OGH 9Ob87/03i

OGH9Ob87/03i17.12.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ. Doz. Dr. Bydlinski und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F***** T*****, *****, vertreten durch Dr. Stefan Stoiber, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei M*****T*****, Gastwirt, *****, vertreten durch Mag. Wilhelm Peter Milchrahm, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalt (Streitwert EUR 5.964,99 sA), über die Revision (Revisionsinteresse EUR 5.090 sA) der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 12. Feber 2003, GZ 45 R 616/02z-82, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Hernals vom 22. August 2002, GZ 23 C 22/00x-69, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass die Entscheidungen der Vorinstanzen - einschließlich der in Rechtskraft erwachsenen abweisenden Teile - zu lauten haben:

"Das Klagebegehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei ATS 82.080, dies sind EUR 5.964,99, samt 4 % Zinsen seit 23. 2. 2000 zu zahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 2.209,47 (darin EUR 366,26 USt und EUR 11,92 Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz sowie die mit EUR 582,96 (darin EUR 97,16 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen."

Die klagende Partei ist weiters schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 399,74 (darin EUR 66,62 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Ehe der Streitteile wurde am 16. 10. 1996 einvernehmlich gemäß § 55a EheG geschieden. Der Beklagte verpflichtete sich im Scheidungsvergleich (§55a Abs 2 EheG), ab 1. 11. 1996 an die Klägerin einen monatlichen Unterhalt in Höhe von ATS 3.000 am ersten eines jeden Monats zu zahlen. Als Vergleichsgrundlage wurden ein monatliches Einkommen des Beklagten von ATS 10.000 12x jährlich sowie eine weitere Sorgepflicht des Beklagten ausdrücklich in den Vergleich aufgenommen.

Mit ihrer Klage vom 23. 2. 2000 begehrte die Klägerin den Zuspruch von ATS 82.080 sA, und zwar je ATS 2.280 für die 36 Monate von Februar 1997 bis einschließlich Jänner 2000. Der Beklagte habe nämlich im relevanten Zeitraum ein Einkommen von ATS 16.000 netto 12x jährlich bezogen, ohne dies der Klägerin mitzuteilen. Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Er habe tatsächlich ein unter der Vergleichsgrundlage gelegenes Einkommen erzielt, außerdem sei der Klagsanspruch für die Zeit vor Klagseinbringung "verfristet". Letztlich stützte sich der Beklagte auch darauf, dass § 72 EheG einem Zuspruch an die Klägerin entgegenstehe, weil diese erstmalig mit Schreiben vom 22. April 1999 eine nicht näher aufgeschlüsselte Unterhaltserhöhung begehrt habe. Das Erstgericht verurteilte den Beklagten zur Zahlung von EUR 5.366 sA und wies - unangefochten - ein Mehrbegehren von EUR 599,12 sA ab. Es stellte fest, dass der Beklagte über dem Buchgewinn liegende Entnahmen aus seinem China-Restaurant getätigt habe, nämlich 1997 ATS 236.174,04, 1998 ATS 199.309,61 und 1999 ATS 82.403,53. Dazu komme noch die Eigenverköstigung aus dem Betrieb, was für 1997 mit ATS 23.760, für 1998 mit ATS 25.920 und für 1999 mit ATS 25.820 zu veranschlagen sei. Im Jänner 2000 habe er eine Einlage von ATS 1.883 getätigt (= Abzugspost) und Verköstigung im Wert von ATS 2.160 in Anspruch genommen. Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, dass dem Beklagte im relevanten Zeitraum daher ein monatliches (aus dem Durchschnitt der drei Jahre ermitteltes) Nettoeinkommen von ATS 16.837,22 zuzurechnen sei. Die im Vergleich festgelegte Relation sage aus, dass die einkommenslose Klägerin Anspruch auf 30 % des Nettoeinkommens (= 33 % abzüglich 3 % für eine weitere Sorgepflicht) des Beklagten und daher für die Zeit von drei Jahren vor Klagseinbringung einen Differenzanspruch von ATS 2.051 monatlich habe. § 72 EheG sei auf einen gemäß § 55a EheG vereinbarten Unterhalt nicht anwendbar.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten teilweise Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, dass es den Zuspruch von EUR 5.090 sA bestätigte, hingegen ein weiteres Mehrbegehren von EUR 276 sA - u.zw. insoweit unangefochten - abwies. Es vertrat wie das Erstgericht die Rechtsauffassung, dass § 72 EheG nicht anwendbar sei. Beim Unterhalt nach § 55a EheG handle es sich um einen vertraglichen Anspruch, welcher vom Geltungsbereich des § 72 EheG nicht erfasst sei und somit der hier noch nicht abgelaufenen dreijährigen Verjährungsfrist unterliege. Entgegen der Auffassung des Erstgerichtes sei jedoch für die Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage nicht auf einen dreijährigen Zeitraum abzustellen. Vielmehr seien die jeweiligen Jahresergebnisse des selbständig erwerbstätigen Beklagten heranzuziehen. Aus einem durchschnittlichen monatlichen Einkommen im Jahr 1997 von ATS 21.661,17 folge ein Unterhaltsanspruch der Klägerin von monatlich ATS 6.498, somit ein Differenzanspruch von ATS 3.498 monatlich. Im Jahre 1998 ergebe sich eine Unterhaltsbemessungsgrundlage von monatlich ATS 18.769,13; der Unterhaltsanspruch sei mit ATS 5.630 monatlich, der Differenzanspruch gegenüber dem durch Vergleich festgelegten Betrag mit ATS 2.630 monatlich zu beziffern. Für die Zeit ab 1. 1. 1999 bestehe kein Erhöhungsanspruch der Klägerin, weil das Einkommen des Beklagten seitdem sogar unter dem im Vergleich angenommenen liege. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision - unter anderem - zulässig sei, weil die Frage rückwirkender Erhöhung eines nach § 55a EheG vereinbarten Unterhalts von erheblicher Bedeutung sei. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Beklagten aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beteiligte sich nicht am Revisionsverfahren. Die Revision ist zulässig; sie ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Während im Zeitpunkt der Entscheidung durch das Berufungsgericht noch keine Rechtsprechung zur Anwendbarkeit des § 72 EheG auf die Erhöhung gemäß § 55a EheG vereinbarten Unterhalts bestand, hat der Oberste Gerichtshof in seinem Urteil vom 23.10.2003, 6 Ob 113/03s, wie folgt, entschieden:

"I. Für die Vergangenheit kann der Berechtigte Erfüllung oder Schadenersatz wegen Nichterfüllung erst von der Zeit an fordern, in der der Unterhaltspflichtige in Verzug gekommen oder der Unterhaltsanspruch rechtshängig geworden ist, für eine länger als ein Jahr vor der Rechtshängigkeit liegende Zeit jedoch nur, soweit anzunehmen ist, dass der Verpflichtete sich der Leistung absichtlich entzogen hat (§ 72 EheG).

§ 72 EheG gilt für gesetzliche Unterhaltsansprüche, zu denen aber grundsätzlich auch vertragliche Unterhaltsansprüche gehören, die das gesetzliche Schuldverhältnis in Vertragsform fassen und nur unwesentlich ändern (Stabentheiner in Rummel ABGB3 Rz 7 zu § 72 EheG mwN). Eine vertragliche Fixierung des gesetzlichen Unterhalts liegt auch dann vor, wenn der vereinbarte Unterhaltsbetrag etwas höher oder niedriger liegt, als er im streitigen Verfahren bemessen würde. Im Zweifel ist eher anzunehmen, dass bloß eine Konkretisierung des gesetzlichen Unterhalts vorliegt. Nur soweit beiden Parteien klar ist, dass sie Unterhalt vereinbaren, der nach dem Gesetz nicht zustünde, etwa weil der Unterhaltsbedarf des Berechtigten durch eigenes Einkommen gedeckt ist, handelt es sich nicht mehr um den gesetzlichen, sondern um einen rein vertraglichen Unterhalt (Zankl in Schwimann ABGB2 Rz 16 zu § 80 EheG mwN aus der Rechtsprechung). Selbst wenn daher hier mit dem Unterhaltsvergleich das Prozessrisiko in der Verschuldensfrage an der Zerrüttung der Ehe mitverglichen wurde, kommt es für den Charakter des vereinbarten Unterhalts auf das Unterhaltsniveau des verglichenen Unterhaltsbeitrages im Verhältnis zu demjenigen an, das bei einer gerichtlichen Entscheidung nach dem Gesetz maßgeblich wäre.

Der Unterhalt nach § 55a EheG ist grundsätzlich ein vertraglicher, sonst wäre die Fiktion des § 69a EheG überflüssig (RIS-Justiz RS0109251; 3 Ob 115/00h). § 69a EheG stellt diesen vertraglichen Unterhalt aber dem gesetzlichen gleich, "soweit er den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessen ist". Letzteres wurde schon bei einem Unterhalt von 36 % des Familieneinkommens bejaht (1 Ob 122/97s unter Hinweis auf SZ 60/31). Unter dieser Voraussetzung gilt § 72 EheG für ein Begehren auf Erhöhung des nach § 55a EheG vereinbarten Unterhalts (Pichler in Rummel ABGB2 Rz 2 zu § 69a; Stabentheiner in Rummel ABGB3 Rz 1 zu § 69a EheG unter Zitierung EFSlg 66.488, XXIX/7, 90.400 und 93.882; Zankl in Schwimann ABGB2 Rz 1 zu § 69a EheG). Eine Gegenmeinung vertritt Gitschthaler, Unterhaltsrecht Rz 749/6. In der von ihm zitierten Entscheidung 3 Ob 115/00h wurde aber nicht einmal obiter die Ansicht vertreten, dass § 72 EheG auf einen Unterhalt nach § 55a EheG unanwendbar sei: Der Beklagte hatte sich dort gegen die Nichtanwendung des § 72 EheG nicht mehr gewehrt.

Soweit die übrigen Autoren eine Begründung liefern, verweisen sie auf den Zweck der Gleichstellung des § 69a EheG, dem vertraglichen Unterhalt die Privilegien des gesetzlichen Unterhalts zu verschaffen (der Unterhalt ist keine Schenkung und nicht steuerpflichtig; bei Tötung des Unterhaltsverpflichteten ist gemäß § 1327 ABGB Ersatz zu leisten uva; Mänhardt in Ostheim, Schwerpunkte der Familienrechsreform 1977/1978, 125 [134]). Es wäre ein schwer begründbarer Wertungswiderspruch, diese Privilegien zugunsten des Unterhaltsberechtigten anzuerkennen und den Unterhalt wie einen gesetzlichen zu behandeln, andererseits aber die für den gesetzlichen Unterhalt normierte, dem Unterhaltsberechtigten nachteilige Gesetzesbestimmung des § 72 EheG von der Gleichbehandlung auszunehmen.

§ 69a EheG trägt dem Umstand Rechnung, dass nach einer einvernehmlichen Scheidung gemäß § 55a EheG grundsätzlich kein gesetzlicher Unterhaltsanspruch zwischen den geschiedenen Ehegatten besteht. Welcher Unterhalt den Lebensverhältnissen der Ehegatten im Sinne des § 69a EheG angemessen ist, ist nach § 94 ABGB zu beurteilen. Somit ist auf das Unterhaltsniveau während aufrechter Ehe abzustellen. Da aber § 94 ABGB schon an sich erhebliche Wertungsspielräume offenlässt, ist auch bei der Beurteilung der Angemessenheit nach § 69a EheG kein "kleinlicher Maßstab", sondern eine großzügige Betrachtungsweise am Platz (1 Ob 122/97s)...". Diese Erwägungen treffen auch auf den vorliegenden Fall zu. Im Sinne dieser Judikatur ist der - unter Berücksichtigung einer weiteren Sorgepflicht - mit 30 % des Nettoeinkommens des Beklagten verglichene Ehegattenunterhalt gemäß § 69a EheG wie ein gesetzlicher Unterhalt zu behandeln. § 72 EheG ist darauf anzuwenden. Auf die Kontroverse, ob und inwieweit auch bei gerichtlicher Geltendmachung überdies eine konkrete Einmahnung erforderlich ist, um einen Verzug zu bewirken (s die Darstellung bei Stabentheiner in Rummel ABGB II/43 Rz 4 zu § 72 EheG), ist hier nicht einzugehen, weil ein allenfalls im Zeitraum eines Jahres vor Gerichtsanhängigkeit entstandener Erhöhungsanspruch rechtskräftig verneint wurde. Ein weiterer zeitlicher Rückgriff hat aber zu unterbleiben, weil eine absichtliche Entziehung iSd § 72 EheG nicht hervorgekommen ist.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 bzw 50 Abs 1 ZPO. Dabei war zu berücksichtigen, dass zur Ermittlung des Streitwerts nicht § 58 JN heranzuziehen ist, weil keine laufenden Unterhaltsansprüche, sondern ausschließlich Rückstände Gegenstand der Klage sind. Ausgehend von einem Streitwert von ATS 82.080 (= EUR 5.964,99) betragen die ersatzfähigen Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens auf Seiten des Beklagten EUR 2.209,47 (darin EUR 366,26 USt und EUR 11,92 Fahrtkosten); nicht ersatzfähig sind die für einen erfolglosen Rekurs und eine erfolglose Rekursbeantwortung aufgewendeten Kosten. Für das Berufungsverfahren hat der Beklagte - bei einem Berufungsstreitwert von EUR 5.366 - Anspruch auf Ersatz von EUR 582,96 (darin EUR 97,16 USt). Dem Revisionsverfahren liegt ein Streitwert von EUR 5.090 zugrunde, daraus folgt ein Kostenersatz in Höhe von EUR 399,74 (darin EUR 66,62 USt).

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