OGH 10Ob38/00m

OGH10Ob38/00m10.7.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer, Dr. Hopf, Dr. Fellinger und Dr. Hoch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Robert K*****, Kraftfahrer, *****, vertreten durch Dr. Christian Preschitz und Dr. Michael Stögerer, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei I***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Angelika Truntschnig, Rechtsanwältin in Wien, wegen S 165.700 sA und Feststellung (Streitwert S 20.000; Gesamtstreitwert S 185.700), infolge ordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 27. Oktober 1999, GZ 15 R 78/99x-29, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 9. Februar 1999, GZ 7 Cg 4/98d-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S

9.900 (darin enthalten S 1.650 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Beklagte wurde im Jahre 1993 (als Mitglied einer ARGE zusammen mit einem zweiten Unternehmen, das jedoch im Zuge einer Umwandlung auf sie übertragen wurde) mit der Errichtung einer Wohnhausanlage beauftragt. Die Beklagte beauftragte ihrerseits verschiedene Subunternehmer mit Arbeiten, ua die ***** P***** GmbH & Co KG (im Folgenden kurz P*****), bei der der Kläger als Lkw-Fahrer beschäftigt war, im Jahr 1996 damit, den Humus aus einem seinerzeit angelegten, 30 bis 40 m breiten und 4 bis 5 m hohen Humusberg zu verführen. Ein bei einem Subunternehmer eines weiteren Subunternehmers der Beklagten beschäftigter Baggerfahrer sollte den Humus auflockern, der sich durch die lange Lagerung zu einem halbfesten bindigen Boden verdichtet hatte. Der Kläger, der über Berufserfahrung verfügte, sollte sodann das gelockerte Material mit Hilfe eines auf seinen Lkw befindlichen Hebekran aufladen und verführen.

Am 2. 7. 1996 war vorgesehen, dass der Baggerfahrer zur Beschleunigung des Arbeitsablaufs auch gleich den Lkw des Klägers belädt. Zu diesem Zweck fuhr der Kläger mit dem Heck seines Fahrzeugs bis auf 2 bis 4 m an die Böschung des Humusbergs heran, stieg aus und begab sich zu den beim Heck befindlichen Bedienelementen seines Hebekrans, um diesen wegzuheben und damit die Ladefläche seines Fahrzeugs für die Beladung durch den Bagger freizumachen. Während der Kläger dabei mit dem Rücken zur Böschung des Humusbergs stand, begang plötzlich das Erdreich zu rutschen. Dabei wurde er unter großen Erdbrocken verschüttet und schwer verletzt. Der Bagger war zu diesem Zeitpunkt 10 bis 12 m vom Kläger entfernt und gerade damit beschäftigt, Material aufzuladen; ein Zusammenhang mit den Abrutschungen des Humusmaterials steht nicht fest.

Schon die letzten zwei bis drei Wochen vor dem Unfall war am schrittweisen Abbau des Humusbergs gearbeitet worden. Dabei waren auch immer wieder steilere Böschungen entstanden, die über Anweisung des Poliers der Beklagten vom Baggerfahrer wieder "abgeböscht" (verflacht) worden waren, um ein Abrutschen des Humus zu verhindern. Das letzte Abböschen war ein oder zwei Tage vor dem Unfall erfolgt. Es entspricht dem Stand der Technik, dass halbfeste bindige Böden höchstens einen Böschungswinkel von 60 Grad aufweisen dürfen, um vor Abrutschungen möglichst sicher zu sein. Solche können aber selbst bei einem kleineren Böschungswinkel als 60 Grad nicht völlig ausgeschlossen werden. Andere Sicherungsmaßnahmen als ein Abböschen sind nicht möglich. Welchen Neigungswinkel die Böschung hinter dem Kläger unmittelbar vor dem Abrutschen hatte, konnte nicht mehr festgestellt werden; insbesondere auch nicht, dass dieser Winkel größer als 60 Grad gewesen wäre.

Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Klage für die erlittenen Unfallfolgen (Bruch des rechten Unterschenkels, Abschürfungen) Schmerzengeld im Ausmaß von S 165.000 sA sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle Schäden aus dem Unfall. Er habe bei stärkerer Beanspruchung des verletzten Beins nach wie vor Beschwerden. Es liege eine dauernde Gebrauchsminderung vor. Die Beklagte treffe das Alleinverschulden am Unfall, weil sie es unterlassen habe, den offenbar unsachgemäß aufgeführten Humusberg ordnungsgemäß abzusichern. Zwischen ihr und der Arbeitgeberin des Klägers (P*****) habe ein Werkvertragsverhältnis bestanden. Die Beklagte hafte nach den §§ 1169, 1313a ABGB auch für das Verhalten der Subunternehmer bzw ihrer Leute.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, der Unfall sei auf das Alleinverschulden des Klägers zurückzuführen. Er hätte sich während der Baggerarbeiten nicht in die Nähe des Humusbergs begeben dürfen. Dessen Absicherung sei während der Arbeiten technisch unmöglich gewesen. Die Erdarbeiten seien von den Subunternehmern der Beklagten eigenverantwortlich durchgeführt worden. Die Beklagte würde äußerstensfalls für untüchtige Gehilfen nach § 1315 ABGB haften; solche hätte es jedoch nicht gegeben. Das vom Kläger begehrte Schmerzengeld sei weit überhöht. Dauerfolgen, die ein Feststellungsbegehren rechtfertigen, seien nicht eingetreten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stehe nicht fest, dass der Böschungswinkel unmittelbar vor dem Unfall eine Neigung gehabt habe, die bereits ein Abböschen erforderlich gemacht habe. Es stehe daher auch keine Sorgfaltsverletzung fest.

Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge. Der Vertrag zwischen der Beklagten als Werkbestellerin und der P***** als Werkunternehmerin habe auch Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber dem Kläger als Arbeitnehmer der Werkunternehmerin begründet. Die Fürsorgepflicht des Bestellers nach § 1169 ABGB sei eine werkvertragliche Nebenpflicht, die ua dem Schutz des Lebens und der Gesundheit des Unternehmers und seiner Leute diene. Sie erstrecke sich jedoch nicht auf die mit dem auszuführenden Werk unmittelbar verbundenen und für den Unternehmer und seine Hilfskräfte nach ihren Fachkenntnissen erkennbaren Gefahren. Der Werkunternehmer, der auf Grund seiner Fachkenntnis wissen müsse, dass seine Arbeitsstätte gefährlich sei, müsse sich vor Beginn der Arbeiten von den Sicherheitsvorkehrungen überzeugen und nötigenfalls den Besteller zu den erforderlichen Maßnahmen veranlassen. Die Beklagte habe davon ausgehen können, dass die P***** GmbH & Co KG als selbständige Unternehmerin die mit diesen Tätigkeiten verbundenen Gefahren gekannt habe und die allenfalls notwendigen Sicherungsmaßnahmen zum Schutz ihrer Arbeitnehmer veranlassen werde. Eine besondere Warnpflicht habe daher nicht bestanden. Als einzige Sicherungsmaßnahme wäre das Abböschen in Frage gekommen, das aber erst bei einem Neigungswinkel des Humusbergs von 60 Grad durchzuführen gewesen wäre. Die ständige Einhaltung dieses Winkels sei schon auf Grund des Arbeitsablaufs unmöglich. Im Übrigen stehe gar nicht fest, dass im Umfallszeitpunkt ein steilerer Neigungswinkel als 60 Grand bestanden habe.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig sei, weil die Frage, inwieweit der Generalunternehmer im Rahmen des § 1313a ABGB wegen einer Verletzung von Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber den auf der Baustelle tätigen Personen auch für das Verschulden einzelner Professionalisten bzw deren Mitarbeiter, die bei ihrer Arbeit eine kaum vermeidbare Gefahrenquelle schaffen, hafte, vom Obersten Gerichtshof noch nicht abschließend beantwortet worden sei. Auch wenn nicht gelöst werden konnte, wodurch der Unfall des Klägers verursacht worden sei, käme bei Bejahung der Frage allenfalls eine anteilige Haftung der Beklagten nach den Grundsätzen der alternativen Kausalität in Betracht.

Mit seiner auf den Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützten Revision begehrt der Kläger die Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht; hilfsweise wird die Abänderung im Sinne der Klagestattgebung beantragt.

Die Beklagte beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) unzulässig.

Nach § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision gegen das Urteil des Berufungsgerichts nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Eine solche, für die Lösung der vorliegenden Rechtssache kausale Rechtsfrage liegt nicht vor.

Die Regelung des § 1157 ABGB über die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber seinem Arbeitnehmer ist gemäß § 1169 ABGB - mit hier nicht vorliegenden Ausnahmen - auf den Werkvertrag anzuwenden. Dem Arbeitgeber entspricht beim Werkvertrag der Besteller (Krecjci in Rummel, ABGB3 Rz 3 zu § 1169; Schwimann/Rebhahn, ABGB**2 § 1169 Rz 1; SZ 49/15). Die aus dem Werkvertrag als Nebenverpflichtung resultierende Fürsorgepflicht betrifft primär den Schutz des Lebens und der Gesundheit des Unternehmers (Rebhahn aaO § 1169 Rz 4; 2 Ob 2363/96f) und auch seiner Arbeitnehmer, deren er sich bei der Werkherstellung bedient (Krejci aaO Rz 6 zu § 1169; Schwimann/Rebhahn aaO § 1169 Rz 6; RIS-Justiz RS0021827). Der Generalunternehmer haftet daher nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich dem Subunternehmer und dessen Leuten aus dem Werkvertrag für die schuldhafte Verletzung der Fürsorgepflicht nach §§ 1157, 1169 ABGB durch seine Leute nach § 1313a ABGB (JBl 2000, 790; RIS-Justiz RS0021515). Diese Pflicht bezieht sich auf die Arbeitsstätte (§ 1157; arg. beigestellte Räume und Gerätschaften), die auch eine Baustelle sein kann (RIS-Justiz RS0021480).

Der Kläger stützt sein Klagebegehren in erster Instanz ausdrücklich darauf, dass es die Beklagte unterlassen habe, den unsachgemäß aufgeführten Humusberg ordnungsgemäß abzusichern. Das durchgeführte Verfahren ergab jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Humusberg unsachgemäß aufgeführt worden wäre. Dieser Aspekt wird auch in der Revision nicht mehr verfolgt. Es bleibt daher nach der Lage des Vorbringens des Klägers nur die Frage, ob die Beklagte den Humusberg mangelhaft abgesichert habe. Auch für diese Behauptung des Klägers fehlt es aber nach dem durchgeführten Beweisverfahren an einer tragfähigen Grundlage. Das Beweisverfahren ergab, dass es dem Stand der Technik entspricht, dass halbfeste bindige Böden höchstens einen Böschungswinkel von 60 Grad aufweisen dürfen, um vor Abrutschungen möglichst sicher zu sein (siehe auch § 50 Abs 1 Z 2 Bauarbeiterschutzverordnung BGBl 1994/340). Um die Neigung der Böschung des Humusbergs in einem Winkel zu halten, der 60 Grad nicht übersteigt, ist ein gelegentliches "Abböschen" (= Abflachen) mit der Baggerschaufel erforderlich. Dies ist auf der gegenständlichen Baustelle auch mehrfach geschehen. Andere Sicherungsmaßnahmen als ein Abböschen sind nicht möglich.

Nachdem nicht einmal feststeht, dass im Unfallszeitpunkt ein 60 Grad übersteigender Neigungswinkel der Böschung des Humusbergs vorlag, kann nicht von der vom Kläger behaupteten Unterlassung der Absicherung des Humusbergs ausgegangen werden. Damit stellen sich aber die übrigen Voraussetzungen eines Schadenersatzanspruchs gar nicht mehr. Bei der gegenständlichen Konstellation des Vorbringens und des Sachverhalts können auch die Überlegungen des Berufungsgerichts dahingestellt bleiben, dass es ohnehin nicht die Aufgabe der Beklagten gewesen wäre, für das Abböschen Sorge zu tragen, weil sich die Fürsorgepflicht des Bestellers grundsätzlich nicht auf die mit dem auszuführenden Werk unmittelbar verbundenen und für den Unternehmer und seine Hilfskräfte nach ihren Fachkenntnissen erkennbaren Gefahren erstrecke. Mangelt es am objektivierbaren Sorgfaltsverstoß, kommt es auch nicht auf die (bloß theoretische) Lösung der vom Berufungsgericht als erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO angenommenen Frage an, inwieweit der Generalunternehmer im Rahmen des § 1313a ABGB wegen einer Verletzung von Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber den auf der Baustelle tätigen Personen auch für das Verschulden einzelner Professionalisten bzw deren Mitarbeiter hafte. Es stellen sich entgegen der Annahme des Berufungsgerichts auch keine Probleme alternativer Kausalität. Dieses ging auch selbst gar nicht näher auf diese Frage ein, sondern beschränkte sich auf zwei Zitate. Die zitierte Entscheidung EvBl 1994/13 betrat den (hier nicht vorliegenden) Fall, dass ein Schädiger mehrere Schadensursachen gesetzt hat, aber nur für eine dieser Ursachen haftbar ist. Mangels Haftungsgrunds stellt sich auch nicht die Frage der Konkurrenz mit einem Zufallsereignis (vgl Bydlinski, Aktuelle Streitfragen um alternative Kausalität, FS Beitzke [1979], 3 [30 ff]).

Der Revisionswerber stützt sich zur Zuverlässigkeit seines Rechtsmittels neben der Begründung der Zulassung durch das Berufungsgericht auch noch darauf, dass das Berufungsgericht bei der Beurteilung der Beweislast für das Verschulden nach § 1298 ABGB von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen sei. Auch dieser Einwand ist unbegründet. In der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes wird einhellig die Auffassung vertreten, dass die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB sowohl bei Verletzung einer vertraglichen Nebenverpflichtung als auch bei Verletzung einer vertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflicht gilt (ZVR 2000/56 mwN). Die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB führt im Bereich schuldrechtlicher Sonderbeziehungen zwischen Schädiger und Geschädigten dazu, das der Schädiger zu beweisen hat, dass ihm kein Verschulden trifft. Diese Beweislastumkehr betrifft aber nur das Verschulden, der Beweis der Kausalität obliegt jedoch weiterhin dem Geschädigten (JBl 1994, 47; JBl 1997, 522). Auch für den Fall der Verletzung vertraglicher Nebenpflichten oder Schutz- und Sorgfaltspflichten hat daher der Geschädigte den Beweis - sei es auch nur, wo es statthaft wäre, den Anscheinsbeweis - zu erbringen, dass sich der Schädiger in einer konkreten Lage nur in einer bestimmten Weise rechtmäßig hätte verhalten können, sich tatsächlich aber anders verhalten hat (9 Ob 31/01a; RIS-Justiz RS0026338; vgl auch RS00266236). Dies ist nicht gelungen. Es kommt in diesem Zusammenhang auch nicht auf die überschießende Frage der Abwesenheit des Poliers der Beklagten an, zu der es festzuhalten gilt, dass für die Beklagte mangels diesbezüglichen Vorbringens des Klägers auch keine Notwendigkeit bestand, ein Vorbringen zur Vertretung des Poliers zu erstatten. Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO wird sohin vom Revisionswerber nicht aufgezeigt. Die ordentliche Revision des Klägers war daher als unzulässig zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Die Beklagte hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Ein ihr im Kostenverzeichnis unterlaufener Rechenfehler bei grundsätzlich richtigen Ansätzen war von Amts wegen zu korrigieren.

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