OGH 7Ob112/07g

OGH7Ob112/07g30.5.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C***** GmbH, *****, vertreten durch Ramsauer & Perner Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die beklagte Partei L*****GmbH, *****, vertreten durch Mag. Hubertus P. Weben, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen EUR 9.291,56 sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgericht vom 28. April 2005, GZ 53 R 106/05b-17, womit das Urteil des Bezirksgerichtes St. Johann im Pongau vom 5. Jänner 2005, GZ 1 C 674/04b-13, über Berufung der beklagten Partei als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben und dem Berufungsgericht aufgetragen, unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund über die Berufung zu entscheiden. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.615,88 (darin enthalten EUR 92,48 USt und EUR 1.061,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Rekurses binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Beklagte, ein deutsches Unternehmen mit Sitz in N*****, lieferte aufgrund einer Sammelorder der Klägerin, die ihren Sitz in S***** in Österreich hat, Sonnenbrillen direkt an diverse Kunden (Wiederverkäufer) der Klägerin und damit an mehrere (auch außerhalb des Sprengels des Erstgerichtes gelegene) Orte in Österreich. Die Waren wurden von der Klägerin als Käuferin bezahlt. Mit der Behauptung, die Streitteile hätten vereinbart, dass nicht verkaufte Ware der Beklagten retourniert werden könne, begehrte die Klägerin mit der am 10.5.2004 beim Erstgericht eingebrachten Klage den Zuspruch von EUR 9.291,56 s.A. Nach vereinbarungsgemäßer Rückstellung der nicht verkauften Ware habe die Beklagte zwar vorerst eine entsprechende Gutschrift ausgestellt, dann aber keine Zahlung geleistet. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes ergebe sich aus Art 5 der Verordnung (EG) Nr.44/2001 des Rates vom 22.12.2000 (im Folgenden EuGVVO).

Die Beklagte wendete mangelnde inländische Gerichtsbarkeit und fehlende Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes ein. Art 5 EuGVVO komme nicht zur Anwendung. Hinsichtlich der begehrten Zahlung sei N***** als Erfüllungsort anzusehen, wohin auch die Retoursendung der Waren erfolgt sei. In ihren der Klägerin vor Anbotsannahme übermittelten Liefer- und Zahlungsbedingungen, denen die Klägerin nicht widersprochen habe, sei als Erfüllungsort und Gerichtsstand N***** genannt. Damit sei eine Zuständigkeitsvereinbarung im Sinn des § 23 EuGVVO getroffen worden. Im Übrigen sei nach den genannten Geschäftsbedingungen das Rückgaberecht nur in Verbindung mit einer - nicht erfolgten - umsatzwirksamen "Listung" (Bestellung) für das Folgejahr vereinbart worden.

Das Erstgericht, das über die von der Beklagten erhobenen Prozesseinreden der fehlenden internationalen und örtlichen Zuständigkeit in Verbindung mit der Hauptsache verhandelte, wies die Prozesseinreden ab und gab mit dem zugleich gefällten Urteil der Klage statt. Es stellte im Wesentlichen noch fest, dass zwischen den Streitteilen ein Rückgaberecht hinsichtlich der Brillen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt vereinbart worden sei. Eine Vereinbarung, dass das Retourrecht von einer Umsatzleistung für das nächste Geschäftsjahr abhänge, sei hingegen nicht getroffen worden. Die dann zeitgerecht von ihren Kunden an die Klägerin rückgelieferte Ware sei von dieser gesammelt an die Beklagte rückübermittelt worden. Die Beklagte habe der Klägerin, die ihren Kunden ihrerseits die entsprechenden Gutschriften geleistet habe, zunächst die Vornahme einer Gutschrift bestätigt, habe dies aber mit Schreiben vom 17.2.2004 mit der Begründung widerrufen, dass mehr als 50 % der ausgelieferten Ware an sie retourniert worden sei. Eine Kenntnisnahme von Liefer- und Zahlungsbedingungen der Beklagten durch die Klägerin sei nie erfolgt.

Aus diesen Feststellungen schloss das Erstgericht, dass es gemäß Art 5 Nr.1 lit b EuGVVO zuständig sei. Erfüllungsort sei der Unternehmensstandort der Klägerin in Schwarzach gewesen, der im Sprengel des angerufenen Gerichtes liege. Die genannte Bestimmung sei auch für Rückforderungsansprüche maßgebend. Eine Gerichtsstandsvereinbarung liege nicht vor, zumal es am Nachweis einer schriftlichen oder mündlichen Vereinbarung im Sinn des Art 23 EuGVVO fehle. Die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten seien der Klägerin nicht bekannt gewesen und auch nicht bekannt gegeben worden.

In der Sache selbst vertrat das Erstgericht die Auffassung, dass der eingeklagte Anspruch ("Gutschriftsbetrag") auf Grund der zwischen den Streitteilen getroffenen Vereinbarungen zu Recht bestehe. Die Klägerin habe zeitgerecht die Retourware an die Beklagte übermittelt und damit einen Anspruch auf den Refundierungsbetrag erworben. Von einer Bedingung, wie beispielsweise einer umsatzwirksamen Listung für das Folgejahr, sei das Rücknahmeversprechen der Beklagten nicht abhängig gemacht worden.

Das von der Beklagten angerufene Berufungsgericht hob das Ersturteil als nichtig auf und wies die Klage mangels internationaler und örtlicher Zuständigkeit des Erstgerichtes zurück. Sei - wie hier - der Erfüllungsort nicht gesondert vereinbart worden, dann sei gemäß Art 5 Nr 1 lit b EuGVVO der Erfüllungsort der Verpflichtung für den Verkauf beweglicher Sachen der Ort in einem Mitgliedsstaat, an dem sie nach dem Vertrag geliefert worden seien oder hätten geliefert werden müssen. Die genannte Bestimmung enthalte damit eine einheitliche gesetzliche Regelung des Erfüllungsortes, welche einen einzigen Anknüpfungspunkt für sämtliche Ansprüche aus dem Kaufvertrag bilde, somit auch für alle sekundären vertraglichen Ansprüche, wie etwa Schadenersatzforderungen oder sonstige Rückforderungsansprüche. Für alle Ansprüche aus dem Vertragsverhältnis komme es daher bei diesem Gerichtsstand zu einer Zuständigkeitskonzentration am Erfüllungsort der charakteristischen Leistung, der verordnungsautonom zu bestimmen sei. Diese autonome Bestimmung des maßgebenden Erfüllungsortes stoße allerdings bei komplexeren Vertragsverhältnissen, wie dem gegenständlichen, an Grenzen. Die internationale und örtliche Zuständigkeit des angerufenen Bezirksgerichtes könne nicht auf Art 5 Nr 1 lit b EuGVVO gestützt werden, weil die Lieferungen an eine Vielzahl von Einzelhändlern in ganz Österreich gegangen seien. Selbst wenn einzelne Lieferungen auch an Orte erfolgt seien, die im Sprengel des angerufenen Gerichtes lägen, wäre für die Klägerin damit nichts gewonnen, weil die Verordnung auf das Bestehen eines einzigen Erfüllungsortes abstelle. Wende man daher die „Grund- und Auffangregel" des Art 5 Nr 1 lit a EuGVVO an, so führe dies - ebenso wie eine Anwendung des Art 2 EuGVVO - zum Ergebnis, dass die Klägerin die Beklagte an ihrem Sitz in Deutschland klagen hätte müssen.

Auf Grund der berechtigten Unzuständigkeitseinrede erweise sich das angefochtene Urteil damit gemäß § 477 Abs 1 Z 3 ZPO als nichtig und sei daher die Klage zurückzuweisen gewesen. Eine Nichtigerklärung des Verfahrens habe unterbleiben können, weil dieses auch der Klärung der Zuständigkeitsfrage gedient habe.

Gegen diese Entscheidung der zweiten Instanz richtet sich der Rekurs der Klägerin, die den Beschluss aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag bekämpft, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen bzw zu bestätigen.

Die Beklagte beantragt in der Rekursbeantwortung, dem Rechtsmittel ihrer Prozessgegnerin keine Folge zu geben.

Der Rekurs ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO jedenfalls - auch ungeachtet des Wertes des Entscheidungsgegenstandes - zulässig (Kodek in Rechberger ZPO3 § 519 Rz 8); er ist im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat sich veranlasst gesehen, dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art 234 EG die Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, ob Art 5 Nr 1 Buchst.b erster Gedankenstrich EuGVVO dahin auszulegen sei, dass der Verkäufer beweglicher Sachen, der seinen Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates hat und die Sachen dem Käufer, der seinen Sitz im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates hat, vereinbarungsgemäß an verschiedene Orte dieses anderen Mitgliedstaates lieferte, vom Käufer hinsichtlich eines alle (Teil-)Lieferungen betreffenden vertraglichen Anspruches - allenfalls nach Wahl des Klägers - vor dem Gericht eines dieser (Erfüllungs-)Orte verklagt werden kann. Der Europäische Gerichtshof hat diese Frage derart beantwortet, dass die genannte Bestimmung dahin auszulegen sei, dass sie auch im Fall mehrerer Lieferorte in einem Mitgliedstaat anwendbar sei: „In einem solchen Fall ist für die Entscheidung über sämtliche Klagen aus einem Vertrag über den Verkauf beweglicher Sachen das Gericht zuständig, in dessen Sprengel sich der Ort der nach wirtschaftlichen Kriterien zu bestimmenden Hauptlieferung befindet. Lässt sich der Ort der Hauptlieferung nicht feststellen, so kann der Kläger den Beklagten vor dem Gericht des Lieferortes seiner Wahl verklagen". Dieser für den Obersten Gerichtshof bindenden Auslegung entsprechend hat das Erstgericht seine (internationale und örtliche) Zuständigkeit zu Recht bejaht: Die Klägerin behauptete, dass die Waren vor allem an Orte im Gerichtssprengel ihres Sitzes geliefert worden seien. Die Beklagte trat diesem Vorbringen nicht mit der Behauptung entgegen, dass die Hauptleistung an einem außerhalb dieses Gerichtssprengels liegenden Ort zu erbringen gewesen wäre. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes ist daher entweder deshalb gegeben, weil in seinem Sprengel die Hauptlieferung erfolgte oder weil sich andernfalls der Ort der Hauptlieferung nicht feststellen lässt, sodass die Klägerin das Erstgericht nach ihrer Wahl anrufen durfte. Das Berufungsgericht hat daher die Klage zu Unrecht mangels internationaler und örtlicher Zuständigkeit des Erstgerichtes zurückgewiesen und ist, ausgehend von seiner nicht zu billigenden Rechtsansicht, auf die weiteren Ausführungen der Berufung der Beklagten nicht eingegangen. Spruchgemäß war der angefochtene Beschluss des Berufungsgerichtes daher aufzuheben und diesem die Fortsetzung des Berufungsverfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.

Die Beklagte hat der Klägerin, die im Zwischenstreit über die Einrede der mangelnden internationalen und örtlichen Zuständigkeit (2 Ob 236/02y; 7 Ob 291/02y; 4 Ob 122/03z; 6 Ob 176/03f ua) obsiegt hat, gemäß § 41 Abs 1 und § 50 Abs 1 ZPO die Kosten ihres Rekurses zu ersetzen. Die Klägerin hat diese Kosten lediglich auf Basis der TP 3 B (und nicht auf Basis TP 3 C) RATG verzeichnet, weshalb sie ihr auch nur in dieser Höhe zuerkannt werden können.

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