OGH 6Ob63/08w

OGH6Ob63/08w8.5.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ.-Prof. Dr. Kodek in der Rechtssache der klagenden Partei Wolfgang M*****, vertreten durch Dr. Nikolaus Altmann, Rechtsanwalt in Wien gegen die beklagte Partei K***** Gesellschaft mbH, *****, Deutschland, vertreten durch Dr. Christian Boyer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 14.955,06 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 13. Dezember 2007, GZ 2 R 224/07m-22, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 27. September 2007, GZ 20 Cg 69/06k-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 976,68 EUR (darin 162,78 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Kläger macht Provisionsansprüche aus der Vermittlung eines Fertigteilhauses geltend. Zur internationalen Zuständigkeit des Erstgerichts bringt er vor, er sei Handelsvertreter für die in Deutschland ansässige Beklagte „mit dem Gebiet in Wien" gewesen. Im Jahr 2002 habe er den Verkauf eines Fertigteilhauses an Alexander M***** vermittelt, doch verweigere die Beklagte die Zahlung der dem Kläger zustehenden Vermittlungsprovision. Bis zum Ausscheiden des Klägers habe die Beklagte eine Verkaufsrepräsentanz in der „Blauen Lagune" unterhalten, der ein Verkaufsleiter vorgestanden sei. Die Vermittlungstätigkeit des Klägers habe Fertigteilhäuser betroffen, die von der Beklagten in Wien zu errichten gewesen seien. Deshalb seien auch die Provisionen des Klägers in Wien zu bezahlen. Die beklagte Partei wendete die fehlende internationale Zuständigkeit ein.

Das Erstgericht wies die Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit zurück. Nach den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen betreibt die Beklagte ihre Geschäfte an einem Standort in Vösendorf bei Wien („Blaue Lagune"), wo sich mehrere Musterhäuser befinden. In einem dieser Musterhäuser erhielt der Kläger von der Beklagten einen Schreibtisch zugewiesen. Neben seiner Anwesenheit in der „Blauen Lagune" in Vösendorf war der Kläger etwa im gleichen zeitlichen Ausmaß bei Kunden vor Ort in Wien, Niederösterreich und im Burgenland tätig. Er war ausschließlich für die beklagte Partei als selbstständiger Handelsvertreter tätig. Der Kläger akquirierte den Kunden M***** und besichtigte über seinen Wunsch das Grundstück im

19. Wiener Gemeindebezirk. Danach kam es zu einem Vertragsabschluss zwischen diesem Kunden und der beklagten Partei über ein Fertigteil-Palais in einem Musterhaus in der „Blauen Lagune" in Vösendorf.

Ausgehend von diesen Feststellungen gelangte das Erstgericht in rechtlicher Hinsicht zu dem Ergebnis, dass als Erfüllungsort iSd Art 5 Nr 1 EuGVVO Vösendorf in Niederösterreich anzusehen sei. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Dienstleistungsbegriff sei durch Rückgriff auf das übrige Gemeinschaftsrecht so auszulegen, dass er alle Verträge erfasse, die die entgeltliche Herbeiführung eines bestimmten faktischen Erfolgs und in Abgrenzung zum Arbeitsvertrag nicht nur die schlichte Verrichtung einer Tätigkeit zum Gegenstand haben. Art 5 Nr 1 EuGVVO sei somit weit zu verstehen und lediglich von jenen Verträgen abzugrenzen, die einer Sondermaterie angehören, wie insbesondere die Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitsrechtssachen (RIS-Justiz RS0118508).

Dass auch die Vermittlung von Geschäften über langlebige Wirtschaftsgüter, wie Industrieanlagen und Fertigteilhäuser, zur Tätigkeit des Handelsvertreters zählten (Nocker, Der Ausgleichsanspruch des Versicherungsvertreters „analog" § 244 HVertrG, WBl 2004, 53), erscheine unzweifelhaft.

Für die Bestimmung des Erfüllungsorts sei primär an tatsächlichen und nicht an rechtlichen Kriterien anzuknüpfen (RIS-Justiz RS0118365 [T1]). Als Erfüllungsort für die nach dem Handelsvertretervertrag zu erbringende Vermittlungstätigkeit sei jener Ort anzusehen, an dem der Kläger etwa im gleichen zeitlichen Ausmaß wie bei den Kunden vor Ort tätig war, wo er nach der Vorgabe der Beklagten anwesend zu sein hatte, wo ihm ein Schreibtisch zugewiesen war und wo es auch zum Vertragsabschluss mit jenem Kunden kam, den der Kläger der Beklagten vermittelt hatte. Dort sei zumindest der örtliche Schwerpunkt der Dienstleistung anzunehmen (Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht6 § 3 Rz 51).

Nach der jüngsten, auch der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 7 Ob 112/07g zugrunde liegenden Rechtsprechung des EuGH sei die Bestimmung des Art 5 Nr 1 lit b erster Spiegelstrich EuGVVO auch im Fall mehrerer Lieferorte in einem Mitgliedsstaat anwendbar und in einem solchen Fall das Gericht zuständig, in dessen Sprengel sich der Ort der nach wirtschaftlichen Kriterien zu bestimmenden Hauptlieferung befindet. Auch für den gegenständlichen Fall sei daher maßgeblich, dass zumindest der Schwerpunkt der Tätigkeit des Klägers in Vösendorf - und damit außerhalb des Sprengels des angerufenen Gerichts - gelegen sei.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Anwendbarkeit des Art 5 Nr 1 lit b zweiter Spiegelstrich EuGVVO für den Fall nicht bestehe, dass Dienstleistungen vertragsgemäß an verschiedenen Orten eines Mitgliedsstaats zu erbringen waren oder tatsächlich erbracht wurden.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

1. Der Oberste Gerichtshof billigt die rechtliche Beurteilung des Rekursgerichts sowohl im Ergebnis als auch in der methodischen Ableitung, sodass vollinhaltlich darauf verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 528a ZPO).

2. Art 5 Nr 1 EuGVVO eröffnet einen Wahlgerichtsstand am Erfüllungsort. Mangels einer anders lautenden Vereinbarung ist der Erfüllungsort der Verpflichtung für den Verkauf beweglicher Sachen der Ort in einem Mitgliedsstaat, an dem sie nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen, für die Erbringung von Dienstleistungen hingegen der Ort in einem Mitgliedsstaat, an dem sie nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen.

Während nach Art 5 Nr 1 EuGVÜ der Gerichtsstand des Erfüllungsorts grundsätzlich für jede vertragliche Verpflichtung gesondert zu bestimmen war (dazu Burgstaller/Neumayr in Burgstaller/Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht, Art 5 Rz 4 ff), normiert die Neuregelung des Art 5 Nr 1 lit b EuGVVO eine autonome Bestimmung des Erfüllungsorts für Kauf- und Dienstleistungsverträge. Für diese Vertragstypen wird auf den Ort der Lieferung der Sachen bzw der Erbringung der Dienstleistung abgestellt. Damit sieht die EuGVVO für die beiden praktisch wichtigsten Vertragstypen einen einheitlich, autonom bestimmten Erfüllungsort vor (vgl Burgstaller/Neumayr, aaO, Rz 8).

3.1. Wie bereits das Rekursgericht zutreffend erkannt hat, ist der Dienstleistungsbegriff dahingehend auszulegen, dass er alle Verträge erfasst, die die entgeltliche Herbeiführung eines bestimmten faktischen Erfolgs und in Abgrenzung zum Arbeitsvertrag nicht nur die schlichte Verrichtung einer Tätigkeit zum Gegenstand haben. Art 5 Nr 1 EuGVVO ist somit weit zu verstehen und lediglich von jenen Verträgen abzugrenzen, die einer Sondermaterie angehören wie insbesondere die Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen (RIS-Justiz RS0118508; für weite Auslegung auch Burgstaller/Neumayr, aaO, Rz 11 mwN; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht8 Art 5 Rz 42 mwN).

3.2. Dass auch die Tätigkeit des Handelsvertreters unter den Dienstleistungsbegriff dieser Bestimmung fällt, ist unstrittig (Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht8 Art 5 Rz 44 mwN; vgl auch Czernich in Czernich/Tiefenthaler/Kodek Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht2 Art 5 Rz 40). Dies gilt auch für die Vermittlung langlebiger Wirtschaftsgüter wie Industrieanlagen und Fertigteilhäuser (Nocker, WBl 2004, 53).

4.1. Mangels einer Vereinbarung über den Erfüllungsort liegt dieser dort, wo die Leistung tatsächlich erbracht wurde (Burgstaller/Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht Art 5 EuGVVO Rz 15; Czernich in Czernich/Tiefenthaler/Kodek, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht2 Art 5 Rz 42). Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist bei der Bestimmung des Erfüllungsorts primär an tatsächlichen und nicht an rechtlichen Kriterien anzuknüpfen (RIS-Justiz RS0118365 [T1]).

4.2. Unter der erfüllten oder zu erfüllenden Verpflichtung ist

grundsätzlich diejenige Verpflichtung zu verstehen, die den

Gegenstand der Klage bildet (EuGH De Bloos/Bouyer, Slg 1976, 1497; 4

Ob 233/97m = SZ 70/176; 6 Ob 228/98t; 7 Ob 375/97s; 7 Ob 336/97f; 1

Ob 173/98t = SZ 71/129 = EvBl 1999/14; 6 Ob 216/98b; 2 Ob 304/98i =

SZ 71/191; 4 Ob 10/00z; 3 Ob 45/00i; 1 Ob 55/00w; 2 Ob 220/00t; 7 Ob 76/01b; 2 Ob 251/98w; 5 Ob 313/03w ua).

4.3. Klagsgegenstand ist im vorliegenden Fall die Provisionsforderung des Klägers gegenüber der Beklagten. Die für dieses Geschäft zu verrichtenden Tätigkeiten lagen aber schwerpunktmäßig in Vösendorf, befand sich doch dort der Schreibtisch des Klägers und wurde dort der Vertrag abgeschlossen. Dass der Kläger über Wunsch der Kunden auch eine Liegenschaft in Wien besichtigte, tritt demgegenüber in den Hintergrund.

4.4. Ein derartiges Abstellen auf den Schwerpunkt der Tätigkeit hat der EuGH auch bei der Bestimmung des Art 5 Nr 1 lit b erster Spiegelstrich EuGVVO für den Fall mehrerer Lieferorte in einem Mitgliedsstaat vorgenommen (EuGH Color Drack GmbH/Lex International VertriebsGmbH, Urteil vom 3. 5. 2007; 7 Ob 112/07g). Demnach ist das Gericht zuständig, in dessen Sprengel sich der Ort der nach wirtschaftlichen Kriterien zu bestimmenden Hauptlieferung befindet. Erst wenn sich der Ort der Hauptlieferung nicht feststellen lässt, kann der Kläger den Beklagten vor dem Gericht des Lieferorts seiner Wahl in Anspruch nehmen.

4.5. Soweit der Revisionsrekurs behauptet, der Vertragsabschluss sei in Wien vermittelt worden, entfernt er sich von den Feststellungen des Erstgerichts. Demnach kam der Kunde mit seiner Frau in ein Musterhaus der Beklagten in die „Blaue Lagune" in Vösendorf. Der Kläger konnte sich aufgrund seiner Fremdsprachenkenntnisse mit dem ausländischen Kunden teilweise unterhalten. Erst anschließend wurde er von beiden gebeten, sich ihr Grundstück im 19. Wiener Gemeindebezirk anzusehen.

4.6. Dem weiteren Argument des Klägers, nicht die Arbeit werde dem Handelsvertreter entlohnt, sondern der Erfolg seiner Vermittlungstätigkeit, ist entgegenzuhalten, dass der Erfolg erst durch den Vertragsabschluss eingetreten ist; dies war nach den Feststellungen der Vorinstanzen aber gleichfalls Vösendorf. Wo sich der Kläger im Zusammenhang mit der (versuchten) Vermittlung anderer - nicht klagsgegenständlicher - Geschäfte aufhielt, ist demgegenüber im vorliegenden Fall ohne Belang.

5. Die Entscheidungen der Vorinstanzen erweisen sich daher als frei von Rechtsirrtum, sodass dem unbegründeten Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen war.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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