OGH 1Ob200/06b

OGH1Ob200/06b27.2.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dkfm. Maria O*****, vertreten durch Dr. Peter Ozlberger, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Franz Peter K*****, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in Linz, wegen

290.600 EUR s.A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 24. Juli 2006, GZ 1 R 61/06f-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Wels vom 21. Dezember 2005, GZ 6 Cg 27/05k-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Streitteile sind die ehelichen Kinder des am 10. 1. 1982 verstorbenen Erblassers. Mit Testament vom 20. 10. 1963 setzte dieser den Beklagten als Erben ein; die Klägerin sollte eine Liegenschaft sowie einen Geldbetrag erhalten. In der Folge erklärte der Erblasser dreimal den Widerruf aller früheren letztwilligen Anordnungen (mit letztwilliger Verfügung vom 24. 4. 1971, im notariellen Testament vom 30. 6. 1971 und im Schreiben an den Notar vom 11. 4. 1972). Im Testament vom 5. 6. 1976 setzte er die Klägerin als Alleinerbin ein; der Beklagte sollte den Pflichtteil erhalten. Im Testament vom 12. 9. 1977 setzte er die Klägerin neuerlich zur Alleinerbin ein; diesmal enterbte er den Beklagten.

Nachdem die Testamente aus den Jahren 1977 und 1976 wegen Testierunfähigkeit des Erblassers rechtskräftig für ungültig erklärt worden waren (Verfahren zu 1 Cg 425/83 des KG Wels und zu 2 Cg 2/93h des LG Wels), wurde die Ungültigkeit auch der letztwilligen Verfügungen vom 24. 4. 1971, 30. 6. 1971 und 11. 4. 1972 festgestellt (Verfahren 4 Cg 20/99d des LG Wels). Mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 29. 1. 2002 wurde die außerordentliche Revision der im zuletzt genannten Verfahren als Beklagte aufgetretenen Klägerin zurückgewiesen. Diese Entscheidung wurde ihrem Rechtsvertreter am 20. 2. 2002 zugestellt. Der Beklagte begehrte im Verlassenschaftsverfahren nach seinem Vater weiters die Feststellung, der landwirtschaftliche Betrieb des Erblassers sei ein Erbhof im Sinne des Anerbengesetzes. Dieser Antrag wurde abgewiesen (Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 27. 5. 2004, AZ 6 Ob 59/04a). Mit ihrer am 18. 2. 2005 an das Erstgericht gefaxten Klage, deren Original dort am 21. 2. 2005 einlangte, begehrte die Klägerin aus dem Titel der „Pflichtteilsergänzung" den Zuspruch von 290.600 EUR sA. Nach dem Testament vom 20. 10. 1963 habe sie „wertmäßig nicht einmal den Pflichtteil" erhalten. Der Wert des reinen Nachlasses betrage zum Zeitpunkt der Klageerhebung 3,641.450 EUR, ein Viertel demnach 910.362,50 EUR. Rechne man auf den Pflichtteil den Wert der im Testament vermachten Liegenschaft und den in Geld bestehenden Legatsanspruchs an, ergebe sich ein Pflichtteilsergänzungsanspruch von 634.444,59 EUR. Davon werde klageweise vorerst lediglich ein Teil geltend gemacht.

Der Beklagte wendete - soweit im Revisionsverfahren von Bedeutung - ein, der Pflichtteilsergänzungsanspruch sei verjährt. Bei Einbringung der Klage am 21. 2. 2005 sei die dreijährige Verjährungsfrist, sofern sie ab Zustellung der letztinstanzlichen Entscheidung im Verfahren 4 Cg 20/99d des LG Wels - am 20. 2. 2002 - zu laufen begonnen habe, bereits verstrichen gewesen. Die Klägerin habe nicht nachweisen können, dass sie ihre Klage vor dem 21. 2. 2005 - per Fax - vollständig dem Gericht übermittelt habe. Übermittlungsfehler gingen zu ihren Lasten. Die Klage hätte schließlich auch unverzüglich nach Abschluss des letzten Erbrechtsstreits im Februar 2002 erhoben werden müssen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die 30-jährige Verjährungsfrist komme nicht in Betracht, da die Klägerin ihren Pflichtteilsanspruch nicht auf das Testament, sondern auf das Gesetz stütze. Auf die Pflichtteilsergänzungsklage gelange die dreijährige Verjährungsfrist zur Anwendung. Deren Ablauf werde durch die Einbringung einer Erbrechtsklage durch den Pflichtteilsberechtigten gehemmt. Gleiches müsse gelten, wenn - wie hier - im Erbrechtsstreit ein Pflichtteilsberechtigter als Beklagter auftrete. Die Klägerin hätte die Pflichtteilsergänzungsklage demnach in angemessener Frist (etwa binnen drei Monaten) nach rechtskräftigem Abschluss des Erbrechtsstreits - somit bis Ende Mai 2002 - einbringen müssen. Als die Klage im Februar 2005 eingebracht wurde, sei die Verjährungsfrist bereits abgelaufen gewesen. Auch das „Erbhofverfahren" habe die Klägerin nicht davon befreit, die Pflichtteilsergänzungsklage rechtzeitig zu erheben.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Aus dem Klagevorbringen ergebe sich, dass die Klägerin ihren Anspruch gerade nicht aus der letztwilligen Verfügung des Erblassers ableite, sodass die 30-jährige Verjährungsfrist nicht zur Anwendung gelangen könne. Es gelte die 3-jährige Verjährungsfrist des § 1487 ABGB, deren gesetzgeberischer Grund darin bestehe, dem Testamentserben möglichst rasch Gewissheit darüber zu verschaffen, ob der letzte Wille des Erblassers einer Anfechtung unterliege. Ein Erbe müsse nur binnen der „kurzen" Verjährungsfrist mit der Anfechtung des letzten Willens rechnen. Mache ein Noterbe zunächst mit Erbrechtsklage gegen den Testamentserben sein gesetzliches Erbrecht geltend, so sei es ihm unmöglich, gleichzeitig auch gegen den Nachlass die Pflichtteilsklage zu erheben, weil diese gerade zur Voraussetzung habe, dass er nicht zum Erben berufen sei. Die Erhebung der Erbrechtsklage durch einen Noterben bedeute für die Verjährung seiner Pflichtteilsansprüche einen Hemmungsgrund eigener Art; für die Dauer des Erbrechtsstreits werde der Ablauf der Verjährungsfrist gehemmt. Auch die vergebliche Verteidigung eines Testaments als gültig hemme die Verjährung der Pflichtteilsansprüche bis zur Entscheidung über die Erbrechtsklage. Im vorliegenden Fall habe die Verjährungsfrist mit der Kundmachung des Testaments vom 20. 10. 1963, somit am 9. 12. 1988 zu laufen begonnen. Die Klägerin hätte die Pflichtteilsergänzungsklage unverzüglich nach rechtskräftiger Beendigung des Erbrechtsprozesses im Jahr 2002 einbringen müssen. Da sie die Klage erst 2005 erhoben habe, seien ihre Ansprüche verjährt. Die Frage, ob der landwirtschaftliche Betrieb des Erblassers ein Erbhof im Sinne des Anerbengesetzes sei, sei für die Verjährungsproblematik nicht maßgeblich.

Die Revision der Klägerin ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Klägerin erachtet sich in ihrem Pflichtteil verkürzt, weswegen sie dessen Ergänzung fordert (§ 775 ABGB). Stützt sich der Anspruch - wie hier - unmittelbar auf das Gesetz, verjährt dieses Recht in drei Jahren (SZ 57/170 mwN; Mader/Janisch in Schwimann ABGB3, § 1487 Rz 5). Die Frist des § 1487 ABGB beginnt in der Regel mit der Kundmachung des Testaments zu laufen, weil damit der Pflichtteilsanspruch fällig wird. Ab Inkrafttreten des Außerstreitgesetzes 2003 wird nunmehr wohl auf die Verständigung durch Zustellung des Übernahmeprotokolls abzustellen sein

(Mader/Janisch aaO Rz 6; 1 Ob 547/90 = JBl 1991, 190 mwN; 1 Ob

255/99b = SZ 73/5; RIS-Justiz RS0034302). Im Hinblick auf die sich

aus dem Vorhandensein mehrerer letztwilliger Verfügungen und deren Anfechtung ergebenden Besonderheiten begann im vorliegenden Fall die Verjährungsfrist dennoch jedenfalls erst mit dem Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung 4 Cg 20/99d des LG Wels am 20. 2. 2002 zu laufen:

Die Verjährung beginnt in der Regel zu laufen, sobald der Geltendmachung des Anspruchs kein rechtliches Hindernis mehr im Wege steht (5 Ob 8/05w), also mit der objektiven Möglichkeit zu klagen. Sie wird grundsätzlich ab dem Zeitpunkt in Gang gesetzt, zu dem das jeweils in Betracht kommende Recht erstmals hätte ausgeübt werden können, sodass in der Person des Berechtigten liegende Hindernisse sowie praktische Erwägungen oder tatsächliche Erschwernisse den Beginn der Verjährung gewöhnlich nicht beeinflussen (8 ObA 105/03d; 2 Ob 153/00i; je mwN). In der Entscheidung SZ 64/41 wurde zur Verjährung gemäß § 1487 ABGB aber der allgemein bedeutsame Grundsatz formuliert, es komme für den Verjährungsbeginn auch „darauf an, ab wann die Klageführung sinnvoll" sei, weil „jede sinnlose Klageführung vermieden werden" solle. Im vorliegenden Fall wäre eine Pflichtteilsergänzungsklage vor Beendigung aller Erbrechtsstreitigkeiten hinsichtlich der dem Testament aus 1963 nachfolgenden fünf weiteren letztwilligen Verfügungen nicht nur nach subjektiven wirtschaftlichen Erwägungen der Klägerin, sondern - angesichts der nicht leicht vorhersehbaren Ergebnisse dieser Rechtsstreitigkeiten - auch nach objektiven Gesichtspunkten unvernünftig gewesen. Im Hinblick darauf, dass dem Testament vom 20. 10. 1963 fünf weitere letztwillige Verfügungen nachfolgten, kam die Erhebung der Pflichtteilsergänzungsklage erstmals zu jenem Zeitpunkt in Betracht, als der Klägerin die für sie negative endgültige Entscheidung im „letzten" Erbrechtsstreit zugestellt wurde; dieser Zeitpunkt liegt etwa 20 Jahre nach dem Tod des Erblassers und etwa 14 Jahre nach der Testamentskundmachung. Erst zu diesem Zeitpunkt war evident, dass die Klägerin auf die Geltendmachung ihres Pflichtteilsanspruchs verwiesen war. Ihre davor gegebene Befürchtung, sie werde mit dem Pflichtteilsanspruch das Auslangen finden müssen, falls es zu Erbrechtsstreitigkeiten hinsichtlich aller fünf weiteren letztwilligen Verfügungen kommen und sie in sämtlichen Streitigkeiten unterliegen sollte, konnte die Verjährungsfrist nicht in Gang setzen. Nachdem der letzte Erbrechtsprozess rechtskräftig abgeschlossen war, stand der Klägerin die dreijährige Verjährungsfrist zur Geltendmachung ihrer Pflichtteilsansprüche offen, insbesonders auch zur erforderlichen Vorbereitung der Pflichtteilsergänzungsklage (etwa zur Einholung von Gutachten betreffend den Wert der in Anrechnung zu bringenden Liegenschaft). Die Frage nach einer Ablaufhemmung für die Verjährung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs während der Erbrechtsstreitigkeiten stellt sich nicht, weil lediglich der Ablauf einer begonnenen Verjährung gehemmt werden könnte.

Ob die Verjährungsfrist - so die Behauptung der Klägerin - allenfalls erst mit dem Abschluss des „Erbhofverfahrens" zu laufen begonnen hätte, muss im Hinblick auf obige Ausführungen nicht mehr geprüft werden. Gleiches gilt für die Frage, ob Änderungen im Wert der Nachlassgegenstände Auswirkungen auf die Verjährungsproblematik hätten.

Dem Einwand des Beklagten, auch im Fall des Beginns der Verjährungsfrist mit Zustellung der letztinstanzlichen Entscheidung im „letzten" Erbrechtsstreit sei die Pflichtteilsergänzungsklage verjährt, weil die Klageschrift am 18. 2. 2005 nicht vollständig an das Erstgericht gefaxt worden sei, ist nicht zu folgen:

Klagen mittels Telefax sind zulässig und fristwahrend, wenn sie durch Nachreichung einer Klagebestätigung verbessert werden (SZ 72/75). Zu „Rechtsmitteln" wurde bereits ausgesprochen, dass eine inhaltliche Verbesserung nur dann verfügt werden darf, wenn sich der Schriftsatz nicht bloß in der Benennung des Rechtsmittels oder in der Erklärung erschöpfte, die Entscheidung zu bekämpfen. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass durch bewusst unvollständige Erhebung des Rechtsmittels eine Verbesserungsfrist erschlichen würde, um eine Fristverlängerung zu bewirken (RIS-Justiz RS0036478). Handelt es sich offensichtlich jedoch bei dem mit Telefax aufgegebenen Rechtsmittel um kein „leeres", sondern wurde nur die Übertragung unterbrochen, so wäre wegen des Fehlens der restlichen Seiten ein Verbesserungsauftrag zu erteilen gewesen (9 ObA 116/03d). Im vorliegenden Fall brach - unbestritten - schon nach Übersendung der ersten Seite der insgesamt 16 Seiten umfassenden Pflichtteilsergänzungsklage die Übertragung ab. Es deutet nichts darauf hin, dass durch bewusst unvollständige Klageerhebung nur ein Klagedeckblatt bloß zu dem Zweck übersandt werden sollte, um einen Verbesserungsauftrag zu erschleichen, sodass von einer technischen Störung des Empfanggeräts auszugehen ist. Es wäre somit ein Verbesserungsauftrag zu erteilen gewesen; die Klägerin konnte unter diesen Umständen aus eigenem die Klage fristwahrend vervollständigen (vgl 10 Ob 34/04d).

Davon ausgehend ist die Pflichtteilsergänzungsklage nicht verjährt. Die aus dieser Rechtsansicht resultierende Notwendigkeit ergänzender Feststellungen führt in Stattgebung der Revision zur Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und zur Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht.

Das Oberlandesgericht Linz hat als Rekursgericht in seiner Entscheidung vom 16. 1. 2007, AZ 4 R 6/07s den Beschluss des LG Wels vom 21. 12. 2006, GZ 4 Cg 73/06m-2, mit dem die Wiederaufnahmsklage der Klägerin betreffend den Erbrechtsstreit 4 Cg 20/99d des LG Wels zurückgewiesen wurde, bestätigt. Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung zu AZ 1 Ob 37/07h den dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs der Klägerin zurückgewiesen. Der Anregung des Beklagten, das Revisionsverfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Wiederaufnahmsklage zu unterbrechen, ist damit der Boden entzogen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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