OGH 3Ob135/93

OGH3Ob135/9330.6.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger, Dr.Graf, Dr.Angst und Dr.Gerstenecker als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Herbert T*****, vertreten durch Dr.Ewald Weiss, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. Karl K***** und 2. Stefanie K*****, vertreten durch Dr.Hans Schönherr, Rechtsanwalt in Wien, wegen Einwendungen gegen den Anspruch, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 2.März 1993, GZ 46 R 127/93-19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 12.August 1992, GZ 15 C 4/91p-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

"Der Anspruch der Beklagten aus dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 18.8.1988, 12 c Vr 9135/77, auf Bezahlung von 59.500,-- S sA, zu dessen Hereinbringung mit Beschluß des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 30.11.1988, 15 E 12.744/88-1, die Exekution durch Pfändung und Überweisung von Arbeitseinkommen bewilligt wurde, ist erloschen."

Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger die mit 25.323,95 S (darin 3.810,56 S Umsatzsteuer und 1.850,-- S Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger schuldet den Beklagten aufgrund eines Urteils des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 18.8.1988 den Betrag von 59.500,-- S samt 4 % Zinsen seit 30.7.1976. Mit einem Schreiben vom 12.10.1988 forderten die Beklagten ihn auf, den bis zu diesem Tag einschließlich der Nebengebühren fällig gewordenen Betrag von 96.031,60 S unverzüglich an sie zu überweisen. Der Kläger richtete hierauf an die Beklagten am 31.10.1988 ein Schreiben, in dem er zunächst darauf hinwies, daß sein Einkommen auf Jahre hinaus schon von anderen Gläubigern in Anspruch genommen worden sei. Sodann heißt es darin:

"Ich teile dies nur deshalb mit, damit Sie mir nicht allenfalls später den Vorwurf machen, bei versuchten Eintreibungen nur noch weiteres Geld ausgelegt zu haben. Unabhängig davon bin ich natürlich bestrebt, jedem Gläubiger gegenüber ein Zeichen des guten Willens zu geben und werde ich darin von meiner Gattin unterstützt. Sollten Sie sich mit einer Zahlung von S 1.000,-- begnügen wollen, könnte dieser Betrag jedenfalls bis Ende dieses Jahres an Sie überwiesen werden. Ich weiß, daß Sie bei Annahme dieses Vorschlages auf 99 % Ihrer Forderung verzichten würden, betone aber, daß eine Mehrleistung auf Jahrzehnte hinaus nicht möglich ist."

Die Beklagten beantworteten dieses Schreiben mit einem Schreiben vom 12.11.1988, das neben der üblichen Anrede folgenden Wortlaut hatte:

"Ersuche Sie, ehestens an uns die S 1.000,-- zu überweisen!

Im voraus, besten Dank".

Nach Erhalt dieses Schreibens überwies der Kläger den Beklagten den Betrag von 1.000,-- S, wobei er auf der Überweisungsurkunde den Vermerk "Vergleichsbetrag" anbrachte.

Den Beklagten wurde gegen den Kläger mit dem Beschluß des Erstgerichtes vom 30.11.1988 aufgrund des Urteiles des Landesgerichtes für Strafsachen Wien zur Hereinbringung der Forderung von 59.500,-- S sA die Gehaltsexekution bewilligt.

Der Kläger erhob gegen den betriebenen Anspruch Einwendungen, die er auf den wiedergegebenen Sachverhalt stützte.

Die Beklagten bestritten, daß sie auf die betriebene Forderung verzichtet hätten.

Das Erstgericht wies das auf Unzulässigerklärung der Exekution gerichtete Klagebegehren ab. Es stellte zusätzlich zu dem wiedergegebenen Sachverhalt noch fest, daß die Beklagten durch das Ersuchen um Überweisung des Betrages von 1.000,-- S nicht auf ihre Forderung verzichten wollten und sich nur dachten, der Kläger solle die 1.000,-- S bezahlen, wenn er sie schon zur Verfügung habe, man könne sie ja dann als Guthaben von der Forderung abziehen.

Rechtlich war das Erstgericht der Meinung, daß der Kläger wegen des krassen Mißverhältnisses zwischen dem angebotenen und dem geschuldeten Betrag aus dem Ersuchen um Überweisung des Betrages von 1.000,-- S nicht ableiten durfte, die Beklagten hätten ihm die restliche Schuld erlassen wollen. Hier komme überdies dem nicht auf einen solchen Erlaß gerichteten Willen der Beklagten der Vorrang vor dem objektiven Erklärungswert ihres Verhaltens zu, weil der Kläger nicht annehmen habe dürfen, daß die Beklagten auf die schon 1976 entstandene Forderung plötzlich verzichten wollten, und weil er deshalb nicht schutzwürdig sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteigt und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Auf den Inhalt der Urkunden komme es nicht an, weil eine davon abweichende Parteienabsicht festgestellt worden sei. Außerdem könne aus dem das Zahlungsersuchen enthaltenden Schreiben der Beklagten eine schlüssige Annahme des Anbots des Klägers, verbunden mit dem unwahrscheinlichen Verzicht auf ihre sonstige Forderung nicht abgeleitet werden, weil ihr Verhalten im Sinn der Ausführungen des Erstgerichtes auch anders gedeutet werden könne und es damit an der Eindeutigkeit ihres Handelns mangle, die eine Voraussetzung für die Annahme einer schlüssigen Willenserklärung bilde.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Kläger gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes erhobene außerordentliche Revision ist unabhängig von dem vom Berufungsgericht überflüssigerweise (EFSlg. 60.946 ua) getroffenen Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstandes zulässig und auch berechtigt.

Das Berufungsgericht hat sich zu Unrecht auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bezogen, wonach bei Auslegung von Urkunden gegebenenfalls von den Feststellungen über die Absicht der Parteien auszugehen ist (vgl. JBl. 1990, 726; RZ 1990/30 ua). Abgesehen davon, daß dies nur gilt, wenn eine vom Wortlaut einer Urkunde abweichende übereinstimmende Parteienabsicht erwiesen ist, geht es hier nicht um die Auslegung von Urkunden, sondern darum, welche Rechtswirkungen die den Urkunden zu entnehmenden Erklärungen hatten. Hiezu ist es aber ständige Rechtsprechung, daß dann, wenn der Empfänger einer Erklärung den Willen des Erklärenden nicht kennt, der Inhalt und die Rechtsfolgen einer Erklärung nicht davon abhängen, was der Erklärende zum Ausdruck bringen wollte, sondern davon, wie ein redlicher Empfänger der Erklärung diese unter Berücksichtigung aller Umstände verstehen mußte (ÖBA 1992, 745; ÖBA 1990, 843; MietSlg. 42.110, 40.107 mwN). Dies gilt nicht nur für mündliche, sondern auch für schriftliche Erklärungen. Da nicht behauptet wurde, daß der Kläger den Erklärungswillen der Beklagten kannte, kommt es demnach auf die vom Erstgericht hiezu getroffenen und auch vom Berufungsgericht als maßgebend angesehenen Feststellungen nicht an.

Den Inhalt des Schreibens des Klägers konnte ein redlicher Empfänger nur dahin verstehen, daß der Kläger damit das Anbot machte, einen Vertrag zu schließen, wonach die Beklagten gegen Bezahlung von 1.000,-- S auf ihre Forderung verzichten. Die Aufforderung der Beklagten, "die" 1.000,-- S zu bezahlen, also die nach dem angebotenen Vertrag den Kläger treffende Leistung zu erbringen, konnte wieder ein redlicher Empfänger der Erklärung unter Berücksichtigung aller Umstände nur dahin verstehen, daß die Beklagten das Anbot annahmen. Zu berücksichtigen ist dabei einerseits der Wortlaut der Erklärung, in der es nicht einfach heißt, der Kläger möge 1.000,-- S zahlen, sondern in der ausdrücklich "die" 1.000,-- S angeführt sind. Damit konnte eindeutig nur der vom Kläger angebotene Betrag gemeint sein, weshalb ein redlicher Empfänger der Erklärung der Beklagten davon ausgehen durfte, daß die Beklagten auch mit den übrigen Bestimmungen des vorgeschlagenen Vertrages einverstanden sind. Das Mißverhältnis zwischen dem vom Kläger geschuldeten und von ihm angebotenen Betrag spricht entgegen der Ansicht der Vorinstanzen nicht gegen seine Redlichkeit (und damit Schutzwürdigkeit), weil er die Möglichkeit in Betracht ziehen durfte, daß die Beklagten im Hinblick auf den Inhalt seines Schreibens von der Uneinbringlichkeit ihrer Forderung ausgingen und deshalb wenigstens irgendeine, wenn auch geringe Leistung erhalten wollten. Eine solche Annahme fand auch im hohen Alter der Beklagten, die schon über 80 Jahre alt waren, eine Stütze. Besonders ins Gewicht fällt aber außerdem, daß der Kläger in seinem Schreiben ausdrücklich auf die Unverhältnismäßigkeit der von ihm versprochenen Leistung aufmerksam gemacht hat. Wenn die Beklagten dennoch diese Leistung einforderten, so ließ dies für einen redlichen Empfänger nur den Schluß zu, daß sie mit allen Bestimmungen seines Anbots einverstanden waren. Hätten sie dies nicht gewollt, so hätten sie ihrer Erklärung einen entsprechenden Vorbehalt beifügen müssen. Sie hätten dann aber nicht damit rechnen können, daß der Kläger den Betrag von 1.000,-- S auch tatsächlich bezahlt.

Durfte der Kläger aber den Inhalt der Erklärung der Beklagten dahin verstehen, daß die Beklagten die von ihm angebotene Leistung abrufen, so haben sie damit sein Anbot schlüssig angenommen, weil es auch für das schlüssige Zustandekommen eines Vertrages nicht darauf ankommt, was der sich in einer bestimmten Weise Verhaltende allenfalls wollte, sondern darauf, welche Schlüsse der andere daraus nach Treu und Glauben abzuleiten berechtigt war (JBl. 1989, 722; JBl. 1987, 315; SZ 58/11 ua). Es ist daher der vom Kläger vorgeschlagene Vertrag über den Verzicht auf die den Beklagten zustehende Forderung zustandegekommen, zumal er die ihn treffende Leistung bereits erbracht hat. Die Forderung der Beklagten ist somit durch Verzicht gemäß § 1444 ABGB erloschen, weshalb die vom Kläger dagegen erhobenen Einwendungen berechtigt sind. Dem Klagebegehren war deshalb stattzugeben, wobei der Spruch des Urteils von Amts wegen entsprechend der für Klagen nach § 35 EO herrschenden Auffassung (JBl. 1977, 63; EvBl. 1973/52; SZ 42/32 ua; Heller-Berger-Stix I 410) zu formulieren war (JBl. 1992, 453; EFSlg. 52.301 ua).

Der Ausspruch über die Verfahrenskosten beruht auf § 41 ZPO, bei den Kosten der Rechtsmittelverfahren überdies auf § 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte