Spruch:
Dem Revisionsrekurs der Minderjährigen wird nicht Folge gegeben.
Der Vater hat die Kosten seiner Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.
Text
Begründung
Die am 16. Jänner 1992 geborene Shoshana B***** ist die Tochter von Shelley S***** und John L. B*****. Die Minderjährige und ihre Mutter sind Staatsangehörige der Vereinigten Staaten von Amerika, der Vater ist Staatsangehöriger des Vereinigten Königreichs. Das Kind und die Mutter haben ihren Wohnsitz in Wien. Der Vater hat im Februar 2006 Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt aus der Bundesrepublik Deutschland nach Australien verlegt.
Mit rechtskräftigem Beschluss vom 26. Juli 2004 wurde der Minderjährigen auf den Geldunterhaltsanspruch gegenüber ihrem Vater für die Zeit von 1. Juli 2004 bis 30. Juni 2007 gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG ein monatlicher Unterhaltsvorschuss von 218,02 EUR gewährt.
Mit Beschluss vom 5. Oktober 2007 hat das Erstgericht aufgrund des am 31. Mai 2007 eingebrachten Antrags die Weitergewährung der Unterhaltsvorschüsse für den Zeitraum von 1. Juli 2007 bis 31. Jänner 2010 bewilligt.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, im Sinne einer Abweisung des Weitergewährungsantrags Folge. Zum Zeitpunkt der ursprünglichen Vorschussgewährung mit Beschluss vom 26. Juli 2004 sei der damals in Deutschland wohnhaft und dort selbständig erwerbstätig gewesene Vater als Staatsbürger eines EU-Mitgliedstaats in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung (EWG) 1408/71 gefallen. Allerdings entziehe die Wohnsitzverlegung des Vaters von Deutschland nach Australien die Gewährungsgrundlage nach der Wanderarbeitnehmerverordnung, die einen gewöhnlichen Aufenthalt im EWR-Raum voraussetze. Da das drittstaatsangehörige Kind demnach nicht mehr in den Kreis der nach der Wanderarbeitnehmerverordnung begünstigten Familienangehörigen falle, habe es keinen Anspruch auf Unterhaltsvorschuss mehr.
Das Rekursgericht sprach zunächst aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig sei.
Den über Antrag der Minderjährigen nachträglich abgeänderten Zulässigkeitsausspruch begründete es damit, dass eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob allein die Wohnsitzverlegung des unterhaltspflichtigen Vaters (mit Staatsbürgerschaft eines EU-Mitgliedstaats) in einen Nicht-EU-Staat ausreiche, dass das drittstaatsangehörige Kind nicht mehr in den persönlichen Anwendungsbereich der mit Verordnung (EG) 859/2003 auf Drittstaatsangehörige ausgedehnten persönlichen Anwendungsbereich der Wanderarbeitnehmerverordnung falle.
Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Minderjährigen mit dem Antrag auf Wiederherstellung der antragsstattgebenden Entscheidung des Erstgerichts.
Der Bund hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt. Der Vater beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, der Oberste Gerichtshof möge sich mangels inländischer Gerichtsbarkeit für unzuständig erklären und das gesamte Verfahren gegen den Vater einstellen. In eventu wird beantragt, dem Revisionsrekurs der Minderjährigen nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht in der Entscheidung über die Zulassungsvorstellung genannten Grund zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.
Die Argumentation der Minderjährigen in ihrem Revisionsrekurs lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
Der Anwendungsbereich der Wanderarbeitnehmerverordnung sei durch Art 1 der Verordnung 859/2003 - unter bestimmten weiteren Voraussetzungen - auf Drittstaatsangehörige mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat ausgedehnt worden. Die Minderjährige werde dadurch begünstigt, weil ihre Situation keineswegs ausschließlich Verbindungen zu einem Drittstaat und einem einzigen Mitgliedstaat aufweise. Das über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisende Element liege nicht allein in der britischen Staatsangehörigkeit des Vaters, sondern (auch) darin, dass dieser in Ausübung seiner Freizügigkeit in mehreren Mitgliedstaaten berufstätig gewesen sei. Laut einer am 15. Jänner 2008 eingelangten Stellungnahme sei er seit 1. Jänner 2005 nach wie vor als unselbständiger Arbeitnehmer bei einem deutschen Unternehmen beschäftigt.
Dazu hat der Senat erwogen:
1. Die inländische Gerichtsbarkeit (im Sinne internationaler Zuständigkeit) ist gemäß § 110 Abs 1 Z 2 JN im Hinblick auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes im Inland gegeben.
2. Das Gericht ist nicht berechtigt, im Zusammenhang mit der Weitergewährung von Unterhaltsvorschüssen den ursprünglichen Gewährungsbeschluss zu überprüfen. Es hat vielmehr zu prüfen, ob die früheren Gewährungsgrundlagen noch gegeben sind. Ist der Sachverhalt also ident wie bei der Erstgewährung, ist eine abweichende rechtliche Beurteilung im Weitergewährungsverfahren im Hinblick auf die Rechtskraft des ursprünglichen Gewährungsbeschlusses ausgeschlossen. Neue Versagungsgründe sind jedoch uneingeschränkt von Amts wegen zu beachten. Maßgebend ist die Sachlage zum Zeitpunkt der Entscheidung in erster Instanz (6 Ob 139/07w = Zak 2007/546, 313 = iFamZ 2007/141, 284 = RIS-Justiz RS0122248).
3. Nach dem österreichischen Unterhaltsvorschussrecht fehlt es der Antragstellerin an der in § 2 Abs 1 UVG normierten Anspruchsvoraussetzung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Diese fehlte auch bereits zum Zeitpunkt der ursprünglichen Vorschussgewährung, sodass allein daraus eine Versagung der Weitergewährung nicht abgeleitet werden kann.
4. Als Konsequenz des EuGH-Urteils vom 15. 3. 2001 in der Rs C-85/99 , Offermanns (Slg 2001, I-2261, 2285 = ARD 5217/30/2001), nach der Unterhaltsvorschüsse unter den Begriff der Familienleistungen nach Art 4 Abs 1 lit h der Verordnung (EWG) 1408/71 fallen und dem Grundsatz der Gleichbehandlung nach Art 3 Abs 1 der Verordnung unterliegen, haben in Österreich aufhältige Personen, für die die Verordnung 1408/71 gilt, unter denselben Voraussetzungen wie Inländer Anspruch auf eine Vorschussleistung (4 Ob 117/02p = EvBl 2002/183; RIS-Justiz RS0115509).
4.1. Im Verfahren sind keine Hinweise hervorgekommen, dass dem drittstaatsangehörigen Kind Wanderarbeitnehmereigenschaft iSd Verordnung (EWG) 1408/71 (im Folgenden: VO 1408/71 ) zukommt. Nach der Aktenlage (ON U2) besuchte es im Schuljahr 2007/08 die 6. Klasse einer AHS.
4.2. Art 2 der VO 1408/71 erstreckt ihren persönlichen Geltungsbereich auch auf die Familienangehörigen (Art 1 lit f VO 1408/71 ) eines unmittelbar Berechtigten. Ist der unmittelbar Berechtigte Staatsangehöriger eines EU- oder EWR-Staats und unterfällt er selbst dem persönlichen Geltungsbereich der Verordnung, so unterliegt auch ein Familienangehöriger dem persönlichen Geltungsbereich der Verordnung, unabhängig von dessen Staatsangehörigkeit (näher Eichenhofer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht4 [2005] 101).
Diese letztgenannte Voraussetzung ist erfüllt, weil der Vater, von dem der Anspruch auf die Familienleistung abgeleitet wird, Staatsangehöriger des Vereinigten Königreichs ist; auf die Staatsangehörigkeit des Kindes als Familienangehörigen kommt es nicht an. Damit ist auch die Verordnung (EG) 859/2003 , die die VO 1408/71 unter gewissen Voraussetzungen auf Drittstaatsangehörige ausdehnt, für den vorliegenden Fall ohne Belang, leitet sich doch eine (mögliche) Anspruchsberechtigung des Kindes von einem unmittelbar berechtigten Staatsangehörigen eines EU-Mitgliedstaats ab. Soweit der Entscheidung 1 Ob 171/05m (= Zak 2006/267, 155 [krit Neuhauser 143] = FamZ 2006/3, 12 [krit Neumayr]) Gegenteiliges zu entnehmen ist, wird der dort vertretene Standpunkt abgelehnt.
4.3. Angesichts des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes in Österreich und der Staatsangehörigkeit des Vaters ist das Vorhandensein eines grenzüberschreitenden Gemeinschaftsbezugs zu bejahen (siehe Eichenhofer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht4 100). Wegen der Staatsangehörigkeit des Vaters ist der Ansicht des Rekursgerichts, es fehle seit der Wohnsitznahme des Vaters in Australien an einem Bezug zu einem weiteren Mitgliedstaat, nicht zu folgen.
5. Hinsichtlich der Familienleistungen folgt die VO 1408/71 dem Beschäftigungslandprinzip (Art 73, 74 der VO 1408/71 ). Familienleistungen werden für Arbeitnehmer, Selbständige und Arbeitslose vom Träger im Beschäftigungsstaat erbracht, auch wenn die Familienangehörigen in einem anderen Mitgliedstaat wohnen. Art 13 Abs 2 lit a der VO 1408/71 erklärt - unabhängig vom Wohnsitz des Arbeitnehmers und vom Unternehmenssitz des Arbeitgebers - bei abhängiger Beschäftigung den Beschäftigungsort zum grundsätzlichen Anknüpfungspunkt (Steinmeyer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht4 168 und 174 f).
6. Von entscheidender Bedeutung ist, ob der Vater zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz (6 Ob 114/07v = RIS-Justiz RS0076052 [T6]) am 5. Oktober 2007 an einem Beschäftigungsort im EU- bzw EWR-Raum beschäftigt war. Dafür gibt es nach der Aktenlage keine Anhaltspunkte. Selbst eine (in Australien ausgeübte) unselbständige Beschäftigung bei einem in Deutschland ansässigen Unternehmen könnte nichts daran ändern, weil nicht der Unternehmenssitz, sondern der Beschäftigungsort maßgeblich ist. Das erst im Revisionsrekurs erstattete Vorbringen, der Vater sei nach wie vor in Deutschland unselbständig berufstätig, widerspricht dem Neuerungsverbot nach § 66 Abs 2 AußStrG und ist im Revisionsrekursverfahren nicht zu berücksichtigen.
7. Mangels eines Anhaltspunkts für eine aktuelle Beschäftigung des Vaters (nach seiner Wohnsitzverlegung nach Australien) an einem Beschäftigungsort im EU- bzw EWR-Raum ist eine Anspruchsvoraussetzung für die Vorschüsse weggefallen, sodass deren Weitergewährung verhindert wird.
8. Im Unterhaltsvorschussverfahren gibt es auch nach dem neuen Außerstreitrecht keinen Kostenersatz (2 Ob 48/06g = Zak 2006/396, 231 = FamZ 2006/49, 137; Fucik, Kostenersatz im Verfahren außer Streitsachen, ÖJZ 2007, 669 [674]).
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