OGH 2Ob55/07p

OGH2Ob55/07p17.12.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den
Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als
Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.
Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere
Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bernhard W*****,
vertreten durch Dr. Gerhard Paischer und Dr. Robert Schertler,
Rechtsanwälte in Braunau am Inn, gegen die beklagten Parteien 1.)
Jürgen F*****, und 2.) (nunmehr) W***** AG *****, beide vertreten
durch Dr. Gerhard Holzinger, Rechtsanwalt in Braunau am Inn, wegen
EUR 14.979 sA und Feststellung (Streitinteresse: EUR 2.000), über den
Rekurs der zweitbeklagten Partei gegen den Beschluss des
Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 23. Jänner 2007, GZ
4 R 4/07x-28, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil
des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 10. November 2006, GZ 4 Cg
40/05k-24, teilweise aufgehoben wurde, den

Beschluss
gefasst:

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung selbst zu
tragen.

Text

Begründung:
Nach den maßgeblichen Feststellungen der Vorinstanzen wurde der
Kläger am 10. 7. 2003 bei einem Verkehrsunfall in Deutschland als
Insasse eines vom Erstbeklagten gelenkten, von dessen Vater
gehaltenen und bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten
PKWs verletzt. Weitere Fahrzeuge waren an dem Unfall nicht beteiligt.

Der Kläger erlit. t ua eine geschlossene Oberarm-Schaftfraktur rechts
mit Dislokation und eine Schlüsselbeintrümmerfraktur links. Er befand
sich vom 11. 7. bis 21. 7. 2003, vom 22. 9. bis 26. 9. 2003 und vom
6. 10. bis 8. 10. 2004 in stationärer Behandlung und war vom 11. 7.

2003 bis 7. 3. 2004 im Krankenstand. Während des Krankenstandes wurde
er per 14. 11. 2003 von seinem Dienstgeber gekündigt. In Kenntnis
seiner Verletzungen und der bis Ende des Jahres 2003 eingetretenen
Verletzungsfolgen erklärte der Kläger bis Ende 2003 gegenüber dem
Erstbeklagten wiederholt, "keinerlei Ansprüche aus dem Unfall gegen
ihn geltend zu machen".

Der Kläger begehrte unter Anrechnung eines Mitverschuldens von 50 %
Schadenersatz in Höhe von EUR 14.979 sA sowie die Feststellung der
Haftung der beklagten Parteien für alle künftigen Schäden aus dem
Unfallgeschehen im Umfang von 50 %. Der Erstbeklagte sei auf Grund
überhöhter Geschwindigkeit von der Fahrbahn abgekommen. Wegen des
damaligen freundschaftlichen Verhältnisses zwischen dem Kläger und
dem Erstbeklagten sei nach dem Unfall die Polizei nicht verständigt
worden. Über eindringliches Ersuchen des Erstbeklagten habe der
Kläger im Krankenhaus unrichtige Angaben zum Unfallhergang gemacht.

Er habe auf seine Ansprüche aber nicht verzichtet.

Die beklagten Parteien bestritten, wandten eine Gegenforderung ein
und brachten vor, den Kläger treffe das Alleinverschulden, weil er
infolge seiner Alkoholisierung während der Fahrt vom Beifahrersitz
zwischen den Erstbeklagten und das Lenkrad gekippt sei. Dadurch habe
der Erstbeklagte die Herrschaft über das Fahrzeug verloren. Außerdem
seien der Erstbeklagte und der Kläger übereingekommen, wechselseitig
keine Forderungen aus dem Unfall zu stellen. Erst nach dem Zerbrechen
der Freundschaft und wegen finanzieller Schwierigkeiten habe sich der
Kläger zur Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen entschlossen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging, ohne
Feststellungen zum Unfallshergang zu treffen, vom eingangs
zusammengefasst wiedergegebenen (insoweit unstrittigen) Sachverhalt
aus und beurteilte diesen dahin, dass der Kläger auf sämtliche
Schadenersatzansprüche aus dem Unfall rechtswirksam verzichtet habe.

Der Anspruchsverzicht gegenüber dem Erstbeklagten wirke auch
gegenüber der zweitbeklagten Partei.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung hinsichtlich des
Erstbeklagten (mit Teilurteil) und hob sie mit Beschluss hinsichtlich
der zweitbeklagten Partei zur Verfahrensergänzung und neuerlichen
Entscheidung auf. Das Berufungsgericht vertrat in Anlehnung an die
Entscheidung 2 Ob 45/89 die Rechtsansicht, dass der Verzicht des
Klägers nur gegenüber dem Erstbeklagten, nicht aber auch gegenüber
der zweitbeklagten Partei rechtswirksam sei. Es bedürfe daher der
Klärung des Unfallherganges und der Höhe der geltend gemachten
Ansprüche; auf die in der Berufungsbeantwortung erhobene Tatsachen-
und Beweisrüge der beklagten Parteien sei vorerst noch nicht
einzugehen.

Es ließ den Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss mit der Begründung
zu, die höchstgerichtliche Judikatur sei zu der Frage, ob im Verzicht
des Verletzten gegenüber dem Unfalllenker auch ein Verzicht gegenüber
dem Haftpflichtversicherer zu erblicken sei, zu unterschiedlichen
Ergebnissen gelangt. Im Interesse der Rechtssicherheit sei
insbesondere eine Auseinandersetzung mit den älteren Entscheidungen
SZ 18/184 und JBl 1976, 369, aber auch mit der bei der Auslegung der
Verzichtserklärung auf die Willenstheorie abstellenden Entscheidung
SZ 40/27 "wünschenswert".

Rechtssatz

Der von der zweitbeklagten Partei erhobene Rekurs ist entgegen dem
den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des
Berufungsgerichtes nicht zulässig. Das Berufungsgericht zeigt in der
Zulassungsbegründung keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO
auf.

Vorauszuschicken ist, dass die Vorinstanzen den Sachverhalt
zutreffend nach dem gemäß Art 4 lit a des Haager
Straßenverkehrsabkommens maßgeblichen Recht des Zulassungsstaates,
somit nach österreichischem Recht beurteilt haben (vgl Art 8 des
Abkommens). Auch die Parteien sind von der Anwendung österreichischen
Rechts ausgegangen.

In dritter Instanz ist ferner nicht mehr strittig, dass der Kläger
gegenüber dem Erstbeklagten auf sämtliche (auch zukünftige)
Schadenersatzansprüche aus dem Unfallgeschehen verzichtet hat. Die
Frage, ob dieser Verzicht auch die zweitbeklagte Partei von ihrer
Haftung befreit, wirft aber aus den nachstehenden Gründen keine
erhebliche Rechtsfrage auf:
Der vom Gläubiger bloß einem Mitschuldner gewährte Schulderlass wirkt
gemäß § 894 ABGB idR nur diesem gegenüber, außer die Befreiung eines
Mitschuldners ist mit Wirkung auch für die anderen Mitschuldner
gemeint. Welche Wirkung beabsichtigt war, ist im Wege der Auslegung
zu ermitteln (SZ 56/21; 2 Ob 45/89 = ZVR 1990/81; 6 Ob 229/04a;
RIS-Justiz RS0017310; P. Bydlinski in KBB § 894 Rz 1 mwN; Gamerith in
Rummel, ABGB3 § 894 Rz 4). Dies gilt auch bei der Beurteilung, ob in
einem Anspruchsverzicht gegenüber dem Lenker und/oder Halter auch ein
solcher gegenüber dem Haftpflichtversicherer zu erblicken ist
(RIS-Justiz RS0014197).

Das Berufungsgericht hat sich dabei zutreffend an der einen
vergleichbaren Sachverhalt betreffenden Entscheidung 2 Ob 45/89
orientiert. Aus den als Beleg für eine widersprüchliche Judikatur
zitierten Entscheidungen SZ 18/184 und JBl 1976, 369 = ZVR 1976/226
geht keine davon abweichende Rechtsansicht hervor. Während ersterer
ein ausdrücklich gegenüber beiden Mitschuldnern erklärter Verzicht
des Geschädigten zugrunde lag, dessen Tragweite anhand der konkreten
Begleitumstände (durch Auslegung) ermittelt wurde, hat der Oberste
Gerichtshof in letzterer ausdrücklich das Erfordernis einer Auslegung
der Verzichtserklärung betont. Dass diese in beiden Fällen jeweils zu
anderen Ergebnissen als in der Entscheidung 2 Ob 45/89 führte,
unterstreicht nur die Einzelfallbezogenheit der Auslegung von
Erklärungen und Verträgen, begründet aber keine erhebliche
Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (vgl RIS-Justiz RS0042555, RS0042776,
RS0044298).

Nach überwiegender (und somit als herrschend anzusehender)
Rechtsprechung und einem Teil der Lehre ist der Verzicht ein Vertrag,
welcher der Annahme durch den Schuldner bedarf (RIS-Justiz RS0034122;
Griss in KBB § 1444 Rz 2; Dullinger in Rummel, ABGB3 II/3 § 1444 Rz
3; Koziol/Welser13 II 108). Die Annahme eines Verzichts kann auch
stillschweigend erfolgen, wobei bereits die widerspruchslose Annahme
der Erklärung des Gläubigers durch den Schuldner genügt (7 Ob 223/07f
mwN; vgl Dullinger aaO Rz 3). Der Verzicht kann auch durch einen
Vertrag zugunsten Dritter (§ 881 ABGB) vereinbart werden (RIS-Justiz
RS0014090; Dullinger aaO Rz 3). Für die Auslegung der
Verzichtserklärung gelten die Grundsätze der Vertrauenstheorie.

Entscheidend für das Verständnis der Erklärung ist demnach der
objektive Erklärungswert und nicht der Wille des Erklärenden oder das
tatsächliche Verständnis des Empfängers (2 Ob 45/89 mwN; RIS-Justiz
RS0014205, RS0014236). Die - bei unentgeltlichem Verzicht -
gelegentlich von der Willenstheorie ausgehende ältere Rechtsprechung
(SZ 40/27; RIS-Justiz RS0014199) ist überholt und daher auch für den
vorliegenden Fall nicht relevant.

Aber auch im Rekurs der zweitbeklagten Partei werden keine
Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung dargetan:
Die Frage, ob nach den Umständen des Einzelfalles ein Verzicht
anzunehmen ist oder nicht, erfüllt - von einer krassen
Fehlbeurteilung der Vorinstanzen abgesehen - nicht die
Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO (7 Ob 223/07f; RIS-Justiz
RS0107199). Dasselbe gilt für die im Wege der Auslegung vorzunehmende
Beurteilung, ob der gegenüber einem Mitschuldner erklärte und von
diesem angenommene Verzicht auch den anderen Mitschuldner erfassen
soll. Nur im Falle eines unvertretbaren Auslegungsergebnisses wäre
dieses aus Gründen der Rechtssicherheit durch den Obersten
Gerichtshof zu korrigieren (RIS-Justiz RS0042776). Ein solches liegt
aber hier nicht vor.

Nach der Rechtsprechung ist in die Auslegung der Aspekt
miteinzubeziehen, ob der Schulderlass die gänzliche Befreiung des
Mitschuldners, also auch die Hintanhaltung drohender Regressansprüche
bezweckt; trifft dies zu, soll er auch dem anderen, im
Innenverhältnis regressberechtigten Mitschuldner zugutekommen (SZ
18/184; 3 Ob 104/86; 6 Ob 229/04a; RIS-Justiz RS0017310 [T3]). In der
Entscheidung 2 Ob 45/89 wurde ein derartiger Vertragszweck trotz
bestehender Regressmöglichkeit verneint, weil sowohl dem Geschädigten
als auch dem durch den Verzicht begünstigten Lenker klar war, dass
der Geschädigte den Haftpflichtversicherer, wenn auch in Unkenntnis
von dessen Regressmöglichkeit, in Anspruch nehmen wird.

Im vorliegenden Fall steht ein solches Einvernehmen zwischen dem
Kläger und dem Erstbeklagten zwar nicht fest; Verzichtserklärungen
sind aber nach ständiger Rechtsprechung einschränkend auszulegen
(RIS-Justiz RS0038546, RS0034121 [T1], RS0033976 [T3]; Griss aaO Rz
4; vgl auch Dullinger aaO Rz 5). Danach konnte ein redlicher
Erklärungsempfänger die wiederholten Äußerungen des Klägers, er werde
"gegen ihn" keine Ansprüche erheben, selbst vor dem Hintergrund des
damaligen freundschaftlichen Verhältnisses, das den Kläger - wie von
ihm zugestanden - sogar zu falschen Angaben im Krankenhaus und zur
(vorläufigen) Unterlassung der Anmeldung seiner Ansprüche bei der
zweitbeklagten Partei bewog, nicht ohne weiteres im Sinne eines auch
die zweitbeklagte Partei erfassenden Verzichtes verstehen. Dabei
fällt insbesondere ins Gewicht, dass der Kläger zum Zeitpunkt seiner
Äußerungen (bis Ende 2003) - für den Erstbeklagten erkennbar - die
Unfallfolgen in ihrer gesamten Tragweite noch gar nicht abschätzen
konnte (er befand sich bis März 2004 im Krankenstand). Im Hinblick
auf die gebotene einschränkende Auslegung ist dem Berufungsgericht
jedenfalls keine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen. Die
Rekursbehauptung, der Kläger habe einen "generellen"
Anspruchsverzicht erklärt, geht nicht vom festgestellten Sachverhalt
aus und ist daher unbeachtlich.

Entgegen der Rechtsansicht der zweitbeklagten Partei hatte das
Berufungsgericht infolge der gesetzmäßig ausgeführten Rechtsrüge des
Klägers Feststellungsmängel auch ohne ausdrückliche Geltendmachung
von Amts wegen wahrzunehmen (10 ObS 265/94; 3 Ob 136/00x; E. Kodek in
Rechberger ZPO3 § 496 Rz 4). Da der erkennende Senat die dem
Aufhebungsbeschluss zugrunde liegende Rechtsansicht billigt, ist es
ihm verwehrt, der angeordneten Verfahrensergänzung entgegenzutreten
(RIS-Justiz RS0042179; E. Kodek aaO § 519 Rz 26).

Der Rekurs war daher als unzulässig zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 40, 50 ZPO. Der Kläger hat in
seiner Rekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels
nicht hingewiesen. Für einen Kostenvorbehalt nach § 52 Abs 1 ZPO
besteht kein Anlass, weil durch die Zurückweisung des Rechtsmittels
wegen Unzulässigkeit eine abschließende und vom Ergebnis der
Hauptsachenentscheidung unabhängige Erledigung des Rechtsmittels
möglich war (2 Ob 155/06t; 2 Ob 194/07d ua).

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