OGH 7Ob56/06w

OGH7Ob56/06w20.12.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle Steiermark, Bahnhofgürtel 79, 8020 Graz, vertreten durch Dr. Robert A. Kronegger, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei G***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Stefan Herdey und Dr. Roland Gsellmann, Rechtsanwälte in Graz, wegen EUR 6.694,48, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 24. November 2005, GZ 2 R 172/05i-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 31. August 2005, GZ 42 Cg 156/04v-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 499,39 (darin enthalten EUR 83,23 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 25. 5. 1989 wurde Alexander F***** als Beifahrer in einem vom Versicherungsnehmer Anton M***** gelenkten und gehaltenen, bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw schwer verletzt. Das Alleinverschulden an dem Unfall traf den Versicherungsnehmer der Beklagten. Die klagende Pensionsversicherung hat dem Geschädigten aufgrund der erlittenen Verletzungen Invaliditätspension, Pflegegeld und Krankenversicherung zu leisten. Die ihrer Leistungspflicht kongruenten Schadenersatzansprüche des Verletzten gingen gemäß § 332 ASVG, § 16 BPGG auf sie über. Die Beklagte hat die daraus abgeleiteten Regressansprüche bis 31. 12. 1999 befriedigt. Im Vorprozess machte die Klägerin Leistungen von 1. 1. 2000 bis 31. 10. 2001 geltend. Dagegen erhob die Beklagte den Einwand des Deckungssummenkonkurses, weil die Versicherungssumme von S 15 Mio nicht ausreiche, um die zu erwartenden künftigen Ansprüche des Geschädigten und die abgeleiteten Ansprüche der Klägerin und der Gebietskrankenkasse zu befriedigen. In diesem rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren wurden die Regressforderungen der Klägerin infolge Deckungssummenkonkurses der Beklagten ab 1. 12. 1998 - dem dort eingeholten Gutachten eines Sachverständigen entsprechend - um 12,71 % gekürzt.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin restliche EUR 6.694, 48, aus den für den Zeitraum 1. 11. 2001 bis 31. 12. 2003 geleisteten EUR 23.250,21 an Invaliditätspension, Pflegegeld und Krankenversicherungsbeitrag. Der im Vorprozess ermittelte Kürzungsbedarf bestehe nicht mehr, weil bestimmte - im Einzelnen angeführte - (hochgerechnete) Kosten und Leistungen nicht anfallen würden bzw nicht angefallen seien. Die Beklagte habe zu behaupten und zu beweisen, welche Ansprüche aus der Deckungssumme zu befriedigen seien und gemäß § 156 VersVG einen Aufteilungsplan vorzulegen. Die Beklagte beantragte Klageabweisung. Nach dem im Vorprozess als berechtigt erkannten Einwand des Deckungesummenkonkurses (§§ 155 ff VersVG) müssten sämtliche Ansprüche ab dem 1. 12. 1998 um 12,71 % gekürzt werden und die Klägerin sei [nur noch] berechtigt, jährliche Leistungen von maximal EUR 8.356,88, die die Beklagte bereits erbracht habe, zu begehren. Die Befriedigungsquote würde sich nur dann ändern, wenn Änderungen am Gesundheitszustand des Geschädigten einträten, die andere Ansprüche des Verletzten, der Klägerin oder der Gebietskrankenkasse zur Folge hätten. Sein Gesundheitszustand sei jedoch unverändert. „Rechnerische Abweichungen" rechtfertigten hingegen keine Korrektur des Verteilungsplans; aber auch Abweichungen zwischen dem Verteilungsplan und den tatsächlichen Gegebenheiten (Zahlungen) seien ohne Bedeutung. Es sei nicht Sache der Beklagten, einen neuen Verteilungsplan zu erstellen. Vielmehr entfalte das Urteil im Vorprozess auch hier Bindungswirkung.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Außer Streit stehe, dass sich die Gesamtsumme aller zu berücksichtigenden Gläubigerforderungen nachträglich so weit vermindert habe, dass diese aus der zur Verfügung stehenden Versicherungssumme voll zu befriedigen sei. Die Beklagte habe das entsprechende, begründete Vorbringen der Klägerin zumindest nicht bestritten (§ 267 ZPO). Im Übrigen wäre dieser Umstand auch dann nicht zu prüfen, wenn er nicht als zugestanden anzusehen wäre, weil der beklagte Versicherer, der sich auf eine unzureichende Deckungssumme berufe, den Einwand entsprechend konkretisieren und beweisen müsse; dies habe die Beklagte unterlassen.

Die Frage, wie sich eine nachträgliche Änderung des tatsächlichen Schadensverlaufes gegenüber der dem Verteilungsplan zu Grunde gelegten Prognose auf das rechtliche Schicksal der Gläubigerforderungen auswirke, sei - soweit ersichtlich - noch nicht höchstgerichtlich entschieden worden. Voit/Knappmann in Prölss/Martin, VersVG27 führten dazu aus, dass die scheinbar klare und einfache Vorschrift (§ 156 VersVG) praktische Schwierigkeiten bereite, weil die Höhe der geltend gemachten Forderungen sich häufig stark ändere. Das erfordere Neuberechnungen und belaste den Versicherer mit dem Risiko, überzahlte Beträge nicht betreiben zu können. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Feststellung, ob die Deckungssumme überschritten sei, sei der Zeitpunkt, zu dem der Versicherer Forderungen des Dritten begleiche. Ergebe die Prüfung, dass zu diesem Zeitpunkt die dem Versicherer bekannten Ansprüche und diejenigen, mit denen er rechnen müsse, zusammen die Deckungssumme nicht überschreiten, seien diese nicht quotenmäßig zu kürzen. Dasselbe gelte, wenn im Laufe der Schadensregulierung einzelne Forderungen mit einem niedrigeren Betrag festgestellt oder sich als unbegründet oder verjährt erweisen würden und deshalb die Deckungssumme nicht mehr erreicht werde. Ändere sich bei Leistungen an Dritte die Gesamtsumme der Ansprüche nachträglich, dann sei die Quote entsprechend zu ändern. Für die gerichtliche Durchsetzung eines Anspruches bedeute dies, dass der Dritte gegenüber einem Versicherer im Falle des Deckungssummenkonkurses nur den Teil seiner Forderung durchsetzen könne, der ihm bei anteiliger Berücksichtigung seiner Forderung nach § 156 Abs 3 VersVG zustehe. Im Übrigen sei eine Klage als (zur Zeit unbegründet) abzuweisen. Erhöhe sich später die Quote, dann müsse er neu klagen.

Dieser Auffassung sei zu folgen. Weiche der tatsächliche Schadensverlauf von der Prognose in einem für die Voraussetzungen für die Deckung oder Kürzung der Forderung maßgeblichen Ausmaß ab, sei der ursprüngliche Verteilungsplan entsprechend anzupassen, allfällige Überzahlungen seien - zumindest im Fall eines Vorbehaltes - rückforderbar, allfällige Nachzahlungen einklagbar. Dafür, dass eine nachträgliche Änderung der Gesamtsumme der Ansprüche eine Korrektur des Verteilungsplanes nur rechtfertige, wenn sie auf Veränderungen in der Sphäre des Geschädigten, insbesondere seines Gesundheitszustandes zurückzuführen sei, finde sich im Gesetz kein Anhaltspunkt. Eine derartige Differenzierung sei auch sachlich nicht gerechtfertigt. Die §§ 155, 156 VersVG seien auf alle Geschädigten anzuwenden, nicht nur auf Sozialversicherungsträger, auf die ein Anspruch des Geschädigten übergegangen sei. Für nicht „professionelle" Gläubiger könne sich der durch die Nichtberücksichtigung nachträglicher Änderungen im Schadensverlauf bedingte wirtschaftliche Nachteil in der „versicherungsmathematischen Unendlichkeit" nicht ausgleichen (wie allenfalls bei einem Sozialversicherungsträger). Auch die wirtschaftliche Betrachtung stütze daher den Standpunkt der Beklagten nicht.

Der im Vorprozess als bloße Vorfrage festgestellte Verteilungsplan entfalte hier keine prozessrechtliche Bindungswirkung. Die Klägerin habe vom 1. 11. 2001 bis 31. 12. 2003 an den Geschädigten die behaupteten Leistungen erbracht. Entgegen der im Vorprozess erstellten Prognose überstiegen die von der Beklagten (ab dem 1. 12. 1998) erbrachten und zu erbringenden Leistungen die zur Verfügung stehende Versicherungssumme nicht. Zumindest habe die Beklagte aber den diesbezüglich allenfalls implizit erhobenen Einwand nicht konkretisiert und bewiesen, weshalb dem Klagebegehren stattzugeben sei.

Das Berufungsgericht verwarf die dagegen von der Beklagten erhobene Berufung wegen Nichtigkeit, bestätigte das Ersturteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es erachtete die Mängelrüge und die Beweis- und Tatsachenrüge als nicht berechtigt. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, es könne zunächst auf die ausführliche, zutreffende und mit Zitaten aus Lehre und Rechtsprechung untermauerte rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes verwiesen werden (§ 500a ZPO); die Berufungsausführungen seien nicht geeignet, diese zu erschüttern. Der Berufung sei daher nur noch Folgendes zu erwidern:

Keine Rede könne davon sein, dass im Vorprozess der idente Sachverhalt zu beurteilen gewesen sei. Dort seien nämlich die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Deckungssummenkonkurses (mangelndes Ausreichen der Versicherungssumme zur Befriedigung der zu erwartenden Ansprüche) unstrittig festgestellt worden, hier aber gerade nicht. Die mangelnde Bindungswirkung der Feststellungen zum Vorliegen der Voraussetzungen eines Deckungssummenkonkurses im Vorprozess für dieses Verfahren sei schon deswegen geradezu evident, weil es sich in beiden Verfahren um verschiedene Streitgegenstände (Regressansprüche für verschiedene Zeiträume) handle (siehe etwa Rechberger in Rechberger² § 411 ZPO Rz 6 f mwN). Diese Rechtslage lasse sich nicht mit dem Argument grober Unbilligkeit wegen erheblichen Aufwandes wegdiskutieren. Gerade im Prozess sei das Aufwandargument auch nicht wirklich stichhaltig, weil bei (erwiesener) Unrichtigkeit des Standpunkts der Klägerin diese kostenersatzpflichtig würde, der Aufwand daher (jedenfalls auch) sie treffen würde. Dem Versicherer sei es durchaus möglich, Ansprüche zu liquidieren; sicherheitshalber könne er dies unter Vorbehalt tun und sich damit allfällige Rückzahlungsansprüche sichern, wie schon das Erstgericht zutreffend ausgeführt habe.

Entgegen den Berufungsausführungen habe das Erstgericht klar nachvollziehbar dargelegt, von welchem Sachverhalt es warum ausgegangen sei. Die Beklagte sei zwar schon vom Weitervorliegen eines Versicherungssummenkonkurses ausgegangen, aber nicht deswegen, weil ihre Zahlungspflichten unverändert bestünden (derartiges behaupte sie bezeichnenderweise auch im Berufungsverfahren nicht), sondern weil sich am Gesundheitszustand des Unfallopfers nichts geändert habe und im Vorprozess das Vorliegen der Voraussetzungen für den Versicherungssummenkonkurs festgestellt worden sei. Einen Aufteilungsplan habe die Beklagte - trotz entsprechender Forderung der Klägerin - gerade nicht vorgelegt. Nach diesem wäre auch überprüfbar gewesen, ob die Verhältnisse (Zahlungspflichten der Beklagten) tatsächlich unverändert sind. Die dazu begehrte Feststellung sei mit dem vom Erstgericht zu Recht seiner Entscheidung zu Grunde gelegten Sachverhalt unvereinbar und daher zu Recht nicht getroffen worden.

Das Vorbringen der Klägerin (maßgebliche Änderung der Verhältnisse durch wesentliche Verringerung konkreter Leistungen der Beklagten aus dem Versicherungsfall) reiche aus, um ein konkretes Vorbringen samt Beweisanbot der Beklagten (Aufteilungsplan, Sachverständigengutachten, etc) zum Weiterbestehen der Voraussetzung für den Versicherungssummenkonkurs zu fordern. Gerade weil die Beklagte am ehesten wissen müsse, welche tatsächlichen Forderungen an sie herangetragen worden seien und damit voraussichtlich in Zukunft herangetragen werden, bestehe kein Anlass für eine Umkehr der Beweislast zu ihren Gunsten. In diesem Sinne sei schon entschieden würden, dass der Versicherer die Aufteilung nach § 156 Abs 3 VersVG vorzunehmen habe und nicht berechtigt sei, die Arbeit und das Risiko, die ihm dadurch aufgebürdet würden, auf andere abzuwälzen (RIS-Justiz RS0080795 mwN).

Das Berufungsgericht hat die ordentliche Revision zugelassen, weil der Oberste Gerichtshof bisher nicht entschieden habe, wie sich im Fall eines Deckungskonkurses eine (behauptete) Änderung des Schadensverlaufes gegenüber einer dem Verteilungsplan zugrundegelegten Prognose (insbesondere in einem Vorprozess) auf die Gläubigeransprüche auswirke; etwa auch was die Beweislastverteilung betreffe.

Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit einem Abänderungsantrag im klageabweisenden Sinn; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Klägerin beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der beklagte Haftpflichtversicherer hält in seinem Rechtsmittel zunächst fest, dass sich das Verfahren auf die einzige Rechtsfrage reduziere, ob die Klägerin im vorliegenden Prozess „(neuerlich) berechtigt" sei, ihre Schadenersatzansprüche aus den Versicherungsverhältnissen der Streitteile im vollen Umfang ungekürzt geltend zu machen oder ob sie sich das Ergebnis des Vorverfahrens, in welchem das Vorliegen eines Deckungskonkurses mit einer Quotenkürzung um 12,71 % und einem jährlichen Maximalanspruch der Klägerin von EUR 8.356,88 rechtskräftig festgestellt worden sei, (im Sinn einer Bindungswirkung) „anrechnen" lassen müsse. Zu den §§ 155 und 156 VersVG liege „kaum" Judikatur vor; insbesondere bestehe keine Rechtsprechung zu den Fragen, inwieweit ein rechtskräftig festgestellter Deckungssummenkonkurs samt Verteilungsplan und Quotenkürzung Wirkung auf Folgeprozesse der Gläubiger entfalte oder in welchem Umfang Gläubiger in der Folge berechtigt seien, das Vorliegen eines Deckungskonkurses zu bestreiten und wen in einem derartigen Fall die Beweislast dafür treffe, dass bereits rechtskräftig festgestellte Quoten nicht mehr wirksam seien. Zweck und Handhabung der Bestimmungen der §§ 155 ff VersVG hätten die Vorinstanzen zwar grundsätzlich richtig erkannt; „absolut unrichtig" seien jedoch die Überlegungen „im Rahmen des Tatsachenvorbringens der klagenden Partei" (betreffend die Frage, ob [behauptete] Abweichungen der tatsächlichen Folgeansprüche von prognostizierten „Zukunftsentwicklungen" im Verteilungsplan immer dazu führten, dass die Frage des Vorliegens eines Deckungskonkurses neu zu überprüfen sei). Insbesondere hätten die Vorinstanzen die Bindungswirkung der im Vorprozess als Hauptfrage (Vorliegen eines Summenkonkurses) rechtskräftig entschiedenen Vorfrage unberücksichtigt gelassen. Insoweit beruft sich die Beklagte in ihren weiteren Rechtsmittelausführungen auf die Intentionen des Gesetzgebers im Zusammenhang mit der „Rentenkürzung" nach den §§ 155 ff VersVG, denen es widerspreche, könnte sich die klagende Gläubigerin des beklagten Kfz-Haftpflichtversicherers durch gezielte Betreibung ihrer Ansprüche (jeweils nur für kurze Zeitabschnitte) die Möglichkeit offen halten, immer wieder den „Einwand der ausreichenden Versicherungssumme" zu erheben, damit einen bereits vorliegenden Verteilungsplan „auszuhöhlen" und eine Bevorzugung gegenüber anderen Gläubigern zu erreichen.

Dem hält die Revisionsbeantwortung entgegen, dass nur die Regressansprüche für den Zeitraum vom 1. 1. 2000 bis 31. 10. 2001 Streitgegenstand des Vorprozesses gewesen seien. Unter Verwertung eines beigeschafften Sachverständigengutachtens sei für diesen Anspruchszeitraum festgestellt worden, dass ein Versicherungssummenkonkurs vorliege und die Klageforderung nur quotenmäßig zu befriedigen sei. Eine über den Anspruchszeitraum hinausreichende Schadensverlaufsprognose sei weder Verfahrensgegenstand gewesen noch seien solche Feststellungen getroffen worden. Mangels Identität der Streitgegenstände der beiden Verfahren könne keine Bindungs- oder Rechtskraftwirkung für das Folgeverfahren bestehen. Für den vorliegenden Prozess könnten die Beweisergebnisse und Feststellungen über das Vorliegen eines Deckungssummenkonkurses zu einem anderen Anspruchszeitraum nicht herangezogen werden. Bei geändertem Schadensverlauf sei vielmehr eine allfällige Kürzungsquote neu zu ermitteln. Dies ergebe sich schon aus der Gesetzeslage. Aus den allgemeinen Beweislastverteilungsregeln ergebe sich, dass der zahlungspflichtige Versicherer die Aufteilung vorzunehmen habe, da auch nur er dazu in der Lage sei.

Dem ist im Ergebnis zuzustimmen:

Bei der Behandlung der von der Beklagten allein behaupteten mangelnden Deckung der Ansprüche der Klägerin ist vorerst festzuhalten, dass nach ständiger Rechtsprechung der beklagte Versicherer, der sich auf eine gegenüber dem Klageanspruch nicht zureichende Deckungssumme beruft, diesen Einwand konkretisieren und Beweise anbieten muss, was durch die Vorlage eines kompletten, in Beachtung der Bestimmungen der §§ 155 und 156 VersVG aufgestellten Verteilungsplans geschehen kann, dessen Überprüfung dem Gericht, allenfalls mit Hilfe eines Sachverständigen aus dem Gebiete der Versicherungsmathematik, ohne größere Schwierigkeit möglich sein wird (2 Ob 46/87 = ZVR 1988/108 = VersR 1988, 1144). Aus der Bestimmung über die verhältnismäßige Befriedigung mehrerer auf Grund desselben Ereignisses Geschädigter im Sinne des § 156 Abs 3 VersVG folgt, dass der Haftpflichtversicherer behaupten und beweisen muss, welche Ansprüche außer dem mit der vorliegenden Klage geltend gemachten und in welcher Höhe sie gegen ihn erhoben werden (RIS-Justiz RS0037519; SZ 50/79; 2 Ob 46/87).

Soweit sich die Beklagte auf die Grundsätze der Rentenkürzung nach § 155 VersVG beruft, ist hingegen Folgendes voranzustellen:

Gemäß § 155 Abs 1 VersVG kann der Versicherungsnehmer, der dem Dritten zur Gewährung einer Rente verpflichtet ist, nur einen verhältnismäßigen Teil der Rente verlangen, wenn die Versicherungssumme den Kapitalwert der Rente nicht erreicht. Reicht die Versicherungssumme nicht aus, so könnte bei einer Rente der Fall eintreten, dass der Versicherer für die volle Rente solange Deckung gewähren müsste, bis die Versicherungssumme erschöpft ist. Der Gesetzgeber hat im § 155 Abs 1 VersVG jedoch eine andere Regelung getroffen, um die Versorgung des geschädigten Dritten zu gewährleisten: Es ist versicherungsmathematisch die Rente festzustellen, deren Kapitalwert der in Betracht kommenden Versicherungssumme entspricht. Diese herabgesetzte Rente ist auch dann zu leisten, wenn die Versicherungssumme erschöpft ist. Dadurch will das Gesetz verhindern, dass ein Fall eintritt, in welchem für die Rente überhaupt keine versicherungsmäßige Deckung besteht (RIS-Justiz RS0080716; zuletzt 2 Ob 84/04y mwN; Voit/Knappmann in Prölss/Martin27 § 155 VVG Rz 2). Um der Vorschrift des § 155 Abs 1 VersVG zu entsprechen, darf die Rente also nur in betraglicher, nicht aber in zeitlicher Hinsicht gekürzt werden (SZ 50/79; RIS-Justiz RS0080737). Durch dieses Verfahren wird gewährleistet, dass der Dritte die ihm zuerkannte Rente in jedem Fall wenigstens teilweise erhält; andererseits wird vermieden, dass der sorglose Versicherungsnehmer, der keine Rücklagen gebildet hat, finanziell ruiniert wird (Baumann in Berliner Kommentar zum dVVG und öVersVG § 155 Rz 4). Unter einer „Rente" im Sinne dieser Bestimmung ist eine periodische Leistung zu verstehen, die weder Teilabtragung eines Kapitals (in Raten) noch Nebenleistung zu einer Kapitalschuld (Zinsen) ist, neben der also eine Kapitalschuld überhaupt nicht besteht (SZ 51/63; RIS-Justiz RS0058400; Kunst, Der Kapital- und Rentenschaden in der Haftpflicht und Haftpflichtversicherung, ZVR 1978, 65). Die Lehre (Kunst aaO FN 5) stellt zusätzlich auf die Ungewissheit der Dauer der Verpflichtung zur Rentenleistung („aleatorischer Charakter") ab. Hingegen läge keine „Rentenverpflichtung" im Sinne des § 155 VersVG vor, wenn ein Anspruch periodisch abgerechnet und dabei stets wieder neu überprüft wird (Stiefel/Hofmann, Kraftfahrversicherung17 § 10 AKB Rz 121;

Späte, Haftpflichtversicherung § 3 AHB Rz 75; RIS-Justiz RS0058435;

zu allem: 2 Ob 84/04y). Das Kürzungsverfahren nach § 155 Abs 1 VersVG stellt sich im Hinblick auf die langfristig wirkende Berechnung notwendig als in gewissem Sinne spekulativ dar (Baumann aaO § 155 Rz 4). So muss sich der schadenersatzpflichtige Versicherungsnehmer an der Rentenzahlung beteiligen, obwohl der Rentenberechtigte früher sterben kann und die Deckungssumme dann noch nicht erschöpft ist. Andererseits hat der Versicherer anteilig weiterzuzahlen, wenn der Anspruchsberechtigte länger lebt als berechnet und die Versicherungssumme längst ausgeschöpft ist.

Für den Standpunkt der Beklagten ist daraus aber nichts zu gewinnen. Abgesehen davon, dass hier gar keine Rentenleistung nach § 155 Abs 1 VersVG begehrt wird, kann die dem Klageanspruch des Geschädigten entgegengehaltene Behauptung des Haftpflichtversicherers, die Deckungssumme reiche zur Befriedigung nicht aus, nämlich (nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes) ohnehin nur im jeweiligen Schadenersatzprozess erhoben und in einem späteren Verfahren nicht mehr nachgeholt werden. Der beklagte Versicherer, der sich auf eine gegenüber dem Klagsanspruch nicht zureichende Deckungssumme beruft, muss diesen Einwand konkretisieren und Beweise anbieten, was zum Beispiel durch Vorlage eines kompletten, in Beachtung der Bestimmungen der §§ 155 und 156 VersVG aufgestellten Verteilungsplanes geschehen kann (RIS-Justiz RS0065841 [T5]). Eine spätere Überprüfung - insbesondere im Exekutionsverfahren, etwa aufgrund einer Feststellungs- oder einer Oppositionsklage - ist nicht möglich (RIS-Justiz RS0065841 [T1, T7, T8; zuletzt 2 Ob 84/04y mwN). Dabei handelt es sich um eine Folge der (materiellen) Rechtskraft der im Titelverfahren ergangenen Entscheidung, die auch Einwendungen des Beklagten gegen den Anspruch präkludiert (Fasching/Klicka in Fasching/Konecny² § 411 ZPO Rz 91; 2 Ob 84/04y).

Auch zur Frage, was gilt, wenn das Vorverfahren - wie hier - nur ein Begehren für einen bestimmten Zeitraum betraf, hat der Oberste Gerichtshof bereits (Entscheidung vom 20. 2. 2006, 2 Ob 84/04y) Stellung genommen und dazu Folgendes ausgesprochen:

„Der Grundsatz, wonach der Einwand, die Deckungssumme reiche zur Befriedigung nicht aus, nur im jeweiligen Schadenersatzprozess und nicht in einem späteren Verfahren geprüft werden kann, gilt aber - wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben (§ 510 Abs 3 ZPO) - nur dann, wenn Gegenstand des Vorverfahrens überhaupt ein Rentenbegehren bildete. Die Rechtskraft des Vorprozesses kann - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen - nicht weiter reichen als der den Gegenstand des Vorprozesses bildende Anspruch (vgl nur Fasching/Klicka in Fasching/Konecny² § 411 ZPO Rz 40). Gegenstand des [Vor-]Verfahrens ... war aber lediglich ein Begehren für einen genau bestimmten Zeitraum. Wenn die beklagte Partei in diesem Verfahren den Einwand der mangelnden Deckung unterließ, kann dies jedenfalls der Erhebung dieses Einwands in einem anderen Verfahren mit anderem Streitgegenstand und überdies anderen Klägern nicht entgegenstehen."

Es liegt auf der Hand, dass im hier zu beurteilenden (umgekehrten) Fall nichts anderes gelten kann. Eine prozessrechtliche Bindungswirkung im Sinn einer Bindung an den im Vorprozess festgestellten Verteilungsplan ist daher aus folgenden Überlegungen zu verneinen:

Auch im Vorprozess, in dem der Deckungskonkurs festgestellt wurde, war das Begehren nur auf einen genau bestimmten Zeitraum, also - wie die Revision selbst erkennt - auf einen anderen Streitgegenstand gerichtet. Die ganz überwiegende jüngere oberstgerichtliche Rechtsprechung nimmt eine Bindungswirkung nur an die im Vorprozess entschiedene Hauptfrage, nicht aber an eine dort beurteilte Vorfrage an (RIS-Justiz RS0041567 [T8]; RS0042554; SZ 2003/160 mwN; jüngst: 6 Ob 176/06k); erwächst doch die in der Entscheidung enthaltene Beurteilung von bedingenden Rechtsverhältnissen des entschiedenen Anspruchs nicht in Rechtskraft (Fasching/Klicka in Fasching/Konecny² § 411 ZPO Rz 68). Die Annahme, dass auch die Feststellungen über eine Vorfrage im Vorprozess (hier: betreffend das Vorliegen des Deckungskonkurses) selbständig rechtskräftig werden können, würde den Zwischenantrag auf Feststellung nämlich völlig entwerten und überdies dem Wortlaut des § 411 ZPO widersprechen, wonach präjudizielle Rechtsverhältnisse dann rechtskräftig entschieden werden, wenn sie zum Inhalt eines Zwischenfeststellungsantrags gemacht wurden (RIS-Justiz RS0039843 [T19]).

Im vorliegenden (einen anderen Zeitraum betreffenden) Verfahren hat es die Beklagte jedoch unterlassen, Vorbringen und Beweisanbote zum (Weiter-)Bestehen der Voraussetzungen für den Deckungssummenkonkurs zu erstatten, obwohl die Klägerin behauptet hat, der im Vorverfahren (ohne Bindungswirkung) ermittelte Kürzungsbetrag sei infolge Änderung der Gesamtsumme der Ansprüche für den nunmehr klagsgegenständlichen Leistungszeitraum nicht anzuwenden.

Wenn die Beklagte daran festhält, es sei nicht ihre Sache, einen neuen Verteilungsplan vorzulegen, und sich in der Revision zuletzt darauf beruft, die Klägerin hätte die Behauptung einer nunmehr wieder ausreichenden Versicherungssumme durch Beweisanbote zu begründen gehabt, widerspricht dies der bereits zitierten und auch der ständigen Rechtsprechung, wonach der Versicherer, wenn an ihn aus einem Schadensfall mehrere Forderungen herangetragen werden, selbst eine Aufteilung im Sinne des § 156 Abs 3 VersVG vorzunehmen hat (RIS-Justiz RS00800795). Die Beurteilung der Vorinstanzen entspricht diesen Grundsätzen und begegnet daher keinen Bedenken. Der unberechtigten Revision ist somit ein Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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