OGH 2Ob99/98t

OGH2Ob99/98t2.4.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria H*****, vertreten durch Dr.Wolfgang Rumpl, Rechtsanwalt in Mödling, wider die beklagte Partei Josef H*****, vertreten durch Dr.Walter Mardetschläger und Dr.Peter Mardetschläger, Rechtsanwälte in Wien, wegen Zahlung einer monatlichen Rente von S 3.000, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Berufungsgerichtes vom 25.November 1997, GZ 18 R 262/97a-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Mödling vom 3.Juni 1997, GZ 2 C 241/96x-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die beklagte Partei für schuldig erkannt wird, der klagenden Partei ab Oktober 1996 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag in der Höhe von S 700 zu bezahlen, und zwar die bis zur Rechtskraft dieser Entscheidung angefallenen Beträge binnen 14 Tagen, die künftig fällig werdenden Beträge jeweils am Monatsersten im vorhinein.

Das Mehrbegehren auf Zahlung eines weiteren monatlichen Unterhaltsbeitrages von S 2.300 wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S

12.649 bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz und die mit S 13.993,50 bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Ehe der Parteien wurde am 29.10.1974 aus dem Verschulden des Beklagten gemäß § 49 EheG geschieden. Der am selben Tag abgeschlossene Scheidungsfolgenvergleich enthält ua folgende Bestimmung:

"2. Die Klägerin verzichtet auf jeden Unterhalt, nicht jedoch auf Unterhalt für den Fall der unverschuldeten Not."

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin ab Oktober 1996 einen monatlichen Unterhalt von S 3.000 mit der Begründung, sie sei nunmehr unverschuldet in Not geraten. Ihre Alterspension betrage monatlich S 7.334,80 14x jährlich, wovon noch der Krankenversicherungsbeitrag abgezogen werde. Ein Antrag auf Zuerkennung einer Ausgleichszulage sei abgewiesen worden.

Der Beklagte wendete ein, die von der Klägerin behauptete unverschuldete Notlage liege nicht vor. Vielmehr habe sie Erbschaften gemacht und bewohne eine Werkswohnung ihres früheren Dienstgebers, für die sie eine geringfügige Miete zu bezahlen habe. Ferner benütze sie unentgeltlich ein Auto, welches ihr Sohn finanziere. Schließlich erziele sie Nebeneinkünfte und lebe mit einem anderen Mann in Lebensgemeinschaft. Er (Beklagter) sei zu Unterhaltsleistungen an sie finanziell nicht in der Lage, weil er für seine Tochter und für seine stundenweise arbeitende Gattin sorgepflichtig sei, ferner unterstütze er seine Mutter finanziell mit monatlich S 2.000.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt, wobei im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen wurden:

Das Pensionseinkommen der Klägerin betrug im Jahr 1996 monatlich S 7.334,80 und beträgt sei Jänner 1997 monatlich S 7.315 jeweils netto 14x pro Jahr. Ihre Klage auf Gewährung einer Ausgleichszulage wurde mit der Begründung abgewiesen, sie habe einen Unterhaltsanspruch gegen den geschiedenen Ehemann, weil sie sich in einer vom Unterhaltsverzicht ausgeschlossenen unverschuldeten Notlage befinde. Der Pensionsbezug der Klägerin liegt unter dem Existenzminimum von S

7.980. Von ihrem Einkommen bezahlt sie die Miete für ihre Wohnung in der Höhe von S 2.365, die Kosten für Strom und Heizung betragen S

1.500 pro Monat. Sie bezieht keine Nebeneinkünfte. Nach der Ehescheidung veräußerte sie die gemeinsame Ehewohnung, wobei sie einen Erlös von S 47.232 erzielte. Davon wurden Einrichtungsgegenstände gekauft. Außerdem mußte sie für die neue Wohnung einen Betrag von S 26.573 und S 4.500 bezahlen.

Das von der Klägerin benützte Auto gehört ihrem Sohn, sie benützt es lediglich, wenn dieser beruflich im Ausland ist. Das Fahrzeug ist auf den Namen der Klägerin zugelassen, wird jedoch komplett vom Sohn erhalten. Im Jahre 1991 erhielt sie S 100.000 aus einer Verlassenschaft. Davon gab sie je S 30.000 an ihre beiden Kinder weiter, den Rest verwendete sie zur Adaptierung der sanierungsbedürftigen neuen Wohnung.

Von ihren Kindern bekommt die Klägerin keine Unterstützung, sie lebt alleine.

Der Beklagte bezieht ein monatliches Durchschnittseinkommen von S

27.287 netto 14x pro Jahr, zusätzlich bezieht er monatlich S 5.000 an Diäten. Seit 31.10.1996 arbeitet seine Tochter als Verkäuferin, seine Ehegattin verdient S 3.758,70 netto 14x pro Jahr. Mit Bescheid wurde er zur Entrichtung eines Ersatzleistungsbetrages zu den Kosten der Sozialhilfe für seine Mutter in der Höhe von S 938 pro Monat verpflichtet.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Meinung, die Klägerin befinde sich in einer Notlage, die von dem bei der Scheidung vereinbarten Unterhaltsverzicht ausgenommen worden sei. Bei der Errechnung der Unterhaltsbemessungsgrundlage sei von einem monatlichen Durchschnittsnettoeinkommen des Beklagten von S 27.287 auszugehen, wozu noch die Hälfte der Diäten komme. Sorgepflichten bestünden für seine Ehegattin, seine Mutter sowie bis 31.10.1996 für seine Tochter. Daraus ergäben sich weit höhere Unterhaltsbeträge, als von der Klägerin begehrt.

Das vom Beklagten angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig.

Das Berufungsgericht wies darauf hin, daß die Auslegung des zwischen den Parteien abgeschlossenen Scheidungsvergleiches anhand des Vergleichswortlautes zu erfolgen habe und somit rechtliche Beurteilung sei. Für die Beurteilung der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine "Notlage" vorliege, sei der Richtsatz für die Gewährung der Ausgleichszulage maßgebend. Solange dieser Betrag nicht erreicht sei, sei die Existenz (das Existenzminimum) einer Person nicht gesichert. Dieser Richtsatz betrage monatlich S 7.887, 14x jährlich, was im Monatsschnitt rund S 9.200 ausmache. Diesen Betrag habe die Klägerin nicht erreicht, ihr monatliches Nettoeinkommen habe rund S 8.500 betragen. Diese Notlage werde auch nicht dadurch gemildert, daß sie die Möglichkeit habe, fallweise unentgeltlich den PKW ihres Sohnes zu benützen. Dadurch entstehe zwar eine gewisse Bequemlichkeit, von einer geldwerten und daher der Klägerin anzurechnenden Versorgungsleistung könne aber nicht gesprochen werden. Die Schenkungen an die Kinder hätten außer Betracht zu bleiben, weil sie 1991 erfolgten; zu diesem Zeitpunkt habe sie das Vorliegen einer Notlage nicht behauptet.

Grundsätzlich stehe der Klägerin gemäß § 66 EheG gegen den schuldig geschiedenen Beklagten ein Unterhaltsanspruch zu. Auf diesen Anspruch habe sie verzichtet, ausgenommen jedoch für den Fall der unverschuldeten Not. Diese Formulierung könne mangels einer gegenteiligen übereinstimmenden Parteienabsicht nur dahin verstanden werden, daß der abgegebene Unterhaltsverzicht im Falle einer Notlage eben nicht zum Tragen komme und in diesem Fall der unterhaltsverpflichtete Beklagte den vollen Unterhalt zu bezahlen habe. Diese Auffassung erscheine auch deshalb gerechtfertigt, weil Verzichtserklärungen im Zweifel einschränkend auszulegen seien.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil es zur Auslegung einer Vereinbarung in der außer für den Fall unverschuldeter Not auf Unterhalt verzichtet wurde, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes gebe. Derartige Verzichtserklärungen seien aber häufig, weshalb der Auslegung der hier geschlossenen Vereinbarung eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.

Dagegen richtet sich die Revision des Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren vollinhaltlich abgewiesen werde; hilfsweise wird beantragt, der Klägerin lediglich einen monatlichen Unterhalt von S 700 zuzusprechen; in eventu wird weiters ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel des Beklagten nicht Folge zu geben.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht dargelegten Grund zulässig, sie ist im Sinne ihres ersten Eventualantrages auch berechtigt.

Der Beklagte macht in seinem Rechtsmittel geltend, es liege keine Notlage der Klägerin vor. Sie verfüge über eine Alterspension von S

8.500 monatlich und es verblieben ihr nach Abzug der Wohnungskosten und der Kosten für Miete, Strom und Heizung noch S 4.635 zur freien Verfügung. Weiters verfüge sie über einen PKW, den sie unentgeltlich benützen könne, was einen Vermögenswert darstelle, der mit mehr als S 700 monatlich anzusetzen sei.

Jedenfalls sei aber der der Klägerin zugesprochene Unterhaltsbetrag von S 3.000 pro Monat unrichtig. Es stünde ihr lediglich der Differenzbetrag zwischen ihrem Einkommen von monatlich S 8.500 und dem Existenzminimum zu.

Hiezu wurde erwogen:

Rechtliche Beurteilung

Da eine abweichende Parteienabsicht nicht dargetan wurde, ist bei der Auslegung des zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Unterhaltsverzichtes vom objektiven Erklärungswert der darin verwendeten Ausdrücke und somit davon auszugehen, wie redliche Empfänger der Erklärungen diese unter Berücksichtigung aller Umstände verstehen mußten (Miet 42.110; ÖBA 1990, 843; ÖBA 1992, 745; SZ 68/13; 3 Ob 135/93 ua). Demnach ist "Not" dann gegeben, wenn das Existenzminimum nicht erreicht wird. Wem das Existenzminimum nicht zur Verfügung steht, der befindet sich eben in Not. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist der Richtsatz für die Gewährung einer Ausgleichszulage jener Betrag, der das Existenzminimum garantiert. Durch die Ausgleichszulage sollen nämlich Leistungen garantiert werden, die dem Rentenberechtigten eine bescheide Existenz ermöglichen (Martinek, Zur Ausgleichszulage, VersRdSch 1956, 229 [230]). Der Ausgleichszulagenrichtsatz legt das (konventionelle) Existenzminimum fest (Teschner in Tomandl, System des österr. Sozialversicherungsrechts Rz 2.4.6.2; Tomandl, Grundriß des österreichischen Sozialrechts4, Rz 193; Schrammel, Probleme der Ausgleichszulage, ZAS 1992, 9). Auch für die Bemessung des notdürftigen Unterhaltes nach § 73 EheG ist nach herrschender Ansicht (Hopf/Kathrein, Eherecht § 73 Rz 2; Purtscheller/Salzmann, Unterhaltsbemessung, Rz 194; Zankl in Schwimann2, ABGB Rz 4 zu § 73 EheG; abweichend Pichler in Rummel**2, ABGB Rz 1 zu § 73 EheG) der Richtsatz für die Ausgleichszulagen maßgebend. Zutreffend ist daher das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß sich die Klägerin in "Not" im Sinne der mit dem Beklagten getroffenen Vereinbarung befindet. Daß sie das Auto ihres Sohnes dann, wenn sich dieser im Ausland aufhält, fallweise unentgeltlich benützen kann, vermag daran nichts zu ändern, weil dies keine nennenswert geldwerte und der Klägerin anzurechnende Versorgungsleistung darstellt.

Die Frage, welcher Unterhalt der Klägerin nun zusteht, wenn sie in Not gerät, wurde in der zwischen den Streitteilen getroffenen Vereinbarung nicht geregelt. Dieser nicht bedachte Konfliktfall ist daher mit den Mitteln ergänzender Vertragsauslegung zu lösen (Rummel in Rummel**2 Rz 9 zu § 914; Binder in Schwimann**2 Rz 118 zu § 914). Als Behelf ergänzender Auslegung kommt dabei zunächst der hypothetische Parteiwille in Betracht; die Frage, was die Parteien gewollt hätten, wenn sie sich bei Vertragsabschluß die nunmehr offene Frage vorgelegt hätten, kann sich aus der Natur und dem Zweck des Vertrages oder anderen Umständen des Geschäftes beantworten (Rummel, aaO Rz 12 zu § 914). Der Natur und Zweck der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung liegt nun nach Ansicht des erkennenden Senates darin, der Klägerin das Existenzminimum zu sichern. Würde man ihr bei Unterschreiten des Existenzminimums den vollen gesetzlichen Unterhalt zusprechen, könnte dies dazu führen, daß sie bei hohem Einkommen des Ehegatten trotz nur geringfügigen Unterschreitens des Existenzminimums plötzlich einen sehr hohen Unterhalt bekäme, obwohl sie doch auf diesen grundsätzlich verzichtet hat.

Geht man nun davon aus, daß durch die zwischen den Parteien abgeschlossene Vereinbarung der Klägerin lediglich das Existenzminimum gesichert werden sollte, hat sie nur einen Anspruch auf die Differenz zwischen dem eigenen Einkommen von rund S 8.500 und dem Richtsatz für die Gewährung von Ausgleichszulagen gemäß § 293 Abs 1 lit a/bb ASVG in der Höhe von rund S 9.200, sohin auf S 700 monatlich.

Es war daher der Revision im Sinne ihres ersten Eventualantrages stattzugeben und die Entscheidung der Vorinstanzen abzuändern.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 43, 50 ZPO. Die Klägerin ist mit rund 1/4 durchgedrungen, sie hat daher dem Beklagten die Hälfte seiner Kosten (ohne Barauslagen) zu ersetzen; sie hat einen Anspruch auf Ersatz von 1/4 ihrer Barauslagen, der Beklagte einen solchen auf 3/4 seiner Barauslagen. Im Verfahren erster Instanz betragen die Kosten des Verfahrens des Beklagten ohne Barauslagen S 28.743 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 4.790), die Hälfte davon sind S 14.371,50. Die Barauslagen der Klägerin machen S

6.890 aus, ein Viertel davon sind S 1.722,50, woraus sich ein Kostenersatzanspruch des Beklagten von S 12.649 errechnet.

Im Berufungsverfahren sind dem Beklagten Kosten von S 6.337 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 1.056) entstanden, die Hälfte davon sind S 3.168,50. Weiters sind ihm Barauslagen von S 10.600 erwachsen, 3/4 davon sind S 7.950, der Kostenersatzanspruch des Beklagten für das Berufungsverfahrens beträgt sohin S 11.118,50.

Die Kosten des Beklagten für das Revisionsverfahrens betragen S 8.112 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 1.352), die Hälfte hievon sind S 4.056. An Barauslagen sind dem Beklagten S 13.250 entstanden, 3/4 hievon sind S 9.937,50, der Kostenersatzanspruch des Beklagten für das Revisionsverfahrens beträgt sohin S 13.993,50.

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