OGH 2Ob262/07d

OGH2Ob262/07d24.1.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gloria B*****, vertreten durch Mag. Christof Brunner, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. S*****, 2. W*****-AG (nunmehr W***** AG, *****, FN *****), *****, vertreten durch HOSP, HEGEN Rechtsanwaltspartnerschaft in Salzburg, wegen 4.350 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 600 EUR) über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 12. September 2007, GZ 53 R 181/07k-34, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 5. März 2007, GZ 31 C 234/06m-26, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien binnen 14 Tagen die mit 439,72 EUR (darin enthalten 73,29 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung

Am 31. 1. 2005 führte die Klägerin in einem von der Erstbeklagten gehaltenen und bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten Linienverkehrsbus in Salzburg-Stadt eine Kontrolle der Fahrscheine durch. Sie war damals bei einem Unternehmen beschäftigt, das die Erstbeklagte mit der Durchführung derartiger Fahrscheinkontrollen beauftragt hatte. Aufgrund ihres beruflichen Einsatzes benötigte die Klägerin selbst keinen gültigen Fahrschein. Bei Überprüfung eines Fahrscheins, den sie in der rechten Hand hielt, hielt sich die Klägerin mit der linken Hand an einer vertikalen Haltestange fest. Während dieser Kontrolle leitete der Lenker des Linienbusses eine starke Betriebsbremsung ein. Die mit dem Rücken zur Fahrtrichtung stehende Klägerin kam zu Sturz und zog sich dabei Verletzungen zu. Der Grund für diese starke Betriebsbremsung steht nicht fest, ebensowenig die Einhaltung einer Geschwindigkeit von mehr als 50 km/h oder ein fahrtechnischer Fehler des Buslenkers, wie zB dass er „zu wenig vorausschauend gefahren" wäre.

Die Klägerin begründete die Haftung der Beklagten mit dem Vorwurf einer nicht vorausschauenden Fahrweise, welche die Notbremsung erfordert hätte.

Die Vorinstanzen haben aufgrund der getroffenen Negativfeststellungen zu der Bremsursache und dem Fahrverhalten des Buslenkers eine Verschuldenshaftung verneint und die Gefährdungshaftung wegen der Tätigkeit der Verletzten im Betrieb (§ 3 Z 3 EKHG) ausgeschlossen. Zu der - im Revisionsverfahren noch strittigen - Frage der Beweislast verwiesen die Vorinstanzen insbesondere auf die fehlende Vertragsbeziehung, welche einer Beweislastumkehr entgegen stehe.

Über Antrag der Klägerin änderte das Berufungsgericht seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision ab und begründete dies mit fehlender höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu der Frage, ob in einem derartigen Fall die Beweislast für den Grund der starken Bremsung der Klägerin als einer beim Betrieb tätigen Kontrolleurin aufzuerlegen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

Kein Thema des Rechtsmittelverfahrens waren die von den Vorinstanzen bejahte Eigenschaft der Klägerin als „beim Betrieb tätig" und damit der Ausschluss der Gefährdungshaftung durch § 3 Z 3 EKHG.

Zu überprüfen bleibt die Anspruchsgrundlage der Verschuldenshaftung:

Grundsätzlich hat jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu beweisen (RIS-Justiz RS0037797; Rechberger in Rechberger³ vor § 266 ZPO Rz 11). Die Behauptungs- und Beweislast für jene Tatumstände, auf die ein Verschuldensvorwurf gegründet wird, trifft die Klägerin, weshalb Unklarheiten zu ihren Lasten gehen (RIS-Justiz RS0022783). Dies hat hier grundsätzlich für die ungeklärt gebliebene Ursache der starken Bremsung zu gelten.

Die Klägerin rechtfertigt in ihrer Argumentation eine Ausnahme von diesen Grundsätzen der Beweislastverteilung durch den Hinweis auf 1. besondere Beweisschwierigkeiten für Fahrzeuginsassen, was die Beobachtung des Verkehrs betrifft, 2. die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB, der auf Nebenverpflichtungen der Erstbeklagten aus dem Vertrag mit dem Dienstgeber der Klägerin gestützt wird.

Mit diesen Ausführungen zeigt sie keine erhebliche Rechtsfrage auf.

1. Zu einer Verschiebung der Beweislast kommt es dann, wenn der Kläger mangels genauer Kenntnis der Tatumstände ganz besondere, unverhältnismäßige Beweisschwierigkeiten hat, während dem Beklagten diese Kenntnisse zur Verfügung stehen und es ihm nicht nur leicht möglich, sondern nach Treu und Glauben auch ohne weiteres zumutbar ist, die erforderlichen Aufklärungen zu geben. Der mangelnden Kenntnis des Klägers muss die Unzumutbarkeit der Offenbarung von Kenntnissen gleichgehalten werden (SZ 69/284 = RIS-Justiz RS0039939 [T16]). Eine Verschiebung der Beweislast wird aber nicht allein dadurch gerechtfertigt, dass der Kläger wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls in Beweisnotstand ist. Der Lösung der Frage, ob unter den konkreten Umständen die starke Bremsung als Ursache für den Sturz der Klägerin bereits ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten des Buslenkers indiziert, kommt keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zu. Dass Unfallbeteiligte wie zB Fahrzeuginsassen den Unfallhergang nicht detailliert wahrgenommen haben, stellt bei Verkehrsunfallprozessen kein außergewöhnliches Phänomen dar, rechtfertigt aber nicht zwingend eine Beweislastverschiebung zu ihren Gunsten. Aufgrund der vorhandenen Beweismittel (ua Vernehmung des Buslenkers, Auswertung der von den Beklagten vorgelegten Tachographenscheibe) stellt die Auffassung des Berufungsgerichts, unverhältnismäßige Beweisschwierigkeiten der Klägerin zu verneinen und die Negativfeststellung zur Ursache der Bremsung zu Lasten der Klägerin zu werten, keine auffällige Fehlbeurteilung dar.

2. Bei einer allfälligen - in der Revision offengelassenen - Wertung der Vertragsbeziehung zwischen Erstbeklagter und Dienstgeber der Klägerin als Werkvertrag, bestünde eine Fürsorgepflicht der Erstbeklagten (§ 1169 ABGB iVm § 1157 ABGB) auch gegenüber der Klägerin (RIS-Justiz RS0021827; Rebhahn in Schwimann ABGB V3 § 1169 ABGB Rz 6). Die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB, die sowohl bei der Verletzung einer vertraglichen Nebenverpflichtung als auch bei Verletzung einer vertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflicht gilt, betrifft aber nur das Verschulden. Der Geschädigte hat nachzuweisen, dass sich der Schädiger in einer konkreten Lage in einer bestimmten Weise rechtmäßig hätte verhalten können, sich aber tatsächlich anders verhalten hat (10 Ob 38/00m; RIS-Justiz RS0026338 [T1]).

Es gibt keinen Hinweis dafür, dass der Buslenker eine nicht den Regeln des § 20 Abs 1 StVO angepasste Fahrgeschwindigkeit eingehalten hat. Auch die Überschreitung der höchstzulässigen Geschwindigkeit im Ortsgebiet wurde nicht festgestellt. Der in der Revision herangezogene § 21 Abs 1 StVO setzt nicht nur ein für den Nachfolgeverkehr jähes und überraschendes Bremsen voraus, sondern auch, dass die plötzliche Herabsetzung der Geschwindigkeit nicht aus Gründen der Verkehrssicherheit erforderlich war. Im konkreten Fall steht eben nicht fest, dass die starke Betriebsbremsung nicht durch die im Stadtverkehr herrschende Situation (Verhalten anderer Verkehrsbeteiligten) ausgelöst wurde. Die Frage, ob § 21 Abs 1 StVO überhaupt dem Schutz der Insassen des abbremsenden Fahrzeugs dient, kann dahingestellt bleiben. Ist der Klägerin der Nachweis einer objektiven Sorgfaltswidrigkeit nicht gelungen, scheidet eine Beweislastumkehr iSd § 1298 ABGB aus.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagten haben in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen.

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