OGH 5Ob1/08w

OGH5Ob1/08w19.2.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Floßmann als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hurch, Dr. Höllwerth, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Evelyn U*****, vertreten durch Dr. Christian Kurz und Mag. Johannes Götsch, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Ö***** R*****, vertreten durch Dr. Georg Petzer und andere Rechtsanwälte in Kufstein, wegen 32.000 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR; Gesamtstreitwert: 37.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 27. September 2007, GZ 2 R 85/07b-49, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 3. Jänner 2007, GZ 14 Cg 65/05m-41, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.757,60 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 293 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Im Rahmen einer von der Beklagten organisierten Trainingswoche fand am 24. 10. 2003 auf der Kunstrodelbahn in S*****/Lettland ein Rodeltraining statt, an dem unter anderem die damals 15-jährige Klägerin als Mitglied des von der Beklagten erstellten ÖRV-Jugendkaders teilnahm. Das Trainingslager wurde von der Beklagten finanziert. Für die Sportler wurden die Reisekosten, die Übernachtungs-, die Verpflegungskosten und die Kosten für die Fahrten auf der Rodelbahn getragen.

Die Beklagte benützt seit Jahren die Rodelbahn in S***** als Trainingsbahn in den frühen Monaten einer Wintersaison. Dafür entrichtet sie dem Bahnbetreiber in S***** ein Entgelt, das pro Trainingsfahrt bemessen wird. Als Gegenleistung stellt der Bahnbetreiber der Beklagten die Rodelbahn zur Verfügung und organisiert den Auftransport der Rodlerinnen und Rodler zum Start. Weiters ist der Bahnbetreiber für die Zeitnehmung und die Startfreigabe verantwortlich und stellt zu diesem Zweck eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter als Zielleiter zur Verfügung. Während der Trainingsfahrten in S***** steht seitens des Bahnbetreibers nur sehr spärlich Personal zur Verfügung. Beim gegenständlichen Training war, wie auch bei sonstigen Probeläufen in S***** üblich, nur eine Zielleiterin des Bahnbetreibers vorhanden. Es gab keine Startleiter und keine Streckenposten, die vom Bahnbetreiber zur Verfügung gestellt worden wären. Die Bahn war teilweise aus Wetter- und Energiespargründen mit Planen abgedeckt, was die direkte Sicht auf die Läufer während der Fahrt erschwerte, aber nicht unmöglich machte. Diese Situation war für die Trainingsläufe in S***** üblich und wurde von allen Rodelverbänden, die dort ein Training absolvierten, hingenommen und war auch den begleitenden Trainern und Funktionären der Beklagten bekannt.

Nicht festgestellt werden kann, ob beim Training am Unfallstag die Kameras der Anlage im Betrieb waren.

Über Anordnung der Funktionäre der Beklagten starteten am Unfallstag die Sportlerinnen des Juniorkaders etwas tiefer als vom üblichen Damenstartpunkt, wobei aus dieser Startposition keine Blinkanlage mit Lichtern zur Freigabe der Bahn zu sehen ist. An dieser Stelle hört man nur die Durchsage der Startfreigabe.

Die Rodelbahn in S***** ist 1200 m lang und es sind insgesamt 16 Kurven zu durchfahren. Zwischen der Kurve 15 (Ersturteil S 12) und dem Auslauf der Rodelbahn besteht eine starke Steigung.

Die beim Training am 24. 10. 2003 unmittelbar vor der Klägerin gestartete Rodlerin Katharina L***** erlitt in der Kurve 15 der Bahn einen Kippsturz. Dabei rutschte sie von ihrer Rodel. Diese fuhr mit nur geringfügig verminderter Geschwindigkeit ohne Rodlerin weiter in Richtung Ziel. Der Schlitten überfuhr die Ziellinie und löste die Zeitnehmung aus, woraufhin die Bahn von der Zielleiterin mittels Durchsage in deutscher Sprache freigegeben wurde.

Die herrenlose Rodel von Katharina L***** fuhr infolge der beschriebenen Steigung nicht in den Auslauf, sondern zurück in die Bahn und dort aufwärts. Katharina L*****, die dies wahrnahm, gelang es nicht, den zurückkommenden Schlitten aus der Bahn zu nehmen oder mit Hilferufen auf die drohende Gefahr aufmerksam zu machen. In ihrem Bereich befand sich zum Zeitpunkt kein Trainer und auch kein Betreuer der Beklagten.

So geschah es, dass die Klägerin, ohne noch rechtzeitig bremsen zu können, mit der Rodel zusammenstieß, woraus schwere Verletzungen, Dauerfolgen und eine bleibende Verunstaltung der Klägerin resultierten.

Erst nach der Kollision wurden die Hilferufe von Katharina L***** und der Klägerin von den Trainern und Betreuern wahrgenommen.

Stürze wie die der Katharina L*****, bei denen sich ein Schlitten selbständig macht, sind im Rodelsport nichts Ungewöhnliches und kommen auch auf anderen Bahnen immer wieder vor. Bei den Kurven 15 und 16 der Rodelbahn in S***** handelt es sich um kritische Stellen, an denen öfters derartige Stürze passieren. Allerdings erfolgt in solchen Fällen üblicherweise keine Startfreigabe für den nächsten Rodler, sondern wird abgewartet, bis der gestürzte Sportler nachweislich samt Schlitten die Bahn verlassen hat.

Aufgabe der Zielleiterin wäre es gewesen, bei Vorliegen dieser Gefahrensituation die Bahn zu sperren, obwohl der Schlitten der Katharina L***** nach Überquerung der Ziellinie automatisch die Zeitnehmung ausgelöst hatte.

Die Startreihenfolge der Läufer wird durch das Trainerteam der Beklagten vor dem jeweiligen Training festgelegt und an die Zielleiterin weitergegeben. Danach haben die Trainer keinerlei Einfluss auf die Startreihenfolge mehr. Den konkreten Start ermöglichte nach akustischer, in deutscher Sprache erteilter Bahnfreigabe „Start frei für Evelyn U*****" ein Funktionär der Beklagten durch Freigabe der Rodel.

Beim Training waren neben dem Cheftrainer und einem Betreuer, der sich mit den Juniorinnen am Start befand, zwei Trainer an verschiedenen Stellen der Rodelbahn postiert, um Filmaufnahmen anzufertigen. Im Bereich der Ausfahrt aus der Kurve 15, wo sich der klagsgegenständliche Unfall ereignete, befand sich allerdings zum Unfallszeitpunkt kein Trainer. Eine von der Beklagten Beschäftigte hatte die Aufgabe der Zeitnehmung übernommen.

Ausgehend von diesem Sachverhalt gaben beide Vorinstanzen dem auf Zahlung von 32.000 EUR und Feststellung der Haftung für weitere aus dem Rodelunfall resultierende Schäden gerichteten Klagebegehren statt.

Das Berufungsgericht bejahte eine vertragliche Haftung der Beklagten als Organisatorin der Trainingswoche mit deren Zustimmung und zu deren Bedingungen die Klägerin teilgenommen habe. Ihr - und nicht dem Bahnbetreiber in S***** - wäre es oblegen, die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung der Trainingsteilnehmer abzuwenden. Die Durchführung des Trainings sei nämlich keineswegs dem Bahnbetreiber in S***** überlassen gewesen. Die Beklagte hafte daher gemäß § 1313a ABGB auch für das Verschulden des Bahnbetreibers und seiner Leute, insbesondere der Zielleiterin. Deren Verschulden unterliege wie das der Beklagten der Beweisregel des § 1298 ABGB. Den Beweis dafür, dass die Zielleiterin der Bahn in S***** kein Verschulden daran getroffen hätte, dass sie nicht erkannte, dass nur der Schlitten der Katharina L*****, nicht jedoch die Rodlerin selbst das Ziel erreichte und den Start für die nächste Läuferin freigab, was kausal für den Unfall der Klägerin gewesen war, habe die Beklagte nicht angetreten.

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil zur Haftung bei Schadensfällen in Trainingslagern in der streitgegenständlichen Konstellation keine höchstgerichtliche Judikatur bestehe.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen diesem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch erweist sich die Revision der Beklagten jedoch nicht als zulässig.

Sämtliche maßgebliche Rechtsfragen sind bereits durch höchstgerichtliche Rechtsprechung geklärt.

Aufgrund der im Wettkampfsport immanent erhöhten Gefahren trifft den Veranstalter solcher Wettkampfveranstaltungen und gleichermaßen auch den von Trainingsveranstaltungen eine erhöhte Pflicht zur Gefahrenabwehr (vgl Pichler, Zur Verkehrssicherungspflicht bei internationalen Schirennen ZVR 1994, 97 ff; Thöny, Schirennen und Pistenbetrieb ZVR 1996, 258; RIS-Justiz RS0023509; 7 Ob 636/87 = ZVR 1988/107; 7 Ob 314/97w; 8 Ob 58/06x). Der Veranstalter eines Schirennens, was wegen der vergleichbaren Gefahrenlage auch für den Veranstalter eines Rodeltrainings gilt, haftet für die Einhaltung einer vertraglichen Verkehrssicherungspflicht (7 Ob 608/91 = JBl 1992, 785; 2 Ob 526/93 = ZVR 1994/29 = SZ 66/40).

Er muss nicht nur jeder erdenkbaren Gefahr begegnen, sondern auch solche zumutbaren Sicherheitsmaßnahmen treffen, die ein verständiger und umsichtiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger, Mensch für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schaden zu bewahren (zum Veranstalter einer Bobschlitten-Konkurrenz: 7 Ob 636/87 = ZVR 1988/107).

„Veranstalter" im Rechtssinn ist, wer die Gefahrenlage schafft, indem er ein Rennen oder - dem gleichzuhalten - ein Training organisiert und durchführt, damit also einen gefährlichen Zustand herbeiführt und während des Rennens andauern lässt (NJW 1975, 533; 2 Ob 526/93 = ZVR 1994/29). Es ist also maßgeblich, wer unmittelbaren Einfluss auf den Ablauf und die Organisation der gefährlichen Veranstaltung hat.

Dass dies nach den maßgeblichen Feststellungen die Beklagte war, die das Training in jeder Hinsicht organisierte, kann nicht bezweifelt werden. Sie mietete die Rodelbahn für Trainingszwecke an und bediente sich einer Angestellten des Betreibers im Zielbereich für Zeitmessung und Startfreigabe, ohne dass ein Vertragsverhältnis zwischen den einzelnen Rodlerinnen und der Betreiberin in irgendeinem Zusammenhang zu erkennen wäre. Dass nicht der Betreiber der Rodelanlage Veranstalter im Rechtssinn sein kann, geht schon daraus hervor, dass dieser keinerlei Sicherheitsvorkehrungen zur Verfügung zu stellen hatte. Allein die Beklagte bestimmte, welche Rodler in welcher Reihenfolge und unter welchen Gegebenheiten Trainingsläufe zu absolvieren hatten. Die Beklagte finanzierte das Trainingslager zur Gänze und lud damit die Rodler ein, sich auf ihr bekannte Gefahren zu ihren Bedingungen einzulassen.

Dadurch unterscheidet sich der vorliegende Fall von jenem, der Gegenstand der Entscheidung 7 Ob 636/87 = ZVR 1988/107 war. Dort war die Betreiberin einer Bob- und Rodelkunsteisbahn Veranstalterin eines international besetzten Bob-Trainings, weshalb die Haftung des Bahnbetreibers aufgrund eines hier gar nicht relevierten Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter bejaht wurde und sich die Frage nach einer Haftung gemäß § 1313a ABGB nicht stellte. Auch in der Entscheidung 8 Ob 58/06x ging es um die Haftung des Betreibers von Schipisten, die einem Trainingslehrgang eines Landesschiverbands zur Verfügung gestellt wurden, wobei dem Betreiber der Schipiste die Absicherung der für Rennläufer vorgesehenen Bereiche oblag. Auch in 7 Ob 314/97w wurde die Verantwortlichkeit eines Schipistenbetreibers für ein Privatschirennen bejaht, welches dieser auch veranstaltet hatte.

Insofern sind all diese Fälle, die teilweise auch von der Revision herangezogen werden, mit dem vorliegenden nicht zu vergleichen und indizieren daher keineswegs eine Unrichtigkeit der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts.

An der Haftung der Beklagten ändert auch der Umstand nichts, dass die den Unfall verursachende Startfreigabe nicht unmittelbar von ihr selbst gesetzt wurde, sondern von einem Unternehmen, dessen sich die Beklagte zu diesem Zweck bei der ansonsten zur Gänze von ihr organisierten Veranstaltung bediente.

Die vom Berufungsgericht vorgenommene Qualifikation als Erfüllungsgehilfenhaftung nach § 1313a ABGB steht in Einklang mit dazu ergangener Rechtsprechung (vgl 4 Ob 251/06z = JBl 2007, 588). Die Beklagte haftet damit für das Verschulden der Angestellten des Betreibers der Rodelbahn.

Weitere Rechtsfragen werden in der Revision nicht mehr releviert.

Wie dargestellt, sind die maßgeblichen Rechtsfragen zur Haftung des Veranstalters von Trainingsfahrten für besonders gefährliche Sportausübungen durch höchstgerichtliche Rechtsprechung ausreichend geklärt.

Das hatte zur Zurückweisung der außerordentlichen Revision der Beklagten zu führen.

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