OGH 12Os48/08p

OGH12Os48/08p15.5.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Mai 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. Lässig und Dr. T. Solé als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters MMag. Klaus als Schriftführer, in der Strafsache gegen Kanteh B***** wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Jugendschöffengericht vom 4. Februar 2008, GZ 143 Hv 134/07k-53, sowie über die implizierte Beschwerde gegen den zugleich gefassten Beschluss nach § 494a Abs 1 Z 4 StPO, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Kanteh B***** der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG (I) sowie des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 3 SMG (I), des Vergehens nach § 27 Abs 1 sechster Fall SMG aF (II) sowie des Vergehens nach § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG aF (III) schuldig erkannt.

Danach hat er in Wien Suchtgifte

I. vorschriftswidrig in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) mehrfach übersteigenden Menge anderen überlassen, indem er in jeweils mehrfachen Angriffen

1) von Frühjahr 2006 bis 5. August 2007 insgesamt ca 152 g brutto Heroin um 5.000 EUR an Manfred T***** verkaufte;

2) von September 2006 bis 5. August 2007 insgesamt ca 330 g brutto Kokain um 8.300 EUR an Günter W***** verkaufte;

3) von Frühjahr 2006 bis 5. August 2007 insgesamt ca 152 g brutto Kokain um 5.700 EUR an Manfred T***** verkaufte;

4) von März 2007 bis 5. August 2007 insgesamt ca 2 g brutto Kokain um 40 EUR an Alexander S***** verkaufte;

5) von ca Frühjahr 2006 bis 5. August 2007 ca 10 g brutto Cannabiskraut brutto an Günter W***** um 100 EUR verkaufte;

II. den bestehenden Vorschriften zuwider einem anderen überlassen, indem er in der Zeit von Oktober 2006 bis 6. August 2007 ca 30 bis 40 Kugeln Kokain kostenlos zum Konsum an Bianca U***** weitergab;

III. den bestehenden Vorschriften zuwider für den Eigenkonsum erworben und besessen, nämlich von ca Oktober 2006 bis 5. August 2007 ca drei bis viermal wöchentlich kleine Mengen Heroin bzw Kokain.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der jedoch keine Berechtigung zukommt.

Der behauptete innere Widerspruch zwischen den Schuldsprüchen II und III liegt nicht vor, zumal entgegen den Beschwerdeausführungen den Konstatierungen nicht zu entnehmen ist, dass es sich bei den an Bianca U***** weitergegebenen Suchtgiftmengen um die idente Menge handelt, die der Angeklagte für den Eigenkonsum erworben und besessen hatte.

Eine Aktenwidrigkeit liegt nur vor, wenn das angefochtene Urteil den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt. Indem der Nichtigkeitswerber aus den Ermittlungsergebnissen indes bloß andere Schlussfolgerungen als die erkennenden Richter zieht, vermag er einen Mangel im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5 fünfter Fall StPO nicht aufzuzeigen.

Soweit der Beschwerdeführer in der Mängelrüge das Vorliegen der Pivilegierungsvoraussetzungen nach § 28a Abs 3 SMG iVm § 27 Abs 5 SMG - und damit inhaltlich einen Feststellungsmangel - behauptet, legt er nicht dar, aufgrund welcher Beweisergebnisse darauf geschlossen werden könnte, dass der Angeklagte die ihm angelasteten Straftaten vorwiegend deshalb begangen habe, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Kompetenz des Oberlandesgerichts Wien zur Entscheidung über die Berufung und die implizierte Beschwerde (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Bleibt anzumerken, dass der durch die SMG-Novelle 2007 neu eingeführte Tatbestand des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 SMG im Wesentlichen eine selbstständige Qualifikation des Grundtatbestands nach § 27 Abs 1 Z 1 SMG darstellt. Dieses quantitätsmäßig definierte Delikt ist erfüllt, sobald der Täter mehr als die Grenzmenge Suchtgift erzeugt, ein- oder ausführt oder einem anderen anbietet, überlässt oder verschafft.

Der Unterschied zwischen § 28a Abs 1 SMG und der Vorgängerbestimmung des § 28 Abs 2 SMG aF liegt darin begründet, dass früher tatbildlich handelte, wer „ein Suchtgift in einer großen Menge (= § 28 Abs 6 SMG aF) in Verkehr setzte, während nunmehr das Tatbild erfüllt, wer „Suchtgift in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge" in Verkehr setzt. Die die Grenzmenge sachlich definierenden Bestimmungen des bisher in Kraft gewesenen § 28 Abs 6 SMG aF und des neu geschaffenen § 28b SMG sind - soweit hier von Interesse - inhaltlich ident (vgl Schroll, RZ 2008, 90).

Ein mit Additionsvorsatz erfolgtes mehrfaches In-Verkehr-Setzen kleinerer Suchtgiftquanten ab Überschreiten der Grenzmenge iSd § 28b SMG erfüllt - nach wie vor - den Tatbestand des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 SMG.

Eine Differenzierung zwischen Straftaten nach § 28a Abs 1 SMG, welche durch eine einzige Tathandlung begangen werden, und solchen, welche über einen von Anfang an bestehenden Additionsvorsatz durch sukzessive Tathandlungen erfüllt werden, sieht die auf eine „Straftat nach Abs 1" abstellende Qualifikationsregelung nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG nicht vor. Daher bezieht sich auch die Gewerbsmäßigkeitsqualifikation auf ein im Sinne einer tatbestandlichen Handlungseinheit verwirklichtes Verbrechen gemäß § 28a Abs 1 SMG (vgl Schroll, RZ 2008, 92).

Nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG muss ein Suchtgifthändler bezwecken, wiederholt gewinnbringend ein Verhalten im Sinn des § 28a Abs 1 SMG in Bezug auf mehr als eine Grenzmenge zu setzen. Um bei einer sukzessiven Verbrechensverwirklichung gemäß § 28a Abs 1 SMG feststellen zu können, ob der Täter mit der Absicht auf deren wiederkehrende Begehung handelte, bedarf es - im Gegensatz zu den Ausführungen des Bundesministeriums für Justiz im Einführungserlass zur SMG-Novelle 2007 - weiterhin einer gedanklichen Abtrennung nach Verwirklichung einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG, weil sonst gewerbsmäßige Begehung bei sukzessiver Verbrechensverwirklichung nie möglich wäre und dieser Form somit der Anwendungsbereich fehlte. Das versuchte oder vollendete und im Sinne einer tatbestandlichen Handlungseinheit durch sukzessives In-Verkehr-Setzen begangene Verbrechen gemäß § 28a Abs 1 SMG ist dabei als Ansatzpunkt heranzuziehen.

Verfolgt der Täter die Absicht, dieses durch fortlaufende Tathandlungen verwirklichte Delikt in der Weise zu wiederholen, dass er mittels eines vom Additionsvorsatz umfassten Kleinhandels mehrfach ein die Grenzmenge infolge Zusammenrechnung übersteigendes Suchtgiftquantum erzeugt, ein- oder ausführt, einem anderen anbietet, überlässt oder verschafft, so handelt er bei Intention auf eine fortlaufende Einnahme (§ 70 StGB) - entgegen dem Einführungserlass des Bundesministeriums für Justiz - gleichermaßen (lege non distinguente) gewerbsmäßig nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG (vgl Schroll, RZ 2008, 92).

Der Einwand des Einführungserlasses des Bundesministeriums für Justiz, die Tatobjektsbegrenzung des § 28a Abs 1 SMG, welche ein Übersteigen der Grenzmenge erfordert, stehe einer gedanklichen Abtrennung entgegen, überzeugt nicht: Jedes die Grenzmenge übersteigende Suchtgiftquantum genügt dem Erfordernis des § 28a Abs 1 SMG. Sobald der Täter mehr als die zweifache Grenzmenge an Suchtgift in Verkehr setzt, verwirklicht er ein weiteres Verbrechen nach § 28a Abs 1 SMG. Die weiterhin mögliche gedankliche Abtrennung erfolgt aber nicht - wie auf der Basis des SMG aF - nach Erreichen der Grenzmenge, sondern ab Überschreiten derselben.

Damit wird allerdings die bislang nach alter Rechtslage notwendige Berücksichtigung der sogenannten Restmenge nach gedanklicher Abtrennung einer (bisherigen) großen Menge (iSd § 28 Abs 6 SMG aF) hinfällig. Denn bis zum Überschreiten der nächsten Grenzmenge entspricht jedes über der Grenzmenge liegende Mehr an Suchtgift - ungeachtet des konkreten Ausmaßes der Überschreitung - der im § 28a Abs 1 SMG definierten Menge.

Sobald die Grenzmenge iSd § 28b SMG durch den sukzessiven Handel mit Suchtgift überschritten wurde, ändert auch ein bloß versuchtes Überlassen einer weiteren (geringen) Menge nichts am bereits erfüllten Tatbestand des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 SMG. Dieses Verbrechen wird dann eben teilweise in der Erscheinungsform des Versuchs (§ 15 StGB) erfüllt.

Sobald der Täter mehr als das Fünfzehnfache der Grenzmenge iSd § 28b SMG in Verkehr setzt und damit über den im Qualifikationstatbestand zum Ausdruck gebrachten Grundsatz der Zusammenrechnung das Verbrechen nach § 28a Abs 2 Z 3 SMG verwirklicht, entfällt eine weitere gedankliche Abtrennung von Suchtgiftquanten, weil bezüglich dieser Qualifikation keine gewerbsmäßige Begehung vorgesehen ist. Gleiches gilt nach § 28a Abs 4 Z 3 SMG bei Überschreiten des Fünfundzwanzigfachen der Grenzmenge (vgl Schroll, RZ 2008, 92).

Ausgehend von diesen Grundsätzen erfolgte die vom Erstgericht vorgenommene Unterstellung der vom Schuldspruch I erfassten Straftat - in Bezug auf nicht mehr relevante „Restmengen" - auch unter § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 3 SMG zu Unrecht. Dieser Rechtsfehler kann allerdings auf sich beruhen. Denn dem Angeklagten wurde insoweit lediglich ein Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften vorgeworfen. Zu den Schuldsprüchen II und III nahm das Schöffengericht überdies - trotz der diesen Straftaten zugrunde liegenden mehrfachen und wiederholten Tatbegehung (vgl RIS-Justiz RS0114037) - ebenso jeweils nur ein Vergehen nach § 27 Abs 1 sechster Fall SMG aF (II; ohne Rücksicht auf die damit gleichfalls verwirklichten Tatbestände nach § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG aF) und § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG aF (III) an. Da bei der Strafbemessung als erschwerend bloß das Zusammentreffen von vier Verbrechen mit drei Vergehen nach dem SMG gewichtet wurde (US 12), wirkte sich die dargestellte fehlerhafte Subsumtion nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall SMG angesichts einer richtigerweise zu berücksichtigenden mehrfachen Erfüllung von Vergehen nach dem SMG aF im Sinne des § 290 Abs 1 StPO nicht nachteilig aus.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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