OGH 2Ob45/67

OGH2Ob45/6723.2.1967

SZ 40/27

Normen

ABGB §863
ABGB §1444
ABGB §863
ABGB §1444

 

Spruch:

Bei der Erforschung des Parteiwillens ist bei einem unentgeltlichen Verzicht (hier: Verzicht auf Schmerzengeldansprüche) von der Willenstheorie auszugehen.

Entscheidung vom 23. Februar 1967, 2 Ob 45/67.

I. Instanz: Landesgericht Innsbruck; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck.

Text

Nach dem festgestellten Sachverhalt ist der Kläger bei einem Verkehrsunfall, den der Beklagte am 1. September 1963 in I. allein verschuldet hat, schwer verletzt worden. Der Beklagte ist vom Strafgericht rechtskräftig verurteilt worden.

Mit der vorliegenden Klage hat der Kläger Schadenersatzansprüche gegen den Beklagten in der Höhe von 34.063 S, darunter 30.000 S Schmerzengeld, geltend gemacht.

Der Beklagte hat bestritten, ein Mitverschulden des Klägers zu einem Drittel eingewendet und geltend gemacht, daß der Kläger auf seinen Schmerzengeldanspruch verzichtet habe.

Das Erstgericht hat den Beklagten verurteilt, dem Kläger 28.981.85 S, darunter 25.000 S Schmerzengeld, zu bezahlen. Das Mehrbegehren von 5081.15 S hat es abgewiesen. Zum behaupteten Verzicht des Klägers auf Schmerzengeld hat das Erstgericht festgestellt, daß der Kläger bei seiner Aussage als Zeuge im Strafverfahren angegeben habe: "Auf Schmerzengeld verzichte ich." Dies sei auch im Protokoll festgehalten worden. Es war der Meinung, der Beklagte habe nicht beweisen können, daß darin ein absoluter Verzicht des Klägers auf diesen Anspruch gelegen sei. Das Erstgericht hat dem Kläger geglaubt, er habe nicht gewollt, daß der Beklagte neben seiner strafgerichtlichen Verurteilung auch noch zur Leistung eines Schmerzengeldes vom Strafgericht verurteilt werde. Er sei der Meinung gewesen, daß ihm der Haftpflichtversicherer des Beklagten den Schaden ersetzen und er seine Ansprüche gegen den Haftpflichtversicherer geltend machen müsse. Er habe nur zum Ausdruck bringen wollen, daß er dem Beklagten gegenüber, wenn dieser persönlich bezahlen müßte, keine Schmerzengeldforderung stelle.

Es liege daher kein wirksamer Verzicht des Klägers auf seinen Schmerzengeldanspruch vor.

Gegen dieses Urteil hat nur der Beklagte berufen, sodaß die Abweisung des Klagemehrbegehrens rechtskräftig geworden ist. Im Berufungsverfahren wollte der Beklagte die Klagsabweisung oder unter Annahme eines Mitverschuldens des Klägers zu 25% die Reduzierung der zugesprochenen Beträge oder die Bemessung des Schmerzengeldes mit lediglich 10.000 S und den Zuspruch von 75%, d. s. 7500 S, erreichen.

Das Berufungsgericht hat der Berufung nicht Folge gegeben. Zum behaupteten Verzicht des Klägers auf seinen Schmerzengeldanspruch hat das Berufungsgericht auf Grund der als unbedenklich übernommenen Feststellungen die Ansicht vertreten, daß der Kläger die bezügliche Erklärung im Strafverfahren als Zeuge abgegeben und diese offenbar den Zweck hatte, klarzustellen, ob und welche Ansprüche der Kläger als Privatbeteiligter im Strafverfahren geltend mache. Die Erklärung habe keine über den Rahmen des Strafverfahrens hinausgehende Bedeutung in der Richtung eines Verzichtes im Sinne des § 1444 ABGB. Der Kläger wollte nur den Beklagten persönlich nicht belasten, hatte aber nicht die Absicht, auf seinen Schmerzengeldanspruch überhaupt zu verzichten.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Beklagten. Er ficht das Urteil nur insoweit an, als dem Kläger überhaupt ein Schmerzengeld zuerkannt wurde. Der Höhe nach ist das Schmerzengeld unangefochten geblieben. Er macht die Revisionsgrunde nach § 503 Z. 2 bis 4 ZPO. geltend und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren überhaupt oder der Schmerzengeldanspruch abgewiesen werde.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Revision ist zwar zulässig, da der Schmerzengeldanspruch in der Höhe von 25.000 S dem Gründe nach bekämpft wird, sie ist aber nicht gerechtfertigt.

Unter dem Gesichtspunkt der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der Aktenwidrigkeit wendet sich der Beklagte gegen die Annahme des Berufungsgerichtes, daß die Erklärung des Klägers über seinen Verzicht offenbar den Zweck hatte, klarzustellen, ob und welche Ansprüche er als Privatbeteiligter im Strafverfahren geltend mache. Eine solche tatsächliche Feststellung habe das Erstgericht nicht getroffen und das Berufungsgericht habe dies nicht selbst feststellen dürfen. Diese Annahme stelle auch einen Widerspruch in sich dar, da das Berufungsgericht dem Kläger damit eine Behauptung "unterschoben" habe, die durch die Aktenlage nicht gedeckt sei. Es sei ein Widerspruch in sich, wenn der Kläger behauptete, sich die Geltendmachung privatrechtlicher Ansprüche vorzubehalten, auf Schmerzengeld jedoch zu verzichten. Der Kläger habe diesen Verzicht als Zeuge abgegeben. Mit seiner Stellung als Privatbeteiligter könne diese Aussage nicht in Zusammenhang gebracht werden. Der Kläger sei sich dabei nach seinen eigenen Angaben auch bewußt gewesen, daß nicht der Beklagte, sondern der Haftpflichtversicherer für den Schaden aufkommen müsse. Der Kläger sei daher auch keinem Irrtum unterlegen.

Die Ausführungen der Revision sind nicht stichhältig. Die Ansicht des Berufungsgerichtes darüber, welche Absicht der Kläger mit der Erklärung im Strafverfahren bezwecke, stellt eine Auslegung der festgestellten Willenserklärung und damit nicht eine Tatsachenfeststellung, sondern eine revisible rechtliche Beurteilung der Sache dar. Es liegt somit weder ein Verfahrensmangel noch eine Aktenwidrigkeit vor.

Dem Beklagten ist aber auch darin nicht beizupflichten, daß die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, der Kläger habe gegenüber dem Beklagten keinen endgültigen Verzicht auf seinen Schmerzengeldanspruch abgegeben, verfehlt sei. Schon das Berufungsgericht hat richtig darauf hingewiesen, daß nach der herrschenden Lehre nur bei Verkehrsgeschäften der Vertrag nach der Vertrauenstheorie, ein Mittelding zwischen der reinen Willenstheorie und der reinen Erklärungstheorie, auszulegen ist, während bei unentgeltlichen Geschäften die Willenstheorie maßgeblich ist (s. auch Gschnitzer in Klangs Kommentar[2] IV 72 und 73 zu § 863 ABGB.). Es ist daher bei der Erforschung des Parteiwillens im vorliegenden Fall, da es sich um ein unentgeltliches Geschäft handelt, das Gewicht darauf zu legen, was der Kläger erklären wollte und nicht, was er tatsächlich erklärt hat. Hiezu haben die Untergerichte unanfechtbar festgestellt, daß der Wille des Klägers dahin gegangen ist, mit seiner Erklärung, auf seinen Schmerzengeldanspruch zu verzichten, eine persönliche Belastung des Beklagten zu vermeiden. Der Kläger sei der Meinung gewesen, daß die Versicherung für den schuldhaften Verkehrsteilnehmer Schadenersatz leisten, er seine Ansprüche gegen den Haftpflichtversicherer des Beklagten geltend machen und daher keine Ansprüche gegen den Beklagten persönlich im Strafverfahren stellen müsse.

Daraus erklärt sich zwanglos die Protokollierung im Strafverfahren, wonach sich der Kläger die Geltendmachung privatrechtlicher Ansprüche vorbehalte. Wenn das Berufungsgericht daraus den Schluß gezogen hat, diese Angaben des Klägers hätten in erster Linie den Zweck gehabt, klarzustellen, ob und mit welchen Ansprüchen sich der Kläger als Privatbeteiligter dem Strafverfahren anschließe, so ist dies im festgestellten Sachverhalt wohl begrundet und keineswegs abwegig, wie der Beklagte meint.

Es geht aber auch der Hinweis des Beklagten in der Richtung fehl, es sei rechtlich unmöglich, daß dem vom Geschädigten dem haftpflichtversicherten Schädiger gegenüber ausgesprochenen Verzicht auf Schadenersatz die Wirksamkeit unter Berufung auf die Deckungspflicht des Haftpflichtversicherers abgesprochen werde. Der Beklagte läßt dabei die Feststellung außer acht, daß der Kläger nur für den Fall auf seinen Schmerzengeldanspruch verzichten wollte, als der Beklagte persönlich aus seinem Vermögen und nicht gedeckt durch die Haftpflichtversicherungssumme diesen Schadenersatz hätte leisten müssen. Die Untergerichte brauchten sich auch nicht mit der Frage zu befassen und keine Feststellungen darüber treffen, ob der Haftpflichtversicherer den Schmerzengeldanspruch des Klägers aus der Haftpflichtversicherungssumme befriedigen müsse. Eine Behauptung in der Richtung, daß der Haftpflichtversicherer des Beklagten die Deckung dieses Schadenersatzanspruches des Klägers ablehne, hätte der Beklagte im Prozeß aufstellen und den Beweis hiefür antreten müssen. Dies hat er aber nicht getan. Die bezüglichen Ausführungen in der Revision können daher zu keinem Erfolg führen.

Das Berufungsgericht hat daher die Sache richtig beurteilt, wenn es auch den Schmerzengeldanspruch des Klägers gegenüber dem Beklagten als dem Gründe nach zu Recht bestehend erkannt hat.

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