OGH 2Ob149/07m

OGH2Ob149/07m24.1.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franziska K*****, vertreten durch Thum Weinreich Schwarz Rechtsanwälte OG in St. Pölten, gegen die beklagten Parteien 1.) K***** GmbH, *****, 2.) W***** Versicherungs‑Aktiengesellschaft, *****, beide vertreten durch Mag. Michael Warzecha, Rechtsanwalt in Wien, wegen 7.165,20 EUR sA, über die Revisionen sämtlicher Streitteile (Revisionsinteresse der Klägerin 4.776,80 EUR sA; Revisionsinteresse der Beklagten 2.388,40 EUR sA), gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 10. Mai 2007, GZ 21 R 64/07f‑22, womit das Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 20. Dezember 2006, GZ 5 C 192/06x‑16, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2008:0020OB00149.07M.0124.000

 

Spruch:

Beide Revisionen werden zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin die mit 366,43 EUR (darin enthalten 61,07 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Die Beklagten haben die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Die Vorinstanzen haben im vorliegenden Schadensfall (Einbrechen eines auf einer Tankraumdecke geparkten LKW) eine Schadensteilung im Verhältnis von 2 : 1 zu Lasten der Klägerin vorgenommen.

Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil allgemein der Rechtssatz bestehe, dass von einem in verkehrstechnischer Hinsicht ordnungsgemäß geparkten Fahrzeug keine Betriebsgefahr mehr ausgehe (2 Ob 243/98v; ähnlich 2 Ob 193/99t). Demgegenüber stehe die zu RIS‑Justiz RS0058295 wiedergegebene Rechtsmeinung, dass sich auch ein geparktes Fahrzeug im Betrieb im Sinn des § 1 EKHG befinde. Ob die Fortwirkung der Betriebsgefahr - nicht im Zusammenhang mit dem Aussteigen - auch bei einem geparkten Fahrzeug anzunehmen sei, wenn der Betriebsvorgang nur kurze Augenblicke zuvor abgeschlossen worden sei, sei bislang vom Obersten Gerichtshof noch nicht beurteilt worden.

Rechtliche Beurteilung

Beide Revisionen sind mangels Vorliegens einer Rechtsfrage gemäß § 502 Abs 1 ZPO unzulässig.

Die Frage, ob ein Schaden im Sinn des § 1 EKHG beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs verursacht wurde, hängt von den Umständen des zu entscheidenden Falls ab und geht daher in ihrer Bedeutung über den Anlassfall regelmäßig nicht hinaus (RIS‑Justiz RS0111365).

Grundsätzlich geht zwar von einem in verkehrstechnischer Hinsicht ordnungsgemäß geparkten Kraftfahrzeug keine Betriebsgefahr mehr aus (RIS‑Justiz RS0022592 [T8]). Ein Kraftfahrzeug ist aber solange „in Betrieb" (im Sinne des § 1 EKHG), als es sich im Verkehr befindet und andere Verkehrsteilnehmer gefährdet. Diese ausdehnende Auslegung hat zur Folge, dass auch von Kraftfahrzeugen, die sich nicht in Bewegung befinden und deren Motor abgestellt ist, eine Betriebsgefahr ausgehen kann. Auch ein verkehrswidrig abgestelltes Kraftfahrzeug kann andere Verkehrsteilnehmer gefährden (RIS‑Justiz RS0058385 [T5]). Der Begriff „beim Betrieb" gemäß § 1 EKHG ist dahin zu bestimmen, dass entweder ein innerer Zusammenhang mit einer dem Kraftfahrzeugbetrieb eigentümlichen Gefahr oder, wenn dies nicht der Fall ist, ein adäquat ursächlicher Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs bestehen muss (RIS‑Justiz RS0022592). Die Worte „beim Betrieb" gemäß § 1 EKHG sind nicht dahin zu verstehen, dass nur Schäden zu ersetzen sind, die durch Berührung mit einem Kraftfahrzeug entstanden sind, oder nur Schäden, die zu einem Zeitpunkt entstanden sind, in dem sich das Kraftfahrzeug noch in Betrieb befand. Maßgebend ist vielmehr, dass der Schaden auf eine adäquate Ursache zurückzuführen ist, die das Kraftfahrzeug zu einem Zeitpunkt gesetzt hat, als es sich in Betrieb befand und die mit dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zusammenhängt; darauf, ob das Kraftfahrzeug auch noch beim Unfall in Betrieb war, kommt es nicht an (RIS‑Justiz RS0022728). So wurde erst jüngst vom erkennenden Senat die Haftung nach dem EKHG für ein auf einem Gehsteig abgestelltes Kraftfahrzeug bejaht (2 Ob 174/06m = RIS‑Justiz RS0022728 [T5]). Dem für die Anwendbarkeit des EKHG in dessen § 1 aufgestellten Erfordernis „beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs" ist genügt, wenn der Unfall in einem inneren ursächlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang steht (RIS‑Justiz RS0022569). So gehört etwa das Abstellen eines Kraftfahrzeugs auf einer Stelle der Straße, wohin es durch seine Maschinenkraft bewegt wurde, für eine von vornherein begrenzte kurze Zeitspanne und die allenfalls dabei erforderliche Sicherung des Fahrzeugs gegen Abrollen zum Betrieb des Fahrzeugs, der nicht etwa schon durch das Abschalten des Motors beendet wurde (RIS‑Justiz RS0058330).

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen war die Grundstücksfläche rechts vom Gasthaus der Klägerin zum Zeitpunkt des Vorfalls größtenteils geschottert, im Bereich hinter dem Haus ging die Schotterfläche in eine Rasenfläche über. Unmittelbar anschließend an den hinteren Teil des Gasthauses war zum Zeitpunkt des gegenständlichen Vorfalls eine Tankraumdecke situiert, die eine Spannweite von 425 cm aufwies. Die Klägerin hatte diesen Zubau für den Tankraum errichten lassen. Die Konstruktion der Tankraumdecke, die bei Herstellung in den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts dem Stand der Technik entsprochen hatte, war hinsichtlich der Stärke so gewählt, dass sie von Anfang an nicht für das Befahren von Lastkraftwagen geeignet war, wobei die Decke auch keine Fahrzeuge mit einem Gewicht von lediglich 7,5 t getragen hätte. Für den durchschnittlichen Betrachter hob sich diese Tankraumdecke von der Umgebung dadurch ab, dass sie eine andere Oberflächenbeschaffenheit aufwies, nämlich Gussasphalt und nicht Schotter, sowie an der hausabgewandten Seite einen Niveauunterschied von bis zu 10 cm zum umgebenden unebenen geschotterten Platz aufwies. Eine Abschrägung war nicht ausgeführt. Die asphaltierte Fläche konnte nur vom umgebenden geschotterten Grund aus, nicht jedoch direkt vom Gasthaus aus betreten werden. Der Bereich der Tankraumdecke war zum Zeitpunkt des Vorfalls weder durch Warnhinweise noch durch Absperrungen gegen ein Befahren gesichert.

Am 27. 6. 2005 war beim Gasthaus alles bis auf die Tankraumdecke verparkt, weshalb sich der bei der Erstbeklagten beschäftigte Lastwagenfahrer dazu entschloss, im Retourgang auf die asphaltierte Fläche hinaufzuschieben. Er war gerade aus dem Fahrzeug ausgestiegen und im Begriff, in den Gastraum zu gehen, als er durch ein Geräusch hinter sich darauf aufmerksam wurde, dass die Tankraumdecke unter dem Gewicht des Lastkraftwagens nachgegeben hatte und der hintere Teil des Lastkraftwagens eingebrochen war. Der LKW selbst hatte ein Gewicht von 14 t, im Zeitpunkt des Vorfalls war er mit 5 bis 6 t Ladegut beladen.

Angesichts der oben dargestellten ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dazu, wann sich Kraftfahrzeuge „im (bzw beim) Betrieb" befinden, ist die hier im Einzelfall getroffene Beurteilung der Vorinstanzen, der Vorfall habe sich beim Betrieb des Lastkraftwagens im Sinn des § 1 EKHG ereignet, durchaus vertretbar.

Auch die Revisionen der Streitteile zeigen keine (sonstigen) erheblichen Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:

Die Beklagten vertreten die Ansicht, das Berufungsgericht hätte § 9 EKHG anwenden müssen, was zu einem Haftungsausschluss der Beklagten geführt hätte.

Der Umfang der gemäß § 9 Abs 2 EKHG gebotenen Sorgfalt hängt von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab (RIS‑Justiz RS0111708). Unter dem Begriff „jede nach den Umständen des Falls gebotene Sorgfalt" ist die äußerste nach den Umständen des Falls mögliche Sorgfalt zu verstehen (RIS‑Justiz RS0058326; RS0058317). Die Einhaltung der gewöhnlichen Verkehrssorgfalt entschuldigt zwar den Fahrzeuglenker, führt aber noch nicht zur Befreiung von der Gefährdungshaftung (RIS‑Justiz RS0058317 [T2]). Die erhöhte Sorgfaltspflicht, deren Beachtung den Unfall als unabwendbares Ereignis erscheinen lässt, setzt nicht erst in der Gefahrenlage ein, sondern verlangt, dass von vornherein vermieden wird, in eine Lage zu kommen, aus der Gefahr entstehen kann (RIS‑Justiz RS0058411).

Das Berufungsgericht hat in Anwendung dieser Grundsätze ausgeführt, der Lenker des Lastkraftwagens habe die für die Haftungsbefreiung gemäß § 9 EKHG überdurchschnittliche besonders umsichtige Sorgfalt nicht angewandt, unter anderem angesichts der optischen Unterscheidbarkeit der Tankraumdecke sowie des Gewichts des Lastkraftwagens. Darin kann keine auffallende Fehlbeurteilung, die vom Obersten Gerichtshof aufzugreifen wäre, erkannt werden.

Wenn die Beklagten weiters monieren, dem Lenker des Lastkraftwagens könne nicht der geringste Schuldvorwurf gemacht werden, so sind sie auf die diesbezüglichen Ausführungen des Berufungsgerichts zu verweisen, wonach dem Lenker des LKW zwar kein Schuldvorwurf zu machen sei, er aber die äußerst mögliche Sorgfalt gemäß § 9 EKHG nicht eingehalten habe.

Die Klägerin releviert in ihrer Revision, das Berufungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, § 1319 ABGB normiere eine Gefährdungshaftung. Damit sei das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen, wonach § 1319 ABGB weder eine Erfolgs‑, noch eine Gefährdungshaftung, sondern eine Verschuldenshaftung mit Umkehr der Beweislast normiere (RIS‑Justiz RS0023525).

Nach einigen jüngeren Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs trifft den Halter gemäß § 1319 ABGB eine Gefährdungshaftung, von der er sich nur durch den Beweis, alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet zu haben, befreien kann, weil diese Haftung unter Umständen auch bei fehlendem Verschulden (etwa weil der Hauseigentümer wegen Krankheit verhindert ist, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen) eintreten kann (1 Ob 93/00h = RIS‑Justiz RS0023525 [T12]; 1 Ob 129/02f = RIS‑Justiz RS0023525 [T14]; vgl auch 9 Ob 261/99v).

Auch in der Lehre wird überwiegend die Auffassung vertreten, bei § 1319 ABGB handle es sich um einen Fall der Gefährdungshaftung (Reischauer in Rummel3 § 1319 Rz 15 mwN; Koziol, Haftpflichtrecht II2 400; differenzierend Harrer in Schwimann3 § 1319 Rz 12; aA Danzl in KBB2 § 1319 Rz 4).

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, bei § 1319 ABGB handle es sich um eine Gefährdungshaftung, ist daher im Lichte der zitierten oberstgerichtlichen Entscheidungen sowie der zitierten Lehre durchaus vertretbar. Die rechtsdogmatische Einordnung dieser Haftung ist im vorliegenden Fall aber ohnehin nicht von entscheidender Bedeutung, weil auch die Bejahung einer Sorglosigkeit der Klägerin argumentierbar wäre.

Das Maß der Zumutbarkeit geeigneter Vorkehrungen gegen den Schadenseintritt gemäß § 1319 ABGB wird nach den Umständen des konkreten Einzelfalls bestimmt, weil sich eine allgemeine Abgrenzung nur in einem durch die Auffassung der Allgemeinheit und die Vernunft bestimmten breiteren Rahmen finden lässt (RIS‑Justiz RS0029991).

Auch die hier im Einzelfall vorgenommene Beurteilung des Berufungsgerichts, die Klägerin hätte die objektive Pflicht getroffen, Parkplatzbenützer auf die eingeschränkte Tragfähigkeit der Tankraumdecke hinzuweisen und diese Decke vor einem Befahren durch ungeeignete Fahrzeuge entsprechend abzusichern, begegnet keinen Bedenken.

Wenn schließlich das Berufungsgericht für die beim Einbruch des LKW verursachten Schäden die Klägerin gemäß § 1319 ABGB mit zwei Dritteln, die Beklagten aufgrund der ihnen zurechenbaren Haftung nach EKHG mit einem Drittel haften lässt, so kann auch darin keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung erkannt werden.

Die Revisionen waren daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage gemäß § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO. Die Klägerin hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten hingewiesen. Die Bemessungsgrundlage für die Revisionsbeantwortung der Klägerin beträgt jedoch 2.388,40 EUR.

Den Beklagten steht ein Ersatz der Kosten ihrer Revisionsbeantwortung nicht zu, weil sie auf die Unzulässigkeit der klägerischen Revision nicht hingewiesen haben.

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