OGH 10ObS108/07s

OGH10ObS108/07s9.10.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Hon.-Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Georg Eberl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Josef Z*****, Finanzbeamter, *****, vertreten durch Dr. Manfred Steininger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter (BVA), Josefstädter Straße 80, 1081 Wien, vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5. Juni 2007, GZ 10 Rs 125/06k-33, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Krems an der Donau als Arbeits- und Sozialgericht vom 1. März 2006, GZ 7 Cgs 150/05z-22, soweit es nicht als unangefochten in Teilrechtskraft erwachsen ist, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben. Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der am 28. 1. 1957 geborene, bei einem Finanzamt beschäftigte Kläger wurde am 2. 8. 2004 auf der Heimfahrt in einen Verkehrsunfall verwickelt, bei dem er sich eine Zerrung der Halswirbelsäule zuzog, die über einen längeren Zeitraum Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule verursachte. Nach diesem Dienstunfall stand der Kläger bis 5. 9. 2004 im Krankenstand.

Mit Bescheid vom 24. 7. 2005 lehnte die beklagte Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter die Gewährung einer Versehrtenrente für die Folgen des Dienstunfalls vom 2. 8. 2004 mit der Begründung ab, dass keine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit über drei Monate hinaus vorgelegen sei.

Das Erstgericht sprach dem Kläger eine Versehrtenrente im Ausmaß von 20 vH der Vollrente für den Zeitraum von 6. 9. 2004 bis 28. 2. 2005 zu und wies das darüber hinausgehende, insbesondere auf Gewährung einer Versehrtenrente auch für die Zeit nach dem 28. 2. 2005 gerichtete Mehrbegehren (rechtskräftig) ab.

Es traf zusammengefasst folgende Feststellungen:

Die beim Kläger vorhandenen degenerativen Veränderungen, insbesondere im unteren Abschnitt der Halswirbelsäule, sind nicht auf den Dienstunfall zurückzuführen. Derartige degenerative Veränderungen ziehen nicht notwendigerweise Beschwerden nach sich; möglich ist aber, dass eine Verletzung, wie sie der Kläger erlitten hat, im Hinblick auf die Vorschädigung erschwerte Heilungsbedingungen vorfindet. Verglichen mit einer gesunden Wirbelsäule, die von einem gleichartigen Ereignis getroffen wird, kann eine vorgeschädigte Halswirbelsäule länger dauernde Schmerzen verursachen; das muss aber nicht sein. Bei einer gesunden Halswirbelsäule heilen Verletzungen, wie sie der Kläger erlitten hat, innerhalb von Tagen bis wenigen Wochen ab.

Aufgrund der degenerativen Vorschädigungen der Halswirbelsäule lag im Fall des Klägers aus medizinischer Sicht eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt) von 20 vH ab dem 6. 9. 2004 bis zum 28. 2. 2005 vor. Ab dem 1. 3. 2005 lag keine Minderung der Erwerbsfähigkeit mehr vor.

Am 13. 7. 2005 hat der Kläger einen weiteren Verkehrsunfall (Auffahrunfall) erlitten.

In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, dass sich die beklagte Partei den Vorschaden an der Halswirbelsäule des Klägers und die damit verbundene längere Dauer der Ausheilung in Form einer längeren Zeit der Minderung der Erwerbsfähigkeit zurechnen lassen müsse, weil der Kläger in dem Zustand unfallversichert sei, in dem er sich im Unfallzeitpunkt befunden habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge, hob das Ersturteil, soweit es nicht als unangefochten in Teilrechtskraft erwachsen ist, auf und verwies die Sozialrechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück. Es übernahm nach Auseinandersetzung auch mit einer in der Berufungsbeantwortung enthaltenen Mängel- und Tatsachenrüge - mit hiezu nicht relevanten Ausnahmen - die erstgerichtlichen Feststellungen als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens und pflichtete der Rechtsansicht des Erstgerichts bei, dass der Versicherte nach dem Schutzzweck des Unfallversicherungsrechts in dem Zustand geschützt sei, in dem er sich zum Zeitpunkt des Unfallereignisses befunden habe. Im Ersturteil fehle es aber an ausreichenden Feststellungen, um die von der höchstgerichtlichen Judikatur geforderte Abwägung der einzelnen mitwirkenden Kausalreihen (Unfall bzw Schadensanlage) vornehmen zu können. Verletzungen aufgrund altersbedingter, natürlicher Abnützung könnten keinesfalls als Anlageschaden angesehen werden. Vielmehr sei für die Annahme eines Anlageschadens ein - bei genereller Betrachtung der körperlichen Konstitution des Versicherten - deutlich erkennbares Abweichen des Gesundheitszustandes von der „Norm" erforderlich. Schließlich sei bei der Abwägung noch zu berücksichtigten, dass eine Schadensanlage in der Regel nur dann als allein wesentliche Ursache gewertet werden könne, wenn diese so stark ausgeprägt und so leicht ansprechbar sei, dass wahrscheinlich auch jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis die Schädigung zu annähernd gleicher Zeit und in annähernd demselben Ausmaß ausgelöst hätte. In diesem Sinn seien vom Erstgericht Feststellungen zu treffen, ob die beim Kläger bestehenden degenerativen Änderungen der Halswirbelsäule altersentsprechend seien oder ob sie das altersentsprechende Ausmaß überstiegen hätten. Sollten die Abbauerscheinungen (nur) altersentsprechend sein, könne nicht von einer Schadensanlage ausgegangen werden, sodass ein den Unfallversicherungsschutz ausschließender Anlageschaden nicht vorläge. Sollten dagegen die bestehenden degenerativen Vorschädigungen der Halswirbelsäule das altersentsprechende Ausmaß übersteigen, sei anhand der konkreten Umstände eine Abwägung der Einwirkungen aus dem Unfallereignis und der unfallunabhängigen Ursachen (Schadensanlage) vorzunehmen und zu klären, ob der Gesundheitsschaden auch ohne den Dienstunfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit allein infolge der Schadensanlage durch jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu annähernd gleicher Zeit und in annähernd demselben Ausmaß tatsächlich eingetreten wäre. Erst danach sei eine abschließende Beurteilung der Frage möglich, ob Dienstunfall und Schadensanlage als im Wesentlichen gleichwertige Mitursachen anzusehen seien oder ob die Schadensanlage bei der gebotenen Abwägung den Dienstunfall in ihrer ursächlichen Bedeutung für die Entstehung des Gesundheitsschadens so überwiege, dass sie als die in Wahrheit allein wesentliche Ursache gewertet werden müsse und demgegenüber der Dienstunfall in seiner ursächlichen Bedeutung derart unbedeutend sei, dass er als Ursache außer Betracht bleiben müsse. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, da die Frage der vorzunehmenden Abgrenzung zwischen altersbedingter Abnützung und darüber hinausgehendem Vorschaden und insbesondere der dabei heranzuziehende Vergleichsmaßstab durch die neuere höchstgerichtliche Rechtsprechung noch nicht so weit geklärt sei, dass von einer gesicherten Rechtsprechung ausgegangen werden könne. Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs des Klägers aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, „den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass die Berufung der beklagten Partei zurück- oder abgewiesen und das Ersturteil bestätigt wird", in eventu den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Berufungsgericht (in eventu dem Erstgericht) eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufzutragen. Die beklagte Partei beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; er ist jedoch im Hinblick auf die Ergänzungsbedürftigkeit des Verfahrens nicht berechtigt.

1. Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass der Rekurswerber, der das Erfordernis weiterer Beweisaufnahmen verneint, aus den Feststellungen Schlüsse zieht, die darin nicht gedeckt sind, etwa,

RIS-Justiz RS0083987), sodass die Leistungspflicht der

Unfallversicherung eintritt, und zwar für den gesamten Schaden und

nicht nur für den „Verfrühungsschaden" (10 ObS 174/02i = ARD

5396/11/2003 = RIS-Justiz RS0084308 [T10]). Allein maßgebliche

Bedeutung kommt einer Zeitspanne von einem Jahr aber keineswegs zu (ebenso Krasney in Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung/Gesetzliche Unfallversicherung, § 8 SGB IV Rz 376); entscheidend ist vielmehr, ob der Körperschaden aufgrund der Anlage auch durch eine alltäglich vorkommende Belastung in etwa zur selben Zeit eingetreten wäre.

Diesen Grundsätzen ist auch das Berufungsgericht in seinem Aufhebungsbeschluss gefolgt.

3. In der Rechtsrüge wird vom Kläger die Frage aufgeworfen, ob - wie auch Reissner in seiner Anmerkung zu 10 ObS 45/04x (DRdA 2005, 328 [330]) andeutet - die bisherige berufliche Belastung bei der Abwägung mitzuberücksichtigen ist, möglicherweise auch das Geschlecht. Hiezu hat das Berufungsgericht im Aufhebungsbeschluss zutreffend ausgeführt, dass nicht auf einen gleichaltrigen Versicherten mit vergleichbarer Berufslaufbahn, sondern auf den durchschnittlichen Gesundheitszustand eines gleichaltrigen Versicherten abzustellen ist. Andernfalls würden nicht nur Berufsschutzelemente in die gesetzliche Unfallversicherung eingeführt, sondern es würde auch die Begrenzung der Liste der Berufskrankheiten aufgelöst.

4. Bereits im Aufhebungsbeschluss vom 17. 4. 2007, 10 ObS 22/07v, wurde as Vorliegen eines Härtefalls verneint.

5. Wie bereits unter 1. ausgeführt wurde, kann der Oberste Gerichtshof, wenn das Berufungsgericht - wie hier - auf der Grundlage einer richtigen Rechtsansicht eine Verfahrensergänzung für erforderlich hält, dem nicht entgegentreten (E. Kodek in Rechberger, ZPO3 § 519 Rz 26 mwN).

6. Der Ausspruch über die Kosten beruht auf § 52 Abs 1 ZPO. Obwohl der Rekurs in der Frage der Aufhebung und Zurückverweisung keinen Erfolg gehabt hat, war die Entscheidung über die Rekurskosten vorzubehalten, weil er zur Klärung der Rechtslage beigetragen hat (RIS-Justiz RS0036035).

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