OGH 6Ob83/08m

OGH6Ob83/08m8.5.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ.-Prof. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Brigitte P*****, vertreten durch Mag. Helmut Marschitz, Rechtsanwalt in Mistelbach, als Verfahrenshelfer, gegen die beklagte Partei Harald Alfred P*****, vertreten durch Dr. Stefan Petzer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalts (Streitwert 20.653,50 EUR), über die Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Berufungsgericht vom 27. November 2007, GZ 23 R 92/07b-67, womit das Urteil des Bezirksgerichts Mistelbach vom 6. März 2007, GZ 6 C 9/04s-60, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

 

Spruch:

Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.

Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen vierzehn Tagen die mit 445,82 EUR (darin 74,30 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Ehe der Streitteile wurde am 21. 2. 2000 gemäß § 55a EheG geschieden. Im Scheidungsvergleich verpflichtete sich der Beklagte zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbeitrags in Höhe von 5.800 S für den Zeitraum 1. 3. 2000 bis 31. 12. 2000. Für die Zeit danach verzichtete die Klägerin auf Unterhalt für den Fall geänderter Verhältnisse und geänderter Rechtslage, nicht jedoch für den Fall unverschuldeter Not.

Mit ihrer am 21. 1. 2004 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin die Zahlung von rückständigem und laufendem Unterhalt in Höhe von monatlich 421,50 EUR ab 1. 1. 2001. Im Scheidungsvergleich sei ausdrücklich nicht zur Gänze auf die Geltendmachung der Umstandsklausel verzichtet worden. Die Unterhaltspflicht des Beklagten stehe unter der aufschiebenden Bedingung, dass sie wieder auflebe, wenn sich die Klägerin in einer unverschuldeten Existenzbedrohung, somit in Not befinde.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren teilweise statt. Nach den Feststellungen des Erstgerichts leidet die Klägerin an Dysthymie. Die Klägerin verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung; es liegt eine Erwerbsminderung von 50 % vor. Diese Faktoren schließen die Klägerin für den gesamten Klagszeitraum vom Arbeitsmarkt aus.

Rechtlich würdigte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahingehend, dass eine unverschuldete Notlage der Klägerin vorliege. Ein nur für den Fall der Krankheit und der unverschuldeten Notlage vorbehaltener Unterhaltsanspruch diene bloß dazu, dem Unterhaltsberechtigten das Existenzminimum zu sichern und gebe daher nur Anspruch auf den notdürftigen, nicht auch auf den angemessenen Unterhalt (EFSlg 31.736). Ein Anhaltspunkt hiefür sei der Ausgleichszulagenrichtsatz. Mit Bezahlung des notwendigen Unterhalts werde auch die Notlage beseitigt; zu mehr könne der Unterhaltspflichtige nicht verhalten werden (EFSlg 108.322).

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil dahingehend ab, dass es Unterhalt nur für den Zeitraum ab 1. 2. 2004 zusprach. Das Mehrbegehren wies es ab.

Die Auslegung eines Scheidungsfolgenvergleichs richte sich nach den Grundsätzen, die auch sonst für die Vertragsauslegung gelten (§§ 914 f ABGB). Im vorliegenden Fall liege eine „zweiteilige Unterhaltsvereinbarung" vor. Einerseits sei zwischen den Streitteilen ein Unterhalt für einen bestimmten Zeitraum vereinbart und danach ein Unterhaltsverzicht mit Ausnahme einer unverschuldeten Notlage der Klägerin vereinbart worden. Welcher Unterhalt bei unverschuldeter Notlage geschuldet werden sollte, sei durch bloße Wortinterpretation nicht zu ermitteln. Unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben und der Übung des redlichen Verkehrs sei der Scheidungsfolgenvergleich dahingehend zu interpretieren, dass damit der Klägerin lediglich das Existenzminimum gesichert werden sollte. Sie habe daher nur einen Anspruch auf die Differenz zwischen dem eigenen Einkommen und dem Richtsatz für die Gewährung von Ausgleichszulagen gemäß § 293 Abs 1 lit a/bb ASVG.

Unterhalt für die Vergangenheit stehe hingegen nur außerhalb des § 72 EheG zu. Die Geltendmachung von Unterhaltsraten für vergangene Zeiträume sei dann im Allgemeinen nur durch die Verjährung beschränkt. Demgegenüber sei § 72 EheG insofern enger, als er dem geschiedenen Ehegatten für die Vergangenheit grundsätzlich nur solche Unterhaltsbeiträge zugestehe, die auf die Zeit nach Eintritt der Rechtshängigkeit fallen oder mit denen der Unterhaltspflichtige in Verzug geraten sei (Zankl in Schwimann, ABGB2 I § 72 EheG Rz 1). Verzug des unterhaltspflichtigen geschiedenen Ehegatten sei somit Anspruchsvoraussetzung für den Unterhalt des unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehegatten für vergangene Zeiträume. Verzug trete nicht automatisch bei Nichtzahlung nach der Scheidung ein, weil der Unterhaltsanspruch zumindest der Höhe nach konkretisiert sein müsse. Es sei daher konsequent, dass § 72 EheG für gesetzliche Unterhaltsansprüche - bei denen es noch der Geltendmachung bzw Einmahnung eines konkreten Betrags bedarf - und für vertragliche Unterhaltsansprüche insoweit gelte, als sie das gesetzliche Schuldverhältnis in Vertragsform fassten und nur unwesentlich änderten (Stabentheiner in Rummel, ABGB³ § 72 EheG Rz 7). Der Unterhaltsanspruch nach § 55a EheG sei zwar grundsätzlich ein vertraglicher; dieser Grundsatz erfahre jedoch eine Einschränkung dahin, dass der nach § 55a EheG vertraglich geregelte Unterhalt gemäß § 69a Abs 1 EheG einem gesetzlichen Unterhalt gleichzuhalten sei.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil der Frage, ob im Fall einer nach § 55a EheG geschlossenen Vereinbarung, in der der unterhaltsberechtigte geschiedene Ehegatte ab einem bestimmten Zeitpunkt auf Unterhalt - mit Ausnahme des Falles der unverschuldeten Notlage - verzichtet hat, bei der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen für die vor Gerichtsanhängigkeit gelegenen Zeiträume § 72 EheG zur Anwendung komme, über den Einzelfall hinaus erhebliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zukomme.

Rechtliche Beurteilung

Zur Revision der Klägerin:

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof billigt die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts sowohl im Ergebnis als auch in der methodischen Ableitung, sodass uneingeschränkt darauf verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO).

§ 72 EheG gilt für gesetzliche Unterhaltsansprüche. Zu diesen gehören aber grundsätzlich auch vertragliche Unterhaltsansprüche, die das gesetzliche Schuldverhältnis in Vertragsform fassen und nur unwesentlich ändern (Stabentheiner in Rummel, ABGB³ § 72 EheG Rz 7; 9 Ob 87/03i). Im Zweifel ist anzunehmen, dass bloß eine Konkretisierung des gesetzlichen Unterhalts vorliegt. Nur soweit beiden Parteien klar ist, dass sie Unterhalt vereinbaren, der nach dem Gesetz nicht zustünde, etwa weil der Unterhaltsbedarf des Berechtigten durch eigenes Einkommen gedeckt ist, handelt es sich nicht mehr um den gesetzlichen, sondern um einen rein vertraglichen Unterhalt (Zankl in Schwimann, ABGB³ § 80 EheG Rz 16; 6 Ob 113/03s; 9 Ob 87/03i).

Der Unterhalt nach § 55a EheG ist grundsätzlich ein vertraglicher, andernfalls wäre die Fiktion des § 69a EheG überflüssig (RIS-Justiz RS0109251; 3 Ob 115/00h; 9 Ob 87/03i). § 69a EheG stellt diesen vertraglichen Unterhalt aber dem gesetzlichen gleich, „soweit er den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessen ist". Unter dieser Voraussetzung wurde die Anwendbarkeit des § 72 EheG auf ein Begehren auf Erhöhung des nach § 55a EheG vereinbarten Unterhalts bejaht (Pichler in Rummel, ABGB² § 69a EheG Rz 2; Stabentheiner in Rummel, ABGB³ § 69a EheG Rz 1 mwN; Zankl in Schwimann, ABGB³ § 69a EheG Rz 1; Gitschthaler, Unterhaltsrecht² Rz 749 E 4 und 5). Zweck der Gleichstellung des § 69a EheG ist es, dem vertraglichen Unterhalt die Privilegien des gesetzlichen Unterhalts zu verschaffen. Dazu gehört, dass der Unterhalt nicht steuerpflichtig ist und bei Tötung des Unterhaltsverpflichteten gemäß § 1327 ABGB Ersatz zu leisten ist (Mänhardt in Ostheim, Schwerpunkte der Familienrechtsreform 1977/1978, 125 [134]). Es wäre ein schwer begründbarer Wertungswiderspruch, diese Privilegien zugunsten des Unterhaltsberechtigten anzuerkennen und den Unterhalt wie einen gesetzlichen zu behandeln, andererseits aber die für den gesetzlichen Unterhalt normierte, für den Unterhaltsberechtigten nachteilige Gesetzesbestimmung des § 72 EheG von der Gleichbehandlung auszunehmen (6 Ob 113/03s; 9 Ob 87/03i). Diese Überlegungen gelten aber nicht nur für ein - Gegenstand der Vorentscheidungen 6 Ob 113/03s und 9 Ob 87/03i bildendes - Begehren auf Unterhaltserhöhung, sondern auch für ein nach einem zunächst abgegebenen Unterhaltsverzicht erstmals gestelltes Begehren auf Unterhalt wegen einer eingetretenen Notlage.

Die Befristung des § 72 EheG hat durchaus sachliche Gründe (JBl 1990, 800; 6 Ob 113/03s). Der Gesetzgeber will dem Unterhaltspflichtigen relativ rasch Sicherheit verschaffen, dass er nicht mit einer hohen Rückstandsforderung konfrontiert wird. Wenn Kinder bei ihren Unterhaltsforderungen demgegenüber privilegiert sind, weil sie nicht außergerichtlich mahnen und Unterhaltsrückstände für die Vergangenheit fordern können, so kann dies damit erklärt werden, dass es nicht zu Lasten der Kinder gehen soll, wenn ihr gesetzlicher Vertreter bei der Verfolgung der Ansprüche säumig wird. Beim Ehegattenunterhalt wäre der Rechtsverlust hingegen in der Säumigkeit der Partei selbst begründet (6 Ob 113/03s).

Die Auffassung des Berufungsgerichts, durch die abgeschlossene Vereinbarung solle der Klägerin lediglich das Existenzminimum gesichert werden, sodass sie nur einen Anspruch auf die Differenz zwischen dem eigenen Einkommen und dem Richtsatz für die Gewährung von Ausgleichszulagen gemäß § 293 Abs 1 lit a/bb ASVG hat, entspricht der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (2 Ob 99/98t mwN).

Der unbegründeten Revision der Klägerin war sohin ein Erfolg zu versagen.

Zur Revision des Beklagten:

Die Revision ist nicht zulässig.

Entgegen der in der Revision vertretenen Auffassung hat das Berufungsgericht die Frage, ob eine Notlage vorliegt, ohnedies ausdrücklich geprüft und darauf hingewiesen, dass eine krankheitsbedingte Einkommenslosigkeit der Klägerin unter diesen Begriff zu subsumieren ist. Die behauptete Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO liegt daher nicht vor.

Die Frage, was die Parteien beim Vergleichsabschluss unter Notlage verstanden, bekämpfte der Beklagte bereits mit Beweisrüge im Berufungsverfahren. Das Berufungsgericht hat sich mit dieser Beweisrüge befasst und die Feststellungen des Erstgerichts übernommen. Die Beweiswürdigung ist daher nicht weiter anfechtbar (RIS-Justiz RS0043371). Im Übrigen hängt die Auslegung einer Vereinbarung regelmäßig von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab und stellt daher in der Regel, sofern keine auffallende Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen vorliegt, keine erhebliche Rechtsfrage dar (RIS-Justiz RS0044358, RS0042871, RS0044348, RS0042776, RS0044298, RS0042936, RS0042871, RS0044348 ua).

Der bloße Hinweis auf die eigene Absicht des Beklagten beim Abschluss des Scheidungsfolgenvergleichs ist nicht stichhaltig, kommt es doch bei der Auslegung auf den Willen beider Parteien an.

Zusammenfassend bringt die Revision daher keine Rechtsfragen der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität zur Darstellung, sodass sie spruchgemäß zurückzuweisen war.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die klagende Partei hat Anspruch auf Ersatz der Kosten ihrer Revisionsbeantwortung, weil sie im Ergebnis auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen hat. Die beklagte Partei hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

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