OGH 12Os76/08f

OGH12Os76/08f24.6.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Juni 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig und Dr. T. Solé als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Puttinger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Chukwuma N***** wegen des Verbrechens nach § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, AZ 042 Hv 9/08m des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 18. April 2008, AZ 19 Bs 148/08s (GZ 042 Hv 9/08m-161), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Chukwuma N***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 13. März 2008, GZ 042 Hv 9/08m-143 (ON 151), wurde die am 26. November 2007 über Chukwuma N***** wegen des dringenden Verdachts nach § 28 Abs 2 und 3 SMG aF aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1 und 3 lit a StPO aF verhängte (ON 79) und mit Beschlüssen vom 7. Dezember 2007 und vom 7. Jänner 2008 gemäß § 173 Abs 2 Z 1 und 3 lit a StPO fortgesetzte Untersuchungshaft aus denselben Haftgründen neuerlich fortgesetzt.

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht Wien der dagegen erhobenen Beschwerde des Angeklagten Chukwuma N***** nicht Folge und ordnete seinerseits die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den schon vom Erstgericht angenommenen Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr an (ON 161).

Inzwischen wurde der Angeklagte am 3. Juni 2008 von dem gegen ihn erhobenen Tatvorwurf freigesprochen und enthaftet. Für die grundrechtsrelevante Prüfung ist jedoch der Zeitpunkt der Beschlussfassung durch das Oberlandesgericht maßgebend (11 Os 120/00).

Das Oberlandesgericht Wien nahm - unter Verweis auf die wegen des Verbrechens nach § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, begangen als Beteiligter nach § 12 dritter Fall StGB, erhobene Anklageschrift vom 15. Jänner 2008 implizit - an, dass Chukwuma N***** dringend verdächtig ist, zu der am 23. November 2007 von Henry E***** durchgeführten Einfuhr von 101 Bodypacks Kokain mit einem Reinheitsgehalt von etwa 505 Gramm von Amsterdam nach Wien, sohin einer das 25-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge, dadurch beigetragen zu haben, dass er die Übernahme des Suchtgifts in Wien zusagte und dafür einen Bargeldbetrag von 32.000 Euro bereithielt (BS 2 bis 3).

Die Annahme des dringenden Tatverdachts leitete das Beschwerdegericht aus der Anzeige und den Erhebungen der Bundespolizeidirektion Wien, insbesondere den Observationsberichten, der Sicherstellung des vom Angeklagten N***** in einem Koffer mitgeführten hohen Bargeldbetrages (32.540 Euro), aus den den Namen des Transporteurs aufweisenden schriftlichen Notizen dessen Begleiters namens Jaffa und aus den ursprünglichen Angaben Henry E*****s ab, der zugestanden hatte, damit betraut gewesen zu sein, das Suchtgift von Amsterdam nach Österreich zu transportieren und es zu einem Übergabeort in den 11. Wiener Gemeindebezirk zu bringen, wo schließlich auch die Anhaltung des angeblich in Spanien ansässigen Chukwuma N***** erfolgte, der hiefür wie auch für ein unmittelbar vor seiner Verhaftung erfolgtes Telefonat mit Holland keine (überzeugende) Erklärung habe bieten können (BS 3 bis 4). Die Einlassung des Angeklagten über die geplante Verwendung des mitgeführten Bargeldbetrags für Autogeschäfte erachtete das Beschwerdegericht als nicht plausibel, weil der Genannte weder nähere Angaben zu möglichen Autoverkäufern gemacht habe, noch die Anreise von Spanien über Amsterdam nach Wien zur Entkräftung der dargestellten Beweislage geeignet sei. Gleiches gelte für das spekulative Beschwerdevorbringen über die Vorteilhaftigkeit einer direkten Geschäftsabwicklung in Amsterdam, die das gerichtsnotorisch hohe Risiko des Suchtgifttransporteurs aber außer Acht lasse. Schließlich verwies das Beschwerdegericht noch auf die für Suchtgiftgeschäfte charakteristische kleine Stückelung des vorgefundenen Bargeldes.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobenen Grundrechtsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu.

§ 2 Abs 1 GRBG bezeichnet nur unrichtige Gesetzesanwendung als Grundrechtsverletzung und führt dabei insbesondere einzelne gravierende Fälle namentlich an.

Der Oberste Gerichtshof ist nicht dazu aufgerufen, als weitere Haftbeschwerdeinstanz eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen der angefochtenen Entscheidung zu setzen; er hat vielmehr Rechtsfehler wahrzunehmen (§§ 3 Abs 1 erster Satz, 7 Abs 1, 11 GRBG; RIS-Justiz RS0121605).

Da zudem - anders als bei einer Haftbeschwerde an das Oberlandesgericht - nicht die Haft, sondern die Entscheidung über diese den Gegenstand des Erkenntnisses über eine Grundrechtsbeschwerde bildet und § 3 Abs 1 GRBG hinsichtlich der dort angeordneten Begründungspflicht des Beschwerdeführers nichts anderes vorsieht, kann im Verfahren über eine Grundrechtsbeschwerde nach einhelliger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs die Sachverhaltsgrundlage des dringenden Tatverdachts nur nach Maßgabe der Mängel- und Tatsachenrüge der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO in Frage gestellt werden (vgl RIS-Justiz RS0120817, RS0114488, RS0112012, RS0110146).

Formal mangelhaft im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5 StPO sind Entscheidungsgründe, soweit undeutlich bleibt, was in Hinsicht auf entscheidende Tatsachen überhaupt angenommen werden sollte, oder unklar ist, aus welchen Gründen eine solche Sachverhaltsannahme getroffen wurde. Neben einer solchen Undeutlichkeit kommt als zweiter Fall des § 281 Abs 1 Z 5 StPO die sogenannte Unvollständigkeit in Betracht. Dieser Fall der Mängelrüge soll verhindern, dass ein erhebliches Beweismittel bei der Beweiswürdigung unberücksichtigt bleibt. Der dritte Fall der Z 5 betrifft im Wesentlichen Widersprüche innerhalb von Sachverhaltsannahmen betreffend entscheidende Tatsachen oder beweiswürdigende Erwägungen und stellt nur einen besonderen Fall von Undeutlichkeit dar. Der vierte Fall sanktioniert eine gänzlich fehlende oder offenbar unzureichende Begründung für die (Verdachts-)Annahme einer entscheidenden Tatsache. Er wird immer wieder als Möglichkeit zur Bekämpfung der Beweiswürdigung verkannt, soll aber nur dazu dienen, willkürliche Sachverhaltsannahmen zu entscheidenden Tatsachen hintanzuhalten; solcherart entspricht er dem allgemein geltenden Willkürverbot. Aktenwidrigkeit nach Z 5 letzter Fall liegt schließlich vor, wenn der Inhalt einer gerichtlichen Aussage oder Urkunde in der Begründung der angefochtenen Entscheidung in erheblicher Weise unrichtig wiedergegeben wurde. Über die formalen Grenzen der Beweiswürdigung hinaus kann zwar auch das Beweiswürdigungsermessen einer letztinstanzlichen Entscheidung zum Gegenstand einer Grundrechtsbeschwerde gemacht werden, jedoch nur nach Maßgabe deutlich und bestimmt bezeichneter Aktenteile und der in der Z 5a des § 281 Abs 1 StPO genannten Erheblichkeitsschwelle (13 Os 125/06s, 13 Os 160/07i).

Anstelle einer solcherart prozessordnungskonformen Argumentation stellt der Beschwerdeführer den Erwägungen des Oberlandesgerichts seine eigene Einschätzung gegenüber, die herangezogenen Ermittlungsergebnisse wären zwar als den Angeklagten belastende Indizien anzusehen, jedoch zur Begründung einer dringenden Verdachtslage ungeeignet. Damit zeigt er aber weder einen Darstellungs- oder Begründungsmangel noch sich aus den Akten ergebende erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Verdachtsausspruch nach §§ 12 dritter Fall StGB, 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 4 Z 3 SMG zu Grunde liegenden entscheidenden Tatsachen auf. Die Behauptung, das Beschwerdegericht habe sich auf die Anzeige und die Erhebungen der Bundespolizeidirektion Wien, insbesondere die Observationsberichte bezogen, „ohne die darin enthaltenden bestimmten Tatsachen anzuführen, welche seiner Meinung nach den dringenden Tatverdacht gegen den Angeklagten begründen", vernachlässigt die in der Folge vom Oberlandesgericht vorgenommene Erörterung der einzelnen Beweisergebnisse.

Welche konkreten, den Angeklagten entlastenden Urkunden das Beschwerdegericht mit Stillschweigen übergangen haben soll, legt die Beschwerde nicht dar. Sollte sich der Vorwurf auf ein dem Oberlandesgericht erst am 24. April 2008 übermitteltes Konvolut (ON 162) beziehen, so scheitert dessen Verwertung an der zu diesem Zeitpunkt bereits erfolgten Beschlussfassung.

Mit der einen Tatbeitrag in Abrede stellenden Verantwortung des Angeklagten hat sich das Oberlandesgericht ebenso auseinandergesetzt wie mit einem mit Holland (und nicht, wie in der Beschwerde angeführt, mit „Roland") unmittelbar vor seiner Verhaftung geführten Telefonat (BS 4). Weshalb das Beschwerdegericht verhalten gewesen sein sollte, sich mit den bloßen Behauptungen des Beschwerdeführers, nicht er, sondern der Drittangeklagte Jaffa habe die Suchtgiftlieferung erwartet, und es sei weder aktenkundig noch bewiesen, dass der Angeklagte vor seiner Verhaftung ein Telefongespräch mit Holland führte, auseinanderzusetzen, legt die Rüge nicht dar. Desgleichen bleibt unbegründet, weshalb die behauptete Führung eines eigenen Unternehmens in Spanien durch den Angeklagten für die Beurteilung des dringenden Tatverdachts von Relevanz und damit in diesem Zusammenhang erörterungsbedürftig gewesen sein sollte.

Zu dem im Beschwerdeverfahren erhobenen Einwand, wonach eine Übernahme des Suchtgifts durch den Angeklagten in Amsterdam „viel vorteilhafter" gewesen wäre, hat das Oberlandesgericht Wien - der Beschwerde zuwider mängelfrei - auf das hohe Risiko des Suchtgifttransporteurs hingewiesen (BS 4), zumal es unzweifelhaft von Relevanz ist, wer im Falle eines polizeilichen Zugriffs im Besitz des Schmuggelgutes ist.

Da die behauptete Grundrechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

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