OGH 4Ob86/07m

OGH4Ob86/07m10.7.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner als Vorsitzenden und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei R***** KEG, *****, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig-Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen den Gegner der gefährdeten Partei Dr. Jürgen B*****, wegen Unterlassung (Streitwert 42.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Gegners der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 23. Februar 2007, GZ 1 R 247/06k-26, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 9. November 2006, GZ 24 Cg 174/05d-20, teilweise bestätigt und teilweise aufgehoben wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss, der in seinem aufhebenden Teil unberührt bleibt, wird in Ansehung des bestätigenden Teils dahin abgeändert, dass er zu lauten hat:

„Der Antrag, zur Sicherung des Anspruchs der gefährdeten Partei auf Unterlassung wettbewerbswidriger, gesetz- und vertragswidriger sowie treuwidriger Handlungen werde dem Gegner der gefährdeten Partei geboten, es ab sofort im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs zu unterlassen, Akten der gefährdeten Partei, in denen dieser, nicht aber dem Gegner der gefährdeten Partei persönlich vom Mandanten Auftrag und/oder Vollmacht zur Vertretung erteilt wurde und die er vor dem 1. 1. 2006 aus den Kanzleiräumlichkeiten der gefährdeten Partei entfernt hat, für Zwecke der Berufsausübung zu verwenden, wird abgewiesen.

Die gefährdete Partei ist schuldig, dem Gegner der gefährdeten Partei die mit 599,67 EUR bestimmten anteiligen Kosten der Äußerung zum Sicherungsantrag (darin 99,95 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen, die gefährdete Partei hat ein Viertel der Kosten des Sicherungsverfahrens endgültig selbst zu tragen; im Übrigen bleibt die Entscheidung über die Kosten des Sicherungsverfahrens der Endentscheidung vorbehalten."

Die gefährdete Partei ist schuldig, dem Gegner der gefährdeten Partei die mit 2.065,86 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin 344,31 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Gegner führte ursprünglich mit Rechtsvorgängern der Gefährdeten eine Rechtsanwaltskanzlei in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Der zugrundeliegende Gesellschaftsvertrag enthält in seinem § 11 folgende Regelung:

„Die Geschäftsführung der Anwaltsgemeinschaft ist von den Gesellschaftern gemeinschaftlich durchzuführen. Die letzte Entscheidung liegt bei dem an Jahren ältesten Gesellschafter, wenn es sich aber um eine Entscheidung in Bezug auf einen Klienten handelt, bei dem Gesellschafter, der diesen Klienten (auch vor seiner Eintragung als Rechtsanwalt) gebracht hat. Die Übernahme eines Rechtsanwaltsmandats außerhalb der Anwaltsgemeinschaft ist nur mit Zustimmung aller übrigen Gesellschafter und allfälliger Pensionsberechtigter gestattet."

§ 25 dieses Vertrags lautet:

„Für den Fall der Kündigung oder des Ausschlusses eines Gesellschafters aus wichtigem Grund wird vereinbart, dass der ausscheidende Gesellschafter nur berechtigt ist, jene Klienten der Anwaltsgemeinschaft weiter zu vertreten, die von ihm selbst gebracht wurden."

§ 26 des Gesellschaftsvertrags enthält eine Schiedsklausel. Im Jahr 1991 hatten die verbliebenen Rechtsanwälte nach dem Tod des Seniorenpartners eine OEG gegründet, die aus der Gesellschaft bürgerlichen Rechts hervorgegangen war. Im Jahr 1992 wurde die OEG in eine KEG umgewandelt. Der Vertrag über die Gründung der KEG verweist auf den Vertrag über die Gesellschaft bürgerlichen Rechts sowie auf jenen über die OEG.

Ein weiterer Rechtsanwalt war auf Grundlage einer Assoziationsvereinbarung für die Gefährdete als selbständiger Rechtsanwalts-Substitut tätig. Auch dieser Vertrag enthielt eine Konkurrenzklausel. Der Gegner hat diese Vereinbarung mitunterfertigt. Am 24. Juni 2005 erklärte der Gegner die Kündigung der Anwaltsgemeinschaft (KEG) mit Wirkung zum 31. Dezember 2005. Seit 1. Oktober 2005 betreibt er in eigenen Büroräumlichkeiten eine Rechtsanwaltskanzlei. In dieser Kanzlei ist auch jener Rechtsanwalt tätig, welcher die erwähnte Assoziationsvereinbarung mit der Gefährdeten geschlossen hatte. Dieser hatte dieselbe mit Wirkung vom 30. September 2005 aufgekündigt.

Im Herbst 2005 übersiedelte der Gegner eigenmächtig zahlreiche Akten aus den Kanzleiräumen der Gefährdeten in seine neue Kanzlei. Die Gefährdete brachte am 12. Dezember 2005 eine Klage mit einzelnen Unterlassungs- sowie einem Schadenersatz- und einem Feststellungsbegehren ein, mit der sie Sicherungsanträge verband, welche - soweit in dritter Instanz relevant - darauf abzielten, zur Sicherung des Anspruchs der Gefährdeten auf Unterlassung wettbewerbswidriger, gesetz- und vertragswidriger sowie treuwidriger Handlungen dem Gegner zu verbieten, Akten aus den Kanzleiräumlichkeiten der Gefährdeten zu entfernen, soweit dies nicht im Rahmen der Tätigkeit des Gegners für die Gefährdete - zB zur Verrichtung von Verhandlungen im Namen dieser Kanzlei - erforderlich sei. Diesen Antrag modifizierte die Gefährdete dahin, dem Gegner zu verbieten, Akten der Gefährdeten, die jener vor dem 1. Jänner 2006 aus den Kanzleiräumlichkeiten dieser Kanzlei entfernt hat, für Zwecke der Berufsausübung zu verwenden. Der Gegner sei als Gesellschafter verpflichtet gewesen, die ihn treffende Treuepflicht sowie das gesetzliche Wettbewerbsverbot einzuhalten. Er sei auch an das vertragliche Konkurrenzverbot gebunden. Im Oktober 2005 habe er hinter dem Rücken der Gefährdeten und gegen deren Widerspruch zahlreiche Kanzleiakten in die neuen Kanzleiräume fortgeschafft. Bei den entfernten Akten handle es sich nicht nur um solche von Klienten, die der Gegner selbst gebracht oder betreut habe oder die der Gefährdeten die Vollmacht aufgekündigt hätten. Das rechtswidrige Ansichbringen und Verwenden der Akten ermögliche dem Gegner das Abwerben der Klienten. Dadurch habe er sich einen unzulässigen Wettbewerbsvorsprung verschafft.

Der Gegner gestand zwar als richtig zu, dass er Akten, die seine Mandanten beträfen, über deren Auftrag aus der Kanzlei der Gefährdeten in seine neue Kanzlei übersiedelt habe, wendete aber ein, er selbst sei in allen diesen Akten Mandatsträger gewesen. Hinsichtlich jener Klienten, die weiterhin von ihm vertreten werden sollten, sei die Vollmacht zur Gefährdeten bereits gekündigt gewesen. Am 2. Jänner 2006 habe er die Schlüssel für die Kanzlei der Gefährdeten übergeben, seither sei es ihm nicht mehr möglich, die Kanzleiräumlichkeiten zu betreten und Akten zu entfernen. Das Erstgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung mit der Einschränkung, dass Urkunden und/oder Akten über Parteien ausgenommen seien, „die Auftrag und Vollmacht gegenüber der Gefährdeten gekündigt und dem Gegner Auftrag und Vollmacht zur Vertretung erteilt haben (§ 12 RAO)". Das Mehrbegehren, dem Gegner ganz allgemein zu verbieten, Akten der Gefährdeten für die Berufsausübung zu verwenden, die er vor dem 1. Jänner 2006 aus den Kanzleiräumlichkeiten der Gefährdeten entfernt habe, wies es ab. Das modifizierte Sicherungsbegehren halte sich im Rahmen des Hauptanspruchs. Da der Gegner nicht bescheinigt habe, dass er nur solche Akten mitgenommen habe, in denen ausschließlich ihm persönlich Vollmacht erteilt worden sei, sei ihm die Verwendung der entfernten Akten im ausgesprochenen Umfang zu untersagen. Mit Rücksicht auf § 12 RAO seien vom Verbot jedoch solche Akten und Urkunden über Parteien auszunehmen, die die Vollmacht an die Gefährdete gekündigt und den Gegner mit ihrer Vertretung betraut hätten.

Das Rekursgericht bestätigte diese (eingeschränkte) einstweilige Verfügung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs mangels einer über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung der entschiedenen Rechtsfragen nicht zulässig sei. Die bestrittene sachliche Zuständigkeit des Erstgerichts zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung zwecks Sicherung eines in einem Schiedsverfahren geltend gemachten Hauptanspruchs sei zu bejahen. Der Einwand des Gegners, nach der Rechtsprechung müssten die herauszugebenden Urkunden im Urteilsbegehren einer Herausgabeklage einzeln angeführt sein, sei schon deshalb nicht stichhältig, weil hier kein Herausgabeanspruch Verfahrensgegenstand sei. Der Anspruch sei bescheinigt, weil festgestellt sei, dass der Gegner auch Akten von Klienten entfernt habe, die der Gefährdeten Vollmacht erteilt und diese nicht aufgekündigt hätten. Das Verhalten des Gegners sei daher wettbewerbswidrig. Die Rechtsrüge des Gegners sei im Übrigen nicht gesetzmäßig ausgeführt.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs des Gegners, mit dem er die Abweisung des Sicherungsbegehrens anstrebt, ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch des Rekursgerichts zulässig und berechtigt.

Zu Recht rügt der Gegner das hier zu prüfende Sicherungsbegehren des Gefährdeten als unbestimmt.

1. Von der nach dem materiellen Recht zu beurteilenden Frage, wie weit ein Unterlassungsbegehren gehen darf, ist die Frage der Bestimmtheit des Begehrens als prozessuale Klagevoraussetzung zu

unterscheiden (4 Ob 90/95 = ÖBl 1996, 127 - Feuerlöschgeräte mwN; 4

Ob 204/00d = SZ 73/162). Die Bestimmtheit des Begehrens als

prozessuale Klagevoraussetzung ist auch noch im Rechtsmittelverfahren von Amts wegen zu prüfen (4 Ob 402/87 = SZ 61/41 mwN).

2. Das Klagebegehren muss die Unterlassungspflicht so deutlich kennzeichnen, dass ihre Verletzung gemäß § 355 EO in Exekution gezogen werden kann. Eine gewisse allgemeine Fassung des Unterlassungsgebots ist nach ständiger Rechtsprechung daher meist schon deshalb notwendig, um Umgehungen nicht allzu leicht zu machen (4 Ob 204/00d mwN). Dem Begehren muss unter Berücksichtigung des Sprach- und Ortsgebrauchs und nach den Regeln des Verkehrs zu entnehmen sein, was begehrt ist. Auch die Bestimmtheit von Sachleistungsbegehren ergibt sich aus dem Maßstab des allgemeinen Verkehrs und der ortsspezifischen Sprachregeln, wobei zu berücksichtigen ist, dass ein Klagebegehren in der Regel unbestimmt bleibt, wenn ein stattgebendes Urteil nicht Grundlage einer Exekution sein könnte (10 Ob 60/05d = AnwBl 2005, 522 mwN). Welche Anforderungen an die Konkretisierung des Klagebegehrens zu stellen sind, hängt von den Besonderheiten des anzuwendenden materiellen Rechts und den Umständen des Einzelfalls ab. Die Anforderungen sind danach in Abwägung des zu schützenden Interesses des Beklagten, sich gegen die Klage erschöpfend verteidigen zu können, sowie seines Interesses an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit hinsichtlich der Entscheidungswirkungen mit dem ebenfalls schutzwürdigen Interesse des Klägers an einem wirksamen Rechtsschutz festzulegen (10 Ob 60/05d mwN).

2.1. Die hier zu beurteilende Formulierung „Akten, die vor dem 1. Jänner 2006 aus bestimmten Kanzleiräumlichkeiten entfernt wurden" ist schon deshalb als für Dritte unbestimmt anzusehen, weil eine äußere Kennzeichnung/Erkennbarkeit des Verbringungsdatums nicht vorhanden ist. Für die Gefährdete war außerdem klärbar, um welche Akten (welche Klienten und Sachverhalte betreffend) es sich im Einzelnen handelt, sodass ihr solche bestimmte Angaben auch zumutbar waren. Sie verweist nunmehr selbst darauf, im Schiedsverfahren, in dem der hier zu sichernde Hauptanspruch geltend gemacht wurde, inzwischen eine Konkretisierung vorgenommen zu haben. Ungeachtet des Umstands, dass im vorliegenden Fall keine Herausgabepflicht, sondern ein Verwendungsverbot Verfahrensgegenstand ist, ist auch hier im Sinne der gebotenen Bestimmtheit des Klagebegehrens eine Konkretisierung des Sicherungsbegehrens in der aufgezeigten Richtung zu verlangen.

3. Die Behauptungen der gefährdeten Partei sind die Grenzen, in deren Rahmen zu prüfen ist, inwieweit eine einstweilige Verfügung erlassen werden kann. Es ist nicht Sache des Gerichts, von Amts wegen auf die Stoffsammlung oder ergänzendes Vorbringen zu dringen (stRsp;

RIS-Justiz RS0005452, RS0005225). Unschlüssige oder unbestimmte

Sicherungsanträge sind abzuweisen, ohne dass der gefährdeten Partei

ein weiteres Vorbringen zu ermöglichen wäre (8 Ob 88/06h = wobl 2007,

50; 3 Ob 262/05h = Zak 2006/159). Das Sicherungsbegehren muss daher

schon mangels Bestimmtheit scheitern.

Auf die weiters vom Gegner aufgeworfene Frage, inwieweit ein im Sicherungsverfahren unzulässiger Eingriff in Rechte Dritter (Mandanten) durch das Aktenverwendungsverbot angestrebt werde, braucht nicht eingegangen zu werden.

In Ansehung jenes Teils des Sicherungsbegehrens, über den hier endgültig entschieden wird (mangels abweichender Bewertung ein Viertel des Gesamtstreitwerts), ist auch schon über die erstinstanzlichen Verfahrenskosten zu entscheiden, zumal § 43 Abs 1 ZPO im Sicherungsverfahen nicht gilt (RIS-Justiz RS0002397). Die Entscheidung über die Verfahrenskosten erster Instanz gründet sich auf § 393 Abs 1 EO; im Übrigen ist

4. Die Entscheidung über die Kosten des Sicherungsverfahrens erster Instanz im Hinblick auf die Enderledigung bloß eines Teilbegehrens vorzubehalten; die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO iVm § 393 Abs 1 letzter Satz EO.

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