OGH 9Ob21/07i

OGH9Ob21/07i8.8.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf sowie Dr. Kuras als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden und widerbeklagten Partei Univ. Prof. Dr. Peter E*****, vertreten durch Dr. Konrad Faulhaber, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte und widerklagende Partei Dr. Gertrude E*****, Verlagsangestellte, *****, vertreten durch Dr. Helene Klaar und Mag. Norbert Marschall Rechtsanwälte OEG in Wien, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 23. Jänner 2007, GZ 44 R 730/06t-62, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten und widerklagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die Ehegatten sind einander zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet. Dazu gehört insbesondere auch die Verpflichtung zur anständigen Begegnung und zum Beistand (§ 90 Abs 1 ABGB). Sie sollen ihre eheliche Lebensgemeinschaft unter Rücksichtnahme aufeinander und auf das Wohl der Kinder mit dem Ziel voller Ausgewogenheit ihrer Beiträge einvernehmlich gestalten (§ 91 Abs 1 ABGB). Dabei soll das Bemühen um eine einvernehmliche Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht eine einmalige, nur am Beginn der Ehe zu erfüllende, sondern grundsätzlich eine permanente Aufgabe in der Ehe sein (RV 1653 BlgNR 20. GP 12, 21 zum EheRÄG 1999, BGBl I 1999/125). Ein Ehegatte kann Scheidung begehren, wenn der andere durch eine schwere Eheverfehlung die Ehe schuldhaft so tief zerrüttet hat, dass die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht erwartet werden kann (§ 49 EheG). Eheverfehlungen sind gegen den Partner gerichtete Verstöße gegen die sich aus den persönlichen Rechtswirkungen der Ehe ergebenden Pflichten (Hopf/Kathrein, Eherecht² § 49 EheG Anm 1; Stabentheiner in Rummel, ABGB³ § 49 EheG Rz 2 ua).

Die Frage, ob die „Vernachlässigung des Ehegatten nach der Geburt des gemeinsamen Kindes" eine schwere Eheverfehlung darstellt, stellt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar. Entgegen der Annahme der Revisionswerberin geht es nicht um ein Spannungsverhältnis zwischen der „Vernachlässigung des Kindes" einerseits oder der „Vernachlässigung des Ehemannes" andererseits und damit eine „unausweichliche" schwere Eheverfehlung für die Ehegattin, sondern allein um die Frage, ob durch einen Ehegatten - unabhängig davon, ob es sich dabei um den Ehemann oder die Ehefrau handelt - vorwerfbar die Pflichten zur umfassenden Lebensgemeinschaft und anständigen Begegnung verletzt wurden. Dass Verletzungen der Pflicht zur umfassenden Lebensgemeinschaft eine schwere Eheverfehlung begründen können, etwa durch Desinteresse am anderen Ehegatten und einer gemeinsamen Gestaltung der Lebensgemeinschaft (Stabentheiner aaO § 49 EheG Rz 7 mwN ua), entspricht der Rechtsprechung. Gleiches gilt für Verletzungen der Pflicht zur anständigen Begegnung, etwa durch liebloses Verhalten gegenüber dem anderen Ehegatten (Stabentheiner aaO § 49 EheG Rz 11 mwN ua). Ob dies tatsächlich der Fall ist, hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab und begründet in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO. Die die Revision beherrschende Überlegung, es handelte sich bei der „Vernachlässigung des Ehegatten" um die einzige hier in Frage stehende Eheverfehlung der Beklagten, lässt die erstgerichtliche Auflistung von Eheverfehlungen unbeachtet. Bei der Beantwortung der Frage, ob ein Scheidungsgrund nach § 49 EheG vorliegt, ist im Übrigen nicht jeder einzelne als Eheverfehlung geltend gemachte Tatbestand für sich allein, sondern das Gesamtverhalten des beklagten Ehegatten, soweit darin eine Eheverfehlung erblickt wird, zu beurteilen (RIS-Justiz RS0056171 ua).

Zutreffend weist die Revisionswerberin darauf hin, dass Ehegatten untereinander und in ihren Beziehungen zu ihren Kindern gleiche Rechte und Pflichten privatrechtlicher Art hinsichtlich der Eheschließung, während der Ehe und bei Auflösung der Ehe haben (Art 5 des 7. ZP zur EMRK, BGBl 1988/628). Der Revisionswerberin ist beizupflichten, dass eine unsachliche geschlechtsspezifische Differenzierung zwischen den Ehegatten in Bezug auf die Gewichtung der Eheverfehlungen gänzlich inakzeptabel wäre (vgl Mayer, B-VG³ Anm zu Art 5 des 7. ZP zur EMRK). Von einer solchen verpönten Differenzierung kann hier jedoch in Bezug auf die Berufungsentscheidung keine Rede sein. Es stellt sich daher auch nicht die von der Revisionswerberin insoweit aufgeworfene Rechtsfrage.

Unheilbare Ehezerrüttung ist dann anzunehmen, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die Grundlage der Ehe objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört haben, wobei es genügt, dass der Kläger die eheliche Gesinnung verloren hat (RIS-Justiz RS0056832 ua). Bringt ein Teil eine Ehescheidungsklage ein, dann wird daraus in aller Regel der Schluss zu ziehen sein, dass er die Ehe subjektiv für unheilbar zerrüttet hält (RIS-Justiz RS0043432 [T5] ua). Ob die Ehe objektiv unheilbar zerrüttet ist, ist dem gegenüber eine Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0043432 [T1] ua), deren Beurteilung von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängt (RIS-Justiz RS0056832 [T5] ua). Ist die Ehe schon so tief zerrüttet, dass eine weitere Zerrüttung nicht eintreten konnte, so ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der neuen Verfehlung und der Zerrüttung im Allgemeinen nicht vorhanden (RIS-Justiz RS0056939 ua). Auch dabei handelt es sich um eine Frage des Einzelfalls, die mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht revisibel ist (RIS-Justiz RS0043423 [T7], RS0043432 [T6] ua). Der Kläger behauptete in seiner Klage vom 13. 12. 2002, dass die Ehe derart zerrüttet sei, dass an eine Wiederherstellung nicht zu mehr zu denken sei. Vor dem Hintergrund, dass die Beklagte ihren Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 382 Abs 1 Z 8a EO wieder zurückzog, weil ihr Unterhaltsbegehren in einem anderen Akt erledigt worden sei (AS 415), und auch schon vorher deponiert hatte, dass zwischen den Parteien eine außergerichtliche vorläufige Regelung der Unterhaltsbzw Betriebskostenzahlungen getroffen worden sei (AS 301), bestand für die Vorinstanzen kein Grund, nach einer ohnehin nicht geltend gemachten, besonderen Vertiefung der Zerrüttung durch den Kläger infolge Verletzung der Unterhaltspflichten vom November 2003 zu forschen.

Welche Tatsache die Vorinstanzen durch welches Sachverständigengutachten als erwiesen erachteten, betrifft die Beweiswürdigung, die der Überprüfung des Obersten Gerichtshofs entzogen ist (Kodek in Rechberger, ZPO³ § 503 Rz 1 mwN ua). Ob den Parteien die „mangelnde Fähigkeit, ein eigenes Familiensystem zu entwickeln", nach einem Sachverständigengutachten vorwerfbar ist, spielt jedoch für den Ausgang des Verfahrens ohnehin keine Rolle. Entscheidend ist das jeweilige Gesamtverhalten der Ehegatten (RIS-Justiz RS0056171 ua). Von dem Fall einer Beurteilung außerhalb der Bandbreite der oberstgerichtlichen Rechtsprechung abgesehen, begründet die Beurteilung des Gewichts des beiderseitigen Verschuldens der Ehepartner an der Zerrüttung der Ehe keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO und kann daher die Zulässigkeit der Revision nicht rechtfertigen (vgl 8 Ob 157/06f ua). In der übereinstimmenden rechtlichen Beurteilung der Vorstanzen, dass beide Eheteile ein gleichteiliges Verschulden an der unheilbaren Zerrüttung der Ehe trifft, ist keine unvertretbare Beurteilung zu erblicken. Ein überwiegendes Verschulden eines Ehegatten ist nur dort anzunehmen und auszusprechen, wo der graduelle Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile augenscheinlich hervortritt (§ 60 Abs 2 EheG; (Hopf/Kathrein aaO § 60 EheG Anm 7 mwN; Stabentheiner aaO § 60 EheG Rz 2 mwN; RIS-Justiz RS0057821 ua). Dies ist hier nicht der Fall. Mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO erweist sich die Revision der Beklagten somit als unzulässig. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO). Die außerordentliche Revision ist zurückzuweisen.

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