OGH 7Ob180/07g

OGH7Ob180/07g26.9.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Lieselotte T*****, vertreten durch Dr. Peter Armstark, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Gerhard T*****, vertreten durch Dr. Josef Schima, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalt, über den Rekurs des Beklagten gegen den Beschluss des Landesgerichtes St. Pölten als Berufungsgericht vom 23. Mai 2007, GZ 23 R 135/07m-107, mit dem das Urteil des Bezirksgerichtes Neulengbach vom 19. Jänner 2007, GZ 1 C 1387/01k-98, infolge Berufung der Klägerin aufgehoben wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit EUR 1.969,92 (darin enthalten EUR 328,32 USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO, der nach § 528a ZPO auch auf Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes über Rekurse anzuwenden ist, kann sich die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken. Die Streitteile schlossen im Zuge ihrer Scheidung am 11. 12. 1985 einen Vergleich, mit dem sich der Beklagte verpflichtete, der Klägerin ab 1. 1. 1986 monatlich wertgesicherte Unterhaltsbeträge von S 2.500,--, S 7.500,--, S 8.500,-- und S 9.500,-- (entsprechend dem Wegfall von Sorgepflichten) zu bezahlen, wobei ausdrücklich festgehalten wurde, dass die Grundlage dieser Unterhaltsvereinbarung „ein eigenes Einkommen beider Teile nach der 40 %-Regel" sei. Von der Klägerin wurde bis zu ihrer Pensionierung auf eine Unterhaltserhöhung, vom Beklagten bis zu seiner Pensionierung (mit einer hier nicht relevanten Ausnahme) auf eine Unterhaltsherabsetzung - auch für den Fall des Hinzukommens neuer Sorgepflichten - verzichtet.

Nach ihrer Pensionierung erhob die Klägerin mit der wesentlichen Behauptung, der Beklagte habe ihr auf Grund geänderter Umstände höhere Zahlungen zu leisten, Klage auf Leistung höherer Unterhaltsbeträge. Zuletzt begehrte sie, den Beklagten schuldig zu erkennen, ihr ab 1. 1. 2000 bis 31. 12. 2000 einen monatlichen Unterhalt in Höhe von EUR 4.332,68, von 1. 1. 2001 bis 31. 12. 2001 einen monatlichen Unterhalt von EUR 9.888,67 und von 1. 1. 2002 bis auf weiteres eine monatlichen Unterhalt von EUR 2.500,--, jeweils zuzüglich 4 % Zinsen, abzüglich der vom Beklagten ab dem Jahr 2000 erbrachten, im Einzelnen angeführten Unterhaltsleistungen, zu bezahlen.

Der Beklagte beantragte Klagsabweisung. Er sei seiner Unterhaltsverpflichtung stets zur Gänze und rechtzeitig nachgekommen. Das Erstgericht hielt dies für zutreffend und wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf und trug dem Erstgericht eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Schon nach den unbedenklichen erstgerichtlichen Feststellungen über die Einkommensverhältnisse der Streitteile sei der Beklagte seiner Unterhaltsverpflichtung nicht zur Gänze und nicht fristgerecht nachgekommen, zumal eine Zahlung von EUR 23.737,13, die die Klägerin aus dem IESG-Fonds erst im Jahr 2000 erhalten habe, im Hinblick auf die von den Streitteilen im Scheidungsvergleich getroffenen Vereinbarungen nicht als Einkommen der Klägerin in diesem Jahr zu berücksichtigen sei. Im Übrigen seien noch Erörterungen, Erhebungen und Feststellungen über die ASVG-Pension des Beklagten, über die von der Klägerin behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen, sofern sie im Scheidungsvergleich noch nicht berücksichtigt worden seien sowie über das Einkommen der Parteien auch über das Jahr 2003 hinaus zu treffen. Weiters seien auch ergänzende Erhebungen zu den von der Klägerin behaupteten Einkünften des Beklagten aus Kapitalanlagen und eine Erörterung der Anrechnung der Erträge der Lebensversicherung der Klägerin vorzunehmen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil seine Entscheidung von mehreren Rechtsfragen von grundsätzlicher, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung abhänge: Nämlich ob es zulässig sei, zum Vorhandensein von Ersparnissen des Unterhaltspflichtigen Feststellungen auf Grund der allgemeinen Lebenserfahrung, insbesondere auf Basis statistisch ermittelter Werte zu treffen; ob Zahlungen an die Unterhaltsberechtigte nach gerichtlicher Geltendmachung, die sich auf Erwerbszeiträume vor dem Zeitraum bezögen, für den Unterhaltsansprüche geltend gemacht würden, bei der Unterhaltsbemessung zu berücksichtigen seien; in welcher Form Lebensversicherungen mit Rentenauszahlung bei der Unterhaltsbemessung zu berücksichtigen seien; und schließlich, inwieweit bei einem bereits lange Zeit zurückliegenden Unterhaltstitel auf Grund der Änderung der Verhältnisse schon aus pensionsversicherungsrechtlichen Gründen eine neue Titelschaffung zulässig sein müsse, wenn ein aktueller Unterhaltsanspruch bestehe, selbst wenn Unterhaltsbeiträge bisher auf Grund eigener Berechnung der Parteien (allenfalls sogar den Anspruch völlig deckend) geleistet worden seien. Entgegen diesem, den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO), Ausspruch ist der gegen den berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschluss erhobene Rekurs des Beklagten unzulässig. Die vom Berufungsgericht für erheblich erachteten Rechtsfragen erfüllen die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht:

Rechtliche Beurteilung

Die Frage nach der Zulässigkeit von Feststellungen auf Grund der allgemeinen Lebenserfahrung bei Verweigerung der Herausgabe von Urkunden lässt sich nicht allgemein gültig beantworten. Hintergrund dieser Frage ist die Behauptung der Klägerin, der Beklagte, der anlässlich seiner Pensionierung eine hohe Abfertigung erhielt, müsse auch Einkünfte aus Zinsen haben. Ob dies der Fall ist, stellt zunächst eine Tatfrage dar, die unter anderem auch durch entsprechende Urkunden beantwortet werden könnte. Ob bei Verweigerung der Herausgabe solcher Urkunden durch den Beklagten allenfalls eine im Weg des § 273 ZPO - unter anderem nach der Lebenserfahrung des Richters in freier Würdigung - vorzunehmende Einschätzung durch das Gericht zu erfolgen hat (vgl RIS-Justiz RS0047432), hängt von den Umständen des Einzelfalles ab und hat daher keine über diesen hinausgehende Bedeutung (7 Ob 42/07p mwN; 1 Ob 52/07i; RIS-Justiz RS0040494; RS0121220). Ob allenfalls auch eine Anspannung auf (unterlassene) Zinseneinkünfte in Betracht kommt (vgl 2 Ob 295/00x), kann ebenfalls nur nach den konkreten Umständen des Einzelfalles und erst nach der vom Berufungsgericht angeordneten Verbreiterung der Sachverhaltsbasis entschieden werden.

Nach ständiger Rechtsprechung ist für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit eines Unterhaltspflichtigen in erster Linie die Summe der dem Unterhaltsschuldner „tatsächlich zufließenden, verfügbaren" Mittel maßgeblich (9 Ob 8/05z; 7 Ob 13/06x uva; RIS-Justiz RS0013386). Selbstverständlich können auch umgekehrt nur dem Unterhaltsberechtigten tatsächlich zufließende Einkünfte im betreffenden Zeitraum berücksichtigt werden. Dies hat auch das Berufungsgericht betont, in Ansehung der der Klägerin vom IESG-Fonds geleisteten „Lohnnachzahlung" im Hinblick auf die von den Streitteilen anlässlich ihrer Scheidung im Unterhaltsvergleich getroffenen Vereinbarungen aber das Vorliegen einer abweichenden Regelung angenommen. Dieser Vertragsauslegung im Einzelfall könnte nur dann erhebliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zukommen, wenn dem Berufungsgericht eine auffallende Fehlbeurteilung, also eine krasse Verkennung der Auslegungsgrundsätze unterlaufen wäre, die im Interesse der Rechtssicherheit wahrgenommen werden müsste (RIS-Justiz RS0112106 ua). Dies ist nicht der Fall: Es trifft zu, dass die Klägerin durch eine Berücksichtigung des ihr vom IESG-Fonds (erst) 2000 ausbezahlten Betrages wegen des im Unterhaltsvergleich bis zur Pensionierung jeweils erklärten Verzichtes auf die Umstandsklausel doppelt benachteiligt wäre. Einerseits war sie durch diese vertragliche Regelung vor ihrer Pensionierung gehindert, ihr zufolge Insolvenz ihres Arbeitgebers vermindertes Einkommen geltend zu machen, andererseits hätte sie zufolge der nach der Pensionierung erfolgten Zahlung eine Minderung ihres Unterhaltsanspruches in Kauf zu nehmen. Die Ansicht des Berufungsgerichtes, den Streitteilen könne eine solche Auslegung des Verzichtes auf die Umstandsklausel nicht unterstellt werden, ist jedenfalls vertretbar.

Die weitere vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage, inwieweit Rentenzahlungen aus den Lebensversicherungen der Klägerin bei der Unterhaltsbemessung zu berücksichtigen sind, hängt entgegen der Meinung des Rekurswerbers von dem - noch nicht geklärten - Umstand ab, wie die Prämienfinanzierung erfolgte. War es so, wie der Rekurswerber offenbar ohnehin unterstellt, dass die Prämie von der Klägerin aus ihren Einkünften finanziert wurde, kann die Rückzahlung des angesparten Kapitals - wie bei jeder anderen Ansparmethode - nicht nochmals als Einkommen des Unterhaltsberechtigten angesehen werden. Ein von einem Unterhaltsberechtigten aus seinen Einkünften erzieltes Sparguthaben ist bei der Unterhaltsbemessung nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Nach ständiger Rechtsprechung sind hingegen Vermögenserträge (zB Zinsen aus Sparguthaben) zu berücksichtigen (5 Ob 65/97p, EvBl 1997/188 ua) . Nicht anders will das Berufungsgericht verfahren, wenn es betont, dass ein im Rahmen der Erlebensversicherung von der Klägerin angespartes Kapital bei der Unterhaltsbemessung unberücksichtigt bleiben müsse und nur in den Renten enthaltene Zins- und Gewinnanteile berücksichtigt werden könnten. Da dies klar auf der Hand liegt, kann auch darin eine erhebliche Rechtsfrage nicht erblickt werden.

Die vom Berufungsgericht schließlich noch für erheblich erachtete Frage der Möglichkeit einer „neuen Titelschaffung" bei „bereits lange Zeit zurückliegendem Unterhaltstitel" aus "pensionsversicherungsrechtlichen Gründen", stellt sich hier gar nicht mehr, weil bereits die nach Pensionierung der Streitteile eingetretenen Änderungen der Einkommensverhältnisse sowie der vom Berufungsgericht betonte Umstand, dass schon nach den vorliegenden Beweisergebnissen von einer unzureichenden und auch nicht fristgerechten Alimentierung der Klägerin durch den Beklagten auszugehen sei, eine urteilsmäßige Neufestsetzung der Unterhaltsverpflichtung des Beklagten jedenfalls rechtfertigen. Auch im Rekurs werden keine (sonstigen) Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung aufgezeigt. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich der Frage der dem Erstgericht auferlegten Erörterungspflicht der Einkommen der Parteien ab 2003, die das Berufungsgericht entgegen der Ansicht des Rekurswerbers ebenfalls im Einklang mit oberstgerichtlicher Judikatur beantwortet hat. Danach darf ein Klagebegehren wegen ungenügender Substantiierung des Anspruches erst abgewiesen werden, wenn das Gericht auf die Vervollständigung des Tatsachenvorbringens hingewirkt und dem Kläger verdeutlicht hat, welche Konsequenzen sich aus seiner Weigerung ergeben können (JBl 1965, 151; JBl 1972, 480 ua).

Wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat (§ 510 Abs 3 dritter Satz ZPO), liegen die vom Rekurswerber weiters geltend gemachten Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der Aktenwidrigkeit nicht vor. Da demnach kein tauglicher Grund für die Zulassung des Rechtsmittels des Beklagten gegeben ist, muss der Rekurs zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Für einen Kostenvorbehalt nach § 52 Abs 1 ZPO besteht kein Anlass, weil durch die Zurückweisung des Rechtsmittels des Beklagten zufolge Unzulässigkeit - worauf die Klägerin in ihrer Rekursbeantwortung zutreffend hingewiesen hat - eine abschließende und vom Ergebnis der Hauptsachenentscheidung unabhängige Erledigung der Rechtsmittelschriftsätze durch den Obersten Gerichtshof erfolgen konnte (vgl 2 Ob 155/06t).

Stichworte