OGH 8ObA39/08f

OGH8ObA39/08f16.6.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Spenling, die Hofrätin Dr. Glawischnig und die fachkundigen Laienrichter Prof. Mag. Dr. Thomas Keppert und Mag. Canan Aytekin-Yildirim als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Guntmar Oliver R*****, vertreten durch Dr. Thomas Stampfer und Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei Landesmuseum J*****, vertreten durch Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 17.047,50 EUR brutto sA, über die außerordentlichen Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12. März 2008, GZ 7 Ra 20/08b-23, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Zur außerordentlichen Revision der beklagten Partei:

Weder mit ihren Ausführungen, dass es sich beim gegenständlichen Verfahren um ein „Musterverfahren" handle noch mit der von ihr aufgeworfenen Frage, ob ein bei der beklagten Partei beschäftigter „Vigilant" mit dem sich aus den Feststellungen ergebenden Tätigkeitsprofil als freier Dienstnehmer oder echter Dienstnehmer bzw als Arbeiter oder Angestellter anzusehen sei, zeigt die Rechtsmittelwerberin eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf. Für die Abgrenzung des freien Dienstvertrags zum Arbeitsvertrag ist nämlich nicht die erstellte Vertragsschablone entscheidend, sondern wie dieser Vertrag in der jahrelang dauernden Vertragsbeziehung tatsächlich gelebt wurde, also die konkrete Vertragsbeziehung im Einzelfall. Deren Beurteilung stellt aber regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO dar (8 ObA 44/03h; 9 ObA 53/04s; 8 ObS 8/05t), zumal im vorliegenden Fall der Kläger nach den Feststellungen auch im Vergleich zu den sonstigen „Vigilanten" eine Sonderstellung einnahm.

Die Rechtsprechung hat verschiedene Kriterien erarbeitet, deren Vorhandensein und deren Bedeutung im konkreten Fall zu prüfen sind. Die für das Vorliegen einer persönlichen Abhängigkeit sprechenden Merkmale sind vor allem Weisungsgebundenheit, die persönliche, auf Zeit abgestellte Arbeitspflicht des Arbeitnehmers, die Fremdbestimmtheit der Arbeit, deren wirtschaftlicher Erfolg dem Arbeitgeber zukommt, die funktionelle Einbindung der Dienstleistung in ein betriebliches Weisungsgefüge und die Beistellung des Arbeitsgeräts durch den Dienstgeber (SZ 70/52; 9 ObA 118/07d; RIS-Justiz RS0021284 ua). Dabei ist in Lehre und Rechtsprechung ebenfalls unbestritten, dass nicht alle Bestimmungsmerkmale der persönlichen Abhängigkeit gemeinsam vorliegen müssen und in unterschiedlich starker Ausprägung bestehen können. Entscheidend ist, ob bei einer Gesamtbetrachtung nach der Methodik des beweglichen Systems die Merkmale der persönlichen Abhängigkeit ihrem Gewicht und ihrer Bedeutung nach überwiegen (Spenling in KBB2, § 1151 Rz 12; Kuras/Strohmayer, Der „freie" Dienstvertrag - Anthologie aus einer Schaffensperiode, in FS Bauer/Maier/Petrag 37 [39 f]; 8 ObA 35/05p; 9 ObA 96/06t; 9 ObA 118/07d ua). Die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen, dass ausgehend von den Feststellungen im hier zu beurteilenden Fall die Merkmale der persönlichen Abhängigkeit überwiegen, hält sich im Rahmen dieser Rechtsprechung. Weder mit den Ausführungen zur vermeintlich fehlenden Verpflichtung des Klägers zu Dienstleistungen noch mit dem Hinweis auf das dem Kläger eingeräumte Vertretungsrecht zeigt die Rechtsmittelwerberin eine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf, weil die Vereinbarung einer generellen Vertretungsbefugnis die persönliche Abhängigkeit und Dienstnehmereigenschaft nur dann ausschließt, wenn das Vertretungsrecht tatsächlich genutzt wird oder bei objektiver Betrachtung zu erwarten ist, dass eine solche Nutzung erfolgt (8 ObA 86/03k = SZ 2003/145; 8 ObA 35/05p; 9 ObA 118/07d; RIS-Justiz RS0118332). Abgesehen davon, dass sich der Kläger ausschließlich im Krankheitsfall (während einer rund dreijährigen Tätigkeitsdauer an 12 Arbeitstagen) vertreten ließ, ergibt sich aus den Feststellungen auch sonst hinsichtlich seiner Person lediglich ein eingeschränktes Vertretungsrecht. Auch die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass ungeachtet der grundsätzlichen Möglichkeit des Klägers, Halbtage zu kennzeichnen, an denen er nicht arbeiten wollte, eine mit der - von der Rechtsmittelwerberin ins Treffen geführten - „Sprachschulentscheidung" (9 ObA 10/99t) nicht vergleichbare Sachverhaltskonstellation vorliege, und der Kläger im hier zu beurteilenden Fall in die Organisation der beklagten Partei eingebunden gewesen und damit persönlich abhängig gewesen sei, hält sich im Rahmen der zitierten Rechtsprechung. Ohne dass im Rahmen der außerordentlichen Revision auf jedes einzelne Argument des Rechtsmittelwerbers einzugehen wäre, ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass dem Einwand der Rechtsmittelwerberin, wonach dem Kläger lediglich sachliche Weisungen erteilt worden seien, die Feststellungen über die detaillierten Anweisungen hinsichtlich des arbeitsbezogenen Verhaltens, (Gebote, Verbote) und nicht zuletzt die Bekleidungsvorschriften entgegenstehen.

Auch die von der Rechtsmittelwerberin als erheblich erachtete Rechtsfrage, ob der Kläger als Arbeiter oder Angestellter im Sinn des § 1 Abs 1 AngG anzusehen sei, ist anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen und begründet grundsätzlich keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung. Das Berufungsgericht hat die Kriterien, die die ständige Rechtsprechung an den Begriff der höheren, nicht kaufmännischen Dienste im Sinn des § 1 Abs 1 AngG stellt, zutreffend wiedergegeben (SZ 71/106; 8 Ob 200/00w; RIS-Justiz RS0027992). Insbesondere darf an den Begriff der höheren, nicht kaufmännischen Dienste kein unverhältnismäßig strengerer Maßstab angelegt werden, als an den der kaufmännischen Dienste (9 ObA 24/04a; SZ 71/106 ua). Unter Berücksichtigung der von den Vorinstanzen festgestellten Tätigkeiten des Klägers der ua erste Anlaufstelle war, wenn seine unmittelbaren Vorgesetzten nicht erreichbar waren und am Wochenende die Personalkoordination einschließlich Diensttausche durchführte sowie des von der beklagten Partei selbst erstellten Profils, wonach Qualitäten wie Durchsetzungsvermögen, Zuverlässigkeit, Flexibilität, Selbstständigkeit, gewissenhaftes Arbeiten, gute Auffassungsgabe und schnelles Reaktionsvermögen sowie Kunst- und Kulturinteresse gefordert wurden, ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach der Kläger als Angestellter zu qualifizieren ist, jedenfalls vertretbar.

Letztlich stellt aber auch die von der Rechtsmittelwerberin relevierte Rechtsfrage, ob die Verzögerung der Zahlung auf einer unvertretbaren Rechtsansicht beruht und deshalb Zinsen nach § 49a zweiter Satz ASGG zuzusprechen sind, keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO dar, sondern betrifft einen Einzelfall (8 ObA 208/02z). Es ist Sache des Schuldners, Behauptungen darüber aufzustellen, warum der in § 49a erster Satz ASGG festgelegte Zinssatz nicht zustehe (8 ObA 75/04v); dass die beklagte Partei, die nicht nur eine große Anzahl von „echten" Arbeitnehmern, sondern auch zahlreiche „Vigilanten" beschäftigt, mit der bloßen Behauptung, dass es sich bei der Frage der Abgrenzung vom freien Dienstvertrag zum echten Arbeitsvertrag um Grenzfälle handle, diese Voraussetzungen nicht erfüllt, ist schon angesichts der umfangreichen Judikatur (und Literatur) zur vorliegenden Abgrenzungsproblematik ebenfalls nicht unvertretbar.

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei ist daher

zurückzuweisen.

Zur Revision des Klägers:

Der Kläger stützt die Zulässigkeit seines Rechtsmittels ausschließlich darauf, dass das Berufungsgericht in unvertretbarer Weise die „Gehaltsordnung Landesmuseum J***** GmbH 2006" nicht auf sein Dienstverhältnis angewendet habe.

Unstrittig ist insoweit, dass es sich bei der „Gehaltsordnung" um eine „freie" (unechte) Betriebsvereinbarung handelt, die zwar keine kollektivrechtliche Wirkung entfaltet, aber konkludent Inhalt von Einzelverträgen werden kann. Das schriftlich Festgehaltene ist somit quasi als Vertragsschablone anzusehen, die in die einzelnen Arbeitsverträge „hinein vereinbart" wird (Reissner in ZellKomm § 29 ArbVG Rz 21 mwN). Von einer schlüssigen Unterwerfung unter die getroffenen Regelungen und den entsprechenden Ergänzungen der Einzelverträge ist jedenfalls dann auszugehen, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch ihr Verhalten eindeutig zu erkennen geben, dass sie sich, obwohl ihnen die Ungültigkeit der Abmachung als Betriebsvereinbarung klar ist, an diese halten wollen (Reissner aaO Rz 22). Bei der dabei gebotenen objektiven Vertragsauslegung kommt es aber - entgegen der vom Rechtmittelwerber vertretenen Auffassung - für die Frage der Anwendung der „Gehaltsordnung" nicht darauf an, dass das Vertragsverhältnis des Klägers zur beklagten Partei als „echtes" Dienstverhältnis zu qualifizieren ist. Nach den Feststellungen haben die, die Gehaltsordnung abschließenden Parteien, nämlich die Geschäftsführung der beklagten Partei und der Betriebsrat vom Geltungsbereich dieser Gehaltsordnung ausdrücklich freie Dienstnehmer und Ferialpraktikanten ausgenommen, wobei für die abschließenden Parteien die Begriffe „Vigilanten" und „freie Dienstnehmer" Synonyme waren. Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung 9 ObA 31/05g ausgesprochen, dass auch, wenn der Geltungsgrund einer freien Betriebsvereinbarung formell der Einzeldienstvertrag sei, nicht unbeachtet bleiben dürfe, dass diese nicht einzeln ausgehandelt worden sei, sondern inhaltlich auf einer Vereinbarung der Betriebsparteien beruhe. Den Parteien des Arbeitsvertrags könne „ohne weiteres unterstellt werden, jenes Verständnis der freien Betriebsvereinbarung für und gegen sich gelten lassen zu wollen, das den Betriebsparteien bei Auslegung der freien Betriebsvereinbarung objektiv zuzusinnen ist". Auch aus diesen Erwägungen haftet daher der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts, dass sich der Kläger nicht auf die Gehaltsordnung stützen könne, kein aus den Gründen des § 502 Abs 1 ZPO zu korrigierender Rechtsirrtum an, weil die Betriebsparteien die Gruppe der „Vigilanten", zu der der Kläger unstrittigerweise gehört - ungeachtet der rechtlichen Qualifikation - bewusst von der Anwendung der Gehaltsordnung ausgenommen haben.

Es ist daher auch die außerordentliche Revision des Klägers mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

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