Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung
Rechtliche Beurteilung
Ob eine Identifikation des Verbreiters mit der veröffentlichten Meinung des Zitierten stattfand, richtet sich danach, wie die Aussagen von einem zumindest nicht unerheblichen Teil der angesprochenen Leser bei ungezwungener Auslegung verstanden werden. Dieses Verständnis des unbefangenen Durchschnittslesers ist aber stets eine Frage des Einzelfalles, der keine darüber hinausreichende Bedeutung zukommt (6 Ob 12/00h; RIS-Justiz RS0111733 [T5, T8 und T10]).
Nach ständiger Rechtsprechung sind im Rahmen des Rechtfertigungsgrundes des § 6 Abs 2 Z 4 MedienG auch die Interessen des Verletzten zu berücksichtigen, die nach dem Willen des Gesetzgebers gegenüber denjenigen des Medieninhabers nur deshalb zurücktreten sollen, weil er sich immer noch gegen den Dritten zur Wehr setzen kann, dessen Äußerung wahrheitsgetreu wiedergegeben wurde. Daraus leitet der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung ab, dass jedenfalls dann, wenn der Verletzte für den Medieninhaber objektiv erkennbar aus einem anderen Grund als jenem des § 6 Abs 1 Z 1 MedienG auch gegen den Urheber der Äußerung schutzlos bliebe, der Rechtfertigungsgrund des § 6 Abs 2 Z 4 MedienG nicht zum Tragen kommen könne (6 Ob 30/95 = SZ 68/136; 6 Ob 128/06a;
vgl auch 6 Ob 222/99m und 6 Ob 237/02z). Diese Auffassung wird von der überwiegenden Lehre geteilt (Ozlberger, Ehrenschutz2 68;
ausführlich Hanusch, MedienG § 6 Rz 56; ebenso für zivilrechtliche - im Gegensatz zu medienrechtlichen - Ansprüche Berka in Berka/Höhne/Noll/Polley, MedienG2 § 6 Rz 54; vgl auch Föger, Das Beziehungsgeflecht zwischen Massenmedien und einzelnem Bürger in Österreich [1993] 38).
Wie der Oberste Gerichtshof schon im Provisorialverfahren (§ 6 Ob 128/06a) ausgesprochen hat, bliebe andernfalls der Verletzte schutzlos, weil er weder gegen den - anonymen - Urheber des Zitats noch gegen den Medieninhaber vorgehen könne. Im Ergebnis würde damit ein Unterlaufen des Schutzes vor ehrenbeleidigenden Äußerungen in Medien ermöglicht, könnte doch dann jeder Medieninhaber - allenfalls auch von ihm selbst verfertigte - anonyme Schreiben wiedergeben, ohne irgendwelche Konsequenzen befürchten zu müssen (Hanusch, MedienG § 6 Rz 56; Föger, Das Beziehungsgeflecht zwischen Massenmedien und einzelnem Bürger in Österreich [1993] 38).
Wie der Oberste Gerichtshof gleichfalls bereits im Provisorialverfahren (6 Ob 128/06a) ausgesprochen hat, hat dies mit dem verfassungsrechtlichen Schutz der journalistischen Recherche nichts zu tun, verbietet es doch das Gesetz keineswegs, aus Anlass einer anonymen Mitteilung einen Artikel zu verfassen. Die - wie im vorliegenden Fall - ungeprüfte Wiedergabe der in einem (angeblichen) anonymen Schreiben enthaltenen massiv ehrverletzenden Vorwürfe ist demgegenüber im Sinne der nach § 6 Abs 2 Z 4 MedienG erforderlichen Interessenabwägung in der Regel nicht gerechtfertigt. Dabei ist auch nicht ersichtlich, inwiefern die Einschränkung der Möglichkeit der Wiedergabe anonymer Schriftstücke „die Funktion der Presse in einem demokratischen Gemeinwesen" beeinträchtigen könnte, kommt doch der Wiedergabe eines anonymen, nicht überprüften Schriftstücks schon von vornherein nur eingeschränkter Informationswert zu. Der Verweis auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs im Fall Albert Engelmann GmbH gegen Österreich vom 19. 1. 2006 geht ins Leere. Abgesehen davon, dass diese Entscheidung - anders als der vorliegende Fall - nicht ein Zivilverfahren, sondern ein strafrechtliches Entschädigungsverfahren nach dem MedienG betraf, bezog sich die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auf einen Sachverhalt, in dem die in einem anonymen Leserbrief zum Ausdruck gebrachte Kritik an Kirchenfunktionären als Werturteil verstanden werden konnte. Dem gegenüber geht das vorliegende, von der beklagten Partei in vollem Wortlaut wiedergegebene und durch entsprechende graphische Gestaltung auch noch redaktionell hervorgehobene (angebliche) anonyme Schreiben durch generelle Infragestellung des Charakters der Kläger und Andeutung inkorrekter Vorgangsweise im privaten Bereich sowie im höchstpersönlich-familiären Bereich deutlich über das nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bei in der Öffentlichkeit stehenden Personen anzuwendende großzügigere Maß zulässiger Kritik hinaus.
Damit gelingt es der Revisionswerberin aber nicht, eine Rechtsfrage der im § 502 Abs 1 ZPO angesprochenen Qualität aufzuzeigen, sodass die Revision spruchgemäß zurückzuweisen war.
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