbezogen - anders als vom erkennenden Gericht angenommen - die für den Erstangeklagten güngstigere Bestimmung des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 2 iVm Abs 1 Z 1 erster, zweiter und achter Fall SMG anzuwenden gewesen.

Ungeachtet dessen hängt die Zulässigkeit einer Verurteilung nach § 27 Abs 2 iVm Abs 1 Z 1 erster, zweiter und achter Fall SMG davon ab, ob dem Beschwerdeführer im zweiten Rechtsgang neuerlich eine weitere, über einen Tatbestand nach §§ 27 Abs 1 und 2 SMG hinausgehende (vgl insoweit die anzuwendenden, gegenüber der alten Fassung günstigeren Bestimmungen von § 35 Abs 1 iVm § 37 SMG idFd SMG-Novelle 2007; vgl auch 12 Os 94/08b) strafbare Handlung nach dem Suchtmittelgesetz zur Last fällt (vgl RIS-Justiz RS0119278, RS0115884).

In Bezug auf den den Zweitangeklagten K***** betreffenden Schuldspruch B II 1 ging das Schöffengericht davon aus, dass der Erstangeklagte Cemal Y***** diesen ersuchte, ihn bei seinen Heroinverkäufen zu begleiten. Als Belohnung für die tatsächliche Begleitung bei einer unbekannten Anzahl der dem Erstangeklagten vorgeworfenen Übergaben erhielt der Zweitangeklagte unentgeltlich Heroin (US 9).

Feststellungen dahingehend, ob der Vorsatz des Zweitangeklagten Ali K***** auf einen kausalen physischen oder psychischen Beitrag zur Tat des Angeklagten Cemal Y***** gerichtet war (vgl Kienapfel/Höpfel AT12 E 5 Rz 7 und 11 iVm E 4 Rz 8; Fabrizy in WK² § 12 Rz 100 ff) und ob dieser intendierte Tatbeitrag vom unmittelbaren Täter in Anspruch genommen oder sonst erfolgswirksam wurde, lassen sich dem Urteil nicht entnehmen, obwohl das bloße Begleiten des Täters zum Tatort, der Aufenthalt in Tatortnähe bzw das schlichte Dabeisein, Mitansehen, Mitwissen und widerspruchslose Dulden der Tatausführung für sich allein noch keine psychische Beitragstäterschaft begründen (vgl Kienapfel/Höpfel AT12 E 5 Rz 11 und E 6 Rz 35 f; 12 Os 132/07i; RIS-Justiz RS0099235).

Weiters stellt das Gericht zur im Schuldspruch BII angenommenen Gewerbsmäßigkeit fest, dass sich der beschäftigungslose Zweitangeklagte Ali K***** durch die wiederholten Suchtgiftverkäufe eine Einnahmequelle verschaffen wollte (US 9).

Die Annahme gewerbsmäßigen Handelns setzt allerdings voraus, dass sich die Absicht des Täters zu den jeweiligen Tatzeitpunkten auf die Erzielung einer fortlaufenden Einnahme durch die wiederkehrende Begehung solcher (somit jeweils für die Zukunft geplanter weiterer) Taten richtet (RIS-Justiz RS0109694). Eine derartige Absicht iSd § 5 Abs 2 StGB lässt sich den Urteilskonstatierungen nicht entnehmen. Im Hinblick darauf ist gemäß § 289 StPO auch der den Angeklagten Ali K***** betreffende Schuldspruch B I aufzuheben.

Wie beim Erstangeklagten wäre fallbezogen beim Nichtigkeitswerber Ali K***** angesichts der im § 27 Abs 2 SMG vorgesehenen Strafdrohung in Zusammenhalt mit der nunmehr gegenüber der Rechtslage vor Inkrafttreten der SMG-Novelle 2007 wesentlich weiter gehenden Diversionsmöglichkeit nach § 35 Abs 1 SMG nach § 48 SMG iVm § 61 StGB - anders als vom Schöffengericht angenommen - die für den Zweitangeklagten günstigere Bestimmung des § 27 Abs 2 iVm Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG anzuwenden.

Ungeachtet dessen hängt auch hier die Zulässigkeit einer Verurteilung nach § 27 Abs 2 iVm Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG davon ab, ob dem Beschwerdeführer im zweiten Rechtsgang neuerlich eine weitere, über einen Tatbestand nach §§ 27 Abs 1 und 2 SMG hinausgehende (vgl insoweit die anzuwendenden, gegenüber der alten Fassung günstigeren Bestimmungen von § 35 Abs 1 iVm § 37 SMG idFd SMG-Novelle 2007; vgl auch 12 Os 94/08b) strafbare Handlung nach dem Suchtmittelgesetz zur Last fällt (vgl RIS-Justiz RS0119278, RS0115884).

Da die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist, war das Urteil, welches im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, in den Schuldsprüchen A und B und demzufolge auch in den Strafaussprüchen samt dem Ali K***** betreffenden Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO (nicht aber im Einziehungserkenntnis nach § 34 SMG iVm § 26 StGB) aufzuheben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Salzburg zu verweisen (§ 285e StPO).

Ein Eingehen auf die - ausschließlich die Schuldsprüche A II 1 bis 3 und B II 2 bzw die über den Rechtsmittelwerber Ali K***** verhängte Strafe bekämpfenden - Nichtigkeitsbeschwerden der beiden Angeklagten erübrigte sich daher.

Mit ihren Berufungen waren beide Angeklagte, Ali K***** darüber hinaus mit der ihn betreffenden implizierten Beschwerde auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO (vgl Lendl, WK-StPO § 390a Rz 7).

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